aus bma 08/02

von Thomas Bösch

Ural Gespann Als sich Familiennachwuchs eingestellt hatte, lag der Gedanke an ein Gespann nahe: Da konnte ich mit meinem Sohn und meiner Frau meinem Hobby nachgehen und brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mal stundenlang unterwegs war. Soweit die theoretische Überlegung. Im Folgenden wird wieder einmal deutlich, wie weit Theorie und Praxis auseinanderdriften können.
Ein früherer Freund hatte mir auf seinem MZ-Gespann die grundlegenden Geheimnisse des Gespannfahrens erschlossen. Weil er der Meinung gewesen war, ich hätte mich dabei gar nicht so dumm angestellt, war ich euphorisch motiviert, mir auch ein drittes Rad zuzulegen. Die Überlegung war, an meine alte R 65 einen Seitenwagen zu bauen. Als ich dann den einen oder andere Gespannbauer ansprach und auf die Kosten dieses Abenteuers zu sprechen kam, war bald klar, dass ein Umbau nicht in Frage kam. Mindestens 8000 Mark waren zu veranschlagen. Das sprengte dann doch mein Budget. Also begann die Suche nach einem Gebrauchtgespann.

 

Alles, was einen japanischen Kern und eine europäische Erweiterung in Form eines Beiwagens hatte, war – mal abgesehen von zwei SR/Squire-Kombinationen – für mich schlicht unbezahlbar. So lenkte sich der Blick zwangsläufig auf Produkte aus osteuropäischer Fertigung. Jawa war mir ein wenig zu klein, MZ meist zu sehr benutzt, und einen Russen wollte ich mir nicht unbedingt antun. Alles was ich so gelesen und gehört hatte nahm mir eigentlich jeden Mut. Dennoch hatte ich bei LüMi’s Motorradladen Bescheid gegeben, dass ich so ein Dinge suche, und ob man sich mal umhören könne. Als ich dann zwei von diesen urigen Dingern im Grottenzustand besichtigt hatte, war aber klar: keinen Russen! Lieber auf den Beiwagen verzichten!
Irgendwann rief mich dann noch jemand aus Delmenhorst an und fragte, ob ich schon eine Ural hätte oder noch suchen würde. Er hätte eine Tourist mit Beiwagen. Ich fuhr also recht skeptisch nach Delmenhorst, um mir die Ural anzusehen. Übers Internet hatte ich mich im Vorfeld mit Informationen versorgt, um den Super-GAU zu vermeiden. Ich rechnete mit allem, zumal von lackierten Felgen die Rede gewesen war. Das sind meist so genannte „Inlandsmodelle”, die mehr Fehler haben als ein Hund Flöhe. So ein Ding wollte ich bestimmt nicht: Erst einmal zerlegen, alles nacharbeiten und wieder zusammen bauen um dann festzustellen, dass das Ding trotzdem nichts taugt? Nein, danke.
Der Verkäufer war ein recht sympatischer Ü40-Biker mit einer Vorliebe für Gespanne. Er sagte, er fahre schon lange mit drei Rädern und würde sich von der Ural nur trennen, weil er eine R 50 wieder klarmachen würde und Platz bräuchte. Ural GespannIch war auf alles vorbereitet, nur nicht auf das, was mich erwartete: Das Tor ging auf und zum Vorschein kam ein schwarze Ural mit Seitenwagen. Vorne eine Schwinge, statt des zweiten Sattels ein kleiner, aber sehr netter Gepäckträger und alles in einem guten Zustand. Ohne Rost, ohne Beulen, keine Kratzer. Der Lack glänzte in der Sonne. Ein Tritt und die „Wodka-Schleuder” lief. Keine mechanischen Geräusche, die mir den Angstschweiß auf die Stirn trieben. Der Motor lief zwar etwas unrund, aber man sagte mir, das läge an den Originalvergasern, Ikov-Vergaser seien besser, nur eben nicht angebaut. Ein Tritt mit dem Hacken, und das Gespann fuhr rückwärts aus der Garage. Ein Motorrad mit Rückwärtsgang. – ich war begeistert. Meine Angst vor dem Eisenhaufen wich. Nach der Probefahrt war klar: Die nehme ich mit. Für 3000 Mark war die Ural dann auch meine.
