aus bma 9/13
von Michael Schorries
Opa Michael erzählt von früher…
Was sind denn schon 100.000 Kilometer?!

Woah… im Hintergrund laufen The Black Keys mit „Howlin’ for you“ und nicht die altbackenen Rolling Stones mit „It’s only Rock’n Roll“; meine Haare hören trotz drohendem 50. Geburtstag gottlob nicht am Hinterkopfansatz auf, ich habe zwei Währungsveränderungen überstanden, ein Studium abgebrochen, ein weiteres in beachtlichen 20 Semestern „durchgezogen“, war mit 18 nicht mehr „Jungfrau“ (ha, ihr „American Pie“ Luschen!)… Ich bin also ein Alpha-Tier!
Dementsprechend von oben betrachtend versuche ich mich natürlich bescheiden zurückzuhalten, wenn jemand stolz davon berichtet, dass er mit seinem Mopped die 100.000 Kilometer Grenze geknackt hat.
Mmh, eigentlich möchte ich mich doch nicht zurückhalten und extremst angeben und die 100.000 Kilometerfahrer etwas ruhig stellen: 100.000 Kilometer sollten eine Selbstverständlichkeit sein! Echt maa! Pro Mopped über 125 ccm ist das okay aber keine Zeile wert, außer man hat nebenbei auch noch einspurig den Weltfrieden gerettet.. Moderne Moppeds laufen genau so! Bekleidung für/gegen Regen/Schnee/Hagel und Blitzschlag sollte bei PoloLouisGericke oder so gekauft sein und Fahrten unter 10 Grad Minus und über 40 Grad plus genehmigen… und der rebellische Gedanke ist schon lange ausgelutscht. Durchquerung der Wüste Gobi oder Sibiriens mit einer gebrauchten 125er Hyosung oder Simson Schwalbe sind inzwischen das Maß der Dinge! Mit ’ner Ténéré und entsprechendem Versicherungs- schutz kann das Jeder! Ich bin schließlich auch nicht mehr Che Guevara auf der alten Norton irgendwo in Columbien!

Kurz vor der öffentlichen TÜV-Steinigung durfte die Emme mich noch ’n paar Monate nach Tiverton (Südwest-England) begleiten, wo ich während Wendezeiten kurzerhand einen Job als Erzieher in einem Adventureplayground fand und mein ostdeutsches Technikmonument zum Klettergerüst für hyperaktive englische Kids verkam. Versucht mal ein modernes Plastik- oder Pseydo- Metall-Motorrad ohne Folgeschäden ähnlich zu vermieten. Abgebrochener Blinker: 25 Euro, beschädigte Frontscheibe: 250 Euro, Lackschaden? Unbezahlbar…

Schnitt: Und plötzlich kam die Gehaltserhöhung, die Auszahlung hunderter Überstunden und der TÜV und es ging auf die 2000er Jahre zu und neben der zwischenzeitlich erworbenen Jugendtraummaschine 3-Zylinder-Laverda (die ja nur Tauschobjekt für die kaputtgerittene Guzzi V 35 war, dass ist noch ne Geschichte für sich) musste die Voxan ins Rennen. Von nun an waren anscheinend keine 6-stelligen Kilometerleistungen per Mopped mehr möglich. Irgendwas ist ja immer!
Dann rechnete ich… und eine Citroën-2 CV„Ente“-Fahrerin (zufällig damals meine Partnerin) zusammen. Sie stellte mich dem Vergleich: Hast du die halbe Million einspurig geschafft? Meine Ente schon! Also die Leistung, natürlich auf 4 Rädern! Zwei jeweils pro Richtung hintereinander, Also nicht einspurig, ach, du weißt schon…


