aus Kradblatt 8/17
von Kirsten Hellmich

Mit dem Motorrad von Deutschland
über Iran und Pakistan nach Indien und Nepal.

Kirsten Hellmich hat es getan und ihre Erlebnisse in ihrem Buch „Allah – Masala: Mit dem Motorrad unterwegs von Köln nach Kathmandu“ aufgeschrieben. Hier gibt es einen kleinen Einblick …

Köln – München – Kroatien – Albanien – Griechenland … ich fahre geruhsam mit meinem Partner ins Sabbatjahr. Nur die üblichen Unterbrechungen, wie meine verlorenen Visa in München oder knietiefe Schlaglöcher in Albanien, bremsen uns kurz ein.

In Istanbul muss er umdrehen und ich treffe dort wie geplant meinen neuen Reisepartner Manfred. Mit ihm will ich bis nach Indien.

Kappadokien – Nemrud – Vansee – kaspisches Meer – Isfahan. Berge und Kurven, wie in den Karpaten beglücken uns. Einsame Sandstrände, an denen kein Tourist einen Sonnenschirm aufgeklappt hat. Teerbänder bis zum Horizont, dessen Belag in der Sonne schmilzt und in den Stollen kleben bleibt. Aprikosen, die am Wegesrand dörren. Nur die Besteigung des Ararat oder das Erdbeben im Iran sind kleine übliche Unterbrechungen einer gemeinsamen Reise, bei der auch der Weg das Ziel ist.

Falsch – in Isfahan trennen sich Manfred und ich für drei Tage. Das geschieht nicht das erste Mal seit wir zusammen fahren, denn unsere Vorstellungen vom Reisen gehen doch etwas weiter auseinander, als wir zunächst angenommen hatten. Während ich dem Motto „Nimmersatt“ alle Ehre mache, ist er doch eher der geruhsame Reisende, der gerne auch mal drei Tage an einem Ort verweilt. Die Visa geben uns eine klare Taktierung vor und ich möchte in der Zeit so viel wie möglich erfahren. Daher steuere ich Shiraz alleine an – Persepolis muss ich einfach noch sehen, während Manfred in Kehrman auf mich warten will.

Drei wunderbar entspannte Tage verbringe ich, ohne Fremdsteuerung und Absprachen. Ich genieße die Einladung zum Tee von Bauern und lasse mich von der Polizei aus dem Wald fischen. Ich schlafe in der iranischen Wüste und folge Einladungen in einem Höhlendorf. Und als ich nach drei Tagen in Kehrman ankomme, teilt mir Manfred mit, dass er nach Deutschland zurückkehrt.

Das haut rein. Das habe ich nicht erwartet. Zwei Tagesetappen vor Pakistan! Dem Land, in dem ich nun wirklich gerne einen Mann an der Seite gehabt hätte.

Das erste Mal kämpfe ich tatsächlich mit einer Mischung aus Wut und Angst und die Freude, die ich über das Alleinsein eigentlich kenne, ist merklich gedämpft. Angst vor dem was kommen könnte: talibanisches Niemandsland, männliche Security versus allein reisender Frau, Linksverkehr, unbekanntes Indien mit mörderischem Verkehr. Die Alternative wäre allerdings auch umzudrehen, frühzeitig in den Alltag und in das Bekannte zurückkehren und alles, was sich einem offenbaren würde von vornherein keine Chance zu geben. Eigentlich ist das nur eine kleine Planänderung. Und auf einmal fällt die Entscheidung alleine weiterzureisen gar nicht mehr schwer, auch wenn das Schlucken etwas länger gedauert hat.

Zwei Tage, dann ist die BMW aufgefrischt und der Mut auch.  Der Weg führt über Bam und Zahedan. Ich verlege mich aufs couchsurfen, was sowohl das Budget schont, als auch Kontakt zur Bevölkerung herstellt. Und allein der Blick meines ersten Gastgebers, als er eine Frau auf dem Motorrad erblickt, die auch noch selbstverständlich das Kopftuch in der Wohnung ablegt (sorry – das hatte ich so bereits im Iran gelernt) ist es wert. Dieser Gastgeber, der mich zwei Tage durch die alte vom Erdbeben verschüttete Stadt Bam, über sämtliche Basare der neuen Stadt, in jede Form von Shisha-Läden führt, macht daraufhin das erste Mal in seinem Leben bei der Arbeit „blau“ und fährt mit mir nach Zahedan zu weiteren Couchsurfing Gastgebern. Diese führen uns wieder über sämtliche Basare, zu den schönsten Picknickstellen und zu allen Onkeln der Stadt. Iran ist toll. Es fehlt mir bei der riesigen Gastfreundschaft und unbändigen Unternehmenslust der Menschen nur die Zeit für mich. Und so bin ich nach einigen Tagen auch mal wieder froh der überaus freundlichen aber minutiös getakteten Fremdbestimmung zu entkommen und mein Bike und mich gen Pakistan zu steuern.

