aus Kradblatt 4/23 von Günter Stüsser, www.onlinemotor.org

Auf Schmugglerpfaden über die Pyrenäen
vom Mittelmeer zum Atlantik

Start unserer Motorradreise ist das nordöstliche Ende Spaniens. Vor uns liegen mehr als 1200 km eng gewundene Bergstraßen und Pisten. Nahe, teilweise auch die Landesgrenze zu Frankreich überschreitend, bis wir unser Ziel am Atlantik erreichen.

ACT Pyrenees - ACT Pyrenäen Die Bergkette der Pyrenäen ist die natürliche und auch tatsächliche Landesgrenze zwischen Frankreich im Norden und der iberischen Halbinsel. Luftlinie erstreckt sich der Gebirgszug über weniger als 500 km und die Regionen Katalonien, Aragonien, Navarra bis nach San Sebastian im Baskenland. Die höchsten Gipfel reichen bis über 3400 Meter hinauf und bieten auch zahlreiche Wintersportaktivitäten. Viele Blickwinkel auf die Gebirgskette lassen diese sehr schroff und steil erscheinen, weil sie sich unmittelbar aus dem Flachland erhebt.

Start am Cap de Creus
Start am Cap de Creus

Unsere erste Etappe startet im Nationalpark Cap de Creus und erstreckt sich immerfort an den Südhängen der Pyrenäen und am Nationalpark de l’Albera entlang. Überwiegend steigt das Gelände relativ sanft an. Wir folgen recht engen Wegen, die landwirtschaftliche Bereiche miteinander verbinden. 

Asphaltstraße und gewachsener Boden als Feldweg wechseln sich regelmäßig ab. In direkter Umgebung des Stausees, der den Riu d’Arnera reguliert ist die Wegführung noch enger, winkliger und mit zahlreichen Mulden anspruchsvoller, so dass ich über jedes eingesparte Kilo meiner Beta gegenüber einer Reiseenduro froh bin.

Nach ca. 90 km Fahrt, in Maçanet de Cabrenys, erfolgt ein Abzweig als Stichstraße, wobei das Wort Straße nicht ansatzweise zutrifft. Es geht auf teilweise recht derben 15 km Schotterpiste auf mehr als 1400 Höhenmeter bis an die tatsächliche Landesgrenze zu Frankreich. 

Leider ist das einer Einsiedelei ähnliche Restaurant Les Salines geschlossen, dessen Höhe Panoramablicke dies und jenseits der Grenzlinie bietet. Der Standort des Funkmastes am Ende des Weges bietet uns leider nur diesiges, wenig fotogenes Wetter.

Auf der Weiterfahrt nutzen wir die Tankstelle die unsere heutige Etappe von 205 km in etwa halbiert. Unsere Wegführung wird gesäumt von zahlreichen Olivenhainen und Korkeichen, die teilweise auch recht frisch geerntet sind. Etappenziel und Übernachtung ist in der kleinen Gemeinde Setcases.

ACT Pyrenees - ACT Pyrenäen Korkeichen können ab dem 12 bis 15. Lebensjahr alle 8–9 Jahre abgeerntet werden. Dann ist die Korkschicht des Stamms ca. 3–4 cm dick und wird behutsam abgeschält. Korkeichen werden 200 bis 400 Jahre alt.

Setcases liegt in der Provinz Girona am Fluss Ter, der sehr geräuschvoll dem steilen und steinigen Flussbett folgt. Setcases liegt knapp über 1.300 Meter Meereshöhe in der Nähe bekannter Skigebiete. Durch die Verwendung von Natursteinen als Baumaterial strahlt der Ort eine gepflegte Ursprünglichkeit aus. 

