aus Kradblatt 11/13
von Klaus Herder

Triumph Tiger SportWer als Erstgeborener Geschwister bekommt, hat es nicht immer leicht – Stichwort schwindende Eltern-Aufmerksamkeit, einhergehend mit eigenen Eifersüchteleien gegenüber den neuen Familienmitgliedern. Manchmal kann das neue Leben als Ex-Einzelkind aber auch echte Vorteile mit sich bringen: Man steht nicht mehr so im Fokus, muss nicht mehr über jeden Schritt Rechenschaft ablegen, und die Erzeuger lassen einen endlich in Ruhe sein eigenes Ding machen, da sie genug mit den neuen Blagen zu tun haben.
So muss es wohl der Tiger 1050 ergangen sein, als sich mit der Tiger 800 und der 1200er-Tiger Explorer Nachwuchs ins Hause Triumph gesellte. Endlich hatte das ewige und schon immer unsägliche Vergleichen mit der GS von BMW ein Ende. Den Job konnten fortan die stollenbereiften XC-Versionen der neuen Tiger-Schwestermodelle übernehmen. Dabei war die Nummer als vermeintliche GS-Alternative schon ab 2007 kein wirkliches Thema mehr, denn mit dem Wechsel vom 955er- zum 1050er-Motor und dem Umstieg auf straßenbereifte 17-Zöller sowie auf Alu- statt Stahlrahmen verabschiedete sich Triumph bereits damals endgültig von der Muss-noch-irgendwie-eine-En­duro-sein-Lebenslüge. Mangels Alternative im Triumph-Programm ging das große Vergleichen aber fleißig weiter, und dabei konnte die 1050er-Tiger eigentlich nur verlieren.
Das ist gottlob Geschichte, und es spricht für Triumph, dass man die Ur-Tiger nun nicht bequem aufs Altenteil abschiebt und in Frieden auslaufen lässt, sondern ihr 2013 noch einmal eine umfangreiche Modellpflege spendierte, die den wahren Tiger-Charakter kräftig schärfte. Dass sich bei der 1050er etwas getan hat, sieht man ihr auf Anhieb an: Die neuen Verkleidungsteile sorgen für eine klarere und dynamischere Linie als bisher, alles ist mehr in Richtung Vorderrad orientiert und wirkt deutlich angriffslustiger. Die Maske blieb gleich, allerdings ersetzen lichtstärkere und leichtere Reflektorscheinwerfer die bisherigen Projektionsscheinwerfer, und eine neue (leider nicht verstellbare) Scheibe vervollständigt die Gesichtskosmetik. Am Heck tat sich ebenfalls eine Menge: Triumph senkte das Hinterteil ab, lässt den Soziussitz nicht mehr ganz so steil gen Himmel ragen und verbaute einen neuen und stabileren Heckrahmen, der 20 Kilo mehr Zuladung verträgt. Doch auch, wer kein Auge für die Front- und Heck-Umgestaltung hat, kann sofort erkennen, dass da die neue Tiger 1050, die jetzt Tiger Sport heißt, vor einem steht: Stichwort Einarmschwinge – die gab’s am Tiger-Muttertier zuvor noch nie. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Organspende-Teil aus der Speed Triple. Der Hingucker ist eine Neukonstruktion, die länger als das Speed Triple-Teil und auch 39 mm länger (und sogar noch rund zwei Kilo schwerer) als die bisherige Zweiarmschwinge ist. Der Radstand legte um 30 mm zu, ein etwas steilerer Lenkkopfwinkel sorgt dafür, dass die Gesamt-Geometrie passt.
Triumph Tiger Sport linksDurchaus effektive Modellpflege im Millimeterbereich gab es auch am Fahrer-Arbeitsplatz: Der liegt nun 5 mm niedriger als bisher, die Sitzgelegenheit geriet zudem schmaler und dabei trotzdem bequemer. Die reduzierte Schrittbogenlänge (ein wunderbares Wort, das vor x Jahren zuerst in BMW-Pressemitteilungen zu finden war) sorgt dafür, dass nun auch etwas kurzbeinigere Tiger-Piloten sicheren Stand finden können. Die Soziusrasten sind nun tiefer gelegt, der Lenker wanderte ebenfalls ein paar Millimeter nach unten und weiter in Richtung Fahrer. Alles zusammen sorgt für eine etwas sportlichere Unterbringung der Besatzung, was gut zum geschärften Tiger-Charakter passt. Allerdings auch seine Tücken hat, wenn der Fahrer 1,90 Meter oder mehr misst. Dann kann’s in Sachen Kniewinkel nämlich auf Dauer etwas zu eng und damit ungemütlich werden. Merke: War die ganz frühe Tiger mit ihrer sehr luftigen Sitzhöhe und dem noch luftigeren Schwerpunkt eher etwas für ganz große bis extrem große Fahrer, so ist sie mittlerweile ein Gerät für absolut normalwüchsige Piloten – was im Hinblick auf eine erweiterte Zielgruppe ja wahrlich nichts Schlechtes sein muss.
Triumph Tiger Sport obenUm den neuen Namenszusatz „Sport“ aber mit ganz gutem Gewissen zu vergeben, beließen es die Triumph-Verantwortlichen nicht bei etwas Feinarbeit an den Rahmenbedingungen. Sport hat ja irgendwie auch etwas mit Leistung zu tun. Bitteschön: Ab sofort tritt die Tiger mit 10 PS mehr als bisher an. Und 6 Nm mehr maximales Drehmoment als beim Vorjahresmodell liegen auch an. Um die nun 125 PS bei 9400/min und die maximal 104 Nm bei überschaubaren 6250/min zu realisieren, mussten die Triumph-Techniker noch nicht einmal tief in die Innereien des Reihendreizylinders eingreifen – die Triple-Basis blieb praktisch unangetastet. Mehr Leistung und mehr Kraft sind Resultat liebevoller Feinarbeit auf der Ansaugseite. Eine neue Airbox und begradigte Wege sowie ein neues Mapping bescherten dem altgedienten Triple mehr Feuer. Und damit am anderen Ende des Gaswechsels auch alles glatt läuft (besser: strömt), gab’s obendrauf noch einen neuen Edelstahlschalldämpfer. War die Tiger schon bisher kein Kind von Sound-Traurigkeit, so gibt’s jetzt noch etwas mehr heiseres Fauchen oder Grollen – und das total legal. Herrlich!
