aus bma 1/13
von Klaus Herder

Triumph Trophy 2013Der VW Golf mag ein tolles Auto sein. Vielleicht sogar das beste seiner Klasse, die ja praktischerweise nach ihm benannt ist. Zuverlässigkeit, Sicherheitsausstattung, Wiederverkaufswert – alles bestens beim Golf. Und trotzdem würde ich mir in tausend kalten Wintern keinen Golf kaufen. Weil er mich nervt. Weil mir die blasierte VW-Werbung („Das Auto“) auf den Keks geht. Weil ich die Auto-Phantasielosigkeit der Golf-Kunden schrecklich finde. Weil mich deren Einmal-Golf-immer-Golf-Einstellung inklusive der Bereitschaft, jeden noch so überzogenen Preis zu zahlen, anödet. Kurz gesagt: Weil mich das lemmingemäßige des Bestsellers und seiner Fans furchtbar abschreckt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gönne jedem seinen Golf, nur ich werde ihn mir nie kaufen. Nun glauben Sie aber bitte nicht, dass ich vor lauter Individualitäts- und Selbstverwirklichungs-Bestrebungen ins andere Extrem verfallen könnte. Alfa Romeo? Gott bewahre! Ich bin vermutlich eher der Ford-, Opel- oder Mazda-Typ. Weil: Im Grunde genommen mag ich ja die Golf-Tugenden…

Triumph Trophy 2013Vielleicht verstehen Sie nach diesen eher allgemein gehaltenen Eingangsworten – das Thema Auto ist neben dem Thema Fußball schließlich das allgemeingültigste Thema, über das man schreiben kann – warum ich die neue Triumph Trophy für so ungemein wichtig halte. Während es nämlich schon ewig gute Alternativen zum VW Golf gibt, fehlten solche bislang zum VW Golf der Motorradszene, also konkret zur BMW R 1200 RT.
 Nun werden womöglich die Fans der japanischen Hersteller aufstöhnen und etwas von Kawasaki 1400 GTR und Yamaha FJR 1300 murmeln, aber ich schrieb von echten Alternativen, nicht von Kompromissen. Und Alternativen gab es bislang wirklich nicht, wenn man beim zweirädrigen Reisepartner nicht nur auf Ausstattung und Komfort Wert legte, sondern auch auf Kardan, Handlichkeit, Drehmomentstärke und weniger als vier Zylinder. Es fehlte ein Motorrad, das alles das kann, was eine R 1200 RT auszeichnet, das aber nicht von BMW stammt. Da traf es sich doch bestens, dass sich Triumph schon seit über einem Jahr auf dem „Wir-bauen-Motorräder-für-BMW-Verweigerer-Trip“ befindet und ziemlich schamlos, aber äußerst clever auf Kunden schielt, die zwar eigentlich einen bayerischen Twin aus Berlin haben wollen, aber aus irgendwelchen Gründen dann doch nie kaufen würden.

Ein allzu schlechtes Gewissen müssen die Briten bei aller Kopierlust in Sachen Konzeption, Design und Ausstattung auch gar nicht haben, bleibt ihnen doch ein ganz wesentliches Bauteil, das allen Plagiats-Vorwürfen den Wind aus den Segeln nimmt: der famose und absolut eigenständige Dreizylindermotor. Ebendieser 1215-Kubik-Triple aus der bereits seit Anfang 2012 angebotenen GS-Herausforderin Tiger Explorer ist es auch, der bei der seit Oktober 2012 bei den Händlern stehenden Triumph Trophy und ihrer von außen praktisch nicht zu unterscheidenden, aber noch etwas üppiger ausgestatteten Schwester Trophy SE für Vortrieb sorgt. 

