aus Kradblatt 10/14
von Budelmann

 

Ural M72 Restauration – vom Schatten ins Licht

Ural Gespann BasisUral M72, Baujahr 1960 stand unter anderem auf dem Typenschild, als ich die Maschine das erste Mal sichtete.
Zwischen ungemähtem Gras und mannshohen Brennnesseln stand ein Motorradgespann, bullig wie ein Pfingstochse, der zehn lange Jahre im Stall stand, nicht bewegt wurde und sich in einem dementsprechenden, erbärmlichen Zustand befand.

Reif fürs Schlachthaus, oder war er es wert, ihn wieder aufzupäppeln?
Kaum in Rente und damit „Zeitmillionär“ (ebenso wie Wolfgang, siehe: www.seitenwagen-antrieb.de) hatte ich mir vorgenommen, ein altes Motorrad zu restaurieren und sah in dem „alten Russen“ die Chance, mein Vorhaben zu realisieren. Ich überlegte nicht lange: Diesem Eisen gehört neues Leben eingehaucht.
Alle geschäftlichen Details wurden mit dem Vorbesitzer schnell verhandelt, der Kaufvertrag unterschrieben, und ab ging es mit der alten Mühle nach Hause.

Ural-Gespann-BasisSollte der eine oder andere von euch etwas Ähnliches planen, hier ein Tipp von mir: Wenn ihr bis jetzt wenig oder keinen Kontakt zu euren Nachbarn hattet, diesen aber sucht, kauft euch ein solches Teil, bringt es nach Hause und holt es vom Trailer, wenn alle Feierabend haben. Ihr glaubt gar nicht, wer alles bei euch in der Straße wohnt, und wer auf einmal mit euch schnacken will. Wie viele Fachleute es gibt, die sofort wissen, um welches Modell es sich handelt. Ich habe eine Ural gekauft, auf den Trailer geladen und nach Meinung vieler „Fachleute“ eine BMW abgeladen“.
Zur Ehrenrettung der „Kenner“: Sie ist der BMW R71 sehr ähnlich. Das liegt u.a. daran, dass bedingt durch den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 und des damit verbundenem Technologie-Transfers, bereits 1941, in der damaligen Sowjetunion, die ersten URAL M72 nach den Konstruktionsplänen der BMW R71 fast detailgetreu gefertigt (bzw. kopiert) wurden. Darüber hinaus sind die luftgekühlten 2-Zylinder Boxermotoren so charakteristisch, dass sie meistens automatisch mit BMW in Verbindung gebracht werden. Also wird mein „General“ auch in Zukunft wohl mit einer BMW verwechselt werden.

Ural Gespann in TeilenBei meinen Überlegungen, einen Oldtimer zu restaurieren, stand nicht nur das finanzielle Engagement im Vordergrund, sondern auch, ob ich als Laie lernen könne, die Technik der Maschine zu verstehen, ohne ständig Experten fragen zu müssen, wie was funktioniert oder wie ich was hinbekomme. Aber ganz ohne Unterstützung von Experten ging es dennoch nicht und ich bewundere immer noch die Leute, deren Fachwissen mich manchmal stark in Erstaunen versetzte und die über die Gabe verfügten, mir Laien alles verständlich zu erklären. Jetzt, nach erfolgreicher Wiederherstellung des Motorrades, kann ich sagen, mit der URAL – auf Grund ihrer relativ einfachen Technik – das optimale Objekt gefunden zu haben.
Das Herz der Maschine, der Motor, ist so einfach aufgebaut, dass auch ein Nichtfachmann, wie ich, sich da rein denken kann. Solide Technik, die dem damaligen Standard entsprach und den Ansprüchen seiner Besitzer sicherlich gerecht wurde.

22 PS aus 750 ccm Hubraum bei max. 4800 U/min mögen uns heute lächerlich erscheinen, in früheren Zeiten und besonders im Einsatz als Militärgespann im Gelände wahrscheinlich jedoch völlig ausreichend. Was zählte, war die Zuverlässigkeit der Technik und besonders die der Motoren. Genial einfach und mit relativ wenigen Verschleißteilen versehen haben die BMW-Ingenieure die Ventilsteuerung des Motors.

Der Motor der M72 (vielleicht sollte ich schreiben der BMW R71) ist konstruiert worden als so genannter Seitenventilmotor (sv-Motor). Beim Seitenventiler sind die Ventile direkt im Zylinder angeordnet. Eine einfache Konstruktion, deren Vorteil darin liegt, dass die Ventile von nur wenigen beweglichen Teilen, wie Nockenwelle und Stößel gesteuert werden.

