aus bma 12/00

von Frank Schmiester

„Durch andauernd gleichmäßige oder regelmäßig wiederkehrende Ausübung entwickelte Verhaltensform” steht in meinem Lexikon als Erläuterung für „Gewohnheit”.
Somit verkürzen Alexandra und ich nach unserem Kurzurlaub auf Gran Canaria im letzten Jahr (Bericht in diesem Blatt Ausgabe 2/2000) die motorradfreie Winterpause dieses Jahr bereits „gewohnheitsmäßig” mit einer Winterflucht in den sonnigen Süden. Ziel unserer neuerlichen Flucht soll diesmal Fuerteventura sein, mit 1.722 qm nach Teneriffa die zweitgrößte Insel des kanarischen Archipels. Während Gran Canaria wegen der gebotenen Vielfalt und Abwechslung im allgemeinen als ganzer Kontinent im Kleinen gilt, hat Fuerteventura dem Ruf einer Wüste zu gleichen. Aber gerade die Fahrten durch die kargen Gebiete hatten uns auf Gran Canaria ja so fasziniert. Was liegt also näher als zu prüfen, ob Fuerteventura hier noch eine Steigerung zu bieten hat. Bereits zu Hause besorgen wir uns die Adressen von den drei örtlichen Motorradverleihern Fuerteventuras: im Norden in Corallejo, an der Ostküste in El Castillo und im Süden in Costa Calma. Sie bieten eine Suzuki DR 350 für umgerechnet 330 DM pro Woche an. Stategisch am günstigsten erscheint uns die Ostküste, da von hier aus sämtliche Punkte der Insel ohne zu lange Anfahrt erreichbar sind. Und so suchen wir uns an einem kalten Dezemberabend im Reiseprospekt ein Hotel in El Castillo aus, das dann auch umgehend gebucht wird. Um die Motorräder wollten wir uns erst vor Ort kümmern.

 

Ende Januar besteigen wir um 5.40 Uhr morgens den Flieger und erreichen schon kurz nach 9.00 Uhr unser Hotel. Wir stellen nur die Koffer ins Zimmer, schnappen die Helme und machen uns sofort auf den Weg zum Motorradverleih. Unter der angegebenen Adresse stehen zwar etliche Motorroller vor der Tür, auf meine Frage nach richtigen Motorrädern wird mir aber nur ein 125er Daelim Chopper präsentiert. Größere Maschinen habe man nicht im Angebot, andere Zweiradverleiher gibt es nicht vor Ort und die Verleihstation mit den Suzuki DR 350 existiert schon seit über zwei Jahren nicht mehr! Frustriert kehren wir zum Hotel zurück. Ich sehe mich schon bei bestem Motorradwetter in einem Fiat Panda über die Insel kurven. Hätte ich doch bloß vorher mal angerufen oder ein Fax geschickt. Mist!
Verärgert verstaue ich die Motorradklamotten in der hintersten Ecke des Kleiderschranks – die würden wir ja nun sowieso nicht mehr brauchen. Nur das Handy, das ich für den Flug in die Tasche meiner Motorradjacke gesteckt hatte, nehme ich heraus. Und nun erinnere ich mich auch, dass ich die Telefonnummer einer zweiten Verleihstation im 50 Kilometer entfernten Corallejo in das Handy programmiert hatte! Bereits beim zweiten Versuch bekomme ich eine Verbindung. Der Spanier am anderen Ende spricht zwar kein deutsch wohl aber englisch. Sein schlichtes „Yes” auf meine Frage, ob man bei ihm auch Motorräder mieten kann, erweckt bei mir ein regelrechtes Glücksgefühl. Wir machen uns umgehend auf den Weg und eine gute Stunde später erreichen wir in Corallejo die dem Busbahnhof genau gegenüberliegende Verleihstation. Drei Suzuki DR 350 stehen zur Wahl. Neu sind sie alle nicht mehr und optisch von den 30.000 bis 40.000 km langen Pisteneinsätzen gezeichnet, technisch sind sie jedoch einwandfrei. Im Laufe des Gesprächs stellt sich noch heraus, dass die abgedruckten Mietpreise in meinem Info-Blatt seit etwa sieben Jahren veraltet sind. Acht Tage Suzuki DR 350 mit Vollkaskoversicherung kosten mittlerweile umgerechnet ca. 610 DM! Aber das ist uns jetzt auch egal…
Zufrieden steuern wir die Suzis auf der Küstenstraße zurück zum Hotel nach El Castillo. Nach einem kurzen Zwischenstopp nehmen wir – zuerst noch sehr zurückhaltend – eine Piste unter die Räder, die immer am Meer entlang nach Pozo Negro führt. Der Fahrbahnbelag ändert sich mit jedem Kilometer: weicher Sand garniert mit Findlingen wechselt sich mit teilweise recht grobem Schotter oder hartem Boden ab. Der Streckenverlauf orientiert sich zwar immer an der Küstenlinie, sorgt aber dennoch für Abwechslung. Teilweise sind recht tiefe Betten ausgetrockneter Flussläufe mit steilen Auf- und Abfahrten zu durchqueren. Gibt es dann an der gegenüberliegenden Seite gerade mal keine Möglichkeit das Flussbett wieder zu verlassen, folgt die Piste eben auch dem Lauf des Flusses. Als wir in Pozo Negro wieder die asphaltierte Straße erreichen und die Rückfahrt antreten, bin ich von der herben Schönheit Fuerteventuras bereits fasziniert.
