aus Kradblatt 7/19, von Jochen Vorfelder

Yamaha Ténéré 700 – Raffiniert einfach

Yamaha 700 Tenere Modell 2019

Mit der Ténéré 700 setzt Yamaha ein starkes Zeichen gegen das weltweite Wettrüsten: Die Reiseenduro verzichtet bewusst auf überbordende Elektronik. Kleine Macken verzeiht man der neuen Mittelklasse-Queen deshalb gerne.

Man kann Leon Oosterhof zusehen, wie er sich in freudige Begeisterung redet. Der Niederländer steht auf einem kleinen Podest, von Scheinwerfern angeleuchtet, in einem dunklen Gewölbesaal. Der Raum ist ein uraltes Gemäuer, Teil der spanischen Festung Tortosa aus dem zehnten Jahrhundert nach Christus. Die Historie liegt schwer in der Luft.

Yamaha 700 Tenere Modell 2019 Das einzige, was hier neu, leicht und wahrlich luftig ist: das Motorrad, das Oosterhof in Wallung bringt. Die Ténéré 700. Yamaha stellt endlich das Motorrad vor, auf das viele Yamaha-Fans und Enduristen lange Jahre gewartet haben. 

Das historische Ambiente im Parador zu Tortosa, auf halbem Wege zwischen Valencia und Barcelona, macht durchaus Sinn: Auch die Ténéré hat schon lange Geschichte geschrieben. Sie hat über fünfunddreißig Jahre Modellentwicklung im Gepäck. Im Jahr 1983 kam als Urahnin der Baureihe die Ténéré 600 auf den Markt; sie basierte mit ihrem Einzylindermotor auf der XT500 und den Erfahrungen mit den Wettbewerbsmaschinen der Rallye Dakar. 

Dieses Rennen hat Yamaha Ende der Neunzehnsiebziger Jahre dominiert. Seither hat sich der Markt aber stark verändert: Der Name Ténéré hat immer noch einen guten Klang in der Reise- und Offroad­Szene, aber die Nachfolgemodelle der Ténéré 600 – sei es als Ein- oder Zweizylinder – haben die ursprüngliche Herrschaft über die afrikanischen Dünen und später dann in Südamerika nicht fortschreiben können. Auch der Markt der mittelschweren und ganz großen Enduros wird inzwischen von anderen beherrscht: Die Platzhirsche kommen aktuell von den Herstellern BMW, Honda, KTM und auch Triumph hat frische Modelle nachgelegt. 

Yamahas neuer Anlauf in der Enduro-Mittelklasse hat deshalb einen hohen Anspruch, aber gleichzeitig auch eine hohe Erfolgsschwelle. Das Fahrzeug soll, laut Yamaha, der „ideale Allrounder“ werden und den Ténéré-Mythos fortschreiben: „Wir haben das Motorrad im Koordinatensystem zwischen sportlichen Fähigkeiten, gediegenem Fahrkomfort und Spaß auf der Straße angesiedelt,“ sagt Leon Oosterhof vorne auf der Bühne. 

Weitere Farben - Yamaha 700 Tenere Modell 2019 Als sichere Zielgruppen für das Fahrzeug haben Oosterhof, als verantwortlicher Yamaha-Projektmanager für die Ténéré 700, und die anderen Entwickler sportliche Geländefahrer, Globetrotter als auch Wochenendausflügler ausgemacht. Um diesen ziemlich weiten Spagat zu meistern und sich gleichzeitig eigenständig zu positionieren, soll die neue Ténéré 700 „sportlich, stark, leicht“ sein, aber vor allem „pur und günstig“. 

Die Lösung haben die Japaner im Mut zur vermeintlichen Armut ausgemacht: Yamaha macht die elektronische Hochrüstung in der mittleren Enduro-Klasse einfach nicht mit. Die Ténéré 700 hat keine der mittlerweile klassenüblichen Standards, keine Fahrmodi, keine Traktions-Kontrolle, keinen Quickshifter, kein TFT-Display, keinen Joystick am Lenker und schon gar keine „Connectivity“. Navigation, Telefon, Musik: Fehlanzeige. 

Yamaha verzichtet radikal auf den direkten Vergleich mit den Mitbewerbern wie z. B. der neuen BMW F 850 GS Adventure oder der KTM 790. Leon Oosterhof sagt: „Wir haben auf unnötiges Bling-Bling verzichtet und einfach ein gutes Motorrad gebaut.“ 

Offroad - Yamaha 700 Tenere Modell 2019Yamaha – und auch Oosterhof ist immer mit von der Partie – stellte die Ténéré 700 der Presse an zwei Fahrtagen im Hinterland von Tortosa vor. Der etwa 500 Kilometer langen Rundkurs hat alles, was eine straßenorientierte Enduro mit guten Offroad-Eigenschaften fordern sollte und gleichzeitig das Testerherz schneller schlagen lässt: schnelle Autobahnstrecken, einsame Landstraßen, staubige und schnurgerade „Camino Rurals“, holprige Feldpisten, schlüpfrige Waldwege, technische Kletterpassagen und üble Sandlöcher.

