aus bma 05/03

Text & Fotos: www.Winni-Scheibe.de

Wird von Vincent gesprochen, ist entweder die 1000er Rapide oder die legendäre Black Shadow gemeint. Aber auch die Singles sind interessante Modelle. Die 500er Comet war ihren damaligen Klassenkameraden haushoch überlegen und gehört heute zu den begehrten Sammlerstücken. Anfang der fünfziger Jahre waren bei uns Motorräder gewöhnliche Gebrauchsfahrzeuge. Geld für ein Auto war noch nicht da und so knatterte alle Welt auf Leichtmaschinen mit 98 oder 125 Kubik durch die Gegend. Ganz und gar im Reich der Träume blieben die Bikes aus England und einen ganz besonderen Ruf genossen die Maschinen von Philip C. Vincent aus Stevenage.
Vincent Comet 500Etwas im Schatten der mächtigen 1000er Maschinen Rapide und Black Shadow standen dagegen die 500er Einzylinder-Motorräder. Eigentlich zu Unrecht. War die 1000er für die agilen Sportfahrer konzipiert, wollte man mit dem Single den anspruchsvollen Tourenfahrer ansprechen. Die Qualitäten für Alltag und Fernreise hatte die 500er allemal.
Entgegen der naheliegenden Annahme, er ist ein halbierter 1000er V-Motor, wurde diese Antriebseinheit eigenständig entwickelt. Eine nahe Verwandtschaft zur großen Vincent lässt sich allerdings nicht leugnen. Und das hat seinen Grund. Bei der Konstruktion der Ein- und Zweizylinder-Modelle tüftelte Vincent ein ausgeklügeltes Baukastensystem aus. Das seitenwagentaugliche Fahrgestell mit Trapezgabel und gefederter Dreiecksschwinge war gleichzeitig für beide Motortypen mit 1000 ccm und 500 ccm ausgelegt. Von einem echten Rahmen zu sprechen, ist jedoch übertrieben. Hauptbestandteil des Chassis war ein stabiles Rückgrat aus Vierkantprofil, das gleichzeitig als Öltank diente. Beide Motortypen verfügten nämlich über eine Trockensumpfschmierung. Das Triebwerk selbst diente als mittragendes Teil, und die Lagerung der Hinterradschwinge war direkt am Motorgehäuse angeflanscht. Diese Konstruktion war nicht nur außerordentlich einfach, sondern bestach auch bei der Wartung der Maschine. Ohne Werkzeug ließ sich mit wenigen Handgriffen die Antriebskette spannen, der Kraftstofftank abnehmen und das Hinter- oder Vorderrad ausbauen. Kaum mehr Aufwand war nötig, um das gesamte Fahrzeugheck bestehend aus Hinterrad, Schwinge, Schutzblech und Sitzbank abzuschrauben.

 