Triumph Trophy 2013 mit SoziaDer Reihendreizylinder wurde von Beginn an für den Einsatz in beiden Baureihen entwickelt. Es verwundert also wenig, dass die Motorgehäuse samt aller Innereien und der komplette Antriebsstrang identisch sind. Mit einer kleinen Ausnahme: Der sechste Gang wurde für die Trophy deutlich länger übersetzt und als Overdrive ausgelegt. Eine neue Software, eine geänderte Airbox und eine andere Edelstahl-Auspuffanlage bescheren der Trophy zudem eine noch reisefreundlichere Drehmomentcharakteristik. Ihre maximal 120 Nm schaufelt sie bereits bei 6450/min auf die Kurbelwelle; die Tiger Explorer benötigt für 121 Nm immerhin 7850 Touren. Netter Nebeneffekt des geänderten Mappings: Zwischen 2500/min und dem Drehzahlbegrenzer-Eingriff bei 9500/min liegen bei der Trophy immer über 100 Nm an. Da ist es verschmerzlich, dass von den 137 PS der Reiseenduro für die Trophy „nur“ 135 übrig blieben. Die bekommen es bei der mit 26 Litern vollgetankten Trophy SE mit immerhin 317 Kilogramm Kampfgewicht zu tun. Plus Besatzung natürlich, was umso erwähnenswerter ist, da der Reisedampfer üppige 237 Kilo zuladen darf. Da sind selbst XXL-Pärchen im kompletten Warnwesten- und Klapphelm-Ornat immer im grünen Bereich unterwegs. Trophy und Trophy SE wiegen laut Triumph-Unterlagen genau gleich viel, was etwas überraschend anmutet, da es ja gerade die üppigere (und damit wohl auch etwas schwerere) Ausstattung der SE ist, die den Preisunterschied ausmacht. Die Basis-Trophy kostet 17360 Euro (inkl. Nebenkosten), für die Trophy SE (für die sich in Deutschland voraussichtlich vier von fünf Trophy-Käufern entscheiden werden) verlangt der freundliche Triumph-Dealer 18670 Euro. Für die 1680 Euro Differenz gibt es etwas mehr Komfort, etwas mehr Infos und deutlich mehr auf die Ohren. Oder anders gesagt: ein elektronisch einstellbares Fahrwerk, ein Reifendruck-Kontrollsystem, eine dritte, für den Beifahrer erreichbare Bordsteckdose und vor allem eine Audioanlage mit zwei in die Verkleidung integrierten Lautsprechern.
Beide Versionen sind in Blau oder Silber zu bekommen, und beide sind bereits von Haus aus üppig ausgestattet. Als da serienmäßig unter anderem wären: Integralbremse mit ABS, Tempomat, abschaltbare Traktionskontrolle, Koffersatz (2 x 31 Liter), höhenverstellbarer Fahrersitz (800 oder 820 mm), elektrisch verstellbare Windschutzscheibe mit Memory-Funktion und der bei einem Tourer unverzichtbare Hauptständer. Zweistufige Heizgriffe, beheizbare Fahrer- und Beifahrsitze, Topcase und weitere Luxus-Extras sind zudem für durchaus faire Tarife in der Zubehör-Preisliste zu finden.