Schon mal vorab: Die Ténéré 700 passt perfekt zu dieser wilden Mischung. 

Bereits der Erstkontakt ist ermutigend. Die Sitzhöhe von 875 mm (durch eine höhere Rallye-Sitzbank aus dem Zubehör auch 919 mm), der breite Lenker und das sehr übersichtliche Cockpit mit dem simplen Instrument in Rallye-Anmutung verströmen sofort Vertrautheit. Sowohl kleine Fahrer als auch Sitzriesen über 185 cm finden ein Zuhause, aus dem heraus es sich leicht manövrieren lässt: Mit 204 kg Gewicht inklusiv vollem Tank ist die Ténéré 700 vergleichsweise leicht geraten. Die 850er Adventure BMW-Enduro z.B. bringt 244 kg auf die Waage.

Auspuff - Yamaha 700 Tenere Modell 2019 Auch akustisch ist die Ténéré 700 eine angenehme Zeitgenossin. Im Chassis mit dem langen Radstand von 1595 mm arbeitet der bewährte, wassergekühlte „Crossplane CP2“-Zweizylinder-Reihenmotor. Er leistet in der Ténéré 700 mit geändertem Auspuff, anderem Ansaugtrakt und angepasster Einspritzung 73 PS. Optimiert wurde dabei der Durchzug im unteren Drehzahlbereich. 

Reichen 73 Pferdchen für eine Enduro? Im Gelände immer. Aber auch auf der Straße? Ja, sie reichen. Das merkt man bereits auf den ersten Testmetern und den schnellen Landstraßen, über die wir uns zunächst bewegen. Die Enduro, auf den auf der Straße und im leichten Gelände überzeugenden Pirelli Scorpion STR-Reifen, zieht wuchtig wie an einem Gummiband gezogen aus den Kurven, schluckt jede Unebenheit im Belag weg und signalisiert: alles im grünen Bereich. Also Fahrspaß pur und man merkt: Kurven-ABS, sechs Fahrmodi oder zwei Handvoll Traktionskontroll-Einstellungen, man braucht es auf der Ténéré 700 einfach nicht. 

Yamahas neue Offroaderin kann als „Waffe“ auf Asphalt trotz – oder gerade mit dem 21 Zoller vorne und dem 18 Zoll-Hinterrad – locker mit einem Sport- oder Naked-Bike aus der gleichen PS-Klasse mithalten. Und das Fahrzeug kann natürlich mehr: Ausgestattet mit einer Packrolle, Koffern und dem 16 Liter-Tank – der Verbrauch zwischen 4 und 5,5 Litern je nach Terrain ist gut für Distanzen zwischen 350 und 400 km – lädt die Ergonomie und der Sitz im Besonderen zur Langstrecke ein. Auf der Ténéré 700 lässt es sich formidabel von der Weltumrundung und dem Outback träumen. 

Die eigentliche Heimat der Ténéré 700 sind nämlich die staubigen Feldstraßen und das holprige Geläuf. Dafür ist das Yamaha-Bike bestens vorbereitet: lange Federwege, gute Stehposition, klappbare Brems- und Schalthebel, massiver Unterfahrschutz, im Zubehör ist selbst eine Werkzeug-Box im Angebot. 

Ab ins Gelände also: Das Display hinter dem Windschutz lässt sich auch verstaubt noch gut ablesen und bietet das einzige elektronische Zugeständnis, das Yamaha dem Fahrer macht. Mittels eines einfachen Druckknopfs lässt sich – wenn das Fahrzeug steht – das für die Straße vorgeschriebene ABS im Geländebetrieb komplett ausschalten. Dadurch wird es richtig lustig: Das Hinterrad schmeißt Dreck, dreht bei Bedarf durch oder geht voll auf Block; das Heck bricht aus, man schlittert über Stock und Stein. Herrlich!

Aber auch der gewollte Spurverlust geschieht bei der Ténéré 700 sehr kontrolliert. Das Motorrad gibt immer Rückmeldung, was gerade Sache ist, und man glaubt zu ahnen, dass die Ténéré 700 lebt, und vorsichtige Anfragen stellt: „Hallo, darf es noch etwas mehr sein?“

Denn mehr ist allzeit drin: Die Bremsen sprechen direkt, aber nicht allzu knackig an. Die Federelemente kommen auch bei sportlichem Stochern auf Huckel- und Lochpisten erst lange nach den meisten Piloten an ihre Grenzen. Wenn es richtig dreckig wird, ist die Ténéré 700 ohne Fehl und Tadel. Sie ist keine feine Sportenduro, aber den vermeintlichen Klassen-Primadonnen kann sie Offroad locker den Schneid abkaufen.