Am folgenden Tag führt uns eine regelrechte „Pistenautobahn” über Triquivijate in die Inselmitte nach Betancuria, der früheren Hauptstadt der Insel. Die „Autobahn” weist mindestens die Breite einer Bundesstraße auf, ist topfeben und nahezu kurvenfrei, aber eben nicht asphaltiert – noch nicht, wie wir in Triquivijate sehen. Dort stehen schon Straßenbaumaschinen bereit, um der Strecke einen Asphaltbelag zu verpassen. Schade eigentlich, denn die Staubwolken, die wir aufgrund unserer zügigen Fahrweise hinter uns herziehen, vermitteln ein bisschen Rallye-Feeling.
Ab Triquivijate ist die Strecke zwar asphaltiert, aber durchaus nicht langweilig. In schönen Kurven führt sie schwungvoll hinauf zum Morro de la Cruz, dem mit 676 Metern höchsten Pass der Insel. Kurz vor der Passhöhe zweigt links die Strecke zum Aussichtspunkt Mirador Morro Velosa ab. Durch eine Schranke ist die Strecke gesperrt, weil das Restaurant am Aussichtspunkt noch nicht geöffnet hat. Aber wir zirkeln die Suzis unter den neidischen Blicken von Mietwagen-Touristen an der Schranke vorbei und genießen oben ganz alleine den Ausblick auf die westlichen Gebirgszüge in ihrer kahlen Schönheit.
Der Grund für die fast vollständige Vegetationslosigkeit Fuerteventuras reicht bis in das 15. Jahrhundert zurück. Da es nur auf Fuerteventura den für die Herstellung von Mörtel erforderlichen Kalk gab, wurde er hier reichlich abgebaut und gebrannt. Als Brennmaterial dieser Kalköfen musste die heimische Vegetation herhalten und wurde im Laufe der Jahre vollständig abgeholzt. Heute vereiteln frei auf der Insel umherziehende Ziegenherden jeden Versuch einer Wiederaufforstung, indem sie junges Grün gleich wieder abfressen. Über das malerische Betancuria folgen wir weiter der schwungvollen Straßenführung nach Vega de Rio de las Palmas am Barranco de las Penitas. Obwohl der Barranco de las Penitas nicht einmal ganzjährig Wasser führt, erscheint uns der mitten in einer Kulturlandschaft gelegene Ort mit seinen Palmen und Kakteen im Vergleich zur sonst so kargen Landschaft auf Fuerteventura schon beinahe wie eine Oase. Ab Pajara wollen wir dann den Asphalt wieder verlassen und auf Pisten weiter nach Teserejaque fahren. Aber schon die Suche nach dem richtigen Abzweig erweist sich in Pajara als Problem. Wegweiser sind auf Fuerteventura selbst auf asphaltierten Straßen eine Rarität und Hinweise auf Nebenstrecken fehlen vollständig. Im vierten Anlauf finden wir dann aber doch eine erfolgversprechende Piste und geben uns den landschaftlichen Eindrücken hin. Nach der Generalkarte soll es nur eine durchgehende Verbindung zwischen Pajara und Teserejaque geben, aber wir kommen wie überall auf Fuerteventura an unzählige – und natürlich nicht ausgeschilderte – Abzweigungen. Die Orientierung wird damit zur Glückssache, zumal Zufahrten, die nach einigen Kilometern als Sackgasse an einer einsam gelegenen Behausung enden, optisch nicht von der eigentlichen Piste zu unterscheiden sind. Tatsächlich schaffen wir es daher während unseres ganzen Urlaubs auch nur ein Mal, die anvisierte Strecke tatsächlich zu treffen. Immer wieder verlaufen sich die Pisten im Nichts oder wir treffen an ganz anderen Stellen als geplant wieder auf asphaltierte Straßen. Aber gerade auch das macht den Reiz des Motorradfahrens auf Fuerteventura aus – einfach mal losfahren, nach Gefühl und Sonnenstand navigieren und schauen, wo man wieder herauskommt. Nur eilig darf man es dabei natürlich nicht haben.