Auch beim Motor legte Vincent großen Wert auf das Baukastensystem. Kolben, Zylinder, Zylinderköpfe und etliche weitere Bauteile ließen sich im Einzylinder sowie beim V-Motor verwenden. Mit dieser Modellpolitik konnte man die Teile kostengünstig herstellen, und die Ersatzteillagerung bei den Vertrags-Händlern blieb überschaubar.
Vincent Comet 500Der Aufbau des Singles war im Vergleich zum modernen V-Blockmotor aber immer noch „klassisch englisch”. Der ohv-Einzylinder verfügte über ein eigenes Motorgehäuse mit einer zahnradgetriebenen, hochgelegten Nockenwelle, kurze Stoßstangen und Kipphebel, über die je ein Einlass- und ein Auslassventil betätigt wurden. Den Primärantrieb erledigte eine Simplexkette in einem separaten, ölgefüllten Primärkasten. Entsprechend der damaligen Bauweise war das Burman-Vierganggetriebe in einem eigenen Gehäuse hinter dem Motorblock platziert. Eine Rollenkette erledigte den Endantrieb zum Hinterrad.
Das niedrige Gewicht von nur 178 kg machte sich positiv im Handling bemerkbar. Im hektischen Stadtverkehr und auf verwinkelten Landstraßen war die Comet in ihrem Element. Aber auch wenn es mal flott vorwärts gehen sollte, kam man schnell ans Ziel. Der Motor leistete 28 PS bei 5800 U/min und beschleunigte die Maschine auf fast 100 mph. Die Comet war aber nicht nur eine schnelle und zuverlässige Tourenmaschine, sie war auch entsprechend teuer. Anfang der fünfziger Jahre kostete sie 3160 Mark. Im Vergleich musste ein BMW-Kunde für das damalige Topmodell R 51/2 lediglich 2750 Mark auf die Ladentheke blättern. Und so wundert es letztendlich nicht, dass offiziell nie eine Vincent Comet nach Deutschland importiert wurde.
CockpitAuch heute ist eine Comet im „O-Zustand” bei uns recht selten. Das liegt zum einen daran, dass nur wenige Maschinen den Weg nach Deutschland fanden und zum anderen etliche Fahrzeuge für die Beschaffung von Ersatzteilen für die 1000er V-Maschinen kurzerhand zerlegt wurden. Ergattert man dennoch eine Comet „Serie C”, ist dies meist großer Zufall. Dieses Glück hatte vor einiger Zeit Axel Heitmann aus Bargteheide. Von einem guten Freund erfuhr der Engländerfan, dass angeblich eine Comet beim englischen Besitzer im Wohnzimmer vor dem Kamin stehen sollte. Da an solchen Gerüchten meist immer ein Funken Wahrheit dran ist, machte sich Heitmann auf den Weg. Die Reise sollte sich lohnen. Nicht nur, dass die Comet tatsächlich vor der Feuerstelle stand, sie befand sich sogar im absolut originalen Zustand. Ron Banks, Jahrgang 1921, hatte den Single 1950 funkelnagelneu gekauft, war mit ihr bis 1954 lediglich nur 4900 Meilen gefahren und hatte sie dann ins Wohnzimmer geschoben. Seit dieser Zeit stand sie nun an dieser Stelle. Dass ein Fahrzeug in diesem Zustand seinen Preis hat, war dem Besitzer, aber auch Axel Heitmann sehr wohl bewusst. Nach einigem Handeln wurde man sich dann aber doch einig, und für eine fünfstellige Summe wechselte die Vincent ihren Eigner.
Dass der Single seine Fahrtüchtigkeit immer noch nicht verlernt hatte, brauchte man nicht lange zu probieren. Nachdem eine frische Sechsvolt-Batterie angeklemmt und Sprit im Tank war, genügten einige Tritte auf den Kickstarter und schon lief das Triebwerk. Fast ein halbes Jahrhundert war seit dem letzten Ausflug vergangen. Doch geändert hat sich eigentlich kaum etwas. Die Straßen sind kopfsteingepflastert und nur an wenigen Stellen geteert. Auch beim neuen Vincent-Owner ist ganz offensichtlich die Zeit stehengeblieben. Seine Bekleidung und sein Fahrstil dokumentieren es nachhaltig. Eine Schirmmütze genügt, damit die Frisur nicht durcheinander kommt, die Brille schützt vor lästigem Ungeziefer, Lederjacke und Knickerbockerhose halten mollig warm. Mit der „Nase im Wind” lässt Axel Heitmann, wenn er Lust hat, „so wie früher” die Comet über die Chausseen fliegen.

Radausbau Technische Daten: Vincent Comet „SerieC” Baujahr 1950

– Motor:
Fahrtwind gekühlter Einzylinder-Viertakt-Motor. Zwei Ventile, über eine untenliegende, zahnradgetriebene Nockenwelle, kurze Stoßstangen und Kipphebel betätigt. Bohrung x Hub 84 x 90 mm, Hubraum 499 ccm, Verdichtung 6,8:1, Leistung 28 PS bei 5800 U/min. Trockensumpfschmierung 3,25 Liter Castrol GTX Motoröl. Ein Amal-Monobloc-Vergaser, Ø 28 mm (nachträglich modifiziert), offener Ansaugtrichter. Magnetzündanlage mit Unterbrecherkontakt, Sechsvolt-Lichtmaschine

– Getriebe:
Primärantrieb über Simplexkette im separaten Primärgehäuse, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, Burman-Vierganggetriebe, Endantrieb über Rollenkette

– Fahrwerk:
Rückgrat-Chassis aus Vierkantrohr, Rahmen dient gleichzeitig als Öltank, Motor mittragendes Teil. Hydraulisch gedämpfte Girdraulic-Trapezgabel, Lagerung für die Hinterrad-Dreiecksschwinge direkt an der Antriebseinheit angeschraubt, zwei unter der Sitzbank fast liegende Federbeine. Vorne und hinten zwei Halbnaben-Trommelbremsen, Ø 178 mm. Vorne und hinten Speichen-Räder mit Stahl-Felgen. Avon Speedmaster Bereifung, vorne und hinten 3.25-19

– Abmessungen und Werte:
Radstand 1425 mm, Gewicht 178 kg, Tankinhalt 16 Liter, Höchstgeschwindigkeit etwa 90 mph (145 km/h)