aus bma 01/05 von Jan Burke

Zabriskie PointWegen des knappen Urlaubs dauerte es eine ganze Weile, bis ich das nächste Mal losreiten konnte. Zu Thanksgiving 2001 (traditionelles Erntedank- und Familienfest Ende November) ging es ins Tal des Todes. Diesmal war ich alter Wüstenfuchs mit Daunenschlafsack, Kocher, Stirnlampe und einer vernünftigen Isomatte ausgerüstet; nur das Zelt war noch das alte. Außerdem hatte ich auf einem Flohmarkt Honda-Packtaschen bekommen (auch 20 Jahre alt), mit denen ich das Heck noch schwerer beladen wollte, da ich die Federung zu straff fand. Es war schlechtes Wetter angesagt, das nimmt man nach einem Jahr in Kalifornien zwar nicht mehr wirklich ernst, aber trotzdem packte ich alles regendicht ein und nahm auch Regensachen und lange Unterhosen mit.
Diesmal mußte ich mich durch einiges Autobahngestrüpp wühlen, und auch durch viel Verkehr, denn es war ja Familienfest und alle fuhren auf Besuch irgendwohin. Ich kam unterwegs an einigen Wegweisern „Historic Route 66” vorbei, doch ich wollte ja gar nicht nach Arizona. Als ich in den San Bernardino Mountains an Höhe gewann, wurde es merklich kühler, an den umliegenden Berggipfeln hingen auch ab und zu ein paar Wolken – dann kam der Cajon-Paß, Höhe fast 1300 Meter, an der Straße erschienen einige Joshua Trees, und ich war auf der Mojave-Hochebene, konnte endlich von der Autobahn runter auf die Bundesstraße 395 und mußte erstmal tanken, Nase putzen und den zweiten Pulli anziehen.

Die 395 war dann wahrhaft endlos, 100 oder noch mehr Kilometer geradeaus. Städte an der Straße gab es keine mehr, auch keine Dörfer, nur hier und da eine Tankstelle und ein Knast. Mir wurde die Fahrt allerdings trotzdem nicht langweilig, denn der Seitenwind war ziemlich heftig und ich hatte ein bißchen zu tun, die Kiste auf der Straße zu halten. Endlich bog ich bei Red Mountain auf die nagelneu asphaltierte Zufahrtsstraße zum Tal des Todes ab – und da wurde es dann schön. Der Wind kam von hinten, die Sonne auch, und ich bekam wunderschöne Aussichten auf die im Abendrot glühenden Gipfel präsentiert. Nach der stumpfsinnigen Fahrerei war ich jetzt endlich überzeugt, mit dem Losfahren das Richtige getan zu haben. Mit einem Mal war die Straße auch wie leergefegt, und ich mußte mich beeilen, denn mal wieder war ich spät dran. Es lag nur noch ein Ort auf dem Weg, Trona, ein Salzbergwerk mit Arbeitersiedlung. Dort mußte ich dann sicherheitshalber nochmal tanken, für etwa den eineinhalbfachen Preis wie an der Küste – bei $1.80 pro Gallone (entspricht 3.8 Liter) aber noch immer kein Grund zum Meckern. Ich hatte noch etwa 80 km vor mir bis zu einem Mini-Zeltplatz am Rand des Death Valley National Park, und die Dunkelheit kam zügig. Inzwischen waren im ganzen Tal keine menschlichen Ansiedlungen mehr zu sehen, auch keine Lichter in der Ferne, und ich kam mir fast so klein und verloren vor wie die ersten Siedler – die allerdings hatten noch nicht mal eine Straße. Die Straße, die es inzwischen gab, wurde aber immer schlechter, und ich immer langsamer. Endlich kam ich an eine Einmündung mit Wegweisern, die mir rein gar nichts sagten. Doch, wie trostreich, zu meiner Rechten sah ich Lichter und hörte menschliche Stimmen – das mußte wohl der Zeltplatz sein. Die Erleichterung, endlich angekommen statt verlorengegangen zu sein, ging ziemlich tief. Im Dunkeln das Zelt aufzubauen war mit der Stirnlampe dann auch ein Kinderspiel. Beim Abendessen war es mal wieder ziemlich kalt und ich freute mich auf den Daunenschlafsack.
