aus bma 9/00

von Bernhard Hübner

Operation gelungen – Patient wohlauf. 1988 war scheinbar das Ende der traditionsreichen englischen Motorradmarke Triumph gekommen. Doch schon 1991 erfolgte dieTriumph TT 600 Wiederbelebung. Ein neues Werk wurde gebaut und eine völlig neue Modellpalette auf die Räder gestellt. Vorwiegend setzte man auf den Dreizylinder – den hatte nämlich nicht jeder – aber es waren anfangs auch ein paar großvolumige Vierzylinder im Programm. Durch Qualität und eigenständiges Design sowie eine breite Modellpalette, die den Geschmack der Leute traf und bald so ziemlich alles vom Sportler über den Tourer und die Großenduro bis hin zum Cruiser abdeckte, konnte sich der „Wiedereinsteiger” eine gehörige Scheibe vom Zweiradmarkt abschneiden. Die deutschen Zulassungszahlen zeigen es: Triumph steht unter den Europäern mit einem Marktanteil von 2,61 % von Januar bis Mai diesen Jahres an zweiter Stelle knapp hinter Ducati mit 2,68 % Anteil.
Mit der leichtgewichtigen TT 600 versucht Triumph nun auch in der hart umworbenen 600er-Sportklasse Fuß zu fassen. Die Chancen dafür stehen außerordentlich gut, denn die Briten versuchen nicht etwa, sich konzeptionell von den anderen Anbietern zu unterscheiden, sondern orientieren sich vielmehr an den großen Vier aus Fernost. Mit einem Triple war die angepeilte Leistung aus 600 ccm Hubraum nicht realisierbar, also konstruierte man, ganz den Vorgaben der Mitbewerber entsprechend, einen völlig neuen Reihenvierzylinder. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Triumph-Vierer produziert in der offenen Version 81 kW oder 110 PS bei 12.800 U/min und liegt damit gut im Rennen.

 

