aus Kradblatt 8/23 von Bernd L. George
Auf Testfahrt in Kroatien …
Das Angebot, als Erster die Ergebnisse einer Frischzellenkur auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen, klingt reizvoll. Ganz besonders wenn es sich bei dem Patienten um einen betagten Elektroroller handelt.
Während des viel zu langen Winters wurde der Plan für eine klärende Probefahrt auf dem von der Firma OFT-gepimpten Vectrix VX-1 gemacht. Als aber der Winter auch im Frühjahr den Odenwald, die Heimat von OFT (Odenwälder Fahrzeug Technik) immer noch mit Minustemperaturen im Winterschlaf hielt, wurde ein Ausweichen in die kroatische Niederlassung in Čavle beschlossen. In Verbindung mit einer geplanten Motorradtour entlang der kroatischen Adriaküste ein verlockender Plan.
Von München aus ist der nördliche Zipfel der Adria bequem über Salzburg, Villach und Ljubljana zu erreichen. Die österreichischen Skigebiete locken noch mit hervorragenden Pisten, doch uns zieht es in mediterrane Umgebung und auf sonnige Küstenstraßen.
Kroatien gehört seit dem ersten Januar zum Schengenraum und an den Grenzübergängen wird deutlich, dass hier noch vor wenigen Wochen Kontrollen durchgeführt wurden. Jetzt stehen alle Schranken offen und lediglich die „Ein-Euro-Maut“ sorgt für einen kurzen Stopp.
Über Rijeka, wo auch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs bereits Motorrad Grand Prix Rennen gefahren wurden, erreichen wir den Ort Čavle, der nur wenige Kilometer vom Autodrom Grobnik entfernt liegt. Uns erwartet dort Regen und wir lernen von den Einheimischen, dass der Ort mehr Regentage als London bietet. Aber die Sonne setzt sich durch und wir können endlich das Frischzellen-Projekt in Augenschein nehmen.
Der Vectrix VX-1 war zu Beginn des Jahrtausends der angesagteste E-Roller im Premiumsegment und überzeugte mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h, innovativer Ausstattung und hohem Komfort. Nachteil war die geringe Reichweite von 80 Kilometern.
Jetzt steht hier ein VX-1, dessen Display stattliche 311 Kilometer Reichweite verspricht. OFT-Chef Uwe schlägt deshalb auch einen Ausflug zum Geburtsort von Nikola Tesla (Anmerk. d. Red.: Nein, nicht der Erfinder des E-Autos. Aber ein genialer Erfinder, Physiker und Elektroingenieur. 1856–1943, schaut mal auf Wikipedia), ins kroatische Dorf Smiljna vor. „Die kürzeste Strecke sind 156 Kilometer. Das schafft der Roller hin und zurück.“ Aber wir werden im Zwei-Personen-Betrieb reisen. Und möchten möglichst viel Adria sehen. Also wird die Insel Krk zum Ziel auserkoren.
Doch zuvor ein kurzer Abstecher zur Rennstrecke. Auf dem Weg dorthin überzeugt der Roller bereits mit seinem Display, in welches uns Elektronik-Spezialist Dennis kurz eingewiesen hatte. Obwohl die gefahrene Variante je nach Fahrsituation die Reichweite in Echtzeit berechnet, war uns klar, dass diese Akkus für eine lange Tagestour ausreichen. Vielleicht sogar bis zum Elektro-Auto Vorzeigebetrieb Rimac Automobili, wo vor den Toren Zagrebs unter anderem am nächsten Bugatti gearbeitet wird.
Über eine kurze Schleife im Landesinneren erreichen wird den Ort Bakar, mit der gleichnamigen Bucht und werden von einem großartigen Panoramablick verwöhnt. Aus einer Höhe von 300 Metern geht es nun hinab zum Meeresspiegel. Auf den sanft geschwungenen Küstenstraßen spielt der Vectrix seine Vorzüge aus und begeistert mit reichlich Power. Auch nach einigen Beschleunigungs-
Orgien auf der trockenen Straße, verspricht das Display immer noch 300 Kilometer Reichweite. Fast das vierfache der üblichen Vectrix Anzeige. Wobei der größte Teil der fast 3000 verkauften Roller zwischenzeitlich verstauben dürfte.
Wenig später befahren wir die Brücke zur Insel Krk – ein originaler Vectrix VX-1 wäre hier mit leerem Akku ausgerollt. Doch mit der OFT-Variante kommt jetzt erst richtig Freude auf.