Anderntags stellte ich dann fest, daß ich auf einem recht hübschen Zeltplatz in einem tiefen Tal gelandet war; und es gab sogar Alu-Sitzgarnituren und einen Wasserhahn. Und alles das umsonst? Nein; ich nahm mir vor, diesmal freiwillig 10$ Eintritt zu bezahlen.
Alpenglühen über den Lava MountainsDer Platz war ziemlich verlassen, denn es war schon später Vormittag; die Sonne schien eine Weile und es wurde warm genug, daß ich den Pulli ausziehen konnte; ein Kojote kam aus den Hügeln runter und sah sich bei den Mülltonnen ein bißchen um: Ausflugszeit – auch für mich. Erstmal mußte ich mir die Schotterpiste vom Vorabend nochmal bei Tageslicht ansehen: sie führte durch einen Canyon, in dem doch tatsächlich ein Rinnsal floß, das Bäume unterhalten konnte. Ich fuhr einen Teil des Weges zurück, um mir die „Scenic Route” auf dem Highway 190 anzusehen und auf der Hauptroute ins eigentliche Tal zu fahren. Als ich vom „Towne Pass” herunterkam, stand ein Motorradgespann am Straßenrand – seltsam, dachte ich, wer fährt denn hier Gespann? Und der Typ, der gerade über die Straße ging und freundlich winkte, sah ganz wie ein deutscher Biker aus: zweckmäßig gekleidet und etwas schmuddelig. Die letzten acht Meilen rollte ich mit stehendem Motor zu Tal (mit immerhin noch 50-70 km/h); dabei überholte mich dann wieder das Gespann, und siehe da, es hatte ein deutsches Kennzeichen. Ich sag ja, man erkennt sie meilenweit! Na, dachte ich, schon ganz gespannt (sozusagen), bei der Tankstelle in Stovepipe Wells sehen wir uns wieder. Im Tal angekommen, mußte ich mal wieder staunen, wo die Kreosotbüsche zu fast allen Jahreszeiten das Grün hernehmen.
An der Tankstelle standen dann in der Tat die deutschen Biker rum, ein Paar mit Hund. Ich ließ mir erstmal ausführlich das Gespann zeigen: Original Ural, 26 PS, nicht umgerüstet, von Südfrankreich bis Wladiwostok gefahren, dann übergesetzt nach Seattle und seitdem in der Sonne unterwegs, denn die beiden waren schon seit Monaten in der Klimazone „Herbst” unterwegs gewesen; langsam reichte es ihnen, und die Nachmittagssonne machte sie sichtbar glücklich. Ich aber fuhr weiter zum sagenumwobenen Zabriskie Point (benannt nach einem Minenbesitzer, der Zeit seines Lebens das Tal hatte zerbuddeln lassen – Gold fand man keins, dafür Borax und Eisenerz). Langsam ging mir das Reisen im Winter ein bißchen auf die Nerven, weil man mit dem Tageslicht immer so geizen muß – doch ich schaffte es tatsächlich vor Sonnenuntergang bis zur Sehenswürdigkeit.
Die Entfernungen im Death Valley sind aber ganz andere als im Joshua Tree Park und wenn man alles sehen will, muß man ganz schön viel fahren. Den Rückweg (immerhin 80 km) mußte ich denn auch antreten, bevor es zu kalt werden würde – und da traf ich wieder die beiden Deutschen, die noch immer keinen Platz zum Zelten gefunden hatten. Wir fuhren also zusammen zu „meinem” Zeltplatz, über ein Hochplateau wieder an den Rand des Nationalparks – womit sich für mich die Tagesrundfahrt komplettierte. In der Höhe war’s natürlich wieder ganz schön kalt, aber weder beschlugen unsere Visiere, noch gab es beim Ausatmen ein Wölkchen: Wüstenluft ist Wüstenluft, auch im Winter, und Handtücher trocknen auch nachts. Das gemeinsame Feuermachen, Abendessen und Biertrinken war dann sehr nett – aber das Beste war, nach der ganzen Zeit mal wieder stundenlang deutsch zu reden.