Der große Unterschied zu den gängigen Motorkonstruktionen besteht darin, dass Triumph auf eine elektronische Einspritzung anstelle herkömmlicher Vergaserbefeuerung setzt. Triumph TT 600Alternativ ist die TT 600 auch mit 98 PS oder einsteigerfreundlichen 34 PS lieferbar. Zumindest bei letzterer Variante dürfte der Fahrspaß aber auf der Strecke bleiben.
Diese elektronische Saugrohreinspritzung ist es, die den Briten in der Vergangenheit jede Menge Kritik eingefahren und Spitzenplatzierungen bei diversen Vergleichtstest verhindert hat. Als Folge der nicht hundertprozentig gelungenen Abstimmung hatte die TT 600 mit einem erheblichen Leistungsmanko im unteren Drehzahlbereich zu kämpfen. Selbstverständlich hat das Werk reagiert und die Beseitigung des Problems in Zusammenarbeit mit Sagem, dem französischen Hersteller der Saugrohreinspritzung, in Angriff genommen. In mehreren Ausbaustufen wurde die Software überarbeitet und so eine verbesserte Abstimmung bei der Gasannahme herbeigeführt. Die Maßnahme soll sich auch positiv auf den Spritverbrauch ausgewirkt haben.
Die Sitzprobe verrät es: Der Fahrer ist durchaus komfortabel auf der kleinen Triumph untergebracht. Er muss sich keineswegs rennmäßig zusammenkauern, sondern sitzt angenehm aufrecht auf einem breiten, wohlgeformten Sitzpolster. Die nicht einstellbaren Aluminium-Lenkerhälften sind oberhalb der Gabelbrücke angebracht und tragen so ihren Teil zum Wohlbefinden des Triumph-Piloten bei. Auch die rundliche Verkleidung signalisiert eher einen Tou- rensportler als ein reines Sportgerät. Auffällig ragen die beiden Lufteinlässe unterhalb des Scheinwerfers in den Fahrtwind. Bei hoher Geschwindigkeit sollen sie den Staudruck und somit die Motorleistung erhöhen.
Der Blick des Fahrers fällt auf ein sehr übersichtliches Cockpit. Digitaltacho mit zwei Tageskilometerzählern und Zeituhr, ein analoger Drehzahlmesser mit integrierterCockpit Temperaturanzeige und ein paar Kontrolllämpchen, das ist alles. Ben- zinuhr oder -hahn sucht man vergebens, der Reservekraftstoff wird über eines der Kontrolllämpchen signalisiert. Die Armaturen sind guter Standard. Der Bremshebel ist vierfach verstellbar, der Kupplungshebel ist dagegen nicht einstellbar. Einstellbar in Zug- und Druckstufendämpfung sowie in der Federbasis sind aber die vordere Telegabel mit einem Stand-rohrdurchmesser von 43 mm sowie das hintere Zentralfederbein.
Die TT 600 besitzt keinen Choke, und so genügt der Druck auf den Anlasserknopf, um den Motor zum Leben zu erwecken. Auffällig und auch etwas gewöhnungsbedürftig ist die kernige Geräuschentwicklung, die man beinahe schon als aggressiv bezeichnen kann. Einige Sekunden braucht es, um die Spritzufuhr zu regulieren, so dass der Motor sich beim Gasgeben nicht mehr verschluckt und die Fahrt aufgenommen werden kann.
Da die Fußrasten genau richtig positioniert sind, kann der Fahrer eine völlig unverkrampfte Haltung einnehmen. Ziemlich munter geht der extrem kurzhubige, auf hohe Dreh- zahlen ausgelegte Vierzylinder zur Sache. Jedenfalls, wenn nach wenigen Kilometern erst einmal 70 Grad oder mehr auf dem Thermometer stehen und wenn die Drehzahlmarke die 4000 überschritten hat. Richtig munter wird das Triebwerk mit dem Erreichen fünfstelliger Drehzahlen. Im sechsten und letzten Gang setzt bei etwa 190 km/h ein spürbarer Schub ein. Hohe Autobahngeschwindigkeiten sind in leicht gebückter Haltung völlig problemlos möglich, denn die Verkleidung bietet dafür einen ordentlichen Windschutz.
Richtig Freude bereitet die Triumph TT 600 aber auf der Landstraße. Hier kann das spurstabile Fahrwerk seine Vorzüge voll und ganz ausspielen. Einigermaßen straff, aber immer noch ausreichend komfortabel lässt es sich mit ihr durch die Kurven schwingen. Allerdings sollte der Fahrer immer das Cockpit im Auge behalten, denn schneller als einem lieb ist, ist das gesetzliche Tempolimit ausgereizt. Unsere TT 600 genehmigte sich bei gemischter Fahrweise so ziemlich genau sechs Liter bleifreies Superbenzin auf hundert Kilometer aus dem 18 Liter-Tank.
Triumph TT 600Bei etwa 3000 U/min ist der Motor ziemlich übel am Ruckeln, eine Folge der noch verbesserungswürdigen Motorabstimmung. Dieses Problem tritt natürlich in erster Linie bei Ortstempo auf und lässt sich am besten durch zweimaliges Herunterschalten beseiti- gen. Im vierten Gang ist dann eine zitterfreie Gashand gefordert, um sich irgendwo bei orts-üblicher Geschwindigkeit einzupen- deln. Aber Abhilfe ist ja, wie bereits erwähnt, in Sicht.
Die vordere Doppelkolben-Bremsanlage mit ihren beiden 310 mm-Scheiben und Stahlflex-Leitungen kann schon mal leicht eine Schrecksekunde herbeiführen. Denn in der Wirkung ist sie gewaltig – weniger wäre in diesem Fall vielleicht mehr. Gerade auf holperiger Strecke erfordert es verdammt viel Gefühl im Bremsfinger, um die gewünschte Dosis Bremskraft zu erreichen. Das Hinterrad wird völlig zufriedenstellend durch eine 220 mm-Bremsscheibe verzögert. Auch bei der Reifenwahl übernehmen die Engländer Bewährtes. Die 600er verlässt das Werk auf Bridgestone BT 010-Reifen der für diese Kategorie gängigen Größen 120/70 ZR 17 vorne und 180/55 ZR 17 hinten.
Bei Triumph legt man auch auf Kleinigkeiten wert, die das Motorradfahrerleben ein wenig angenehmer gestalten. Ein Beispiel dafür sind die Knickventile an den Rädern, die eine regelmäßige Überprüfung des Luftdrucks erheblich erleichtern und daher eigentlich bei allen Motorrädern mit kleinen Rädern und großen Bremsen zum Standard ge-hören sollten. Auch der Rest kann sich sehen lassen. Fahrfertige 200 Kilogramm bringt die TT auf die Waage und ist damit den „Klassenkameraden” ebenbürtig. Aluchassis, Alufelgen, Aluschwinge – reichlich Leichtmetall macht’s möglich.
Ausstattungsmäßig liegt die Triumph auf dem gleichen Niveau wie die Konkurrenz, besitzt aber zusätzlich einen ungeregelten Katalysator, den ansonsten nur noch die Kawasaki ZX 6R zu bieten hat. Für 17.990 Mark steht sie bei den Händlern und bildet damit – gleichauf mit der Kawa – das obere Ende der Preisskala bei den sportlichen 600ern. Wer möchte, kann seine Triumph mit Original-Zubehörteilen aufpeppen. Da gibt es zum Beispiel die Sitzbank-abdeckung, die aus optischen Gründen auf keiner TT 600 fehlen sollte, eine Alarmanlage mit Wegfahrsperre oder einen kleinen, formschönen Gepäckträger. Zu den bekannten Farben Rot/Silber und Gelb/ Schwarz kommt ab sofort die Variante Grün hinzu, „Roulette Green” genannt.
Mit der TT 600 hat Triumph einen Einstieg mit Hindernissen in die 600er-Sportklasse vollzogen. Getrübt wird der Blick auf ein auf Anhieb gelungenes und aus feinsten Zutaten zusammengestelltes Motorrad nur durch die Kleinigkeit einer nicht ausgereiften Einspritzanlage. Und ist diese leidige Sache erst einmal aus der Welt geschafft, kann sich die TT zu einer echten Herausforderung für die Mitbewerber entwickeln.