Das Startritual musste unbedingt eingehalten werden, da sie sonst für ca. eine halbe Stunde nicht mehr ansprang. Sie soff superschnell ab, aber wenn man das wusste… Strom, Zündung, Luftklappe 3/4 zu, Benzinhahn auf, ein Hauch Gas und dann beherzt den Kickstarter treten. Spätestens beim zweiten Mal sollte es klappen, sonst hieß es, eine halbe Stunde warten (das ist mir aber nie passiert).
Voll konzentriert ging es los. Immer dran denken: Ein Gespann ist kein Motorrad und vereint die negativen Fahreigenschaften von Auto und Motorrad perfekt. Aber es machte wirklich einen Heidenspaß. Linksrum mit Schwung und rechtsrum mit Angstschweiß wegen des aufsteigenden Beiwagenrads. Zugegeben, gerade bei einem Russe muss man ein paar Zugeständnisse machen. Man bekommt einen fabrikneuen Oldtimer mit fragwürdiger Verarbeitung. Runde Räder ohne Höhenschlag sind selten und werden im Werksmuseum ausgestellt. Ergo hatte „Olga” solche Räder nicht. Die Bremsen dienten mehr der Verzögerung im weitesten Sinne. Sie wurde immerhin langsamer, wenn man an der Bremse riss. Eigentlich hat es aber immer gereicht. Ich bin nie irgendwo gegen gefahren. Man muss sich halt von allem trennen, was man bei Motorrädern für normal hält.
Die Ersatzteilversorgung hingegen war überhaupt kein Problem. Ich wurde stets bei Jörg Warnke in Lehnstedt fündig. Er hatte mir mal gesagt: „Die Russen haben keine Hundertstel Millimeter, nur Zehntel.” Von Jörg Warnke hatte ich auch erfahren, dass meine Ural vermutlich trotz lackierter Räder ein frühes Exportmodell war. Das erkannte er an den Schweißnähten. Wenn die wie Schweißnähte aussehen, ist es im Zweifelsfall ein Exportmodell. Wenn nicht, Finger weg. Das soll übrigens für Dnepr generell gelten. Wenn das alles stimmt, was man im Internet so liest (z.B. www.kolbenklemmer.de), dann lieber Ural als Dnepr.
Hier und da Hand anlegen war aber natürlich auch bei meiner Maschine aus Irbit unbedingt nötig. Ab und an fiel mal was ab. Meist fand ich es aber wieder oder irgendwer brachte es hinterher und stoppt einen dann, um a) das Teil zurückzugegeben und b) sich „die alte BMW” anzusehen. Man glaubt wirklich nicht, wie oft ich gehört habe: „So eine BMW hatte mein Onkel (Bruder, Opa oder wer-auch-immer) früher auch mal.” Eins ist sicher: Das Ding erregte mehr Aufsehen als eine neue Harley. Und bei Verdrängung der inneren Sicherheitsprotokolle machte sie echt Spaß. Das war wie eine Zeitreise.
Nun sollte aber ja meine Familie an meinem neuen Spielzeug auch Freude haben. Wir machten also einige Ausflüge gemeinsam, bis meine Frau sagte, sie wolle lieber mit ihrem Roller hinterher fahren, damit sie und unser dreijähriger Sohn mehr Platz hätten. Ich willigte ein, denn das Boot war wirklich nicht riesengroß.
Meinem Sohn gefiel das eine Zeit lang sehr gut. Er saß da angeschnallt im Boot und schlief stets nach etwa 20 Minuten gnadenlos ein. Irgendwann kam er aber auf die Idee, bei seiner Mutter auf dem Roller mitzufahren – und das Schicksal nahm seinen Lauf. Seit diesem Tag ist er nie wieder ins Boot gestiegen! Soziafahren (mit Kindersitz von HG) machte ihm einfach mehr Spaß. Hätte ich das gewusst, hätte ich meine BMW nicht abgegeben. So blieb ich mit „Olga” allein und musste schnell feststellen, Gespann solo zu fahren machte mir keinem Spaß. Also wurde die Ural verkauft. Ich hoffe, der junge Mann, der sie nahm, hat genauso viel Freude mit dem Gespann wie ich ihn hatte. Mich jedenfalls hatte „Olga” auf ca. 5000 Kilometern nie hängen lassen.
Jetzt fahre ich eine Suzuki Marauder, bei der die Bremsen gehen, das Licht immer brennt, die auf Knopfdruck anspringt und mich nicht nach 50 Kilometern zur Pause zwingt, weil ich total kaputt bin. Alles funktioniert tadellos. Daran muss man sich als Russentreiber erst einmal wieder gewöhnen!