Death ValleyDer nächste Tag wurde sehr denkwürdig. Schon morgens war der Himmel bedeckt und statt Pulli ausziehen war Jacke anziehen angebracht. Im Lauf des Morgens wurde es immer windiger; irgendwann wehte es mir fast das Zelt weg – und zwar während ich drin saß. Also mußte ich doch die Heringe auspacken und versuchen, sie in den harten Wüstenboden zu treiben. Dann noch mit je zwei fetten Steinen beschweren und das Beste hoffen – andere waren nicht so stur, packten ihre Zelte zusammen, so gut es ging, und reisten ab. Am späten Vormittag waren fast nur noch wir Deutschen übrig, trotz 0,8ºC in der Nacht – aber wir waren ja, weil von Natur aus mißtrauisch, auch am besten ausgerüstet. Eine derartige Provokation (drei Deutsche auf einem Haufen) bleibt selbst im Tal des Todes nicht ohne Folgen: es fing an zu regnen. Diese Gegend der Erde bekommt 50 mm Niederschlag im Jahr – und wir kriegten ein Viertel davon ab! Doch der Geruch des benetzten Bodens, der seit Monaten (manchmal auch Jahren) kein Wasser gesehen hat, wird sicherlich den wenigsten Death Valley-Touristen zuteil. Natürlich war mein Zelt nicht ganz wasserdicht und ich mußte regelmäßig aufwischen. Mit Ausfahrten war’s also nichts; aber den ganzen Tag im Zelt zu hocken, schien ja auch ein bißchen öde. Als nach zwei Stunden der Regen aufhörte und das Zelt den Windstößen unverändert standhielt, machte ich mich mal auf den Weg in die umliegenden Hügel. Während des langen Anstiegs wurde mir endlich ein bißchen warm, und ich hatte einen schönen Ausblick auf die inzwischen schneebedeckten Gipfel in der Ferne, und auf das Wüstengestrüpp, das nur auf den ersten Blick karg aussieht und bei näherem Hinsehen einen ziemliche Farbenpracht offenbart.
Fast war ich froh, nicht per Kfz die „Sights” abzuklappern, sondern stattdessen zu Fuß ein bißchen Wildnis zu erkunden, obwohl man sich dabei immer so klein und verloren vorkommt. Doch warum nicht, denn das, und nicht die Wall Street, ist die Wirklichkeit. Am Nachmittag kriegte ich aber doch noch Lust, aufs Moped zu steigen und mal der kurzen Stichstraße zu folgen und ich hoffte, dort vielleicht ein bißchen Schnee zu sehen. Wie ich an Höhe gewann, wurde es auch zusehends grüner: erst Büsche, dann niedrige, knorrige Bäume, die sogenannten Grannenkiefern (Bristlecone Pines). Das (und nicht die Mammutbäume) sind die ältesten Lebe- wesen überhaupt: sie werden über 4000 Jahre alt, wenn man sie läßt. Man kann nur froh sein, daß es mit den Bodenschätzen in der Gegend nicht weit her ist, sonst wären diese ausdauernden Lebewesen um 1870 komplett zum Erzschmelzen verheizt worden. Die Stümpfe der unglücklichen Opfer stehen noch immer, denn in dem Klima verrotten sie ja nicht.
Ich mußte mich aber eiligst auf den Rückweg machen, denn der Regen hatte der Schotterpiste ganz schön zugesetzt und die Strecke wollte ich nicht im Dunkeln fahren. Und am Ende war das Moped nicht von Wüstenstaub, sondern von Schlamm bedeckt. Wer hätte das gedacht.
Inzwischen waren die restlichen Abenteurer von ihren Tagestouren wiedergekommen, hatten die durchnäßten Überreste ihrer Zelte in die Autos geworfen und waren nach Hause gefahren. Also hatten wir Winterharten plötzlich jede Menge Trink- wasser und Feuerholz, denn die anderen hatten uns ihre Restbestände gebracht. Teilweise hatten wir uns die Sachen auch ehrlich verdient, denn wir hatten tagsüber immer wieder Zelte den Abhang hochgezogen und notdürftig wieder aufgestellt, oder wenigstens so wasserdicht wie möglich hingelegt und mit Steinen beschwert.