Ausblick am Creu de L'Eixol
Ausblick am Creu de L’Eixol

Die Nacht war nebelig und feucht. Bis kurz vor Mittag begleitet uns Nieselregen. Die 2. Etappe durch die Pyrenäen hat heute einige Höhepunkte für uns in petto. Nach knapp 20 km haben wir uns auf eine Höhe von über 2.000 m geschraubt. Teilweise verläuft der Track in engen Serpentinen. Bei diesem Anstieg treffen wir auf zahlreiche Pilzsucher, die saisonbedingt in die Wälder ausströmen. 

In Ermangelung einer Tankstelle unmittelbar auf unseren Streckendaten sind wir in Setcases mit nur halbvollem Tank gestartet und haben noch 100 km bis zur regulären Tankpause vor uns. Zur Überbrückung haben wir jeweils einen kleinen zwei Liter Kanister im Gepäck. Wir sind leider nicht mit der Tankkapazität einer Reiseenduro unterwegs. 

Der schnelle Höhengewinn der Routenführung hat den Vorteil, dass wir dadurch auch schnell oberhalb der Wolkendecke und mit den Sonnenstrahlen auch durchaus auf angenehme Temperaturen von ca. 15 Grad (teilweise auch mehr) stoßen. 

Immer wieder drosseln wir unser Wandertempo auf den Schotterstrecken, um die zahlreichen halb frei weidenden Kuh und Pferdeherden nicht zu erschrecken. Pferd und Kuh machen hierbei einen tiefenentspannten Eindruck und allein die wenigen Monate alten Kälber bocken ein wenig und suchen Körperkontakt zum Muttertier.

Gegen Ende der Etappe werden wir mit dem knackigen Anstieg gefordert. Dieser startet in La Seu d’Urgell auf knapp unter 700 m und endet im Skigebiet oberhalb von Andorra auf über 2.000 m Meereshöhe. Der Hauptanstieg auf einer Strecke von weniger als 20 km ist gespickt mit 2–3 etwas steileren Abschnitten, die zudem mit recht losem Geröll als befahrbarem Untergrund aufwarten. Eine Herausforderung, die es in sich hat und wo es gilt möglichst unterbrechungslos durchzupflügen. 

Die Zollfreizone Andorra La Vella selbst liegt wiederum auf 900–950 m in einem Talkessel und verwöhnt mit den vergleichsweise besten Spritpreisen.

Im Nationalpark d’Aigüestortes
Im Nationalpark d’Aigüestortes

Unser Etappenziel ist für uns geringfügig abseits der geplanten Endurowanderroute, südlich in Oliana. Hier werden wir besonders aufgeschlossen empfangen, weil der Onkel des Betreiberpaares ein Rallye Paris-Dakar Veteran ist, und neben dem ein oder anderen Wettbewerbsbike, den Speisesaal mit unzähligen Trophäen aus seiner sportlichen Karriere geschmückt hat. Der Betreiber, selbst aktiver Beta-Fahrer, hat uns wie selbstverständlich seine eigene Garage für unsere Bikes angeboten.

Die 3. Etappe bietet in absoluten Zahlen die größten Höhenmeter auf ca. 220 km Gesamtlänge. Wir bewegen uns kaum im 3-stelligen Bereich und unser höchster Punkt liegt bei über 2.300 Meter. 

Unser Track führt uns durch den Nationalpark Alt Pirineu. Auch in diesem Nationalpark ist nicht jeder erkennbare Weg frei befahrbar und wir halten uns strickt an diese Vorgaben.

Nach mehreren Passstraßen erreichen wir an einem der zahlreichen Bergseen in Torrassa unsere geplante Tankstelle, wo wir gleichzeitig eine kleine Esspause einlegen können.

ACT Pyrenees - Auf der 4. Etappe
Auf der 4. Etappe

Auch die in unserem gpx-Track enthaltenen asphaltierten Streckenabschnitte lassen mit ihren zahlreichen Kehren und Kurven jedes Bikerherz höherschlagen.

