aus bma 06/08 & 07/08
von Berthold Reinken
Ne, schon klar, der in den USA ist nicht gemeint. Den brauchen wir auch nicht. Schließlich haben wir in Europa einen eigenen solchen. Der Grand Canyon du Verdon in Südfrankreich war unser Ziel. Aber nicht einfach auf die Autobahn klemmen oder mit dem Autoreisezug bis Avignon und so. Ne, Kumpel Peter und ich, beide Mittfünfziger wollten mal probieren, ob es noch so geht, wie vor dreißig Jahren (hier ist von Moppedfahren die Rede). Hin und zurück auf dem Krad sollte es gehen und zusätzlich packten wir noch eins drauf: Autobahnen mußten tabu sein. Zehn Tage Zeit standen dafür zur Verfügung bei einer geschätzten Strecke irgendwo zwischen 3000 und 4000 Kilometern. Alles in Allem ein Auftrag, auf dessen Abarbeitung man auch als Jung-Biker stolz sein kann.
Los geht’s am 24. April. Die neue BMW R 1200 GS und eine ebenfalls neue Suzuki Bandit 1250 S sind sicher bestens für diese Reise geeignet. Der vorherige Blick per Internet auf die Wetterausichten im Durchfahrtsgebiet des ersten Tages war nicht gerade ein Aufputschmittel. 90 % Regenwahrscheinlichkeit von Minden bis Koblenz. Jetzt schon aufgegeben? Das wäre zu früh. Morgens um 9.00 Uhr geht’s los mit dem Ziel Kyllburg in der Eifel. Dort betreibt Ulli Müller eine gemütlich-skurile Kradler-Pension, die uns von früheren Besuchen bekannt war. Ca. 450 Kilometer durch das Weserbergland und Sauerland über Siegen und Koblenz liegen vor uns.
Nach etwa der Hälfte der Strecke fängt es an zu tröpfeln. Es tröpfelt mehr und mehr und geht dann schlagartig über in…, kaum zu glauben, Trockenheit bis Kyllburg. Auf das Internet kann man sich eben doch nicht verlassen. Dafür kommt bis Koblenz die richtige Fahrfreude auch nicht auf. Viel Nerverei durch LKWs immer wieder, hinter denen man hereiert. Erst nach Überschreitung des Rheins bei Neuwied geht es es bald richtig in die Kurven. Baustellen in der Eifel, die das Navigationssystem (ja, ja, das hatte man damals nicht, aber damals sind wir auch über die Autobahn gefahren), arg auf die Probe stellen und zu diversen Umwegen zwingen, erhöhen die gefahrene Strecke des ersten Tages auf knapp 500 Kilometer. Da haben wir die diversen Biere bei Ulli in der Kneipe reell verdient.
Auf der B 51 Richtung Trier geht es am nächsten Tag, um bei Merzig die französische Grenze zu überschreiten. Die Trucks vom Vortag sind auch schon wieder da, und so bringt auch die erste Hälfte des zweiten Reisetages noch nicht den erhofften dauerhaften Fahrspaß. Zwar regnet es immer noch nicht, die Temperaturen halten sich aber bis zum Mittag im einstelligen Bereich. Die ersten Kilometer in Frankreich bestehen aus einer Kette von kleineren Ortschaften, so daß wir nicht so recht Strecke zurücklegen. Schließlich geht der Knoten aber doch auf, die Ortschaften werden weniger, und wir können es immer wieder mal richtig fliegen lassen.
Über Lunéville, Épinal, Vesoul und Besancon soll es bis zum geplanten Übernachtungsort Lons-le-Saunier gehen. Zügig geht’s voran. Manchmal zu zügig, denn die Nationalstraßen erweisen sich teilweise als autobahnähnlich und bei einem erlaubten Tempo von maximal 110 km/h kommt schnell Langeweile auf, so daß wir immer wieder die Route ändern, um schönere Strecken zu finden.
Die Unterkunft für die nächste Nacht ist nicht vorgebucht, so daß wir uns in Lons-Le Saunier (liegt etwa 70 Kilometer westlich des Genfer Sees) schon frühzeitig nach einer Übernachtungsmöglichkeit umsehen. Gleich das erste Hotel gefällt uns, und wir fallen sofort nach dem Essen und wenig Bier ins Koma. Es sind wieder 500 Kilometer geworden.