Triumph Tiger Sport rechtsHaben wir noch weitere Details aus dem Projekt „Unsere Tiger muss schärfer werden“ vergessen? Haben wir: Das Getriebe stammt nun aus der Speed Triple R mit kürzerem sechsten Gang; und ein Zahn mehr am Kettenrad sorgt zudem für eine kürzere Endübersetzung. Gangwechsel sollen nun noch leichter und präziser vom Fuß gehen. Tun sie das? Formulieren wir es mal vorsichtig: Schlechter ist’s nicht geworden, aber es gibt Motorräder, bei denen das Rühren im Getriebe weniger knochig klappt und die weniger Handkraft zur Kupplungsbedienung benötigen. Die Sechsgangbox der Triumph ist völlig okay. Wer etwas konzentrierter arbeitet – was man auf einem 125-PS-Stuhl ja ohnehin immer machen sollte – wird keinerlei Probleme haben. Aber eine Offenbarung ist das Tiger Getriebe immer noch nicht.
Triumph Tiger Sport CockpitBesagte Offenbarung folgt allerdings, wenn man dem erstarkten Triple die Sporen gibt. Was für ein geiler Motor! Nun war der Dreizylinder ja noch nie ein Kind von Leistungs-Traurigkeit, doch das, was jetzt in Sachen Durchzug geboten wird, toppt die bekannten Tiger-Tugenden. Die mit 20 Litern vollgetankt rund 240 Kilo wiegende Fuhre schiebt mit einer unglaublichen Vehemenz schon ab knapp über Leerlaufdrehzahl los. Und schiebt. Und schiebt – und hört gar nicht wieder auf. Durchhänger? Einbruch? Alles Fremdworte, der Tiger-Triple kennt einfach nur Schub. Und das in einer wunderbar gleichmäßigen Art und Weise, die fast schon etwas Unspektakuläres hat. Das macht gelassen. Und zum coolen Auftritt passt das optimierte Fahrwerk, welches sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lässt. Mit einer (bekannten) Ausnahme: Wer im ersten oder zweiten Gang um enge Kehren zirkelt und dabei etwas zu vehement, also praktisch digital an der Kordel zieht, wird mit derben Lastwechselreaktionen bestraft. Nicht mehr ganz so heftig wie bei den Vorgängerinnen, aber doch immer noch so, dass es Unwissenden etwas die Linie verhageln kann.
Tiger-Profis kennen das, sie drehen in entsprechenden Situationen halt etwas weniger heftig an der Brause – und sind immer noch sehr, sehr zügig unterwegs; denn das total neutrale, herrlich berechenbare Lenkverhalten und die dank angenehm straffer Grundabstimmung stets sehr präsente Rückmeldung sorgen dafür, dass Tiger-Treiben eine überaus genussvolle Sache ist. Und dabei eine durchaus bequeme, denn Fahrer und Sozius sind bestens untergebracht und die rechnerische Reichweite von 385 Kilometern (bei moderaten 5,2 Litern Verbrauch) muss kein theoretischer Wert für Nonstop-Touren bleiben. Also doch eine verkappte Reise-Enduro, womöglich doch eine GS-Konkurrentin?
Triumph Tiger Sport frontNein, nein und nochmals nein! Die Tiger Sport ist viel eher eine höher gelegte, deutlich komfortablere Speed Triple. Die nun nur noch 10 PS Leistungsdifferenz zur sportlichen Nackt-Darstellerin aus gleichem Hause machen den Kohl nicht fett, und dass die Tiger Sport „schon“ bei 220 km/h abriegelt, dürfte nicht wirklich stören. Die neue Tiger ist ein Sportler in Wanderstiefeln und mit einem breiten Kreuz für einen Rucksack (besser: Koffer). Upside-down-Gabel und Zentralfederbein sind zwar voll einstellbar, aber der ganze elektronische Fahrwerks-Tüdelkram der Reisedampfer-Szene geht der Tiger völlig ab. Fahrer-Assistenzsysteme? Vergiss es. Die Tiger ist serienmäßig mit einem abschaltbaren, durchaus feinfühlig regelnden ABS bestückt – das muss in Verbindung mit mächtig zupackenden Nissin-Stoppern reichen. Und es reicht völlig. Die mit einem Grundpreis von 12190 Euro in Weiß oder Rot antretende Triumph Tiger Sport ist zwar ein nagelneues Motorradmodell, doch ihr ganzes Wesen ist wunderbar unzeitgemäß. Sie ist gut verarbeitet, für sie gibt es jede Menge sinnvolles Zubehör, sie verbraucht relativ wenig Sprit, auf ihr sind zwei Personen dauerhaft menschenwürdig untergebracht – und doch hat die 1050er-Tiger nur eine einzige Aufgabe: jede Menge Fahrspaß zu bieten. Und diese Aufgabe meistert sie mit Bravour. Das Beste, was der Tiger passieren konnte, ist die neue Situation, dass sie sich keiner Kategorie mehr zuordnen lässt. Oder um es noch kürzer zu sagen: Das Beste, was ihr passieren konnte, sind die jüngeren Geschwister. So etwas kann nämlich befreien.