aus Kradblatt 5/23 von Gregor Schütz

Krasser Motor, heftiges Drehmoment

Verge TS - anders als andere …
Verge TS – anders als andere …
Beeindruckender Motor
Beeindruckender Motor

Eins vorweg, dieses Motorrad hat einen gewaltigen Nachteil: der unbändige Wunsch sie zu besitzen wird von einem mittleren 5-stelligen Betrag derbe unterdrückt. Aber keine Angst, das Geld ist ja nicht weg, es hat nur jemand anders. In diesem Fall die äußerst sympathischen Finnen der jungen Motorradmarke Verge. Drei von ihnen durfte ich in Bremen auf ihrer Roadshow durch Europa kennenlernen. Äußerst kompetent und freundlich wurde ich in die neue Technik eingewiesen. Achtung: Probefahrt nur mit skandinavisch typischem Alkoholtest! Sollte bei uns auch Standard werden.

Aber erst mal zum Motorrad selbst. Die Verge TS ist eine Mischung aus futuristischem Drag Bike mit bonbonfarbenen Stilelementen, Cruiser und Sportmotorrad. Ja, und es ist elektrisch. Und zwar so auffällig, dass sogar kleine Kinder an der Fußgängerampel vor ihren Eltern richtig erkannten: „Papa, guck mal ein Elektromotorrad“. 

Den außergewöhnlichen Antrieb kann man nicht übersehen. Ein nabenloses Hinterrad mit in der Felge integriertem Elektromotor erscheint genial. Keine Kette, kein Zahnriemen, kein Getriebe, und eine unverkennbare Optik. Und effizienter als konventionelle Elektroantriebe soll es auch noch sein, was an der (noch zu beweisenden) Reichweite ersichtlich ist.

Schon vor Jahren geisterte dieses Patent durch die Tech-Szene und keiner konnte glauben, dass es wirklich funktioniert. Nach einer ausgiebigen Testfahrt kann ich bestätigen, dass es funktioniert und zwar ziemlich gut! 

Obwohl ich „nur“ das mittlere Modell der Verge, die TS Pro testen durfte, hat mich die Beschleunigung von den Socken gehauen. Ansatz-, ruck- und ge­­räusch­los stürmt die Verge auf ihrem 240er Hinterreifen nach vorne, dass es eine wahre Freude ist. Die technischen Spezifikationen sprechen für sich, obwohl sie in der Praxis im Vergleich zu meiner (ebenfalls elektrischen) Energica Ego ganz ähnlich sind. Das liegt vielleicht an der aufrechten Sitzposition mit vorverlegten Fußrasten aber mit Sicherheit auch an der Tatsache, dass sie wirklich komplett lautlos losschießt. Da gewinnt der Ausdruck „Ritt auf der Kanonenkugel“ eine neue Bedeutung. So muss sich Baron Münchhausen gefühlt haben. Alles andere ist weit weg von durchlauchter Schwindelei. 

Zwei mögliche Sitzpositionen
Zwei mögliche Sitzpositionen

Ein iPad-ähnliches Display mitten auf dem Tank gibt in ansprechenden Animationen Auskunft über u.a. Reichweite, Akkustand und Seitenständer. Einen kleinen Tachometer über dem Lenker gibt es zum Erhalt des Führerscheins freundlicherweise trotzdem.

Die Verarbeitung ist gut, das Konzept mit dem felgenaufgehängten Fahrwerk funktioniert, einzig der 240er Hinterreifen muss mit Nachdruck eingelenkt werden, was in dieser Fahrzeuggattung aber zum Normalzu­stand gehört. Die Ausstattung ist standesgemäß mit Wilbers-Fahrwerk und Brembo-Bremsen komplett. Die bauartbedingte Hinterradbremsscheibe erinnert an Buell-Motorräder mit ihrem großen Durchmesser.

Aus Elektrofahrersicht sind die Eckdaten beeindruckend: 21 kWh-Akku, 50 kW/h Ladeleistung aufgrund neuer Batteriechemie – was 25 Minuten Ladezeit an DC-Schnellladesäulen mit dem dort gängigen CCS-Stecker ergeben soll. Einen On-Board Lader für Wechselstrom (Typ 2) gibt es auch, hierbei dauert eine komplette Ladung allerdings 3–4 Stunden, was man dann eher zuhause über Nacht machen sollte. Auch die Reichweite überzeugt, bei halbem Akkustand wurden mir beispielsweise noch 165 km Restreichweite angezeigt. Das Drehmoment wird am Hinterrad gemessen (wo sonst bei diesem Motorrad) und ist vergleichbar mit z. B. Energica und Zero, wobei 1200 Newtonmeter bei der TS Ultra einem schon Angst machen können. 

Obwohl diese Motorradkategorie nicht in mein Beuteschema passt, war der Griff zum Geldbeutel nicht so fern wie bei vielen anderen Motorrädern. Von der TS Ultra will ich gar nicht träumen. Wer die Gelegenheit hat, sollte dieses Motorrad unbedingt mal ausprobieren. Die Roadshow-Tourdaten gibt es online auf der Verge-Website www.vergemotorcycles.com.

Verge TS Spezifikationen:

  • TS: 80 kW / 107 PS, 700 Nm, 55 Minuten Ladezeit, 250 km Reichweite, Preis 33.011 €
  • TS Pro: 102 kW / 136 PS, 1000 Nm, 35 Minuten Ladezeit, 346 km Reichweite, Preis 36.581 €
  • TS Ultra: 150 kW / 201 PS, 1200 Nm, 25 Minuten Ladezeit, 375 km Reichweite, Preis 54.431 €