aus bma 09/08

von Bernd Lakeberg

...ans Schwarze MeerNatürlich sind die Alpen mit ihren grandiosen Pässen immer noch erste Wahl, wenn man mit dem Motorrad den besten Kurvenkick in einer großartigen Bergwelt sucht. Auch die gewaltige und beeindruckende Fjordlandschaft Skandinaviens kennt in Europa nicht ihresgleichen. Warum also so eine gewaltige Tour in überwiegend fremdes und fremdsprachiges Gebiet wie Süd- und Südosteuropa.

Eigentlich ist diese Feststellung auch schon zumindest Teil der Antwort auf diese Frage. Irgendwie will ich mal was ganz anderes machen. Raus aus dem vertrauten Umfeld Mitteleuropas. Mich reizen die noch unbekannteren Strände Griechenlands in der Vorsaison und das innere, gebirgige Hochland. Ich will den Olymp und die Meteora Klöster vom Motorradsattel aus erleben und die drei Finger der Chalkidiki mit ihren sagenumwobenen wilden Ziegenherden erkunden. Und besonders gespannt bin ich auf das touristisch weitgehend unbekannte, noch nicht erschlossene Bulgarien und auf Rumänien.

Geht das eigentlich mit der Gold Wing? Lassen mich die Grenzbeamten mit meiner Luxuskiste eigentlich über die Grenze in ihr Land? Hält die Wing die sicherlich nicht so tollen Straßen aus? Wie geht es weiter, wenn mich ein technischer Defekt erwischt? Komme ich mit Maschine heil und komplett wieder? Alles Fragen, auf die ich meine eigenen Antworten haben will.
Und damit ist auch der weitere Teil der Frage nach dem „Warum gerade in diese Gegend?” beantwortet. Ich will die Ursprünglichkeit der Menschen in den südosteuropäischen Ländern kennen lernen. Und ein wenig Pioniergeist ist auch dabei. Denn so ganz viele Gold Wings haben meines Wissens noch nicht die Rhodopen und die Karpaten unter die Räder genommen. Und in die Berge Nordgriechenlands fährt auch nicht jeder.
...ans Schwarze MeerDie sicherlich schnellste und einfachste Methode gegen Ende April Deutschland und die Alpen zu überwinden, stellt die Fahrt mit dem Autozug von Hamburg nach Villach (Österreich) für uns dar. Und so kommen wir nach einer relativ ruhigen Nacht kurz vor Mittag bei traumhaft schönem Wetter in Villach an. Leider sind die wunderbaren Pässe des Kärntner Kurven- und Kehrenparadieses noch nicht zu befahren. Auch der schöne Vrsic Pass auf slowenischer Seite hat noch Wintersperre. Also kurzer Aufgalopp den Wurzenpass hoch und dann Landstraße Richtung Tarvisio (Italien). Links die im Sonnenschein glitzernden schneebedeckten Gipfel der Julischen Alpen und rechts von uns die liebliche Tallandschaft mit den Ausläufern der Österreichischen Alpen. Besser kann die Tour kaum losgehen.
Am Ortseingang Tarvisios geht es dann über Cave d. Predil und den Pso. D. Predil nach Bovec. Die nächsten knapp 90 Kilometer folgen wir der Soca. Dieser wildromantische, ursprüngliche Fluß fasziniert mit immer neuen Eindrücken und Ausblicken. Mal führt die Straße hoch über dem Fluß, mal links, mal rechts neben der Soca entlang. Aber immer bleibt man in ihrer Nähe und kann Straße, Kurven und Aussicht auf die türkisfarbene Wasserpracht und die schneebedeckten Brocken der Julischen Alpen genießen.
Eigentlich wollen wir in Nova Gorica im Hotel übernachten. Wegen irgendwelcher Sprachprobleme will man uns an der Rezeption ein EZ für 75 Euro verkaufen. Wir wollen aber nur ein Dach über den Kopf zum Schlafen. Also schnell und problemlos über die Grenze nach Italien und nach einigem Suchen finden wir direkt an der Überlandstraße ein vernünftiges Zimmer. Die Gold Wings können sicher im Innenhof untergestellt werden. Alles zusammen für 28 Euro pro Person.