Zu den „El Jable” genannten Dünen von Corralejo führt die asphaltierte Küstenstraße, so dass wir hier keine Orientierungsprobleme haben. Da die Strecke jedoch Hauptverkehrsader ist und vorwiegend als Rennstrecke genutzt wird, ist sie bis etwa zehn Kilometer vor Corralejo unattraktiv. Dann aber begeistern schlagartig die sich über ein Gebiet von 24 qkm erstreckenden Wanderdünen „El Jable”. Die Küstenstraße führt auf einer Länge von etwa sieben Kilometern mitten durch die fast weißen Dünen hindurch. Durch den beständig wehenden Passatwind kommt es hier immer wieder vor, dass Straßenabschnitte vom Sand der Dünen bedeckt werden und wieder freigeräumt werden müssen. Entsprechnede Schilder warnen daher die Verkehrsteilnehmer vor Verwehungen. Immer wieder halte ich an, weil sich hinter jeder Düne noch schönere Fotomotive ergeben. Kurz bevor wir Corralejo erreichen, ist der Film voll und ich habe einen neuen Rekord aufgestellt: drei Fotos pro Kilometer.
Der Küstenlinie folgend führt von Corralejo wieder eine abwechslungsreiche Piste nach Cotillo und bietet dabei Ausblicke auf die Nachbarinsel Lanzarote. Anhand der schwarzen Lavastrände und der riesigen mit Lavabrocken bedeckten Geröllfelder kann man hier den vulkanischen Ursprung Fuerteventuras deutlich erkennen. Das Gebiet zwischen Majanicho und Cotillo ist ideales Surfgebiet, und so ist es hier auch nicht ganz so einsam wie auf den übrigen Pisten Fuerteventuras.
Die Piste von Cotillo vorbei am Montana Colorada beschert uns eine eindrucksvolle Rückfahrt, auf der wir einen überaus lohnenden Abstecher auf den 511 Meter hohen Temejereque einlegen, auf dessen Spitze mehrere Funkmasten aufgestellt sind. Bereits die Strecke hinauf verlangt mit ihren fantastischen Ausblicken auf die karge Bergwelt Fuerteventuras nach mehreren Fotostops. Oben eröffnet sich dann ein traumhaft schöner Blick auf den ganzen Nordosten der Insel.
„The AERMOTOR – Chicago” steht originalgetreu auf dem restaurierten Windleitblech eines typisch amerikanischen Windrads bei Gran Tarajal zu lesen. Zu hunderten verrichten die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in großen Mengen aus Amerika importierten Windräder auch heute noch auf der ganzen Insel ihren Dienst und übernehmen zu Bewässerungszwecken die Förderung des Grundwassers. Diese vereinzelt stehenden kleinen Windräder sind natürlich kein Vergleich zu dem modernen Windgeneratorenpark, den wir auf dem Weg zur Jandia Halbinsel im Südwesten Fuerteventuras an der nur fünf Kilometer breiten Landenge von Istmo de la Pared passieren. Hier wird der beständig und kräftig über die Landenge wehende Wind umweltfreundlich und effizient in elektrische Ernergie umwandelt.
Die Jandia Halbinsel ist wohl wegen ihrer kilometerlangen Sandstrände fest in deutscher Urlauberhand. Auf unserem Weg zum äußersten Südwesten der Insel bemerken wir dies anhand des deutlich zunehmenden Mietwagenaufkommens. Zwar ist die Piste von Morro Jable zum Punta di Jandia und insbesondere auch der Ausflug über die Gebirgskette mit dem entsprechenden Ausblick auf Cofete recht schön, doch die vielen Wagen der Touristen, die sich auf den nur wenigen Straßen und Wegen tummeln, vermindern den Fahrspaß doch erheblich. Auch wegen der langen Anfahrt nach Jandia würden wir diesen Ausflug wohl nicht wiederholen.
Viel lohnender ist ein Abstecher ins „Malpais Grande”. Hierbei handelt es sich um ein Gebiet, durch das sich früher einmal ein Lavastrom gewälzt hat, der nach dem Abkühlen durch Erosion in unzählige scharfkantige Gesteinsbrocken zerfiel. Das Ergebnis ist ein riesiges Gelände, das mit unzähligen Basaltsteinen übersät ist so weit das Auge reicht und so an eine Steinwüste erinnert. Man sollte sich diese Eindrücke keinesfalls entgehen lassen und unbedingt einmal die von Tiscamanita durch das Malpais Grande führende Piste bezwingen.