Ural Gespann BasisStößelstangen und Kipphebel werden nicht benötigt. Das macht die Sache, auch bei Reparaturen, natürlich kostengünstiger und alles was nicht eingebaut ist, kann auch nicht kaputt gehen.
Dementsprechend wird der Verbrennungsraum nach oben auch nicht von einem üblichen Zylinderkopf abgeschlossen, sondern durch einen Zylinderdeckel.

Mehr ist das Teil auch nicht. Ein Deckel, der sich, ohne das Ventilspiel zu verstellen, abnehmen lässt und damit ohne großen Aufwand einen Blick auf die Laufbuchsen und den Kolbenboden gewährt. Immer gut für eine schnelle erste Diagnose beim Triebwerkausfall.

Ich habe dem „General“ vier neue „Herzklappen“ sprich Ventile gegönnt. Der eigentliche Austausch ist für einen technisch halbwegs begabten Schrauber echt einfach und schnell gemacht. Das „Drumherum“ wie Einschleifen der neuen Ventile, die Dichtheitsprobe und einige andere Dinge habe ich mir angelesen oder erfragt und auch ohne weiteres erledigt. Alles in allem eine Reparaturmaßnahme, die auch der Laie ausführen kann. Lediglich mit dem Einstellen der Ventile sollte man sich ausführlich beschäftigen (Handbuch) und hier größte Sorgfalt walten lassen. Ventilspiel lieber einmal mehr als einmal zu wenig prüfen oder, sollten Zweifel aufkommen, vom Profi machen lassen.
Die vier Gänge der M72 lassen sich über die Fußwippe oder über einen Handschalthebel, der an der rechten Seite des Getriebes angebracht ist, schalten. Wie ich festgestellt habe und wie es auch im „Pass für ein Motorrad mit Beiwagen“ auf deutsch „Betriebsanleitung“ beschrieben wird, benutzt man den Handschalthebel in erster Linie zur schnellen Leerlaufeinstellung. Ein weiterer Vorteil des Handschalthebels liegt darin, dass bei einem blockierten Fußschalthebel z.B. bei Geländefahrten durch Aufsetzen auf einen Baumstumpf oder andere Hindernisse, die Gänge immer nochüber eben diesen Hebel geschaltet werden können.

Ural-Gespann-BootDas Problem beim „General“ liegt darin, dass er nur über diese vier Gänge verfügt. Gibt es doch M72, deren Getriebe über einen weiteren Gang, einen Rückwärtsgang verfügen. Wer schon einmal eine Beiwagenmaschine mit einem Gewicht von ca. 350 kg von Hand rangieren musste, weil irgendein Depp dich wieder zugeparkt hat, oder du im Gelände fest steckst und ackern musst um frei zu kommen, der weiß einen Rückwärtsgang zu schätzen. Bei nächster Gelegenheit werde ich mir ein Getriebe mit Rückwärtsgang einbauen. Die Vorteile, die ein solcher Schaltkasten bietet, lassen die Preise für ein solches gebrauchtes Getriebe mit ca. 150 bis 200 Euro in einem vernünftigen Rahmen erscheinen.

Seine „geballten“ 22 Pferdestärken überträgt der Motor über das Getriebe mit Hilfe einer Kardanwelle auf das Hinterrad und lässt mein Gespann 80 km/h schnell werden. Bereits in das erste Motorrad von BMW, die BMW R32 wurde diese Art der Kraftübertragung auf das Hinterrad eingebaut und war für BMW lange Zeit eine typische Bauweise, die bis heute, neben anderen, fortgeführt wird.

Ich möchte mich jetzt hier nicht über die Vor- bzw. Nachteile eines Kardanantriebes gegenüber eines Ketten- oder sogar Zahnriemenantriebes auslassen. Nur scheint mir für ein Fahrzeug, das auch geländetauglich sein soll, dieser Antrieb sinnvoll zu sein, erfordert er doch weitaus weniger Wartung als die anderen Systeme. (Siehe auch Kradblatt, Ausgabe 1/14).

