aus bma 04/05

Text & Fotos: Frank Sachau

Harz-Tour Tausend Jahre Harzer Bergbaugeschichte live erleben – mit dem Motorrad unterwegs im nördlichsten Mittelgebirge zwischen Stollen, Fördertürmen und Schächten. Auf unserem Streifzug durch den Ostharz geraten wir in die Fänge der Brockenhexen, besuchen sagenumwobene Plätze und queren dabei häufig die Gleise der Harzer Schmalspurbahnen.
Heute kaum vorstellbar: Gnadenloses Abholzen von Buchen, dringend benötigt für Grubenholz, Fachwerk, Möbel und Papier, führte im zehnten Jahrhundert zu einem gigantischen Kahlschlag. Große Vorkommen an Kupfer, Eisen, Silber und Kohle machten das nur neunzig Kilometer lange und fünfunddreißig Kilometer breite Mittelgebirge rasch zu einem führenden Bergbaurevier in Europa. Die spätere Wiederaufforstung mit schnellwachsenden Fichten prägte das moderne Gesicht des Harzes.
Unsere Maschine erreicht langsam Betriebstemperatur, als wir in Herzberg ins dunkle Siebertal eintauchen. Die Waldstrecke hinauf zur Bergwerkstadt St. Andreasberg bietet Frühsport pur. In der Grube Samson finden wir Europas einzige noch betriebene „Fahrkunst”: Hölzerne Konstruktionen zum Transport von Menschen und Gestein, technische Wunderwerke vergangener Jahrhunderte.
Wer nicht auf Museen steht, kann alternativ an einem Fahrertraining der besonderen Art teilnehmen. Mit dem Sessellift geht’s hinauf auf den Berg, um anschließend auf einem Plastik-bob die Matthias-Baude-Superrutschbahn hinabzudüsen. Dank der Motor- radklamotten nimmt man bei einem unfreiwilligen Ausflug in die Botanik keinerlei Schaden. Später streben wir durch den Staatsforst gen Norden nach Sonnenberg, nehmen die Harz-Hochstraße unter die Räder, machen einen lohnenswerten Umweg über Osterode und gelangen schließlich nach Clausthal-Zellerfeld. Das Oberharzer Bergwerksmuseum lassen wir links liegen, uns zieht Deutschlands größtes hölzernes Gotteshaus in seinen Bann. Die Marktkirche zum Heiligen Geist wurde 1634 aus Fichten- holz erbaut und bietet 2200 Menschen Platz.

 