Zeltplatz im Death ValleyIn der Nacht waren’s dann -3ºC; aber meine neuen Bekannten hatten nicht nur ein Thermometer, sondern auch ein GPS (Global Positioning System)-Gerät mit und konnten sogar unsere Höhe über NN bestimmen. Dazu braucht’s drei Satellitensignale, aber es funktionierte und das Resultat schien glaubwürdig: 1048 m. Jaja, die Deutschen und ihre Ausrüstung!
Doch auch das schönste Schietwetter endet mal, und am nächsten Tag mußte ich dann auch schon packen, wirklich schade, es hätte noch vieles zu sehen gegeben.
Auf dem Heimweg wollte ich das Tal noch einmal ganz der Länge nach südwärts durchfahren, und die Strecke würde insgesamt erheblich länger werden als der Hinweg, mal wieder nicht bei Tageslicht zu schaffen. Doch was soll’s, Autobahn kann man ja ruhig im Dunkeln fahren, langweilig ist es sowieso. Wieder ging es über den „Emigrant Pass” runter ins Tal, und ich kam endlich am Visitor Center vorbei und bezahlte meinen freiwilligen Eintritt. Es gab mal wieder viel zu lesen und zu gucken – man spürt, daß die Ranger, die sich um die Parks kümmern, mit dem Herzen bei der Sache sind. Sehr interessant: auch hier sprengt Wasser den Fels, aber nicht durch Frostbruch, sondern durch Salzkristallisation. Und die Fernsicht ist deshalb so großartig, weil die Luftfeuchtigkeit bis unter 1% sinken kann. Dank der spärlich bewachsenen Hänge sind die Farben der verschiedenen Gesteine sehr gut zu sehen. Das ganze Tal ist vermutlich die größte Mineralienausstellung der Welt. Am tiefsten Punkt (85 m unter dem Meeresspiegel) steht sogar etwas Wasser, ob sich das über den Sommer hält, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Am frühen Nachmittag, die Sonne war schon ordentlich am sinken, war ich dann über den letzten Paß und aus dem Tal raus, die Grenze zu Nevada war gar nicht weit, doch ich mußte ja in die andere Richtung und hatte noch etliche 100 km vor mir. Was nun folgte, war: Gas geben und warten, daß man ankommt. Eine weitere Stunde brummte ich gedankenverloren durch nichts als Landschaft und dachte bei mir, das ist eigentlich fast genau so schön wie die Nationalparks. Irgendwann war ich so voll mit Eindrücken, daß ich dachte, jetzt kann es eigentlich langsam mal dunkel werden. Bei Baker kam ich dann auf die Interstate 15 und das war ein Schock! Plötzlich, mitten aus dem Nichts, eine riesige Kreuzung, Verkehr von allen Seiten, und Müll überall! Und eine sechsspurige Autobahn unter der Brücke, voll mit Autos, so weit das Auge reicht! Es wurde gerade dunkel und es war kalt, und es waren noch fast 300 km zu fahren! Das war ohne Frage die kälteste Dusche meines Lebens. Leider hatte ich nicht daran gedacht, daß die I-15 Los Angeles und Las Vegas verbindet und am letzten Abend eines Reisewochenendes natürlich voll ausgelastet ist. Und so ging es die ersten zwei Stunden mit ca. 15 km/h voran. Der Verkehr blieb die ganze Zeit ziemlich dicht, um 22 Uhr war ich endlich, trotz langer Unterhose vollkommen durchgefroren, zu Hause angekommen, es folgte die heißeste Dusche meines Lebens und die Tour war nach insgesamt 1200 km zu Ende.
Das war in der Tat meine letzte Tour durch Kalifornien gewesen – Seit Mai bin ich in Sydney und nehme die Umgebung auf einer XS 750 unter die Räder – doch davon ein anderes mal.