Der 26. April begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein, und kurz nach Verlassen des Ortes macht das Fahren seit unserem Start zu Hause erstmals so richtig Spaß. Die D117/ D42 ist einsam und führt östlich an Bourg-en-Bresse vorbei. Leicht hügelige, schöne Landschaft und viele Kurven bei fast null Verkehr und wenig Ortschaften lassen dem Kradler kaum noch Wünsche offen. Auch die weiteren Kilometer sind reines Ver-gnügen, das Wetter bleibt stabil und wir haben unser Ziel La-Motte-du Caire (ca. 50 km südlich von Gap) im Visier. Es wird immer wärmer, und da wir auch weiter keine Autobahnen benutzen wollen, droht eine nervige Fahrt durch Grenoble. Der Versuch, die Stadt südwestlich über die Berge zu umfahren, scheitert leider an wegen Erdrutschen gesperrten Straßen. So sind wir nach geschätzen 37 Ampelstops durch die südliche Periphärie Grenobles völlig genervt und haben den Fußschweiß auf der Stirn. Die weiteren Kilometer auf der N 75 bis zu unserem Basislager entschädigen dafür voll und ganz. Die Straße über Serres bis nach Sisteron ist ein Traum für Motorradfahrer. Von Sisteron sind es nur noch 15 Kilometer bis nach La-Motte-du Caire. Dort empfängt uns Dieter Conrad, Inhaber des Maison St. Georges mit einem Hyronimus-Bier aus dem Schwarzwald, das wir noch in voller Montur einlaufen lassen. 420 Kilometer stehen für diesen Tag auf dem Tacho, diverse Hyronimus abends auf der Rechnung.
Am nächsten Tag (Sonntag) soll das endgültige Ziel, der Grand Canyon du Verdon, erreicht werden. Da wir auch die nächste Nacht bei Dieter verbringen wollen, können wir den „Angriff auf den Gipfel” ohne Gepäck vornehmen. Mit 25 kg weniger am Heck fährt es sich doch etwas leichtfüßiger. Weil die geplante Strecke hin und zurück nur ca. 300 Kilometer beträgt, starten wir ausgeschlafen erst gegen Mittag.
Es empfiehlt sich, den Canyon über die N 85 Richtung Castellane anzufahren. Diese ca. 80 Kilometer lange Strecke ist fahrerisch wie landschaftlich ein Genuß, und man kann oft richtig am Draht ziehen. Steht mal irgendwo die Rennleitung am Streckenrand, informieren einen die entgegen kommenden Franzosen mit wildem Geblinke schon Kilometer vorher. Man muß bei diesen Strecken aber nicht schneller fahren als erlaubt. Will man die zulässige Geschwindigkeit von 90 km/h überall ausnutzen, auch in den Kurven, ist so mancher Kradler schon überfordert.
Der Grand Canyon du Verdon ist zweifellos eines der grandiosesten Naturschauspiele in Europa. 20 Kilometer lang und bis zu 700 Meter tief hat sich der Verdon in die Schlucht gegraben. Für Südfrankreich-Besucher ist dieser Ort Pflichtprogramm wie der Eifelturm in Paris. Wir sind ergriffen und beschliessen ab heute Abend auf Rotwein umzusteigen.
Ende Teil 1
Teil 2 – aus bma 07/08
Der Weg zurück ins Basislager führt uns unter anderem über kleine Straßen in teilweise schlechtem Zustand. Während die GS hier formstabil in ihrem Element ist, stößt Peter mit der Bandit an die Grenzen und mit der Zunge an die Zähne.
Während des Abendessens wird das Wetter immer schlechter, Dieter sagt einen üblen Montag voraus, und wir beschliessen einen Ruhetag einzulegen. Mit weiter steigendem Niederschlag steigt auch unser Weinkonsum.
Der Blick nach draußen am (späten) Montagmogen zeigt, daß Dieter untertrieben hat. Da haben sie uns heute wohl einen gebrauchten Tag angedreht. Wir frühstücken lange und sind den Rest des Tages zwischen Hyronimus, Rotwein und Pastis hin- und hergerissen. Die Temperatur fällt bis auf fünf Grad, der Regen bis auf den Boden und wir schließlich ins Bett.
Auch der schemenhaft wahrgenommene Dienstagmorgen sieht nicht viel besser aus. Als sich der Nebel in unseren Köpfen gegen Mittag lichtet, lichtet sich überraschend auch der Himmel ein wenig, wir reagieren den Umständen entsprechend blitzschnell, packen unsere Sachen und starten Richtung Westen. Dort soll es angeblich etwas helles, gold glitzerndes geben, auf das die ganze Welt scharf ist.
Tatsächlich bleibt es trocken und noch vor Überschreitung der Rhone nördlich von Montélimar erscheint das Glitzernde wieder am Himmel. Ca. 250 Kilometer haben wir an diesem Tag zurückgelegt, als wir bei Silvia und Karl-Heinz Vogtmann, noch vor dem Golfkrieg aus Neuwied vertriebene Deutsche, eintreffen. Die beiden Wetterflüchtlinge waren früher Inhaber des Motorradhotels Les Olivettes in St. Dézéry und sind sicher vielen bma-Lesern bekannt. Seit zwei Jahren basteln sie an ihrem hunderte Jahre alten Mas Bourdaric in der Nähe von St. Ambroix. Es geht mit großen Schritten voran, wie wir schnell erkennen. Zwei große Ferienwohnungen stehen zur Verfügung. Das Haus ist für Gäste längst voll funktionsfähig und die restlichen anstehenden Arbeiten dienen nur der Verfeinerung. Karl-Heinz ist im Nebenberuf inzwischen Pizza-Bäcker geworden. Trotz einer gewissen Menge Rotwein schaffen wir die Berge von Pizzen, die er uns auftischt, nicht.
Der geplante Ausflug zur höchsten Brücke der Welt bei Millau wird leider vom Wetter am Mittwochmorgen verhindert. Es regnet kräftig, und wir beschließen, Karl-Heinz bei Aufräumarbeiten zuzusehen. Genau wie am Tag zuvor verschwinden die Wolken aber kurz nach dem Mittag, und wir starten noch zu einem kleinen Ausritt nach Uzès, ca. 60 Kilometer entfernt, um dort einen Grand Crème und einen „Croque Monsieur” einzuwerfen. Hier erleben wir einen Croque-Schock: Sieben Euro (14 DM in echtem Geld) sind recht happig für zwei mit Schinken und Käse gebackene Toastscheiben. Nächstes Mal besser vorher in die Preisliste sehen oder gleich Karl-Heinz wieder an den Ofen schicken.
In vier Tagesetappen soll es ab Donnerstag zurück nach Hause gehen. Wir starten gegen 9.30 Uhr und fahren über Les Vans und Pradelles durch die Cevennen Richtung Le Puy-en-Velay. Hier liegt zweifellos des Kradlers Traumland. Kurven ohne Ende, Einsamkeit und wildromantische Landschaft über weite Strecken begeistern. Besonders die D906 über Villefort läßt einen emotionalen Fahrer vor Vergnügen in den Helm jubeln. Das Wetter ist wieder stabil und die Temperaturen angenehm.
Es ist der 1. Mai-Feiertag. Deshalb muß man in Frankreich, genau wie an Sonntagen, höllisch aufpassen, nicht trocken zu laufen. Die Rede ist hier von Benzin. Nur in den Städten oder auf den Autobahnen gibt es offene Tankstellen. Eine auf dem Land zu finden ist reine Glückssache. Und unsere Kreditkarten haben die französischen Zapfsäulen noch nie gemocht. Nachdem wir in Le Puy-en-Velay trotz halbvollem Tank eine zufällig offene Tankstelle angelaufen haben, fühlen wir uns sicher bis Roanne. Dort planen wir nochmals Sprit nachzufassen, denn Autobahnen wollen wir auch auf der Rückreise meiden wie Politiker die Wahrheit.
Nachdem wir die 40000-Einwohner-Stadt viermal ergebnislos durchkreuzt haben, geben wir auf und klemmen uns auf die Nationalstraße Richtung Lyon. Ca. 30 Kilometer später entpuppt sich eine plötzlich in der Wallachei auftauchende Tankstellen-Fata Morgana als echt und geöffnet, so daß wir die ungeliebte N 7 wieder verlassen und auf kleinen, kurvenreichen Straßen Richtung Tournus (südlich von Chalon-sur Saone) weiter fahren können. Etwa fünf Kilometer südlich von Tournus, in Le Villars, haben wir die nächste Übernachtung gebucht in der „Ferme du Villars”. Der frühere, ca. 400 Jahre alte Gutshof wurde vom Schweizer Ehepaar Ilse und Ruedi Stahel-Zerlauth in detalierter Feinarbeit restauriert und präsentiert sich bis in die letzte Ecke mit Schweizer Sauberkeit gepflegt. Selbst die Kaminholzstapel sehen aus wie abgesaugt. Das Essen ist das teuerste unserer bisherigen Reise, aber auch geschmackliche Spitzenklasse.
Schon um 8.30 Uhr geht es am nächsten Tag weiter. Wieder scheint die Sonne und begleitet uns den ganzen Tag. Über Dole, Vesoul, Lure und Gérardmer geht es weiter bis in die Vogesen. Die Strecken sind abwechslungsreich und machen viel Spaß. Wir überqueren den Col de la Schlucht und fahren über Ribeauville und Marckolsheim, um dort den Rhein nach Deutschland zu überqueren. Da es noch früh und unser nächstes Hotel in Freudenstadt bereits gebucht ist (Besten Dank nochmals an Martin Orlowski von der Firma Motorbikereisen), lassen wir uns noch zu einem Umweg über den Kandel im Schwarzwald hinreißen. Das war leichtfertig, und es wird mit 560 Kilometern die längste und anstrengenste Tagesetappe unserer Reise. Abends sind wir völlig groggy, zwei Bier geben uns den Gnadenstoß, und ich beschließe außerdem, den Schwarzwald zum reinen Wandergebiet zu erklären. Motorradfahren macht mir dort keinen Spaß. Entweder ist man ständig von verrückten Bikern und Sportwagenfahrern bedroht (Kandel), oder fährt über zig Kilometer bei Geschwindigkeitslimits zwischen 50 und 70 km/h und permanenten Überholverboten.
Die letzte Übernachtung ist in Korbach (nähe Kassel) geplant. Die ca. 420 Kilometer bis dort führen über Pforzheim, durch den Spessart, über Lohr am Main, Bad Orb und Alsfeld, weiter bis nach Frankenberg und schließlich zum Ziel. Das gute Wetter haben wir inzwischen fest abonniert. Auch diese vorletzte Tagesetappe macht jede Menge Spaß, und der Tag klingt mit drei Saunagängen nach dem Essen aus.
Die letzte Reiseetappe am Sonntag ist uns größtenteils von Tagesausflügen in das Weserbergland bekannt. Wir besuchen noch den Treff „Günters Kurve” in Kükenbruch, an dem es um 11.30 Uhr wegen des Bilderbuchwetters rappelvoll ist und laufen nach 270 Tages-Kilometern wieder in unserem Heimatort Weyhe ein.
Die BMW hat laut Tacho 3960 Kilometer in den zehn Tagen zurück gelegt, die Suzuki Bandit 4075. Welche Extra-Tour hat der Peter in welcher Nacht gedreht?
Fazit: Wir haben den selbst erteilten Auftrag erledigt. Wir sind keinen Kilometer Autobahn gefahren und haben teils durch pfiffiges Verhalten aber auch durch Glück fast keinen Regentropfen abbekommen, was wir absolut nicht erwartet hatten. Der Hintern hat oft geschmerzt und Nacken und Rücken waren manchmal auch arg verspannt. Aber es hat riesigen Spaß gemacht. Und nach längerem Überlegen sind wir zu der festen Überzeugung gelangt, daß keiner von uns beiden überhaupt jemals 4000 Kilometer innerhalb von zehn Tagen Motorrad gefahren ist. Wird es eine Wiederholung geben? Schön wär’s.
Wir haben ein Navi von Transonic benutzt. Das erleichtert die lange Fahrt über reine Landstraßen ungemein, weil man nicht immer wieder anhalten und auf die Karte schauen muß, zumal die Ausschilderung oft zu wünschen übrig läßt. Man darf allerdings seinem Navi nicht alles glauben. Von der Perfektion sind sie alle noch weit entfernt. Außerdem ist natürlich eine genaue Routenvorplanung nötig, und man kann auf eine Karte keinesfalls verzichten.
Vorplanen und buchen sollte man ferner die Übernachtungen, sonst verliert man zu viel Zeit bei der Bettsuche und muß damit aus Vorsichtsgründen früh anfangen, um nicht plötzlich unter einer Brücke schlafen zu müssen. Besonders in der Ferienzeit und in Wochen mit Brückentagen wie dem 1. Mai in diesem Jahr steht man oft vor ausgebuchten Hotels.
Das Tankstellenproblem beschränkt sich in Frankreich nicht nur auf Sonn- und Feiertage. Viele Tankstellen haben auch Mittags zwischen 12 und 14 Uhr dicht. Da passiert es leicht mal, daß man neben einer Zapfsäule auf den Tankwart wartet, weil ein Weiterfahren zu riskant ist. Also am Besten morgens immer mit vollem Tank starten und die Mittagszeit im Auge behalten. Den deutlich billigsten Sprit gibt es übrigens an den Supermärkten, der Intermarché hat allerdings ebenfalls Mittag zu.
Frankreich hat vor ein paar Jahren die Straßennummerierungen geändert. Es gibt kaum Karten mit aktuellen Nummerierungen. Die Zahlen lassen sich aber meistens ableiten und sind ähnlich. Aus der N 75 wurde zum Beispiel die N 1075.
Die klassische Pommesbude sucht man in Frankreich meistens vergeblich. Preisgünstige Zwischenmahlzeiten nimmt man am Besten an den Supermärkten ein. Da kann man dann auch gleich tanken.
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