Ich finde die Nebenbeirechnungen aber noch spannender:
• Die Zephyr war in 27 Ländern (inkl. Zwergen wie San Marino/Andorra, und Island ohne Stollenreifen)
• die Voxan in 12
• die Yamaha in 23
• die Laverda schafft’s bisher nur auf 4,
irgendwas ist ja immer.
• Die Yamaha hatte ihren spannendsten Grenzübergang zwischen Rumänien und Bulgarien 1991 und der dauerte 12 Stunden (Oriachowo/Donau). Und da haben uns die Trucker aus Skandinavien, Holland und der Türkei schon vorgelassen! Okay, unseren blauen deutschen Pass hatten noch nicht wirklich viele Grenzbeamte in Europa gesehen.
Dagegen waren im darauffolgenden Jahr die 8 Stunden zwischen Bulgarien und der Türkei (davon 30 Minuten Bulgarien, 7,5 Stunden Türkei) echt ’ne Lachnummer. Wegen nichtnachvollziehbarer Differenzen musste neben meinem Moped auch das Krad meines Mitfahrers Frank in meinen Pass eingetragen werden. Na ja, Frank war halt immer so ein windiger Typ mit wechselnenden Sexualpartnerinnen – dem tät ich auch nicht vertrauen!
Dass auf dem Rückweg der Rahmen an der Federbeinaufnahme der XJ brach und für ca. 10 DM (damals ein Wochenlohn in Teilen Bulgariens) in einer 12-stündigen Operation in einer Lada-Werkstatt in Mihailowgrad/Bulgarien geschweißt wurde (was natürlich nicht erlaubt ist, normalerweise gilt das als Totalschaden) fällt da schon fast nicht mehr ins Gewicht…
Notübernachtung mangels Alternativen im Fernfahrerpuff nahe Sofia gab’s auch: Das fand meine Sozia übrigens nicht so wirklich toll, sie musste sich den Waschraum mit den leichten Damen teilen. Zähneputzen neben Muschiwaschen! Ich male mir gerade die entsprechende Gegensituation aus: Ich geh Nachts pullern und ein dutzend Freier reinigen daneben ihre Pfeife. Ach so, das hatte ich ja! Okay, auch nachträglich trotzdem Danke für’s Durchhalten an meine Sozia S.T.!

Die Zephyr hat es mal, weil der Benutzer (juhu, Aufmerksamkeit! Ich!) „The Cure“ Fan ist, in 11 Stunden von Kiel nach Budapest geschafft, immerhin 1350 Kilometer inkl. Durchfahrung von Berliner Ring, Dresden, Prag, Bratislava und Budapest. Ich bin in Kiel nach dem Nachtdienst 8 Uhr gestartet und war, inklusive Zeltaufbau, 20 Uhr am vorderen Bühnenrand! Nö, Spaß hat die Fahrt nicht immer gemacht, ich sage nur: naked bike, völlig hilflos bei gefühlt Windstärke 300! Zur „Iron-Butt-Gesellschaft“ gehöre ich wohl trotzdem nicht, Schade. Vielleicht hätte ich die Fahrt anmelden sollen?
Der Rückweg war fast genauso spannend: Am Sonntag 20 Uhr sah ich die „Bloodhoundgang“ in Budapest auf dem Sziget-Festival, am kommenden Tag 21 Uhr im Kieler „Max“ nochmal. Sprich: mit gepackten „Koffern“ (höhö, meint: Gepäckgummigedöhns!) habe ich das Konzert der Bloodhoundgang in Ungarn gesehen, anschließend bin ich ab 22 Uhr durch Budapest gerast (gehe nicht über Los, Extrapunkte wegen aufregendem Großstadtverkehr mit undurchsichtigen Regeln), bin früh um 7 in Berlin angekommen und habe einen Kumpel aus dem Bett geholt. 4 Stunden schlafen, verspätetes Frühstück einsacken, nach Kiel fahren, Duschen. Danach: im Radio hören, dass ein ungeplantes Konzert der Band des Vortags im Kieler „Max“ stattfindet… hingehen, freuen …und von Konzertbesuchern auf das Sziget-T-Shirt angesprochen werden. Ich konnte mich zwar nicht hinsetzen, da mein Arsch auf Größe eines Heißluftballons angeschwollen war aber das soll ja bei „Rock ’n Roll“ wohl so sein – also das Nichthinsetzen! Ach, zuviele Erinnerungen, ich werd’ schon wieder emotional. Beschränken wir uns ab sofort auf die Fakten:
Mit der XJ war ich in Finnlands Osten im Knast, 5 Stunden lang, weil ich auf einem Waldweg mehrere Minuten in Russland war. Die geschossenen Fotos durfte ich behalten und in der Zelle servierte mir einer der Grenzbeamten ein Stück Kuchen, er hatte gerade Geburtstag. Außerdem wurde die Geldstrafe mal kurz halbiert, weil ich nicht auf die Anreise eines Dolmetschers bestand und wir mit einem Mix aus Englisch, Russisch, Dänisch zurechtkamen.

