aus bma 3/00
von Ralf Ahlers
Wie im Delirium liege ich zwischen den Sitzreihen der Touristenklasse auf meiner Iso-Matte in den Schlafsack gehüllt. Durch die Medikamente meines Reisegefährten ist der Magen einigermaßen ruhig gestellt. Aus den Augenwinkeln heraus kann ich die lärmenden Kinder und die vielen Familien beobachten, von denen mindestens eine Person den Kopf in einer Spucktüte vergräbt. Auch der Blick durch die Bullaugen des Schiffes lässt nichts Gutes erahnen: Dunkler stürmischer Himmel wechselt sich ab mit der fast schwarzen Farbe des aufgewühlten Mittelmeeres.
Der Norden.
Tunis – Bizerte – Tabarka – El Kef
Ich mache drei Kreuze als wir den Hafen von Tunis erreichen und das Schiff wohlbehalten verlassen dürfen. Noch mit Medikamenten vollgepumpt, lasse ich auch die aufwendige Prozedur und die Schikanen der Grenzbeamten über mich ergehen.
Marc und mich zieht es jetzt nach Norden. Wir wollen dort – unmittelbar an der Küste – unser erstes Nachtlager beziehen. Ein festes Ziel haben wir nicht. Dort, wo es querfeldein irgendwie in die Botanik geht, wollen wir nächtigen. Wir nutzen die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung noch für einen Abstecher hinter die Dünen bis direkt ans Meer. Etliche Kilometer können wir direkt am Wasser fahren, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Etwas landeinwärts werden wir dann fündig. Wir zelten auf einer kleinen Erhöhung und legen uns nach dem Abendessen sofort schlafen.
Der nächste Morgen beginnt mit einer ziemlichen Überraschung. Von undefinierbarem Gemurmel vor dem Zelt etwas verunsichert, öffnen wir vorsichtig den Eingang und sehen gut ein dutzend Kinder, die in erwartungsvoller Haltung direkt vor uns sitzen. Unsere erste Sorge gilt den Motorrädern und den Gepäckstücken, die wir aus Bequemlichkeit über Nacht draußen ließen. Aber alles scheint in bester Ordnung. Sehr gewöhnungsbedürftig ist die kontinuierliche Beobachtung durch die anwesenden Kinder, die sich dann zu allem Übel auch noch schlagartig vermehrt haben. Kurze Zeit später kommen dann die Alten aus dem Dorf und vertreiben die Kinder mit Stockschlägen.
Landschaftlich ist der Norden sehr reizvoll. Besonders im Nordwesten gibt es erstaunlicherweise mehr grüne Landschaftsteile als erwartet. Auch die Straßenführung lässt ein zügiges und angenehmes Fahren zu. Nur leider bringt der Wind nicht die gewünschte Kühle.
Auf dem weiteren Weg nach Süden halten wir in den Städten Tabarka, Jendouba und El-Kef. In Tabarka werden wir von Straßenhändlern ganz mächtig aufs Kreuz gelegt, in Jendouba müssen wir die Motorräder grundreinigen lassen (das Salzwasser hat allen ungeschützten Teilen mächtig zugesetzt) und in El-Kef wird die Stadtbesichtigung in voller Motorradkleidung zur Tortur… Damit auch unsere kulturellen Bedürfnisse befrie- digt werden, saugen wir die Geschichte der Ruinen von Bulla Regia noch in uns auf.
Wir verlassen die Hauptstraße und bewegen uns in Richtung der algerischen Grenze. Dort erwartet uns ein echtes Highlight. Der „Table de Jugurtha”, ein Tafelberg mit der beachtlichen Höhe von 1271 Metern, hebt sich schon von weitem mit seiner tollen Silhouette vom Rest der Landschaft ab. Wir erklimmen ihn so weit es eben mit den beladenen Enduros möglich ist und bezwingen den Rest per pedes. Belohnt werden wir mit einer grandiosen Aussicht über weite Teile Tunesiens und Algeriens.
Getreu dem Motto: „so wenig Asphalt wie nötig und so viel Piste wie möglich” fahren wir weiter bis nach Thala. Erst sehr spät bemerken wir, dass wir fast schon auf dem Hof einer von Tunesiern bewachten Militäranlage stehen. Vier bewaffnete Personen springen eiligst aus ihren Baracken und laufen mit vorgehaltenen Gewehren auf uns zu. Damit sie uns nicht missverstehen, machen wir erst einmal nichts. Als wir den Helm abnehmen und in gebrochenem Französisch erzählen, dass wir Motorrad- touristen sind, entspannt sich die Lage. Ich biete Zigaretten an und versuche, die Situation weiter zu entschärfen. Wir werden darauf hingewiesen, in welche Gefahr wir uns begeben, wenn wir uns weiter in der Nähe der Grenze zu Algerien aufhalten. Zu guter Letzt werden wir lachend und mit winkenden Händen verabschiedet.