Über Tindaya am gleichnamigen Montana Tindaya fahren wir hinüber zur Westküste. Dort wollen wir die abgelegenen Strände an der felsigen Steilküste über verschiedene Pisten, die jeweils von der Hauptstraße zwischen La Oliva und Betancuria abzweigen, ansteuern. Aber bereits von der ersten angefahrenen Bucht, dem Playa de Esqinzo, verläuft auch eine – natürlich nicht auf der Karte eingezeichnete – Piste direkt am Meer entlang Richtung Süden. Wir entscheiden uns daher spontan, dieser Piste bzw. Spur zu folgen und fahren durch eine einzigartige, wüstenhafte Landschaft mit dem tosenden Atlantik rechts unter uns im Augenwinkel. Der Pistenverlauf ist wie üblich nicht immer eindeutig zu erkennen und mehrfach müssen wir drehen und einen anderen Weg suchen. Tatsächlich kommen wir aber bis hinunter nach Los Molinos, wo die Piste wieder auf eine asphaltierte Straße führt. Bevor man diese jedoch unter die Rädern nehmen kann, muss erst noch die Barranco de los Molinos durchquert werden. Und das bedeutet eine extrem steile Abfahrt auf gröbstem Schotter und in engen Kehren hinunter in das etwa 20 Meter tiefer gelegene Flussbett des Barranco de los Molinos. Aber die Fahrwerke der extrem wendigen DR 350 stecken auch diese Tortur klaglos weg, so dass wir uns bereits wenig später in Los Molinos bei einem Milchkaffee gegenseitig von den gewonnenen Eindrücken vorschwärmen können.
Den letzten Tag, an dem uns die Suzis zur Verfügung stehen, nutzen wir für einen Ausflug auf die Nachbarinsel Lanzarote. Von Corralejo aus setzt die „Fred Olsen Linie” in 30 Minuten nach Playa Blanca über. Gleich hinter der Ortsgrenze führt parallel zur Hauptstraße eine Nebenstrecke zu den Salinen von Janubia, wo in einer Bucht aus Meerwasser Salz gewonnen wird. Gleich hinter den Salinen zweigt links die Straße nach El Golfo ab und die hat bereits einiges zu bieten: unmittelbar dem Küstenverlauf folgend ergeben sich Blicke auf Vulkankegel und verkohlte Täler, die zusammen eine geheimnisvolle „Mondlandschaft” ausbilden. Aber erst hinter Yazia zweigt links die Straße in den „Parque Nacional de Timanfaya” ab und die hat es dann wirklich in sich. Über 300 Vulkane haben hier mit ihren Aktivitäten noch bis in das 19. Jahrhundert hinein dieses faszinierende Landsschaftsbild geformt und vier Fünftel der Inselfläche mit Lavafeldern und vulkanischer Asche bedeckt. Von Schwarz über Grau und Rot bis Orange reicht das Farbspektrum der bizarren Basaltformationen und Lavafelder. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h hätte man sich ruhig sparen können, denn schneller fährt hier wegen der vielfältigen landschaftlichen Eindrücke ohnehin keiner.
Über Teguise und die Nordspitze Lanzarotes fahren wir – nun bereits auf dem Rückweg – zum Fährhafen in Playa Blanca durch „La Geria”. Hier haben die Inselbewohner Lavafelder kultiviert, indem sie unzählige kleine Krater mit circa drei Metern Durchmesser und etwa ein Meter Tiefe angelegt haben. Teilweise sind sogar aus Basaltsteinen kleine Schutzwälle rund um die Krater aufgeschichtet worden. In den Kratern wird Wein angebaut, der in Flaschen abgefüllt überall auf der Insel käuflich zu erwerben ist.
Nach insgeamt 1.600 zumeist auf Pisten gefahrenen Kilometern und unzähligen Eindrücken geht unser Urlaub auf Fuerteventura mit dem Ausflug nach Lanzarote zu Ende. Als ich bei der Motorradrückgabe gefragt werde, wie es denn gewesen sei, reicht ein schlichtes „Schön” als Antwort, denn damit ist alles gesagt – es war einfach nur schön. Wer sich davon selbst überzeugen will, wende sich an:

Motorrad Action Team
Avenue Generale Franco 50/5
Corralejo/Fuerteventura/Spanien
Tel./Fax: 0034/928 53 51 52.

Dort gibt es eine Suzuki DR 350 mit Vollkaskoversicherung für circa 610 DM pro Woche zu mieten (Stand 01/2000). Eine Anfrage oder ggf. Reservierung per Telefon oder Fax vor Reiseantritt ist unbedingt empfehlenswert.