Ich hatte anfangs den Traum in Pakistan den legendären Karakorum Highway unter die Stollen zu nehmen.

Über die vorgeschriebene Eskorte, die jeder ab Eintritt in das Land bis Quetta bekommt, da diese einzige Straße durch das Grenzgebiet von Afghanistan führt, wusste ich Bescheid. Dass diese aber derart ausgedehnt wird, dass ich von Quetta bis Sukkur sogar in den Zug verfrachtet werde und die weiteren knapp 1000 km bis Lahore wieder nahtlos Begleitschutz an der Seite habe, habe ich nicht erwartet. Ich sehe also nichts von der berauschenden Landschaft und den fremden Menschen und kann mir lediglich ein Bild von den Security-Jungs machen. Mein Seelenzustand kümmert deutlich dahin. Nix Freiheit: Übernachtung in Polizeistationen, Hotels mit Ausgangssperre, Sicherheitsgewahrsam am Bahnhof, nicht mal pinkeln kann ich ohne Aufpasser. Dementsprechend hilflos fühle ich mich also, als es kurz vor Lahore „go“ heißt und ich frei bin.

Ich soll mich nun bei Linksverkehr allein in die Siebenmillionenstadt stürzen? Es ist dunkel, Mofas sausen um mich wie Schmeißfliegen um einen Haufen, mein GPS gibt mir nur einen Punkt als Stadt an und mein Handy streikt. Wie soll ich hier nur meinen neuen Kumpel, einen trampenden Spanier, wiederfinden?

Es geht immer – irgendwie – selbst im schlimmsten Verkehr und in einem unbekannten Land. Ich finde nicht nur meinen trampenden Reisebegleiter wieder, sondern mache sogar noch Bekanntschaft mit einem Reporter, der mir am nächsten Tag ein Kamerateam an die Seite stellt, was eine kleine Doku über meine Reise macht.

Nach zwei Tagen Freiheit in Lahore stürze ich mich auf Indien. Der erste Eindruck in Amritsars goldenem Tempel, in dem ich drei Tage in die Sikhsche Pilgeratmosphäre tauche, trügt. Der Verkehr ist tückisch, rücksichtslos und brutal. Die Straßen tun ihr übriges dazu und ich weiß schnell, welche Menschen dieses Land hassen. Die, die am Verkehr teilnehmen. Aber sobald die Menschen ihr Vehikel hinter sich gelassen haben begegnen mir wunderbare, freundliche und hilfsbereite Menschen.

In Manali bringen ich meine BMW in einer Werkstatt auf Vordermann, denn ich will den legendären Manali-Leh Highway fahren – dafür muss sie fit sein.

Diese Arbeit war überflüssig, denn ich scheitere bereits an den Schlamm­massen des Rothangpasses und rette mich ins Spitti-Valley.

Ausschnitt aus dem Buch

Kapitel: Kopf gegen Gefühl:

In der nächsten Nacht liege ich wieder wach. Der Kopf bollert, mir ist übel und jede Bewegung verursacht Schwindel. Das ist die Höhe. Ich habe wahnsinnigen Durst, aber Trinken würde bedeuten, dass ich pinkeln müsste und mich dazu aus meinem Schlafsack pellen müsste. In dem liege ich aber eingepackt in Skiunterwäsche und Mopedhose und Socken und Wanderschuhen und zwei Fleecepullis und Mütze und Schal und Moped­jacke. Und ich friere. Auf den Steinen bildet sich Eis. Nach einiger Zeit hab ich auch noch das Zelt ausgepackt und als Kälteschutz über uns alle gelegt. Ja uns alle drei, denn ich liege auf 4500 Metern draußen, lediglich im leichten Schutz einer Mauerecke der Hütte zweier Arbeiter. Neben mir kuscheln sich zwei Inder aneinander und an mich. Nähe ist das Einzige, was noch Wärme produziert, denn das Feuer aus gesammelter Schafscheiße ist schon lange aus. Der Wind pfeift unerbittlich über uns.

Bin ich verrückt? Wie konnte ich in diese bescheuerte Situation kommen? Wo ist mein Verstand geblieben? Irgendwann hat er mich wohl resigniert verlassen …

Was hatte mich heute Vormittag dazu veranlasst mich durch den kilometerlangen Matsch über den Rothang Pass zu quälen, obwohl ich doch umdrehen wollte, wenn es zu schwierig wird? Alle paar Meter rutschte ich weg, so dass ich schon nach den ersten Umfallern kaum noch Kraft hatte die BMW aufzurichten. Die Mopedstiefel versanken teilweise bis zur Wade im Matsch und saugten sich fest. Viel besser konnte das nur noch der Seitenkoffer, wenn er plan in die klebrige Erdmasse fiel. Dann entstand beim Aufheben ein Sog am Untergrund, so dass mindestens drei Mann nötig waren, um das Bike wieder aufzuheben. Ich zitterte schon beim Aufsteigen und war froh um jede Pause, die mir ein Jeep oder Truck lieferte, der vor mir freigeschaufelt werden musste, weil er feststeckte.

Ich suchte die beste Spurrinne, blieb mit den Seitenkoffern an den aufgeworfenen Wällen hängen, verklemmte mir die Füße unterm Reservekanister, wenn ich die Beine beim Füßeln nicht schnell genug rauszog und versuchte immer wieder mit „GAAAAAS“ Meter zu machen. Manchmal war ich bei diesen Manövern in der Gegenfahrbahn gelandet, das bleibt nicht aus, wenn man eine vernünftige Spur verfolgt. Aber die entgegenkommenden Fahrzeuge hatten nicht nur vier Räder, sondern auch Mitgefühl und wechselten einfach mal schnell. Meist – bis mir ein breitgesichtiger und schwergewichtiger Glatzkopf mit schwarz tätowierten Augenbrauen und Eunuchenstimme entgegenbrüllte: „Please stay on your line“. Eine Sicherheitsweste ließ die Witzfigur wichtig erscheinen. „Arschloch, britische Bürokratenfresse hier in den Bergen!“ Dem Kerl hätte ich den Rest seiner Eier gerne auch noch abgerissen. Wahrscheinlich hat der noch nie versucht dreihundert Kilo auf zwei Rädern durch die Schlammberge zu kutschieren.

Inzwischen war ein Blinker lose, ein Spiegel aufgedreht, meine Nase wahrscheinlich gebrochen und die Kiste über und über voller Matsch. Aber mein Kopf war immer noch schwach. Er meldete sich zwar noch zaghaft mit „Dreh um“ – aber das Gefühl sagte, gleich wird’s besser, Baby.

Ich musste den ganzen Hang hoch, an dem sich die Straße in Haarnadelkurven Meter für Meter nach oben schraubte und die unter der abgegangenen Schlammlawine begraben war. Ich brauchte drei Stunden, bis ein Schild und Fressbuden den Gipfel vermeldeten, der Matsch aufhörte und mein GPS stolze 4500 Meter anzeigt. Geht doch!

Geht nicht, denn dann ging’s runter. Schotter, Steine, Felsen, abgerissene Straßen, Sand, riesen Löcher, nahezu Gruben … ich hatte die Schnauze voll, welche Hammerfresse hatte gesagt oben wird’s besser? Ich ließ nur noch laufen, denn bremsen wäre fatal. Zwischendurch ein paar Meter Asphalt, dann wieder Geröll. Ich wurde irre. Ahhh! Schnell ein Foto schießen, die Aussicht war herrlich und dann wieder kämpfen. Asphalt … vergiss es, schon wieder vorbei. Mein Kopf brüllte nochmal kurz: „Dreh um!!!“, aber er wollte weder diese Enduroprologstrecke wieder rauf noch durch den Matsch bergab. Vielleicht würde es am nächsten Tag ja besser?

Auf dieser Abfahrt begegneten mir die zwei Inder auf einer Enfield, die den gleichen Traum in Alp erlebten. Manchmal redeten wir, dann fuhr wieder einer, dann begegneten wir uns wieder und dann fuhr wieder einer und dann … dann standen wir an einer Kreuzung und sie erklärten, dass sie in diesen Schotterweg abbiegen würden, weil sie ins Spiti-Tal fahren, zum höchsten Dorf mit dem ältesten Kloster.

Und wer da und dort entschieden hatte, weiß ich nicht. Irgendwas in mir sagte nur: „Coole Idee. Das ist besser als umdrehen. Ein näheres Ziel suchen, notfalls in zwei Tagen zurück, dann ist die Straße geräumt, spektakulär sieht es auch aus, und die Schotterpiste ist allemal leichter zu fahren, als dieser fatale Highway.

„There’s a camp in fifty kilometers. We wanna stay there.“

Camp? Die sind doch abgebaut seit gestern. Na, die werden’s schon wissen. An der Stelle kann ich immer noch überlegen ob ich die folgenden achtzig Kilometer weiter mitkomme oder am See relaxe und dann zurückfahre.

Mein Gefühl hatte anscheinend sofort gecheckt, dass die zwei Jungs nette Begleiter sind. Mein Kopf hätte vielleicht noch Fakten abgeklärt oder nach der Befahrbarkeit gefragt. Aber der schwieg beleidigt.

Als ich bereits im ersten Flussbett die Steine küsste, dämmerte mir, dass ich den Weg nie alleine fahren kann. Als ein Wasserfall die Straße entlang floss und ich wieder nur mit Bodenkontakt durch das wässrige Steinfeld komme, erklärte ich meinen neuen Freunden, dass sie ab sofort Verantwortung für mich hätten, denn hier würde ich nie alleine rauskommen. Als nach dreißig Kilometern Vinish meine BMW fuhr und ich als Sozia bei Sandesh endlich mal den Blick auf die Landschaft statt auf den Boden werfen konnte, wusste ich, dass zumindest mein Gefühl nicht ausgesetzt hatte, als es die Jungs eingeschätzt hat.

Als ich vier Tage später wieder vor der Werkstatt vorfahre wird mein Moped von einem Truck transportiert und ist teilweise nur noch zerquetschtes Metall. Gut, dass die Menschen in diesem Land aus Schrott immer noch etwas zaubern können und gut dass mein Liebster mich in zwei Wochen in Delhi besucht. Der darf seinen Rucksack voll Ersatzteile packen – Zahnbürsten gibt’s auch hier.

Zu zweit geht es zwei Wochen später daher von Delhi nach Goa. Ein Horrortrip – nicht nur, weil die Freude am Motorradfahren sich umgekehrt proportional zum Fahren zu zweit auf einem Bike verhält. Auch weil der Verkehr das selbstmörderischste ist, was mir je begegnet ist und die Menschen unnahbar, distanzlos und starrend sind. Wir fühlen uns während des Fahrens dem Todeskampf ausgesetzt und beim Halten wie Mitmachobjekte einer Ausstellung, bei dem hemmungslos an jedem Knopf der BMW gefummelt werden darf. Wir beschließen tatsächlich ab Udaipur bis Mumbai den Zug nehmen um uns dann in der Touristenhochburg Goa pudelwohl zu fühlen, weil dort endlich mal wieder „normale Menschen“ sind. Sie sprechen Englisch und trinken Bier.

Leider bedeutet dieser Bundesstaat aber auch wieder Abschied nehmen. Er muss wieder nach Deutschland und ich steuere gen Süden.

Es haut mich um, wie sehr sich die Menschen von Nord nach Süd verändern. Liebevoll, neugierig, vorsichtig und gastfreundlich erscheint der Inder des Südens. Nun gut – nicht der, der nachts in mein Hotelzimmer eindringt. Aber das ist eine andere Geschichte und es gab ja auch bei den nordindischen Figuren zwischen Delhi und Mumbai äußerst sympathische Wesen.

Drei Monate fahre ich durch dieses verrückte, vielseitige, spirituelle und diskrepanzgeladene Land. Ich treffe beeindruckende Menschen und verabscheuungswürdige. Ich fahre durch wundervolle Landschaften und durch fürchterlich vermüllte. Ich besuche die erotischsten Tempel und speise die einfachsten Gerichte. Und als ich die Grenze zu Nepal überquere, muss ich heulen. Ich könnte auch bleiben und noch mehr von der Schizophrenie dieser Kultur kosten. Irgendwie macht das den ganzen Reiz aus. Anders darf Indien nicht sein.

Nepal bedeutet Abschied:

Ich habe einen knappen Monat in Nepal Zeit und verbringe ihn mit Wandern und Mopedfahren.

Dann wird meine GS in Kathmandu zerlegt, in eine Kiste gepackt und nach Hamburg geflogen. Sie sieht schäbig aus und braucht eine Frischzellenkur. Für sie ist die Reise zu Ende. Für mich beginnt ein neuer Abschnitt …

Das Buch zur Reise

„Allah-Masala: Mit dem Motorrad unterwegs von Köln nach Kathmandu“ gibt es für 14,95 Euro als Taschenbuch. 310 Seiten, erschienen beim Verlag Kastanienhof (zum Shop).

Kirsten Hellmich, Jahrgang 1967 ist in Köln aufgewachsen und lebt aktuell mit ihrem Lebensgefährten in Hamburg. Bevor sie Kunst auf Lehramt studierte, hat sie in Bars und im Kulissenbau gearbeitet, hat Schneiderin gelernt und als Anstreicherin Geld verdient, war Künstlerin und Kneipenbesitzerin, hat Kunstkurse und Sportkurse geleitet. Seit ihrer Jugend begeistert sie sich für Motorräder jeder Art. Auf Reisen auf dem europäischen Kontinent und Nordafrika begleitet sie stets das eigene Motorrad, in Asien auch Leihmaschinen.

Kirsten findet man hier:
https://allah-masala.jimdo.comund hier:
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