Am nächsten Morgen geht es dann zügig über die Autobahn zum leicht zu findenden Fährhafen nach Venedig. Das Einchecken klappt problemlos. Eine Reservierung ist zu dieser Jahreszeit unnötig. Notwendig ist es aber für alle Nicht-Euro-Verbrenner, sich für die ca. 22-stündige Überfahrt mit Proviant zu versorgen. Denn auf den Fähren gilt allgemein das Hausrecht des Monopolisten mit entsprechend hohen Preisen.

 

...ans Schwarze MeerDas Verzurren der Motorräder auf der Fähre sollte man im Gegensatz zur Bundesbahn, deren Bedienstete das wirklich erstklassig machen, unbedingt selber besorgen. Die griechischen Helfer sind da doch zu rustikal, bzw. zu unbedarft, was die Verzurrpunkte unserer Plastikbomber betrifft. Ansonsten gilt: Auf See fängt der Urlaub jetzt so richtig an. Leichte Kreuzfahrtgefühle werden wach.
Nach 20 Stunden Überfahrt in Igoumenitsa angekommen, sollte man gleich links auf der Promenadenstraße durch das kleine, quirlige Städtchen fahren und nicht erst auf die Autobahn. Gleich hinter dem Ortsausgangsschild entschädigt die E90/E92 für das Stop and Go von vorhin. Die Straße ist überwiegend breit ausgebaut Der Belag ist auf den ersten Blick griffig. Autos sehen wir selten. Dafür genießen wir Kurven ohne Ende. Die Aussicht auf die Berge ist grandios. Höhepunkt dieser Gebirgsfahrt sollte die Überquerung des Katara Passes werden. Aber schon in Metsovo erwischt uns schlechtes Wetter. Regen und Nebel verderben uns die erwartete Freude. Jetzt lernen wir auch zwangsläufig das größte Problem auf den griechischen Straßen kennen. Bei Regen und teilweise auch schon bei feuchter Luft werden die eben noch griffigen Straßen zu wahren Rutschbahnen. Wir „tragen” unsere Wings über den Katara Paß, sehen eigentlich nur noch die weißen Linien auf der Straße und sind heilfroh, als es Richtung Meteora Klöster wieder trocken und dann auch noch sonnig wird.
Schon die Anfahrt nach Kalambaka und Kastraki vermittelt traumhaft schöne Ausblicke auf die berühmten Klöster. Von weitem ragen sie mächtig aus der Thessalischen Ebene heraus, nahezu unwirklich, ja fast kitschig schön wirken die Felsen in ihrer bizarren und monumentalen Erscheinung. Ab dem 14. Jahrhundert suchten Mönche auf ihren „Felsenspitzen” Schutz und Platz für die erste Klostergründung. Weitere 23 Klöster folgten. Hier waren die griechisch-orthodoxen Mönche gut geschützt vor Überfallen und konnten sich mit größtmöglicher Ruhe ihrem Glauben widmen, da die Klöster nur über Leitern oder Seilwinden erreichbar waren. Meteora bedeutet „in der Luft schwebend” und die Meteora-Klöster befinden sich auch tatsächlich dem Himmel nahe. Auf erstaunlich unzugänglichen Felsnadeln in bis zu 300 m Höhe, am Rande des Pindosgebirges in Thessalien gelegen, blicken sie weit über das Peneiostal.
Schnell ist ein kleiner, gemütlicher und preiswerter Campingplatz mit Blick auf die Meteora-Klöster gefunden. Nach dem Zeltaufbau und einer erfrischenden Dusche bleibt noch Zeit für eine erste schnelle Besichtigungsrunde der sieben noch existierenden Klöster, die inzwischen alle über eine gute Straße erreichbar sind. Die Einmaligkeit der Klöster hat uns so beeindruckt und auch aufgewühlt, daß wir erst nach langem Suchen in der mittlerweile hereingebrochenen Dunkelheit unseren Campingplatz wieder finden.
Gleich nach dem Frühstück erliegen wir wieder der Faszination der Meteora-Welt und schauen uns noch einmal in Ruhe besonders exponierende Beispiele an. Weiter geht es dann gegen Mittag über Agiofill auf einer Nebenstraße (Geheimtip eines Griechen, den wir an einer Tankstelle trafen) und Deskati in Richtung Olymp. Das Fahren auf dieser Nebenstraße durch eine überwiegend landwirtschaftlich genutzte Hügellandschaft ist wieder einmal ein unglaublicher Genuß. Wachholderwälder wechseln sich ab mit grüner Wiesenlandschaft und braunen Ackerflächen. Flüsse durchziehen das Gebiet. Ziegenherden, Störche, Bienenkörbe und verschiedene Greifvögel begleiten unsere Fahrt durch rot blühende Klatsch- mohnfelder. Ein scheinbar nicht enden wollendes Kurvengeschlängel macht das Fahren zu einem Hochgenuß. Hermes, der schnelle Götterbote der griechischen Sagenwelt, würde im heutigen Griechenland bestimmt Motorrad fahren. Dieses Land ist einfach ideal für zweirädrige Erkundungstouren.