Ural-Gespann-MotorGebremst wird das Motorrad, wie auch heute noch üblich, sowohl über die Hand- (Vorderrad) als auch über die Fußbremse (Hinterrad) mit so genannten Backenbremsen. Es sind Aluminiumbacken mit auf ihnen befestigten, auswechselbaren Bremsbelägen. Diese Art von Bremse wurde lange Zeit, bis zur Entwicklung der Scheibenbremse, auch in diversen PKW verbaut. Also alles bestens, dachte ich. Bis zur ersten Probefahrt. Das Bremsverhalten der Maschine war, trotz sorgfältiger Einstellung, alles andere als befriedigend. Gut, dachte ich, ist wohl gewöhnungsbedürftig, musst deine Fahrweise eben darauf einstellen. Falsch gedacht: Klappte nur bis zur Vorführung beim TÜV. Bei der Vollabnahme stellte der Prüfer natürlich die unzureichende Bremswirkung fest. Trotz intensiver Versicherung meinerseits, die Bremsanlage überholt und sorgfältig eingestellt zu haben, energisches Kopfschütteln: „So nicht“! Also keine Plakette. Zu meiner Überraschung ließ er mich aber noch die ca. 20 km nach Hause fahren.
Also wieder einmal recherchieren, woran es liegen könnte. Und siehe da, in einem Katalog fand ich Bremsbacken mit einer Breite von 25 mm und 35 mm. Die vom Vorbesitzer der Maschine eingebauten Backen hatten eine Breite von 25 mm, waren demnach also zu gering dimensioniert. Ich besorgte mir die 35 mm Dinger, baute sie ein und eine deutliche Verbesserung der Bremswirkung sagte mir, alles ist gut. Der „General“ ging später ohne Mängel durch den TÜV.

Ural M72 GespannWenn euch mal ein Motorrad mit Funzelbeleuchtung entgegenkommt, kann es eigentlich nur eine Maschine mit 6V-Technik sein. Soviel hat nämlich auch die M72. Nach der ersten Nachtfahrt habe ich immer nur gedacht: Hauptsache gesehen werden! Darüber hinaus leistet die Originallichtmaschine auch nur bescheidene 45 Watt. Wenn man alle Verbraucher zusammenrechnet, bleibt relativ wenig für das Laden der Batterie übrig. Die Erfahrung musste ich machen, als ich aufgrund zu hoher Verbraucher mit einer leer gelutschten Batterie stehen blieb. Durch Einbau einer stärkeren Lichtmaschine mit 72 Watt und anderen Leuchtmitteln habe ich das Problem aber in den Griff gekriegt.
Was blieb noch nachdem die Motoren- und Antriebstechnik wieder hergestellt war? Das „Schönmachen“.
Die Maschine und der Seitenwagen waren irgendwann einmal in einem matten Beige lackiert worden. Wahrscheinlich in Anlehnung an ehemalige Maschinen der Wehrmacht. Ich wollte aber keinen Military-Look, so dass ich nach Beratung mit meinem Lackierer zu dem Entschluss gekommen bin, die Maschine wieder Beige zu lackieren, mit einem 2K-Lack, aber in Hochglanz mit schwarzen Anbauteilen. Ein Haufen Arbeit für den Lackierer, nicht ganz billig, aber ich glaube, es hat sich gelohnt.

Ural M72 GespannSo Freunde, das Fazit: Ich konnte hier natürlich aus Platzgründen (der Redakteur wird es schon richten) nur einen kleinen Ausriss der Restauration wiedergeben, auf meiner Homepage erfahrt ihr mehr.
Hat sich all das Negative gelohnt – die schlaflosen Nächte, wenn ich grübelte, wie welches Problem zu beseitigen sei, der Streit mit der Ehefrau, wenn der „Alte“ mal wieder eine scheiß Laune hatte, weil irgendetwas wieder mal nicht klappte, die nicht unerheblichen Kosten – nur um in einer Saison vielleicht 1000 oder 1500 km auf dem Bock abzureißen? Ich sage uneingeschränkt ja und nochmals ja!

Wenn du nach der Restaurierung das erste Mal vor dem fertigen Bock stehst, die Kumpels um dich herum, den Kickstarter trittst, und das Teil springt nach dem 3. oder 4. Startversuch an, dann weißt du, was du geleistet hast. Das Feeling, die Gänsehaut, entschädigt dich für alles. Also wer Bock hat, unbedingt nachmachen, muss ja nicht eine URAL sein. Schaut doch mal online bei mir vorbei: www.uralbändiger.de und passt gut auf euch auf,