Die Mitte.
Kasserine – Gafsa – Rund um das „Chott El Djerid”
Unser nächstes Nachtlager beziehen wir in der Seldja-Schlucht, einem ausgetrockneten Flussbett, welches durch einen atemberaubenden Canyon führt. Selbst hier, scheinbar fernab von jeglicher Zivilisation, begegnen wir ihnen wieder, den vielen aufdringlichen Kindern. Selbst der tiefe Wunsch, mit dem Stiefel eine Kerbe in den Sand zu ziehen, um einem Bedürfnis nachzugehen, wird von allen aufmerksam verfolgt. Es ist wahrlich grauenhaft.
Am nächsten Tag fahren wir nach Tamerza, um die Oase und die unbeschreiblich schönen Schluchten zu besichtigen. Dort treffen wir auf Reiner Nixel, den Reiseveranstalter von Explo-Tours (bekannt durch die Reisegruppe, die in Jordanien festgehalten wurde).
In Tozeur, unserem nächsten Ziel, erleben wir die erholsamsten Tage des ganzen Urlaubs. Ein Abstecher nach Nefta, endlos lange Ausfahrten auf dem Chott el Djerid und Touren durch die Anlagen der riesigen Datteloasen machen das Endurofahren hier erst richtig erlebenswert.
Nach einigen Tagen voller Spaß und Gaudi ohne Ende führt uns der Weg über den größten Salzsee in Tunesien. Es folgt die große Oasen-Rundfahrt: Kebili – Faouar – Kebili.
Der Süden.
Das Ksar Ghilane – Die Tunesische Sahara
Auf den nächsten Streckenabschnitt haben Marc und ich uns schon den ganzen Urlaub gefreut. Endlich geht es in die sagenhafte Wü-stenoase Ksar Ghilane, benannt nach der Festung, welche etwa drei Kilometer nördlich davon in der Wüste steht.
Schon kurz hinter Douz beginnt der Übergang von asphaltierter Straße in sandige Passagen sehr abrupt. Wir hatten bisher glücklicherweise genug Zeit, uns an das Offroad-Fahren mit beladener Maschine zu gewöhnen. Doch wie wir es auch angehen, die Maschinen stecken schon nach wenigen hundert Metern wieder fest – ob Vollgas oder stehend in den Fußrasten, es ist nichts zu machen! Wenn es dann endlich zügig vorangeht, dann steckt garantiert der andere im Sand und braucht Hilfe. Gepäck runter, Maschine ausbuddeln, Gepäck wieder aufladen und dann anschieben. Hinzu kommt die ungewohnte Hitze und der extrem feine Sand, der hier immer in der Luft liegt, in jede Öffnung eindringt und mit Sicherheit irgendwann jeden Fotoapparat beschädigt. Wie häufig wir das Prozedere bis zum nächsten Etappenziel – dem „Bir Soltane” (eine große Brunnenanlage mit Windrädern) – wiederholt haben, kann ich später nicht mehr sagen.
Auch heute bleiben wir von Besuchern nicht verschont. Jetzt sind es aber Nomaden, die mit ihren Zelten und Kamelen unweit von uns ihr Lager aufgebaut haben. Als sie sehen, wie schnell wir das Zelt aufbauen, die Iso-Matten mit Luft füllen und das Gepäck von den Motorrädern laden, sind sie erstaunt. Ein Zelt, welches aus einem Sack kommt, der kaum größer ist als ein Kopfkissen, muss einfach außerirdisch sein! Wegen der reichhaltigen Ausrüstung und der Geschwindigkeit, mit der wir sie bedienen, halten sie uns für Mitarbeiter des Militärs.
Der Sandsturm, der in der Nacht über uns hinwegfegt, drückt uns den ganzen Staub in das Zelt. Der Mund, die Ohren und die Haare, alles ist voll mit diesen ekeligen feinen Sandkörnern. Und das am frühen Morgen! Bevor wir aufbrechen, müssen wir uns noch frisch machen. Wir warten bis unsere neuen „Nachbarn” fertig sind und bedienen uns dann selbst des frischen Brunnenwassers.