Unser Trail endet in Vilaller. Die geplante Unterkunft liegt sehr ruhig im Vall de Boí unweit des gleichnamigen Stausees. Unser Hotel, dank zahlreicher eigener Wasserquellen auch Kurhaus und Anbieter mehrerer Mineralwassermarken, bietet zudem eine öffentliche Motorradausstellung des privaten Betreibers, der mehrere Dutzend überwiegend in Spanien produzierter Zweiräder in bestem Restaurationszustand ausstellt. 

Eine weitere unbedingte Empfehlung ist ein Besuch des felsigen Nationalparks d’Aigüestortes. Im Ort Boí liegt die zentrale Anlaufstelle, von wo aus wir mit Taxis des Parks gefahren werden und eine einmalige und sehenswerte Naturlandschaft genießen können. Mächtige Wasserfälle stürzen sich über mehrere Stufen und kündigen vom Wasserreichtum der Pyrenäenregion.

Gerade im ersten Drittel der 4. Etappe unseres Weges gegen Westen begleiten uns wieder, wie auch am Vortag, eine Gruppe von Geiern, die aufgrund ihrer enormen Spannweite ohne erkennbaren Flügelschlag ihr Revier patrouillieren.

Mönchs-, Gänse-, Bart- und Schmutzgeier sind die vier Arten der Geierpopulation, die analog zur Felsregion der Cevennen in Südfrankreich vor mehr als 15 Jahren teilweise ausgewildert wurden, und die den Gebirgszug der Pyrenäen zumindest in den Sommermonaten als Lebensraum fest angenommen haben. Die Wintermonate verbringen diese Greifvögel häufig in Nordafrika.

Es wird erkennbar flacher im weiteren Verlauf, die Bewaldung nimmt wieder zu und an den zahlreichen mit Wasser gefüllten Mulden der Streckenführung erkennen wir wieder den Grund, warum die Trails mit deutlich offroad-lastigem Profil angegangen werden sollten. Dies stellt für unsere Betas kein Problem dar, da wir mit den MaxxEnduros entsprechend vorbereitet sind.

Reifenpanne - kann passieren
Reifenpanne – kann passieren

Aber trotz aller Vorbereitung und getreu dem Sprichwort: „Unverhofft kommt oft“ nehme ich an dem 90° Abzweig in Escalona, nach einer sehr schönen, kurvenreichen Asphaltstrecke, ein etwas indifferentes Kurvenverhalten an meinem Vorderreifen wahr. Das zunehmend stärker werdende Abrollgeräusch des Stollenprofils kündigt die Diagnose quasi akustisch an. Glück im Unglück, dass der kontaktierte Bautrupp für die Straßeninstandsetzung vor Ort eine Reifenbude in nur 10 km südlicher Entfernung (Labuerda) kannte. Und Glück, dass ich durch Gewichtsverlagerung auf das Hinterrad, diese 10 km aus eigener Kraft absolvieren konnte. 30 Minuten später konnten wir die Motoren wieder starten und den Track beenden.

Die fünfte und letzte Etappe von Ansó zum Aussichtspunkt Jaizkibel an der Atlantikküste nahe San Sebastian verläuft ab der Hälfte nur noch unterhalb von 1.000 Höhenmeter und flacht zunehmend ab. Ein kurzer Schlenker noch über die „Grüne Grenze“ nach Frankreich. Die Anforderungen an Mensch und Maschine werden geringer und die Vorfreude auf das Etappenziel mit Blick auf den Atlantik steigen. Im Ziel in Jaizkibel hat sich unser Tachostand um über 1200 km erhöht. 