Harz-TourDoch nun zurück auf die Harz-Hochstraße, die in Richtung Bad Grund schon deutlich an Höhe verliert. Die Abzweigung Wildemann taucht auf, Blinker rechts und dem Lauf der Innerste bis Lautenthal folgen. Am Ortsrand der ehemaligen Freien Bergstadt stoppen wir die Motoren, um dem Bergbaulehrpfad am Kranichsberg einen Besuch abzustatten. Trotz Schutzhelm und Vorsicht knalle ich mit meinen 204 Zentimetern Körpergröße immer wieder gegen irgendwelche Stützbalken. An eine Fahrt mit dem Grubenexpress wage ich nicht zu denken – so klein kann ich mich gar nicht zusammenfalten. Außerdem juckt’s schon wieder in der Gashand, da kommt das kurvige und steile Teerband hinauf zur Stabkirche in Hahnenklee gerade recht. Das hölzerne Gotteshaus wurde dem norwegischen Baustil nachempfunden, und gleicht dem umgedrehten Rumpf eines Wikingerschiffs.
Die Westharzstraßen ähneln sich – perfekt ausgebaut, schnelle Kurven, wechselnde Höhen zwischen 300 und 800 Meter, aber nur selten ein weiter Ausblick ins Umland. Wir stoppen in der alten Kaiserstadt Goslar, die ihren Reichtum aus den Bergwerken holte. Der Ortskern beherbergt mehr als hundert mittelalterliche Häuser, als Glanzpunkt gilt der historische Marktplatz. Bei Kaffee und Kuchen unterhalb der Prachtfassade des altehrwürdigen Hotels Kaiserworth genießen wir das rege Treiben. Nur einen kleinen Spaziergang entfernt wartet die Kaiserpfalz. Tausend Jahre hat sie auf dem Buckel, einst Treffpunkt des Adels an Reichstagen.
Fast so alt wie die Kaiserpfalz ist das zum Weltkulturerbe gehörende Bergwerk Rammelsberg. Hier wird das Harzer Wasserregal vorgestellt: Wasserkraft aus Stauteichen lieferte schon damals umweltfreundliche Energie für den Bergbau. Wenig Fahrspaß vermittelt die Etappe über Oker nach Bad Harzburg. Als echter Lacher entpuppt sich der Radauwasserfall, der seinem Namen gar keine Ehre macht.
Ab südlichem Ortsrand steigen Straße und Drehzahl wieder kräftig an, doch Vorsicht: Die beliebte Strecke nach Braunlage ist mit Radarfallen gespickt. Denn am Torfhaus ist jeden Tag Bikertreff. Der riesige Parkplatz bietet neben Frittenbuden und Benzingesprächen den besten Brockenblick. Der 1142 Meter hohe Gipfel hüllt sich häufig in Wolken und gilt als Heimat der geheimnisvollen Harzhexen.
Harz-Tour Historisches Kopfsteinpflaster testet unsere Federelemente, als wir hinauf nach Schierke streben, um dem Brockenbahnhof mit seinen nostalgischen Dampflokomotiven einen Besuch abzustatten. Die Harzer Schmalspurbahnen feiern Jubiläum – vor genau zehn Jahren wurde der Betrieb wieder aufgenommen. Drei Schienennetze mit insgesamt 130 Kilometern Länge überziehen große Teile des Harzes. Hundert Jahre alte Dampflokomotiven fahren auf den Strecken der Selketalbahn, der Harzquerbahn und der Brockenbahn, die jährlich bis zu 700.000 Fahrgäste auf den höchsten Gipfel des Mittelgebirges befördert.
Kaum haben wir unsere Helme abgenommen, dringt boxertypischer Sound in unsere Ohren. Wenige Augenblicke später tauchen zwei dänische BMW’s auf. Fröhliches „Hallo”, die Herren aus dem flachen Jütland wollen Höhenluft schnuppern.
Das gut ausgeschilderte und überschaubare Gebiet des Ostharzes macht ein Roadbook oder gar GPS völlig überflüssig. Später folgen wir der Hinweistafel Wernigerode, biegen aber hinter dem Bahnhof „Drei Annen Hohne” rechts nach Elbingerode ab. Dort halten wir uns wieder rechts Richtung Rübeland. Hier verlassen wir die Bundesstraße und fahren entlang der Rappbodetalsperre bis hinauf zur Einmündung der B 81. Jetzt rechts und nach 3,5 Kilometern links in den Bauernwald Hasselfelde einbiegen. Na also, war doch gar nicht so schwierig. Im Köhlerhof Stemberg stoppen wir die Maschine und lassen uns vom Köhler erklären, wie Holzkohle hergestellt wird. Was man damit Leckeres grillen kann, probieren wir im Imbiß nebenan.
Mit vollem Bauch rollen wir durch Allrode und biegen am Ortsende von Friedrichsbrunn nach Thale ab. Der Weg dorthin führt durch das spannende Bodetal, in dem sich vor langer, langer Zeit folgendes Drama abgespielt haben soll: Königstochter Brunhilde flieht auf ihrem Pferd vor dem bösen Böhmenkönig Bodo. Die wilde Hetzjagd endet am Rande einer tiefen Schlucht. Brunhilde setzt vor lauter Verzweiflung alles auf eine Karte, sie springt, gerettet! An der Roßtrappe ist bis heute ein Hufabdruck im Fels zu sehen. Bodo läßt nicht locker, gibt seinem Pferd die Sporen, und stürzt in die Tiefe. Seither trägt der Fluß seinen Namen. Am nahen Hexentanzplatz ist immer Saison, nicht nur in der Walpurgisnacht, (30. April auf den 1. Mai) wenn sich die Besenreiterinnen zum großen Gelage treffen.
Harz-Tour Zwischen Thale und Blankenburg liegt Timmenrode mit einem bizarren Sandsteinkamm: der Teufelsmauer. Der Sage nach wollten Gott und Teufel die Welt unter sich aufteilen. Dem Gehörnten sollte all das gehören, was er in der Nacht bis zum ersten Hahnenschrei mit einer Mauer umfassen konnte, doch der Hahn schrie zu früh! Vor Wut außer sich, riss er die unvollendete Mauer wieder ein.
Mit dem Rücken zum Harz schauen wir weit hinein ins sanft geschwungene nördliche Harzvorland. Unser nächstes Ziel ist Wernigerode. Doch statt den direkten Weg zu wählen, streben wir zurück in die Höhenlagen. Das unmittelbar am Harzrand liegende Städtchen Blankenburg befördert uns mit einer knackigen Kurvenfolge nach oben.
Anders als im Westharz blieb das Straßennetz im Osten fast unverändert. Nicht immer geteert und selten begradigt, strahlen sie einen gewissen Charme aus.
In Elbingerode angekommen, schlagen wir einen Haken nach Norden. Wernigerode lädt uns zu einem gemütlichen Altstadtbummel ein. Schön herausgeputzt präsentiert sich das Fachwerk-Rathaus am Marktplatz: Beim genauen Hinschauen fallen uns 33 Figuren auf. Gaukler, Kirchenmänner und Musikanten scheinen um die Fassade zu tanzen. Über dem Ort, auf dem Agnesberg, thront das stattliche Schloß.
Nach Kaffee und Kuchen verschmähen wir die autobahnähnliche B 6 und tingeln lieber auf der Straße der Romanik durch Ilsenburg nach Stapelburg. Hier verlassen wir den Ostharz. Auf einer verträumten Nebenstrecke zwischen unterem und oberen Schimmerwald steuern wir Bad Harzburg an. Mit meiner ganz persönlichen Hexe auf dem Rücksitz reite ich über Braunlage zurück nach Bad Lauterberg, um dort den Fahrtag mit original „Harzer Grubenlicht”-Kräuterlikör ausklingen zu lassen.