Am Flughafen vorbei beschließen wir zunächst den Badeort Njivice zu erkunden. Überall bereitet man sich auf die kommende Saison vor: Straßen sind gesperrt, Anstriche werden gemacht und Renovierungen durchgeführt. Doch Restaurants und Cafés sind noch geschlossen. Umso besser schmeckt dann nach langer Suche der Cappuccino in einem Supermarkt in Malinska. Diese Bars mit leckerem Kaffee sind in der Vorsaison Pflicht-Anlaufstellen.
An der Uferpromenade macht der Vectrix auch zwanzig Jahre nach seiner ersten Präsentation noch eine gute Figur und die wenigen Spaziergänger finden das lautlose Gefährt sympathisch.
Nikola Tesla – Mate Rimac – OFT? Sicherlich eine gewagte Reihenfolge. Doch die sympathischen Jungunternehmer von OFT haben sicherlich ein interessantes Produkt entwickelt. Mit einem frischen Akku aus einem Premiumprodukt wird aus einem wertigen, aber angestaubten Fahrzeug ein echtes Highend-Gerät. Ähnlich lagen damals die Beweggründe von Mate Rimac, als er den zerstörten Verbrennungsmotor seines Rallyeautos durch E-Motoren ersetzte und heute Pikes Peak-Gewinner, anerkannter Sportwagenhersteller und Partner der gesamten Automobilindustrie ist.
Doch zurück zum Insel-Hopping mit dem Vectrix. Als wir den kleinen Hafenort erreichen, der der Insel den Namen gegeben hat, haben wir bereits die doppelte Reichweite des Serien-VX-1 hinter uns. Doch umkehren werden wir erst nachdem wir uns auch die romantische Bucht von Baska angeschaut haben.
Mit den letzten Sonnenstrahlen machen wir uns auf den Rückweg, ohne nach einer Lademöglichkeit Ausschau zu halten. Für mich die überzeugendste Erfahrung auf dieser ausgedehnten Probefahrt: zu keinem Zeitpunkt machte ich mir Sorgen um die Reichweite!
Mehr Sorgen machten wir uns über die dunklen Wolken, die uns aus Richtung Süden verfolgten. Gewitter mit Starkregen und Hagel sind in der Region keine Seltenheit und werden von den Bergen im Norden der Adria festgehalten. Also zügig mit Topspeed wieder in Richtung Čavle.
Auf der Schnellstraße marschiert der Roller fahrstabil mit 120 km/h. Später erklärt Dennis uns, was alles nach Kundenwunsch modifiziert werden kann. Aktuell komme ich aber in meinen Kalkulationsmodus: noch weiter mit Höchstgeschwindigkeit, reicht es nicht ins Ziel. Dazu verpasse ich auch noch die Ausfahrt und irre durch die Randbezirke von Rijeka. Doch bei touristischer Fahrweise steigt die Reichweite wieder in den grünen Bereich und wir erreichen trocken und nach einer herrlichen Tagestour von 242 Kilometern den Ausgangsort. Der Vectrix zeigt nun eine Reichweite von 68 Kilometern an und ich werfe Uwe den Satz „Hätten Zweitausend Meter zum Tesla-Museum gefehlt“ zu. Doch Dennis analysiert sofort die Daten der Fahrt und Uwe widerspricht meiner Prognose in klarem Odenwäldlerisch: „312 Kilomter bis Smilja und zurück. Deess passt schooh!“
Der Fahrversuch folgt in diesem Sommer. Und hätte ich einen Vectrix mit defektem Original-Akku …
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Info: Ein Vectrix Umbau mit den Akkus von OFT schlägt mit ca. 7500 € zu Buche. Sicher kein Sonderangebot. Doch wenn man einen wertlosen, weil defekten Vectrix dadurch in eine andere Fahrzeugliga katapultiert und die enorme Nachhaltigkeit betrachtet, sicher das Vernünftigste überhaupt. Wer keinen Vectrix in der Garage hat, kann bei OFT auch ein Vectrix Neufahrzeug mit dem Frischzellen-Tuning bestellen.
Die Firma OFT hat übrigens die Namensrechte an Maico. Es dürfte also spannend werden, was die kreativen Schwaben unter dem Namen des ebenfalls aus dem Schwabenland stammenden ehem. Motoradherstellers noch an innovativen Elektro-Produkten auf den Markt bringen.
Mehr Infos gibt es online unter www.oft-gmbh.com, telefonisch unter 06253-9475736 bzw. vor Ort in der Inselstraße 24a, 64658 Fürth.
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