Triumph Trophy 2013 CockpitDer Erstkontakt mit der Trophy SE sorgt beim Fahrer für mächtig viel Respekt. Zumindest so lange es um motorlose Aktionen wie Rangieren und Aufbocken geht. Der Schwerpunkt liegt bauartbedingt nicht nur gefühlt ziemlich hoch, und so ist schon beherztes Zupacken gefragt, damit sich die 317 Kilo nicht urplötzlich in eine völlig falsche Richtung verabschieden. Doch sitzt man erst einmal in gar nicht so schwindelerregender Höhe – der clever gestaltete, nur 11,3 Kilo leichte Alu-Brückenrahmen macht eine recht schlanke Taille – fasst der Fahrer sofort Vertrauen zum perfekt ausbalancierten Triumph-Trumm. Die Sitzgelegenheit ist ausgesprochen bequem, weil lang und breit und weich geraten, der hohe und breite Lenker liegt goldrichtig zur Hand, Handbrems- und Kupplungshebel lassen sich einfach verstellen, das Bedienen der hydraulisch betätigten Kupplung macht auch Weichgreifern Spaß. Die klassisch gestalteten Rundinstrumente erfreuen das Auge und lassen sich bestens ablesen, und der 16,4 cm messende Verstellbereich der Windschutzscheibe ist für Normalwüchsige zwischen 1,75 und 1,90 Meter Gesamtlänge perfekt. Wer partout die Sitzhöhe verändern möchte, braucht nur eine Strebe unterm Sitz umzulegen. Und wer zur SE gegriffen hat, erledigt auch alle Fahrwerksteinstellungen im Handumdrehungen. Ausschließlich im Stand lassen sich die Federelemte von WP Suspension auf die Beladung (also in der Federbasis) einstellen. Drei Szenarien kennt das System: Solo, Solo mit Gepäck, Soziusbetrieb. Die Dämpfung lässt sich auch während der Fahrt anpassen, die drei Möglichkeiten heißen Comfort, Standard und Sport. Das „während der Fahrt“ bleibt aber zumindest für Trophy SE-Neulinge anfangs eine eher theoretische Möglichkeit, denn im Unterschied zum sehr, sehr ähnlich aufgebauten, aber einfach blind per Knopfdruck verstellbaren ESA-System von BMW muss beim TES getauften Triumph-System in diversen Untermenüs und mit entsprechendem Blick aufs Display im Cockpit navigiert werden, um die gewünschte Einstellung hinzubekommen. Und das über die linke Lenkerarmatur, die mit 14 (!) zum Teil doppelt belegten Schaltern und Knöpfen ohnehin schon mehr nach Enterprise-Kommandostand als nach Motorradlenker aussieht. Am rechten Lenkerende geht es dagegen mit nur vier Schaltern im Vergleich nahezu spartanisch zu. Das Display zwischen den Rund­instrumenten imformiert über Spritverbrauch und -vorrat, Restreichweite, Geschwindigkeit, Fahrzeit, Entfernung seit Abfahrt, Kühlmittel- und Lufttemperatur, Uhrzeit, eingelegten Gang und Reifenfülldruck. Immerhin 17 Kontrolleuchten runden das üppige Info-Angebot im Trophy-Cockpit ab.

