aus bma 10/12
von Frank Janek
Der Himmel ist grau, es ist schon fast wieder dunkel, obwohl wir erst drei Uhr haben, und ein seit Tagen anhaltender Schneeregen sorgt für Dauerchaos auf den Straßen. Mit blendender Laune steige ich aus dem Taxi und betrete die Eingangshalle des Flughafens. Destination Malaga, Gate 7, Abflug planmäßig, alles prima. Drei Stunden später verlasse ich den Flieger und betrete eine andere Welt: 19 Grad, Sonnenschein und keine Wolke am Himmel – in Deutschland ist es jetzt bereits stockdunkel.
Todesmutig habe ich mich zu einer Woche geführtes Endurowanderns in Andalusien, genauer gesagt in La Herradura, einem kleinen Küstenort etwa 60 km unterhalb von Malaga, angemeldet. Auch wenn ich bereits seit vielen Jahren Motorrad fahre, so fehlt mir doch bisher jegliche Erfahrung auf losem Untergrund, einmal abgesehen von dem ein oder anderen Ausflug auf irgendwelche Schotterpisten, auf Reisen natürlich immer voll beladen, mit unpassender Bereifung und somit auch reichlich Adrenalin. Allerdings versicherte mir Guido bereits im Vorgespräch, dass die Strecken nach einem Basis-Geländetraining vor Ort auch für Offroad-Novizen zu meistern seien. Also gut. Guido veranstaltet mit dirt4fun seit fast 10 Jahren professionelle Offroad-Fahrtrainings sowie Enduro-Touren in Spanien, der wird es wohl wissen – hoffentlich…
Noch am Flughafen treffe ich Klaus und Anne, die nun schon zum dritten Mal in Andalusien mit dabei sind und auch bereits mehrere Enduro-Trainings absolviert haben. Ich schlucke. Mit dem gemeinsamen Mietwagen erreichen wir nach kurzer Fahrt unser Quartier für die kommenden Tage und werden von Guido in Empfang genommen. Ein kleines, familiengeführtes Hotel direkt am Meer, die Zimmer haben große Sonnenterrassen, alles blitzsauber, der erste Eindruck stimmt. Jörg und Claudia sind auch schon da, damit ist unsere Gruppe für die Woche komplett. Die beiden sind übrigens genau wie ich Offroad-Neulinge, was mich immens beruhigt. Nach dem Abendessen dauert es dann auch nicht mehr lange, bis sich die gemütliche Runde auflöst und kurze Zeit später lausche ich dem Meeresrauschen, das mich sanft in den Schlaf wiegt – fühlt sich an wie Urlaub.
Natürlich war die Nacht viel zu kurz und schon geht es los. In meinem niegelnagelneuen Offroad-Outfit – Panzerhemd, Knie- und Schienbeinschoner sowie bunte, luftige Crossklamotten – komme ich mir schon etwas eigenartig vor. Auch übersteigt es noch die Grenzen meiner Vorstellungskraft, wie man mit den knallharten Motocross-Stiefeln Motorrad fahren, schalten oder bremsen soll, vom Gehen einmal ganz zu schweigen. Die kleinen Hondas, die hinter dem Hotel bereits auf uns warten, kommen mir vor wie Spielzeug-Mopeds – alles noch sehr ungewohnt. Das flaue Gefühl in meiner Magengrube, gepaart mit der Frage »Was mache ich hier eigentlich?« will irgendwie nicht weichen.
Nach einem kurzen Briefing geht es dann los zu unserem Einführungs-Geländetraining. Dazu fahren wir in eine versteckt gelegene Bucht nur wenige Kilometer entfernt von unserem Hotel. Auf dem Weg ein erster Sightseeing-Stopp mit Blick über die Küstenregion – fantastisch. Kurz darauf gelangen wir zu unserem Übungsplatz, einer großen, ebenen Fläche direkt am Meer. Gleich nebenan eine Tapas-Bar, in der wir uns nach unserer Offroad-Schulung stärken werden.