So sind wir den Göttern nicht einmal so richtig böse, daß sie ihre Häupter dunkel bedeckt halten, und wir vom 2918 Meter hohen Gipfel des Olymp nichts sehen können.
Der Verkehrsmoloch Thessaloniki läßt sich dank eindeutiger Beschilderung problemlos auf der Stadtautobahn umfahren. Rechtzeitig war der Hinweis auf unser Tagesziel „Chalkidiki” auf den riesigen Schildern auch in lateinischen Schriftzeichen zu lesen. Aber Spaß macht dieser Teil der Fahrt nicht. Besonders die Strecke hinter Thessaloniki Richtung Nea Moundania auf der vierspurigen Schnellstraße ist einfach nur ätzend. Darüber hilft uns auch ein Erlebnis mit einem Harakiri fahrenden Rollerfahrer plus Sozius, der mit mehr als 130 km/h schwankend und schleudernd auf der Kriechspur alles rechts überholte und in Grund und Boden fuhr, nicht hinweg. O-Ton Manfred: „Ich hatte schon Schwierigkeiten, meine voll beladene 18er bei 120 km/h auf Kurs zu halten!”
Mit dem Erreichen Nikitas, dem Tor zur Halbinsel Sithonia (Chalkidiki), ist das alles aber vergessen. Die westliche Umrundung mit diversen Stops wegen der fantastischen Aussichten ist wieder Genuß pur. Die 60 km auf der kurvigen Küstenstraße bieten immer neue, fantastische Ausblicke auf Küste, Strände, kleine Dörfer und das Meer. Und auf der Küstenstraße erwischen sie uns auch. Die sagenumwobenen, halbwilden Ziegenherden, die unter Milchdruck, ohne Hirten, dem heimischen Stall entgegeneilen. Sie verschaffen der Gashand so manche willkommene Pause. Das Fahren auf der Küstenstraße Sithonias ist ganz einfach zu beschreiben: Man kann sich nicht zwischen Gas geben, Fotografieren und Wundern entscheiden. Punkt!
...ans Schwarze MeerDer einzige Ganzjahrescampingplatz entpuppt sich als Flop. Total tote Hose in einem total tote-Hose-Gebiet. Also weiter nach Sarti und Quartier genommen. Hier ist zwar auch noch alles im touristischen Tiefschlaf, aber die vielen Restaurants und Läden an der Strandpromenade lassen schon ahnen, was hier in den Sommermonaten abgeht. Aber Ende April ist hier noch nichts los. Dafür sind die Preise für Teurogebiet unglaublich (Appartement 20 Euro/ Pers.) günstig. Allerdings ohne Frühstück. Apropos: Das griechische Frühstück ist wahrlich nicht jedermanns Sache. Besser ist es allemal, sich morgens schnell im Tante Emma Laden mit dem Notwendigsten zu versorgen und das Frühstück in Picknick-Manier an einen schönen Strand zu verlegen.
Bei der Weiterfahrt gen Osten entlang der Ägäischen Küste über Stavros, Kavala bis Alexandroupolis fällt uns der Abschied von Chalkidiki immer schwerer. Der zunehmende Schnellstraßencharakter und zum Schluß die Autobahn lassen Zweifel aufkommen, ob wir nicht doch wieder umdrehen sollten. Besonders das Autobahnbolzen (keine Gebühren für Motorräder) verleidet uns die Weiterfahrt zusehends, zumal auch die Landschaft deutlich unattraktiver wird. Die Berge verschwinden immer mehr. Die Straße führt zunehmend weiter von der Küste weg und riesige Ackerflächen bieten dem Auge wenig Abwechslung. Also abhaken. Aber kein Tag ohne versöhnlichen Abschluß. Wir finden den direkt an der Zufahrtstraße nach Alexandroupolis gelegenen, empfehlenswerten Campingplatz auf Anhieb. Wie sagte die nette Dame an der Rezeption noch: „Dies ist der letzte Platz in der Zivilisation vor der Weiterreise in die Türkei.” Schaun wir mal, ob sie Recht hat.