In Berlin Hohenschönhausen gründeten wir mitte der 80er am Parkplatz der Gaststätte „Storchennest“ den 15-cubic-inch-Club – wir hatten auf ’ner Transitraststätte eine Harley gesehen, den uns bekannten Hubraum 1338 ccm mit amerikanischen cubic inch 82 (stand auf dem Luftfilterdeckel) auf unsere 250 ccm umgemünzt: 15 cubic inch. Na, dann machen wir doch einen Klub draus. Anschließend sah man unsere K(C)lubfahne bei jedem Motorradrennen der DDR (Sachsenring, Schleiz, Frohburg, Teterow…).
Die MZ wurde an der DDR-CSSR Grenze mehrfach verhaftet und entblättert – zwischen 1983 und 1989, ich als Fahrer ebenfalls. Ich hätte ja Sachen von einem Bruderland ins andere schmuggeln können, die westlichen Agenten residieren ja bekanntlich genau dort, wo man ihn am wenigsten vermutet, z.B. im Luftfilterkasten einer MZ oder der Unterwäsche eines Vierundzwanzigjährigen mit Hormonüberschuss und Freiheitsdrang. Das bei einer der letzten Leibesvisitationen plötzlich eine Visitenkarte meines Vaters, damals Attache der Botschaft der DDR in Schweden, in meinem Gepäck auftauchte, beendete die Situation schlagartig und mit vielen Entschuldigungen der Grenzbeamten. So’n Scheiß! SO wollte ich die Situation nicht beenden…
Der Zweitmotor meiner MZ läuft jetzt in Norwegen bei Per-Arne, (Taxiunternehmer aus Oslo) auf 300 ccm aufgebohrt und als eine von zwei MZ die es in Norwegen überhaupt gibt bzw. damals, 1991, gab. Transportiert wurde der Motor im Beiwagen eines BMW 500 ccm Gespanns im Winter 1991, ich durfte diesen Eigenbau so einige Kilometer fahren. Meine ersten Gespannerfahrungen… und das im Winter. Seit dem sind die Weihnachtsgeschenke meiner Schwester (die ich zum Mitfahren im Beiwagen ermunterte) immer spärlicher geworden! Damals definierte ich den Begriff „Driften“ halt neu…


Übrigens: die MZ schaffte den 99.999 Sprung südlich von Prag kurz vor Brno, die 149.999 in Exeter/England, die XJ die 99.999 in Griechenland/Bulgarien auf einer Passstraße im Pirin-Gebirge, die Zephyr Selbiges direkt beim Roskilde-Festival in Dänemark (okay, ich bin noch eine größere Ehrenrunde gefahren um es exakt für einen Fototermin zu schaffen). Die Laverda muss es entweder bei einem Oldtimer-Rennen oder einem Ausflug im italienischen Teil der Alpen schaffen, das gebietet der Respekt!

Und bezugnehmend auf Berichte über 100.000 km Fahrer: Wie kann man stolz darauf sein, dass die Angstnippel nicht abgeschliffen sind? Ein Cabrio ist doch echt ’ne Alternative für solch offensichtlich „defensiven“ Fahrstil.
Hach, kann ich meinen Enkeln später mal viel erzählen? Derzeit dreht sich Noah (4 Jahre alt) eher gelangweilt weg, wenn der alte Mann wieder über „Früher war alles besser, da konnte ein Mann noch ein Mann sein, da wussten wir noch was Freiheit heißt, da schmeckte das Bier noch nach Bier usw.“ fabuliert. Ich möchte gar nicht wissen, was dann im Kinderhirn abläuft… Mir waren mit 4 Jahren Onkel Jürgen und Tante Traudel auch nicht geheuer, die erzählten so merkwürdige Sachen von der Regenfahrt mit ihrer BK 350 von Berlin nach Kühlungsborn und der unterspülten Landstraße und Zwangsübernachtung auf einer Tenne, dem Weiterfahren nach dem Kolbenklemmer mit der MZ ES 250, dem Anstehen nach einer Seglerkombi im Sportfachgeschäft als Alternative zu nicht erhältlichen Regenkombis für Kradler.
Irgendwie bin ich wahrscheinlich genau so uninteressant für die übernächste Generation wie es meine Tante Traudel und Onkel Jürgen für mich waren. Laut Statistik habe ich noch 30 Jahre Lebenszeit vor mir… Schau’n wir mal, ob ich doch noch etwas Bleibendes für die kleinen Pupsköppe schaffen kann.
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