Cockpit - Yamaha 700 Tenere Modell 2019 Wenn es doch etwas an Yamahas neuem Angebot zu mäkeln gibt, sind es Kleinigkeiten: Das Display z. B. wackelt im Gelände und bei hohen Geschwindigkeiten unnötig stark im Cockpit; es könnte eine verstärkte Aufhängung vertragen. Richtig ärgerlich ist nur das programmierte Verhalten der ABS-Abschaltung. Wenn der Fahrer den roten Kill-Schalter betätigt – das geschieht im Gelände oft, z. B. wenn man stoppt und die Route ausbaldowert – springt das ABS von OFF wieder auf ON und die Straßen-Einstellung zurück! Man ist also bei der Weiterfahrt unbewusst mit veränderten Bremseigenschaften unterwegs. Das ist nicht nur nervig, sondern potentiell auch gefährlich. 

Tacho - Yamaha 700 Tenere Modell 2019 Ohnehin könnte man sich gerade beim ABS doch etwas mehr an sinnvoller Elektronik vorstellen: Eine dritte Stufe – geregelte Bremskraft am Vorderrad, hinten ohne Regelung – wäre eine gute weitere Option. Damit ließe sich die Maschine in schnellen Kurven mit dem Vorderrad gefühlvoll einbremsen, während man sich das blockierte Hinterrad durch den Drift schon mal für die Beschleunigung aus der Kurve zurechtlegt.

Nach zwei Tagen spanischem Staub und Regen bleibt ein einfaches Fazit: Yamaha schreibt die Ténéré-Geschichte mit einem ganz feinen Fahrzeug fort.

Und verlangt dafür einen fairen Preis: Die Grundausführung kostet bis 31. Juli 2019 bei Onlinebestellung und Auslieferung über einen Händler der Wahl 9.299 Euro plus Nebenkosten. Danach steigt der Preis im Laden auf 9.599 Euro.

Drei Dekore haben sich die Yamaha-Designer für die Ténéré ausgedacht: Der Kunde kann ohne Aufpreis zwischen „Ceramic Ice“, „Power Dark“ und „Competition White“ wählen und jede Farbgebung mit zwei fertigen Zubehör-Paketen kombinieren. Das Rallye-Paket mit einem Aufpreis von 1695,95 Euro soll u. a. mit einer 40 mm höheren Sitzbank, einem Akrapovič-Auspuff und einer kürzeren Kennzeichenhalterung sportliche Gelände-Fahrer ansprechen. 

Vollausstattung - Yamaha 700 Tenere Modell 2019 Das Explorer-Paket für zusätzlich 2114,95 Euro hat ab Herbst dagegen Langstreckenfahrer und Globetrotter im Visier: Es beinhaltet u. a. Seitenhalterungen, zwei Koffer, einen Hauptständer, einen massiven Unterfahrschutz, Motorprotektor und einen Solo-Sitz mit Gepäckträger.

Online kann man mit den Optionen im „Konfigurator“ auf der Yamaha-Website herumspielen und sich seine Maschine zusammenstellen. Per App ist dies mit Yamahas „My Garage“ möglich – in 3D und mit 360°-Ansicht.

Also hin zum Händler, die Ténéré 700 holen? Leider nicht. Yamaha und straffe Zeitpläne, die werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Die Entwickler haben ein begeisterndes Fahrzeug mit einem überzeugenden Konzept auf die Beine gestellt – allerdings mit mindestens zwei Jahren Verspätung und quälender Wartezeit für die Fan-Gemeinde. 

Jetzt ist die Ténéré 700 endlich da und das Wartespiel geht lustig weiter: Gebaut werden die Ténérés für den europäischen Markt im französischen Yamaha-Werk – und dort sind erst einmal lange Sommerferien. Die ersten 2000 Maschinen sind online bereits verkauft – wer also jetzt bestellt, wird die beste Ténéré, die es jemals gab, vo­raussichtlich im September oder Oktober in Empfang nehmen dürfen. Aber besser spät als nie …

Yamaha Ténéré 700

  • Motor: Zweizylinderreihenmotor
  • Getriebe: Sechsgang, manuell
  • Hubraum: 689 ccm
  • Leistung: 54 kW / 73 PS bei 9.000 U/min
  • Drehmoment: 68 Nm bei 6.500 U/min
  • Höchstgeschwindigkeit: > 195 km/h 
  • Bereifung v/h: 90/90-21 / 150/70-18
  • Federweg v/h: 210 / 200 mm
  • Bodenfreiheit: 240 mm
  • Gewicht: 204 kg vollgetankt
  • Tankinhalt: 16 l
  • Preis: 9.599 Euro

Mehr Infos gibts bei den Yamaha-Vertragshändlern und bei Yamaha.