Am nächsten Morgen an der griechisch-türkischen Grenze: Aus Griechenland raus gibt es kein Problem. Aber dann kommt es ganz dick. Schon im Übergangskorridor bewaffnetes, türkisches Militär. An der Grenze ist zum Glück nichts los. Die ganze Prozedur dauert trotzdem länger als sechzig Minuten. Sechs Mal Helm auf, sechs Mal Helm ab. Noch ein Formular, noch ein Stempel, noch ein Code-Wort. Und eine ausgesprochen unfreundliche bis arrogante Behandlung durch die türkischen Grenzbeamten. Der Gipfel kommt zum Schluß. Mister Oberwichtig mit dem letzten und wohl wichtigsten Stempel fertigt uns in einer wortlosen, aber nicht zu überbietenden Arroganz derartig ab, das spottet jeder noch so diplomatischen Beschreibung.
Kurzum, mir reicht es derart, daß ich so recht keinen Gefallen an den nächsten zweihundert Transit-Kilometern durch den Norden der Türkei finden kann. Außerdem ist diese Strecke auch fahrerisch nicht weiter erwähnenswert. Eine öde, flache, langweilige, von Landwirtschaft geprägte Landschaft mit riesigen Ackerflächen, reizt nicht zum Verweilen. Erst die letzten zwanzig Kilometer vor der bulgarischen Grenze werden wieder interessant. Eine hügelige Landschaft, durchzogen mit blühenden Laubwäldern und im Mittelalter schlummernden Dörfern, fordert uns zum aufmerksamen Hingucken auf.
An der türkischen Grenze dasselbe Prozedere und die gleiche Behandlung wie bei der Einreise. Schnell vergessen!
Am bulgarischen Schlagbaum dann eine ganz andere Situation. Freundliche, interessierte Beamte helfen bei den wenigen Formalitäten und wir sind durch. Irres Gefühl. Ich bin mit meiner Wing in Bulgarien. Toll! Ein freundlicher, recht verständlich deutsch sprechender Bulgare warnt uns noch vor der beabsichtigten Route nach Carevo. Es gibt Probleme mit der Straße. Wir sollen lieber den Riesenumweg über Burgas und dann an der Küste zurück machen. Wir bedanken uns freundlich für diesen Hinweis. Aber was so ein rechter Besserwessi ist, der fährt die Route, die ihm im Internet jemand als besonders schön geschildert hat.
Prompt kommt es nach etwa zehn Minuten Fahrzeit knüppeldick. Erst Schlaglöcher in der Fahrbahn, dann Krater mit Schlaglöchern und wenig Fahrbahn. Und dann der härteste Gold Wing-Test: Krater, Schlaglöcher, jenseits von gut und böse, eine zum Teil weggespülte Straße und höchstens noch ein reifenbreiter Fahrbahnrest. Dieser aber nicht durchgängig, sondern mal links zwei Meter, oder auch rechts ein Stückchen, vielleicht auch mal in der Mitte, häufig auch gar keine Fahrspur. Dafür aber Schotter, kleine Steine, große Brocken, die ganz Palette. In den „normalen” Schlaglöchern kann man problemlos einen Helm verstecken, ohne ihn von zehn Metern Entfernung zu sehen. Die größeren Krater sind nicht so bescheiden. In ihnen kann bequem die halbe Wing ihre letzte Ruhestätte anstreben. Siebzig Kilometer in knapp drei Stunden durch ein wahrscheinlich schönes, hügeliges Mittelgebirge, ohne Dörfer und ohne Abbiegemöglichkeiten, sprechen eine deutliche Sprache. Es war die schlimmste Fahrt in meinem bisherigen Motorradleben.
In Caveo bzw. Micurin angekommen dann der lange ersehnte Anblick: Zum erstem Mal sehe ich das Schwarze Meer in natura vor mir. Trotz diesigen, kalten Wetters ein beeindruckender Moment. Voller Neugierde setzen wir unsere Fahrt nach einer kurzen Pause in dieses für uns vollkommen fremde Land fort. Wir sind wahnsinnig gespannt, was uns erwartet und wohin uns unsere Reise führt. Denn ab jetzt ist nichts mehr genau vorgeplant. Alles Weitere hängt von den Straßen, vom Wetter und natürlich von den uns begegnenden Menschen ab.