aus Kradblatt 12/23 von Thomas Rupp
Leider zu viel Ärger …
Der Fahrspaß mit der Verge ist groß (siehe Kradblatt 5/23). Mit der ersten in Deutschland zugelassenen Verge TS Pro erlebt Thomas Rupp aber leider eine Pannenserie. Der Frust ist entsprechend groß – hier sein Erfahrungsbericht …
Mangelnde Akkukapazität, Lade- und Startprobleme, ungenaue Messinstrumente trüben bereits bei ersten Spritztouren die Fahrfreude. Nach gerade 800 Kilometern kommen schlagende Motorengeräusche und Vibrationen dazu.
Ein Werkstattnetz gibt es nicht. Der Kundendienst kommt aus Finnland gefahren, nimmt das E-Motorrad nach vier Wochen gemischter Fahrfreude wieder mit. Start, Reparatur oder Diagnostik wollen vor Ort nicht gelingen. Wann die reparierte Maschine wiederkommt? Ungewiss. Versprechen verpuffen. Fristen verstreichen. In Internet-Foren finde ich zwei weitere enthusiastische Verge-Kunden der ersten Stunde. Das Schicksal verbindet. Beide beklagen ein Sammelsurium an Kinderkrankheiten, zahlreiche nicht behobene Mängel und einen sichtlich überforderten Kunden-Support.
Geschwindigkeit, erhoffte Reichweite, Design – es gibt viele Gründe, die mich auch weiterhin an meinem finnischen Power-Motorrad faszinieren. Zumindest theoretisch, denn zu vieles funktioniert nicht.
Hallo, ich bin Thomas (47), Unternehmer aus Darmstadt und Späteinsteiger ins Zweiradfieber. Für eine Vorstellung der Verge bin ich extra nach Berlin gereist und war begeistert. Im Juli 2022 habe ich sie bestellt. Anfang 2023 sollte sie kommen, es wurde August. Puh – doch Verzögerungen bei Herstellern sind ja nicht selten. Und mit jedem packenden neuen Pressebericht über mein Wundermotorrad ist meine Vorfreude zwischenzeitlich gestiegen. Zugegeben, für das Sümmchen eines Autos ist die Verge mehr ein Spleen, als ein Schnapper.
Am 19. August rollte sie endlich vom Kleintransporter in meine Garage. Große Augen und Handyfotos, wo immer sie auftaucht. Das Design mit scheinbar schwebendem Hinterrad fasziniert. Verblüffen und einiges Hin und Her auch auf der Zulassungsstelle: Mitarbeiter kommen staunend mit raus, prüfen penibel Fahrgestellnummer und Papiere. Auch eine live Vorführung wird gewünscht. Ich erfahre: meine Verge ist die erste, die in Deutschland zugelassen wird.
Bereits erste Spritztouren offenbaren Probleme. Erst sind es Kleinigkeiten: da läuft die Uhr am Lenker nicht und das sogenannte DC-Laden des Akkus will nicht gelingen. Der AC-Lader hingegen funktioniert. Etliche Mails und Gespräche mit dem Hersteller und zahllose Neustart-Prozedere bringen manche der Verge-Wehwehchen in Schwung. Doch nicht alle. Beim Starten nach Ladevorgängen muckt die Maschine immer, verlangt zeitraubende Neustarts der Software.
Echte Ernüchterung auf der Autobahn: Die Akkuanzeige schwankt selbst auf gerader Strecke, mit eingestelltem Tempomat auf 100 km/h, munter zwischen fast voll und ziemlich leer. Zuverlässige Streckenplanung wird so zum Glücksspiel. Eine geeignete Erklärung des Herstellers bleibt aus.
Um die Akkukapazität zu testen, fahre ich meine Verge annähernd leer. Die letzten Runden auf einem Parkplatz mit Ladestation. Hier passen auch in meinen neuwertigen Akku etwa 30 Prozent weniger rein, als der Hersteller mit 20,2 Kilowattstunden brutto verspricht. Auch schaltet der Ladevorgang niemals automatisch ab, wenn der Akku voll ist. Das darf nicht sein.
Mit einer (auch elektrischen) Zero DS Custom habe ich vor drei Jahren mein erstes Motorrad gekauft. Der kleine B 196 Führerschein war schnell gemacht. Verbrenner-Motorräder bin ich ausschließlich in der Fahrschule gefahren. Ich suchte nach einem umweltfreundlichen Fahrspaß für die Stadt und ins Büro. Dann packt mich das elektrische Zweiradfieber: Ich liebe es leise dahinzugleiten, gefühlt schwerelos. Auch bei Wind und Wetter. Nordsee, Ostsee, Dänemark, Bayern, meine Zero wurde zum zuverlässigen Begleiter auf vielen tollen Touren. Lade-, Akku- und Elektronikprobleme kannte ich hier nicht. Ich wollte echte Reichweite, schneller, noch mehr Fahrspaß.
Nach 800 Kilometern mit meiner Verge, tauchen plötzlich klopfende Motorgeräusche auf. Schnell rächt sich, dass es in Deutschland kein geeignetes Werkstattnetz gibt. Auch mit E-Motorrädern vertraute freie Werkstätten lassen meiner Erfahrung nach die Finger von der Verge. Mir wird klar: Auch den Hinterreifen wechselt mir bei Verschleiß hierzulande niemand.
Der Hersteller rät mir zunächst zum Weiterfahren. Doch die Frequenz der Motorgeräusche nimmt zu. Ich steuere eine ATU-Werkstatt an. Der sichtlich interessierte und erfahrene Zweiradmeister nimmt Motorvibrationen wahr, rät dringend zur Werkskontrolle. Ich fahre vorsichtig nach Hause, lasse die Maschine stehen.
Es dauert drei Wochen bis der Werkskundendienst aus Finnland kommt. Starten, Diagnose oder Reparatur gelingen nicht mehr. Die Kommunikation mit dem Hersteller ist seitdem zäh. Ersatzmotorräder gibt es nicht. Versprochene Reparatur- und Liefertermine verstreichen. Auf mehrfache Nachfrage erfahre ich, der Motor wurde ins Werk nach Tallin gebracht. Ursachen werden nicht kommuniziert. Wandlung und Geld zurück hat der Hersteller angeboten. Das ist anständig. Doch Fahrfreude wäre mir lieber. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich hatte mir frei genommen, wollte jetzt gerade mit meiner Verge durch Süd-Spanien fahren. Im Moment bleibt mir nur das Nummernschild auf meinem Schreibtisch.
Die zurückliegende Berichterstattung über die Verge-Innovationen überschlägt sich gern in wohlwollender Begeisterung, was rein auf der Vorstellung von Leistungsdaten beruht. Mehrtägige Testfahrten sind nicht zu lesen. Für mich ergibt sich das Bild eines entwicklungsstarken Startups, das Vertriebs- und Serviceprozesse vernachlässigt und mit zahlreichen technischen Mängeln zu kämpfen hat. Die Produktreife ist noch nicht erreicht. Kunden sind Teil des Entwicklungsprozesses. Sie sollten das wissen …
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Kommentare
2 Kommentare zu “Verge TS Pro – Erfahrungsbericht”
Auch wenn ich mit meiner SR/F den größten Spaß auf zwei Rädern erlebe – bisschen Leidensfähigkeit gehört, so ehrlich mag ich schon sein, dazu. Wenn ich meinem E-Auto beim Laden zusehe und es sich zeitweise 150 kW aus der Leitung reißt, dann blick ich schon etwas belämmert auf die 5,7 kW, die meine Zero aufnimmt. Und denk mir, etwas schneller wäre dann doch geschwinder.
Aber in Anbetracht dessen, was Thomas erlitten – denn von „erleben“ mag ich nicht schreiben – hat, ist das PillePalle. Da muss das Elektro- und Nerd-Herz schon sehr sehr groß sein, wenn man das ganze Ding nicht anzünden will. Ich bin direkt froh, dass mir die Verge optische Schmerzen verursacht ..
Ich drück hier in den Bergen alle Daumen, dass Verge in die Spur kommt. Es zeigt sich einmal mehr: Service und ein fähiger Kundendienst bzw. Händler sind Gold. Vor allem bei solch neuer HighTech.
🙏