Initiator und Trackscout für unsere Motorradreise ist der Verein „Adventure Country Tracks“ (www.adventurecountrytracks.com). Dieser hat sich zum Ziel gesetzt legal befahrbare Offroad-Strecken für Reiseenduros in Europa zu schaffen und zu erhalten. Der Offroad Anteil dieses ACT Pyrenees beschränkt sich auf gut 50% der Gesamtdistanz von 1.260 km und bezieht sich auf in aller Regel mehr oder weniger geschotterte Wirtschaftswege. Der Track des ACT Pyrenees geht von fünf Fahrtagen für die Gesamtstrecke mit Tagesetappen zwischen 200 und 260 km aus. Diese sind grundsätzlich mit jeder Reiseenduro befahrbar. Insbesondere die Abschnitte ohne festen Asphalt sind im Schwierigkeitsgrad natürlich witterungsabhängig. Ben und ich waren mit kleinen, leichten Enduros unterwegs und haben es uns so aus Gewichtsgründen wesentlich einfacher gestaltet. Tankkapazität und erforderliche Gepäckausrüstung haben wir mit einer leichten Softgepäcklösung von Kriega umsetzen können.

Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Witterungsverhältnisse können die Tracks von Mai bis Oktober befahren werden. In den Höhenlagen kann es früh oder spät im Jahr Einschränkungen durch die Schneelage geben. Rechnet man als reine Fahrzeit für eine 200 km Straßentour mit 3,5 Std. kann der Zeitansatz für jede dieser Etappen hier verdoppelt werden.

ACT - Am Ziel in Jaizkibel
Am Ziel in Jaizkibel

Navigation: Der gpx.Track der Strecke kann von der Webseite des ACT e.V. heruntergeladen werden. Er wird dort regelmäßig aktualisiert. Wir haben die gps.Daten jeweils auf ein Navigationsgerät geladen und entsprechend navigiert. Ich habe hierbei ein seit Jahren gebräuchliches CiPad mit dem Programm LocusMap (Gold), und Ben das neue Garmin Tread genutzt. Vorteil beider Geräte war die Kopplung mit einer Hörgarnitur im Helm. Beide Geräte bieten für Gruppen mit alternativen Routen die Möglichkeit, unterschiedliche Standorte anzuzeigen.

Fahrzeugwahl: Grundsätzlich bedarf es auch bei den Naturwegen keine Spezialausrüstung. Allerdings ist aufgrund zahlreicher Schlüsselstellen das ein oder andere Endurotraining zu empfehlen. Der gpx.Track beinhaltet mehrere Alternativstrecken, um besonders anspruchsvolle Bereiche umfahren zu können. Sicheres Handling beim Bike und der Verzicht auf Übergepäck sollten als Prioritäten ganz oben stehen. Mit unseren Beta, die vollgetankt kaum 120 kg auf die Waage bringen, hatten wir gegenüber den Reiseenduros einen nicht unerheblichen Gewichtsvorteil. Die Wahl auf Beta ist deshalb gefallen, weil Ben als Führerscheinneuling auf die 125er Klasse begrenzt ist und Beta als einer der wenigen Hersteller gleichzeitig die stollenbereifte 125er als auch hubraumgrößere Varianten in der aktuellen Preisliste führt.

Baudenkmäler im Vall de Boí: Das Vall de Boí ist bekannt für neun romanische Kirchen, die mit großem Aufwand in historischem Glanz erhalten bleiben. Diese Kirchen sind entsprechend der Bevölkerungsdichte eher klein aber allesamt mit Natursteinen im romanischen Stil aufgebaut.

Cap de Creus und Cadaqués: Das Cap liegt in einem Naturreservat und darf aktuell nur innerhalb der Woche und nicht am Wochenende befahren werden. Aus Brandschutzgründen sind in den Hochsommermonaten weitere Einschränkungen möglich. Die nächste angrenzende Stadt ist Cadaqués und wer sich mit dieser Stadt ein wenig befasst wird lesen, dass einer der prominentesten Bewohner Salvatore Dali war, der dort einen Teil seiner Werke schuf.

Jaizkibel: Der Endpunkt am Atlantik, dessen höchster Punkt 547 Meter beträgt ist u.a. nicht nur für den ACT Pyrenees sondern auch für Klassiker der Randrundfahrten z. B. Baskenrundfahrt ein nicht unbekannter Anstieg.

Reiseinfos Hotels: