aus bma 09/03
von Uwe Focken
An einem wunderschönen Freitag soll endlich unsere lang geplante Tunesien-Tour beginnen, und so fahren wir bei bestem Wetter nach Hildesheim zum Autoreisezug.
Nach einer Odyssee über Basel, Mailand und Genua holen wir am Morgen bei schon recht hohen Temperaturen und strahlend blauem Himmel die Mopeds vom Waggon. Da wir bis zur Abfahrt der Fähre genug Zeit haben und die schöne Landschaft der Cinqueterre genießen wollen, ent-schließen wir uns, die Strecke zurück nach Genua auf der Landstraße zurückzulegen.
Ab Castiglione la Baracca fahren wir dann vorsichtshalber auf die Autobahn, da noch Proviant für die Überfahrt besorgt werden will. Viel zu schnell erreichen wir das Verkehrschaos von Genua. Das Shoppingcenter im Hafen zu finden, erweist sich als gar nicht so einfach. Danach suchen wir den Sammelplatz für den Fähranleger auf.
Bei der Sollabfahrtszeit ist die Habib noch nicht einmal im Hafen eingetroffen. Das viel zu späte Auffahren auf das Schiff gleicht mal wieder einem Spurtrennen.
Zuerst begeben wir uns auf die Schlafplatzsuche. Da wir nur noch eine Deckpassage bekommen haben, gilt es einen guten Kompromiss zwischen Schlechtwetterschutz, Personenverkehrsfrequenz und dem Dröhnen des Schiffsdiesels zu finden. Auf den Kisten für die Rettungswesten scheinen wir eine annehmbare Mischung gefunden zu haben.
In der Abenddämmerung legt die Fähre dann in La Goulette an. Im Hafen von Tunis kommen wir auf Grund unserer guten Platzierung im Spurtrennen zügig durch die Formalitäten. Querli und ich treffen uns etwas außerhalb mit den Geländewagen, die uns zum Hotel Amical bei Sidi Bou Said lotsen sollen.
Am Montagmorgen heißt es dann: Auf in den Süden. Wir wollen auf kleinen Landstraßen und größeren Pisten die Oasenstadt Douz erreichen. Die kleinen Straßen erweisen sich als Glücksgriff, sie führen schön geschwungen durch eine liebliche Hügellandschaft. Die erste Gebirgspiste endet allerdings wie so häufig im Nichts. Das Kartenmaterial ist viel zu ungenau, und so bleibt uns nur die Try and Error-Variante. Die im Norden noch grünlich-fruchtbare Landschaft wird zunehmend karger. Trotz der schon tiefstehenden Sonne wollen wir noch eine Piste fahren, die durch eine enge Schlucht führt. Da im Reiseführer ein schöner Übernachtungsplatz auf unserer Strecke beschrieben ist, gehen wir es an. Wir suchen unseren Weg durch ein kleines Dorf und gleich nach dem Ende des Asphaltbandes beginnt eine Tiefsandpiste. Im alten Dorf Sened suchen wir nach dem weiteren Verlauf der Gebirgspiste.
Doch wir finden, nach einer kurzen Irrfahrt unter anderem durch einen halben Kuhstall, den Pistenverlauf und somit den schönen Übernachtungsplatz. Da unsere kleine Expeditionsgruppe kein Holz für ein Lagerfeuer auftreiben kann, müssen wir uns mit einer Kerze begnügen. Wir sitzen vor dem Zelt und genießen die Aussicht auf den Abendhimmel, den umliegenden Bergen und denSternen. Nachts schrecke ich aus dem Schlaf! Zwei lautstark auf arabisch palavernde Männer kommen doch tatsächlich mitten in der Nacht den Bergpfad herauf! Wo kommen die her? Ich sehe keine Lichtkegel, wie zum Teufel finden die den Weg? Womit kann ich mich verteidigen? Schläft Andreas immer noch? Alle möglichen Gedanken schießen mir durch den Kopf, doch sie scheinen keine Notiz von dem Zelt oder den Motorrädern zu nehmen. Sie verschwinden so plötzlich wie sie gekommen sind.
Nach dann nicht mehr ganz so ruhiger Nacht geht es morgens ohne Frühstück weiter durchs Gebirge Richtung Sakket. Nach zuerst wunderschöner Piste wird diese nun zunehmend ausgewaschener und immer schwieriger zu erkennen. Teilweise fahren wir über den blanken Fels. Wir entscheiden uns für die einzige Piste, die wir als solche erkennen können und die nicht wieder zurückführt. Diese Entscheidung erweist sich als Glücksfall. Eine wunderbarer Weg windet sich in schönen Bögen berg- und talwärts durchs Gebirge. Zwar quer zu unserem Kurs, aber immerhin geht es voran. Nach etlichen traumhaften Kilometern mit kleinen Furten stoßen wir wieder auf andere Pisten und versuchen die erste, die südwärts führt. Sie wird aber zu einem Kletterpfad, und weil wir an die erste Enduro-Regel denken (Fahre nie irgendwo hinab, wo du nicht wieder hinauf kommst), beschließen wir zu drehen.
Mit der nächsten Piste haben wir mehr Glück und wir kommen in eine mit unzähligen Pisten durchzogene Ebene. Breit und flach, das ist Andis Terrain. Nur mit Mühe kann ich ihn hinter mir halten Wir finden schließlich die Straße zwischen Gafsa und Gabes. Kurz danach kommt schon der Abzweig Richtung Kebili über den Chott El Fejaj.
Doch bevor es hinaus auf den Salzsee geht, durchqueren wir noch eine schöne Hügelkette, die mich stark an den Grand Canyon erinnert. Dann lockt die große weite Ebene und wir fahren hinunter vom sicheren Asphaltband hinaus auf den tückischen Untergrund.
Auf den letzten Kilometern vor Kebili merkt nun auch jeder, das man am Rande der Wüste angekommen ist. Beiderseits des Asphalts türmen sich die ersten Dünen mit ihren Hauben aus Palmwedeln, ein verzweifelter Versuch, der Natur den Platz für die Straße abzuringen.
Im Camping Desert Club erwartet uns ein schönes, kaltes Bier und auch die Genehmigung für das Sperrgebiet liegt schon parat. Als wir später das Platzpersonal nach der Befahrbarkeit der Dünen in Richtung Ksar Ghilane befragen, hören wir nur Warnungen. Vor zwei Wochen wurden zwei Deutsche in den Sandbergen gefunden, der eine tot und der andere schon bewusstlos.
Also begnügen Andi und ich uns erst einmal mit den Touristendünen und Andreas sammelt seine ersten Dünenerfahrungen. Ich bin beeindruckt, wie gut er mit dem feinen Sand zurecht kommt, zumindest bis er sich fest fährt und entgegen all unseren Erzählungen an unserem schon zitierten Spruch „Rechts ist Gas” festhält. Ich brülle mir die Seele aus dem Leib, doch gegen seinen in den höchsten Tönen kreischenden Honda-motor habe ich keine Chance. So ergebe ich mich in unser Schicksal. Als die Bodenwanne aufliegt und die XR nicht weiter einsinken kann, erwacht Andi aus seinem Dämmerzustand (das muss der gefürchtete Sekundenschwachsinn gewesen sein!). Nur langsam realisiert er die Bescherung. Nun heißt es buddeln und umlegen. Aber noch nicht für mich! Damit er die Lektion auch wirklich lernt, lasse ich ihn zunächst allein in der Hitze graben, tue so als müsste ich unbedingt ein Foto machen und krame äußerst langsam nach der Kamera. Seinem Fluchgemurmel entnehme ich nur, dass er ja gleich einen Klappspaten mitnehmen wollte. Da es langsam dunkelt und schon die ersten Touristen auf ihren Kamelen gen Sonnenuntergang getrieben werden, habe ich ein Einsehen und spiele auch mit im Sand. Irgendwann können wir die XR umlegen und es kann zurück zum Camp gehen.
Am nächsten Morgen soll es dann doch lieber über die Pipelinepiste nach Ksar Ghilane gehen. Aber auch die hat es in sich: Lange Tiefsandfelder mit verborgenen Felsen lassen unsere Fahrt trotz Rallyetempo etwas unruhig werden. An der Oase angekommen, entscheide ich mich für die einfachere Anfahrt, die momentan sehr schön durch kurze Dünen geschoben ist. Nach dem Zeltaufbau ist natürlich ein Bad im Quellteich angesagt. Obwohl Andreas eigentlich keine Wasserratte ist und etwas skeptisch auf die von uns als Kamelkacke bezeichneten sterblichen Überreste irgendwelcher Pflanzen äugt, wird sein Grinsen mit den Stunden immer breiter. Wie im Toten Meer trägt das 36°C warme Wasser und die Strömung massiert unsere alten, geschundenen Männerkörper.
Am nächsten Tag geht es mit leicht nebeligem Schädel ins Militärgebiet und auch noch in das für alle Rallye-freaks bekannte El Borma. Doch schon nach wenigen Kilometern werden wir im großen Nichts ausgebremst. Meine Honda fängt an zu stottern und geht dann völlig aus, obwohl ich doch sogar den Choke voll gezogen habe! Natürlich bemerken wir meinen kleinen Fauxpas erst nachdem wir sämtliches zum Motorwechsel benötigte Werkzeug aus allen möglichen Taschen ausgepackt und den Motor schon halb demontiert haben. Nach wieder neu gesammelten Erfahrungen und der Chance, sein Werkzeug noch besser zu verstauen, folgen wir der Pipelinepiste Kurs Süden. Nach 40 Kilometern erkennen wir am Horizont ein Fabrikgelände. Kamour ist erreicht, die Grenze zum Sperrgebiet. Rechts davon befindet sich eine kleine Schranke, die wir auf allen Seiten leicht umfahren könnten. Da stehen wir nun in der Hitze und warten, dass etwas passiert. Kurze Zeit später erscheint auch ein freundlicher Uniformierter und verschwindet mit unseren Pässen und der Kopie der Einreiseerlaubnis in einem kleineren Gebäudekomplex. Bald kommt er wieder heraus. Nach einem kurzen Gespräch übers woher, wohin und ob wir Zigaretten hätten, öffnet er die Schranke und wünscht uns eine gute Fahrt. Doch vor das gelobte Land hat der Liebe Gott (oder die tunesischen Bulldozer) eine recht ruppige Sonderprüfung gesetzt, auf der wir etliche Chancen bekommen, immer wieder neue Schnürungen für unser Gepäck zu testen. Es gilt hohe Steinstufen, Tiefsandfelder und einen halben Meter tiefe Schlaglöcher zu überwinden. Um die Mittagszeit spannen wir eine Plane zwischen die Motorräder und versuchen ein wenig unsere müden Knochen zu entspannen. Nebenbei bemerken wir, dass so ziemlich alle Zusatzteile, die wir an die Motorräder gebaut hatten, schon kaputt vibriert waren oder sich in Auflösung befinden. Wir versuchen zu retten, was zu retten ist und fahren weiter.
Zunächst bessert sich der Untergrund als wir auf eine größere Piste stoßen, die von LKWs benutzt wird um das Camp zu versorgen. Doch als die Piste nach Westen Richtung Algerien abknickt, werden die letzten 60 km noch mal richtig haarig. Die Piste war wohl mal asphaltiert und nun fehlen riesige Flächen der Teerdecke mit dem Resultat, dass sich riesige Löcher auftun. Sie beschert uns nach über 210 km übelstem Gelände noch mal eine Sonderprüfung, aber die Umgebung entschädigt für vieles. Wir fahren durch eine großartige Dünenlandschaft, die Sandberge türmen sich bis zu 70 Meter links und rechts der Route auf.
Als sich vor uns eine Ebene auftut, können wir das Ölbohrcamp schon am Horizont an den brennenden Schloten erkennen. Nur noch zwei- bis dreimal das Gepäck neu verzurren und wir stehen wieder vor einer Militärschranke. Hier wiederholt sich die Prozedur wie schon bei der Einreise ins Sperrgebiet und der freundliche Mann in Grün entlässt uns ins Camp. Links unter einem Sonnenschutzdach sehen wir zwei ziemlich mitgenommene Enduros mit stark verformten Alukoffern, die KTM mit zerstörter Frontverkleidung und herunterhängendem Gabelsimmerring und die Aprilia Tuareg sieht aus, als hätte sie ohnehin schon alles hinter sich. Luigi, der deutsche KTM-Fahrer flößt mir mehr Angst ein als alle tunesischen Soldaten mit ihren Kalaschnikows zusammen: staubige En- duroklamotten, Irokesenschnitt und ein riesiges, blutverschmiertes Pflaster auf der Oberlippe. Für ihn kam die erste Düne im südlichen Sperrgebiet zu plötzlich, er hat sie einfach übersehen und stürzte sechs Meter auf der anderen Seite in die Tiefe. Die beiden waren schon tanken und suchen nun die Unterkunft. Wir folgen ihnen zu einer weiteren Polizeikontrolle. Dann versuchen wir ihrer Beschreibung zur Tanke Richtung Westen zu folgen und landen eigentlich schon in Algerien. Als nach 10 km noch immer keine Zapfsäule in Sicht ist und die Behausungen immer spärlicher werden, frage ich einen der wenigen Mitarbeiter auf französisch nach dem Weg. Nachdem wir das Büro gefunden haben, in dem wir den Sprit im voraus bezahlen müssen, macht uns der mürrische Beamte einen mittelprächtigen Preis. Als wir uns dann auch noch erdreisten, nach Trinkwasser zu fragen, kommt ihm entgültig die Galle hoch und wir sputen uns, die Zapfsäulen zu finden.
An der Tankstelle füllen wir dann unseren Wasservorrat mit Leitungswasser auf, das wir chemisch entkeimen. Da wir uns lieber draußen in den Dünen ein gemütliches Plätzchen mit den Schlangen und Krabbeltierchen teilen wollen, sehen wir die Aprilia nicht wieder. Als wir den Militärkontrollposten passieren ernten wir verwunderte Blicke, weil wir diese Pisten im dunkeln noch befahren wollen. Eigentlich liebt Andi nächtliche Sonderprüfungen und somit bin ich erstaunt, das er nicht in einer Staubwolke an mir vorbeizieht. Wahrscheinlich hält ihn seine nur durchschnittliche Körpergröße davon ab, denn die Schlaglöcher würden ihn glatt verschlucken. So tasten wir uns durch die Ebene bis hin zu den Dünen, immer hoffend, dass ich früh genug erahne, wo sich die Erde vor mir auftut. Nun, da wir den weichen Schlafuntergrund erreicht haben und sich das Tageslicht vollends verabschiedet hat, müssen wir hinein in das feine Zeug. So weit weg von der Piste wie irgend möglich! kann die Devise nur lauten, damit ein von der Piste abkommender LKW uns nicht gleich auch für immer hier begräbt. Leichter gesagt als getan, taugen doch unsere Einzylinder-Funzeln gerade mal dazu, dem Feind anzuzeigen, wo wir sind, aber kaum unseren Pfad zu erhellen. Trotzdem kommen wir sturzfrei recht weit weg von der Piste bis ich mich einsande.
Den letzten Tag verbringen wir am Meer und spannen aus, bevor wir uns mittels Fähre über Italien und der Schweiz nach Lörrach begeben, wo wir unseren Autoreisezug erreichen müssen. In der Poebene empfängt uns nach wochenlanger großer Hitze Dunst und frische neun Grad und als ich erkennen muss, dass sich dieser Zustand nicht mehr bessert, halte ich zähneklappernd an und wir ziehen alle Klamotten an, die wir finden können. Als es schon dunkel ist und wir noch Autobahn Vignetten besorgen wollen, versagt auch noch Andis Blinkerschalter.
Wider Erwarten strahlt uns am nächsten Morgen die Sonne entgegen und auch die Bergspitzen sind nicht weiß gepudert. Selbst die XR macht weniger Schwierigkeiten auf dem sonnigen Pass als ich erwartet hatte. So kommen wir viel zu früh in Lörrach an und haben auch noch pro Kopf 85,-DM für ca. 200 Autobahnkilometer bezahlt. Das nächste Mal würde ich lieber über Landstraße durch die Schweiz fahren, wenn das Wetter mitspielt. Doch wir wollten nicht riskieren, den Autoreisezug zu verpassen. Abends besaufen wir uns auf dem Gang, halten einen Plausch mit einer Blondine und werden böse beschimpft wegen unserer Lautstärke. Aber für den Reisezug gilt das gleiche wie für die Wüste: Wir werden es wieder tun!
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