Der zweite Teil der Strecke ist fahrerisch zwar anspruchsvoll, aber trotz allem nicht so mühselig und zeitraubend wie gestern. Endlich! Wir stehen irgendwo im Nirgendwo und können sie schemenhaft erkennen: durch das Flimmern der Hitze erscheint uns die Oase wie eine Fata Morgana.
Nach der langen Wüstenfahrt gilt unser Interesse nicht dem tristen Dorf sondern der Thermalquelle, kühlen Getränken zu astronomischen Preisen und dem eigentlichen Ksar.
Wir nutzen dann die Möglichkeit, in einem Camp unser Quartier zu beziehen. Übernachtet wird in Beduinenzelten. Diese Unterkünfte sind zu allen Seiten offen und mit sechs staubigen Feldbetten bestückt. Anschliessend fahren wir die hundert Meter zur warmen Quelle. Trotz der Abgeschiedenheit findet sich hier natürlich auch ein Kiosk und ein Souvenirshop. Unmittelbar hinter diesem Ort der Erholung finden wir uns mitten in der tunesischen Wüste wieder. Endlich können wir nach Herzenslust herumbolzen und müssen uns keine Sorgen um das Gepäck machen.
Zeit für eine Pause? Kein Problem! Wir fahren zurück in die Oase und nehmen ein Bad in dem knietiefen warmen Quellwasser. So geht das den lieben langen Tag. Raus in den Sand, rein in das Wasser….
Die Krönung unserer Ausflüge stellt jedoch die Anfahrt zur Festung dar. Auf den Dünenkuppen folgen wir den Kamelspuren zur Festung. Ohne diese Orientierungshilfe wäre ein Erreichen der Ruine kaum möglich.
Matmata.
Wir müssen weiter. Das nächste Ziel heißt Matmata. Doch der Weg dorthin ist sehr beschwerlich. Anstatt nach Osten fahren wir in die südliche Richtung. Das Problem sind die vielen „Nebenpisten”, die eine Orientierung erschweren. Wir fahren also immer weiter, in der Hoffnung, einen Wegweiser zu finden…
Das geht solange gut, bis wir ziemlich weit von der eigentlichen Strecke endlich Personen treffen. Wir erfahren, dass wir uns auf der „Pipeline-Route” in der Nähe des erlaubnis- pflichtigen Sperrgebietes befinden. Uns wird zum ersten Mal Angst und Bange bei dem Gedanken, dass unser Benzin vielleicht nicht reichen wird – einmal abgesehen davon, dass uns keiner der Anwesenden exakt sagen kann, wo wir eigentlich sind (sie sind selber ganz erstaunt, ihr Land auf einer Karte zu sehen).
Wir nutzen unsere Reservekanister und fahren ab sofort stur nach Kompass. Wir sind froh, als wir wieder auf eine dem Anschein nach vielbefahrene Piste treffen. Leider beschert sie uns volle vierzig Kilometer übelstes Wellblech. Irgendwann und irgendwie erreichen wir den Ort Tataouine. Dort suchen wir sofort den Schlosser des Ortes auf, um meinen gebrochenen Kofferträger reparieren zu lassen.
Durch das Dahar-Gebirge touren wir dann nach Matmata. Die in jedem Reiseführer gepriesenen Höhlenwohnungen ziehen nicht die Wurst vom Brot, also verlassen wir diesen Ort so schnell wie möglich. Wir passieren die Städte Gabés und Gafsa und folgen der gut ausgebauten, aber langweiligen Straße nach Kairouan, der Heiligsten Stadt Tunesiens.
Kairouan.
Wir verbringen hier ein paar Tage, um uns und die Maschinen wieder auf Vordermann zu bringen. Natürlich nutzen wir die Zeit auch, um uns die Stadt ausgiebig anzusehen.
Tunis.
In einer Rutsche bringen wir dann die nächsten 170 km bis Tunis hinter uns. Auch dort verweilen wir einige Tage, um uns die Hauptstadt und ihre nähere Umgebung einmal ansehen zu können. Erst jetzt merken wir, wie die Anstrengung der letzten vier Wochen auf uns gewirkt hat. Die vielen Menschen in den Straßen und auf den Märkten scheinen uns zu erdrücken. Es wird Zeit, dass wir nach Hause kommen.
…mit jedem Sandkorn, welches sich noch nach Monaten in den verrücktesten Gegenständen wiederfindet, kann ich die Erinnerungen an dieses schöne Land und diesen Urlaub erneuern.
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