REISETIPPS

Unterkunft:
Am Harzer Südrand legen sich Andreas Sträter und Silke Preuß mächtig ins Zeug, wenn es ums Wohlbefinden ihrer Gäste geht. Frisch renovierte, gemütliche Zimmer, üppiges Frühstück, überdachte Stellplätze und auf Wunsch auch geführte Touren tragen zur zwanglosen Atmosphäre bei. Das Doppelzimmer mit Frühstück kostet rund 55 Euro.
Wissmannstr. 5, 37431 Bad Lauterberg, Tel. 05524/3749, Fax 05524 /999803. E-Mail: roseneck@t-online. de, Net: www.pension-roseneck. com

Allgemeines:
Die zentral gelegene Mittelgebirgslandschaft gibt sich ausgesprochen abwechslungsreich. Kurven, Kurven, Kurven. Dominieren am Harzrand Laub- und Mischwälder, ist der Hochharz Heimat von tiefen Fichtenwäldern und mystischen Hochmooren. Leider ist die Region nicht von den schädlichen Umwelteinflüssen des sauren Regens verschont geblieben. Typisch sind die zahlreichen Talsperren und Teiche.
Harzer Verkehrsverband, Marktstraße 45, 38640 Goslar, Tel. 05321 / 34040, Fax 340466, www.harzinfo.de

Reisezeit:
Der Harz gilt als Regenfänger, die zahlreichen Talsperren sind der beste Beweis. Motorradsaison sind die Monate Juni bis September, ab Ende Oktober kann es im Hochharz schon Schnee geben.

Literatur & Karten:
„Die schönsten Routen im Harz“ – Frank Klose. Sehr gut ausgearbeitete Touren, herausnehmbare Roadbooks. 144 Seiten, 80 Abbildungen. Bruckmann-Verlag, ISBN 3765438731. 11,90 Euro.
Powerkarte Deutschland, Blatt 3 + 7, „Harz, Sächsische Schweiz, Lausitz“, 1 : 300.000, 12 nahezu unzerstörbare Karten im Schuber, 31 Euro. Good Vibrations Verlag, erhältlich im Fachhandel oder unter www.tourer-shop.de