Guido erklärt, warum und wie überhaupt wir im Gelände auf dem Motorrad stehen und wir beginnen, unsere ersten Runden stehend auf der Maschine zu absolvieren. Der erste Eindruck ist ausgesprochen wackelig und mein Hintern möchte unbedingt wieder zurück auf die Sitzbank. Nach einigen Haltungs-Korrekturen und weiteren Ründchen merke ich jedoch, wie das Fahren im Stehen zunehmend geschmeidiger wird. Mein Vertrauen in die ungewohnte Situation wächst und ich werde zusehends lockerer auf dem Motorrad.
Nach dem Geradeausfahren kommt – was auch sonst – das Thema Kurventechnik. Natürlich ist unser Ziel ebenfalls, das Motorrad im Stehen um die Ecke zu bringen. Guido erklärt und demonstriert, klingt alles einleuchtend und sieht auch ganz einfach aus. Nun ja, jetzt folgt der kleine Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Der Slalom-Parcours erweist sich bei den ersten Runden als viel zu eng gesteckt und völlig unfahrbar. Komischerweise klappt das bei Anne und Klaus, die ja bereits einiges an Offroad-Erfahrung im Sack haben, als wäre es das einfachste unter dieser Sonne. Hm, noch mal probieren. Und siehe da, nach einigen sachdienlichen Hinweisen von Guido und ein wenig Kampf gegen den inneren Schweinehund lassen sich plötzlich erstaunlich enge Kurvenradien realisieren.
Mittlerweile steht die Sonne bereits deutlich höher und die ersten Wasserflaschen sind zwischenzeitlich auch schon geleert. Langsam wird mir auch klar, warum beim Endurofahren von Motorsport die Rede ist – nicht nur der Motor, auch der Fahrer betreibt hier Sport. Ich freue mich schon darauf, mich in der Mittagspause in den Strandsessel fallen zu lassen.
Aber vorher steht noch ein wichtiger Punkt auf dem Trainingsplan: Bremsen auf losem Untergrund. Sofort ist das flaue Gefühl in der Magengrube wieder da. Bremsen auf Schotter? Am liebsten Füße auf den Boden und vorsichtig ausrollen. Von wegen. Guido erklärt und zeigt uns, wie es geht, und schon müssen wir ran. Am Anfang ziehe ich noch sehr zaghaft am Bremshebel, aber nach einigen Ermutigungen wird mein Bremsweg immer kürzer und mein Vertrauen in den Grip der Reifen immer größer. Den anderen Teilnehmern geht es ähnlich. Die Routiniers Anne und Klaus zeigen uns drei Gelände-Neulingen dabei eindrucksvoll, was alles geht. Und bei ihnen sieht das immer alles so einfach aus…
Nach der Mittagspause kämpfen wieder einmal Adrenalin und Euphorie um die Oberhand, denn nun steht die erste Ausfahrt ins bergige Hinterland auf dem Plan. Nach wenigen Asphalt-Minuten erreichen wir die erste Piste, die sich kilometerlang durch die Berge schlängelt. Der Weg ist etwa vier Meter breit, harter Lehmboden, hier und da auch mal eine Furche oder etwas loser Untergrund. Meine ersten Meter sind alles andere als locker und entspannt. Die Hände umklammern den Lenker und mein Blick klebt unmittelbar vor dem Vorderrad – so wir das nichts. Ich erinnere mich an Guidos Worte und an das, was wir zuvor gelernt und geübt haben. Langsam entspanne ich mich, meine Blickführung wird immer vorausschauender und ich werde immer lockerer. Von Kurve zu Kurve wächst mein Vertrauen und langsam aber sicher kann ich ein breites Grinsen nicht mehr unterdrücken: Wie geil ist das denn! Wir fahren über Gipfel und durch Täler, bergauf und bergab, die Orientierung habe ich längst verloren. An eindrucksvollen Panoramapunkten machen wir immer wieder kurze Verschnauf- und Trinkpausen. Was für eine Landschaft. Und bei allen Teilnehmern ist dieses irre Leuchten in den Augen, wenn sie verschwitzt die Helme abnehmen.
Während Claudia, Jörg und ich mit den breiten Pisten bestens bedient sind, biegt Guido mit Anne und Klaus immer wieder mal rechts und mal links ab, um kurze Zeit später wieder mit den beiden zu uns zu stoßen. Die zwei haben nach diesen kleinen Ausflügen zwar immer hochrote Köpfe, aber dafür ein Grinsen bis zu den Ohren im Gesicht.
Selten hat ein Bier so schön gezischt wie auf der Sonnenterrasse des Hotels nach unserer Rückkehr. Was für ein Tag. Ich bin über Strecken gefahren, die ich mir vorher im Leben nicht zugetraut hätte. Die Landschaft ist einfach atemberaubend. Vom Wetter einmal ganz zu schweigen. Und auch das Fahren auf dem ungewohnten Untergrund wird immer souveräner. Am Ende des ersten Tages hat die Euphorie klar über die Angst triumphiert. Erschöpft, aber glücklich bestellen wir gleich noch eine zweite Runde. Erst jetzt, wo das Adrenalin wieder abflaut, spürt man Muskeln, die man bis dahin noch gar nicht kannte. Später, beim gemeinsam Abendessen, ist jedem die ungewohnte Anstrengung anzumerken. Die umfangreiche Menükarte bietet für jeden Gaumen das passende kulinarische Highlight, einen leckeren vino tinto dazu und bereits gegen 22 Uhr verschwindet die gesamte Bande inklusiv meiner Wenigkeit auf den Zimmern. Vom Meeresrauschen bekomme ich an diesem Abend nicht mehr besonders viel mit. Kaum im Bett, hat mich der Schlaf auch schon übermannt und ich fahre im Traum gleich noch einmal unsere heutigen die Pisten ab.
Am nächsten Morgen spüre ich zwar erstmal jeden Knochen, dafür habe ich aber das Gefühl, schon ewig und drei Tage Offroad-Kleidung und Motocross-Stiefel zu tragen, was auch sonst. Von heute an werden wir – bis auf einen Pausentag – ganztägige Touren durch das abwechslungsreiche und beeindruckende Hinterland unternehmen. Gewaltige Bergmassive bescheren immer wieder imposante Ausblicke, ständig wechselt die Streckenbeschaffenheit, aber immer so, dass es auch für uns Einsteiger gut fahrbar bleibt. Und für Anne und Klaus hat Guido immer neue »Spielereien« im Ärmel, so dass hier wirklich jeder voll auf seine Kosten kommt. Jörg und Claudia nutzen den Pausentag zum Besuch von Granada und einer Besichtigung der Alhambra, Anne und Klaus machen einen Ausflug ins nahe gelegene Nerja und schauen sich die dortige Tropfsteinhöhle an. Ich hingegen ziehe es vor, gemütlich auszuschlafen und den Tag faul am Strand zu verbummeln.
Als ich nach der Woche wieder in Deutschland ankomme, kommt mir der Winter plötzlich gar nicht mehr so lang vor. Das Sonnetanken hat meine Akkus wieder ordentlich aufgefüllt, und die neue Erfahrung des Offroadfahrens hat mich ziemlich angefixt. Da geht noch was. Ein Enduro-Training werde ich dieses Jahr mit Sicherheit noch mitmachen. Und nach einer kleinen Enduro habe ich auch schon geschaut. Danke, Guido!
—
Kommentare
Ein Kommentar zu “Winterflucht – Endurowandern in Andalusien”
Oh wie schön – das würde ich auch gerne mal machen. Ich dachte immer man müsste schon OffRoad-Erfahrung für solche Touren haben, aber es scheint ja auch für normale Motorradfahrer wie mich machbar zu sein. Werde ich auf jeden Fall mal im Auge behalten. Danke für den Artikel!
Viele Grüße, Max