Triumph Trophy 2013 KofferDer Trophy-Neuling sollte sich also etwas Muße gönnen, um das Mäusekino und die vielen Verstellmöglichkeiten genießen zu können, aber bereits eine Viertelstunde nach Erstkontakt wird er dann vielleicht so weit sein und tatsächlich den Motor starten. Was allein soundmäßig kein Fehler ist, denn das typische Mahlen und Fauchen des Triumph-Dreiers hat natürlich auch die Trophy zu bieten. Anfangs tönt das noch sehr dezent grummelnd aus dem dreieckigen Endtopf, doch mit steigender Drehzahl sorgt der Triple-Sound dann garantiert für aufgestellte Nackenhärchen. Zuerst einmal ist es aber etwas ganz anderes, was für Verzückung beim Fahrer sorgt: die unglaublich geschmeidige und dabei sehr direkte Art, mit der der Motor ans Gas geht. Der Bordrechner wandelt jede noch so kleine Bewegung der Gashand praktisch ohne Verzögerung in Befehle für den Stellmotor der drei 46er-Drosselklappen um. Dem Drive-by-wire ist es völlig egal, ob da ein Obersensibelchen am Gasgriff streichelt oder ob ein Grobmotoriker digital zu Werke geht – die Gasannahme ist immer perfekt. Kein Ruckeln, kein Zucken, kein Durchhänger – die Fuhre schiebt einfach nur souverän vorwärts. Vibrationen, Kardanreaktionen? Nichts, einfach nichts. Kein Kribbeln, keine Lastwechselreaktionen, kein Fahrstuhlbetrieb. Und die 317 Kilo plus Besatzung? Weg. Einfach weg! Oder zumindest nicht mehr zu spüren, denn die Leichtigkeit, mit der die Trophy ums Eck wuselt, ist schier unglaublich.
Triumph Trophy 2013Zielgenau, lenkpräzise und absolut neutral folgt sie genau dem Kurs, den ihr Fahrer wünscht. Schräglagenfreiheit? Mehr als bei manch vermeintlich sportlicherem Gerät. Die Trophy lässt sich durch nichts erschüttern, klappt nicht ungewollt ein, stellt sich nicht unvermittelt auf und ist trotzdem alles andere als stur. In sehr schnellen Wechselkurven verlangt sie natürlich nach etwas Körpereinsatz des Fahrers – der hohe Schwerpunkt lässt sich dann doch nicht ganz verheimlichen –  doch das ändert nicht an der fantastischen Zielgenauigkeit und der unterm Strich hervorragenden Handlichkeit der Trophy. Ihr Handling passt viel eher zur U250- als zur Ü300-Kilo-Liga. Bei den absoluten Fahrleistungen lässt sich die Masse dann allerdings nicht ganz wegdiskutieren. Für den Sprint von 0 auf 100 km/h vergehen vier Sekunden, bei 214 km/h ist laut Triumph das Ende der Fahnenstange erreicht (in der Praxis wohl erst bei rund 220 km/h), und auch beim Durchzug ist ihr eine zwar 25 PS schwächere, dafür aber auch 35 Kilo leichtere BMW R 1200 RT etwas überlegen, aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Viel entscheidender ist, wie souverän sich mit der Trophy die Kilometer herunterreißen lassen. Und darauf gibt es eine ganz klare Antwort: sehr souverän! Der hervorragende Wind- und Wetterschutz sorgt nämlich dafür, dass die bestens untergebrachten Passagiere lange fit bleiben. Und auch die gelungene, weil komfortable, aber nicht schwammige Ab­stimmung der Federelemente schont die Kondition der Besatzung. Der überschaubare Verbrauch von praktisch nie mehr als sechs, meistens eher nur fünf Litern beschert der Triumph eine üppige Reichweite. 500 Nonstop-Kilometer sind auf der Landstraße locker drin, und 400 pausenlose Autobahn-Kilometer ebenso machbar.
Die Triumph Trophy ist ein äußerst angenehmer Reisepartner, der auch dann souverän mitspielt, wenn es mal nicht vehement voran gehen soll. Stichwort Verzögerung: Die Trophy ist mit einem Integral-Bremssystem bestückt, bei dem der Tritt aufs Bremspedal zwei von vier Kolben des rechten vorderen Bremssattels in Aktion treten lässt. Allerdings nicht immer und auch nicht proportional, sondern verzögerungsabhängig. Wer also beim langsamen Serpentinenfahren oder Wenden nur kurze, zarte Anpassungsbremsungen vollführt, verzögert auch nur das Hinterrad. Ein etwas beherzterer Tritt wirkt dann aber durchaus spürbar aufs Vorderrad, und wer richtig fest aufs Pedal steigt, wird vorn und hinten mit entsprechend üppiger Verzögerung der Nissin-Stopper belohnt. Nicht ganz so perfekt, aber immer noch sehr ordentlich arbeitet das ABS. An den absoluten Verzögerungswerten gibt‘s dabei eigentlich nichts zu kritisieren, nur dürften die Regelvorgänge gern etwas weniger ruppig erfolgen, und auch die für’s vehemente Ankern benötigte Handkraft ist relativ hoch.

Vernachlässigbarer Kleinkram. Was gab‘s sonst zu meckern? Eine etwas überladene linke Lenkerarmatur und eine etwas gewöhnungsbedürftige Dämpfungsverstellung; das etwas zu hohe Gewicht und ein etwas zu hoher Schwerpunkt, wirklich störend aber nur beim Rangieren; ein etwas grob regelndes ABS – sonst nichts? Sonst nichts! Auf der Haben-Seite steht dafür umso mehr: Ein souveräner, charakterstarker, kultivierter und sparsamer Motor mit üppigen 16000-Kilometer-Wartungsintervallen; ein komfortables und stabiles Fahrwerk mit einem sensationell leichten Handling; sehr viel und bestens geschützter Platz für Fahrer und Sozius; eine Top-Ausstattung und eine ordentliche Verarbeitung sowie jede Menge Zuladung. Und vor allem: Es funktioniert (fast) alles wie bei einer BMW – und manches sogar besser. Golf-Alternativen gibt‘s schon lange. Wie schön, dass es jetzt auch eine echte RT-Alternative gibt.