aus bma 07/07

von Klaus Herder

Triumph Tiger (Mod. 2007)Es gibt Tage, da bricht sogar bei mir die Vernunft durch. Kurzfristig zwar, aber immerhin. Das sind die Tage, an denen ich in meiner gar nicht mal so kleinen Doppelgarage etwas suche und nicht auf Anhieb finde. Das Spielchen läuft dann meist wie folgt ab: Die 500er-Kawa der Frau hinausschieben, um an die BMW K 75 zu kommen. Die Dreizylindermaschine etwas umrangieren, um kontrollieren zu können, ob das gesuchte Teil/Werkzeug hinterm Sportboxer liegt. Liegt es nicht, also die R 1100 S ebenfalls nach draußen rollen. Schon besser, jetzt stehen nur noch die Sporty und die Street Bob im Weg. Kein Problem, die sind auch schnell weggeräumt, und außerdem liegt das gesuchte Teil/Werkzeug diesmal hinter der alten 250er-Honda, die eingekeilt zwischen den Winterreifen in der anderen Ecke meiner gar nicht mal so kleinen Doppelgarage klemmt. Keine Stunde später steht wieder alles an seinem Platz, und ich kann beruhigt feststellen, dass das gesuchte und endlich gefundene Teil/ Werkzeug doch nicht passt.
Das sind die Momente, in denen ich mir für kurze Zeit eingestehe, dass es ein einziges Motorrad vielleicht auch tun würde. Dann wäre auch noch Platz für den Rasenmäher, die Fahrräder und vielleicht sogar für die beiden Familienkutschen (beide deutlich älter als 15 Jahre und 150.000 Kilometer – irgendwie muss mein Garagen-Vollstell-Hobby ja finanziert werden…). Frau Herder müsste im Winter nicht mehr Eis kratzen, ich würde vielleicht alles auf Anhieb finden, und überhaupt wäre alles viel einfacher. Solch kranke Gedanken verwerfe ich natürlich sofort wieder. Aber jetzt kam die Überlegung wieder hoch. Das Fazit einer Triumph-Pressemitteilung ist schuld: „Tiger 1050 – Gebaut für den Fahrer, der nur eine Maschine besitzt, aber nicht nur eine Sache mit ihr macht!”

 

Ausgerechnet eine Tiger soll das allein selig machende Gerät sein? Die Typenbezeichnung Tiger war für mich immer der Inbegriff des langweiligsten Eisens im Triumph-Programm. Okay, der Stuhl war immer schon mit einem famosen Dreizylindermotor bestückt, doch das ganze Drumherum war doch eher etwas für Klapphelm tragende Verwaltungsfachangestellte, die Fahrtenbuch führen und jederzeit bis auf drei Stellen hinterm Komma genau wissen, wieviel Sprit ihr Motorrad verbraucht. Der Triple machte in allen anderen Motorrädern der Triumph-Kollektion deutlich mehr Spaß. Die sackschwere erste Tiger (1993) mit dem Vergaser bestückten 885er-Motor war wenigstens noch ein fordernder Raubauz, doch ab 1999, mit Einspritzung, G-Kat und glattgelutschter Verkleidung war die Tiger nur noch ein sehr nettes Reisemotorrad. Und „nett” ist so ziemlich das Letzte, was mein Motorrad sein soll.
Triumph Tiger (Mod. 2007)Warum also sollte mich ausgerechnet die fünfte Tiger-Auflage vom Hocker hauen? Weil an ihr alles, wirklich alles komplett neu ist. Und weil sich Triumph endlich von der „Muß-irgendwie-noch-eine-Enduro-sein-Lebenslüge” verabschiedet hat. In den aktuellen Triumph-Unterlagen wird die Triumph nicht mehr als „Enduro”, sondern als „Sporttourer” geführt. Das war überfällig, denn ein Geländehobel war die stets unter Übergewicht leidende Tiger noch nie. In welche Richtung die Reise gehen würde, war bei der letzten Modellpflege der alten 955er-Tiger zu ahnen: 2005 gab es gekürzte Federwege und Guss- statt Drahtspeichenräder. Zur gleichen Zeit drehte bereits der erste 1050er-Prototyp seine heimlichen Runden. Seit November 2006 rollt die Tiger 1050, die jetzt nur noch Tiger heißt, im mittelenglischen Hinckley vom Band. Und dort bekommt sie alles spendiert, was ein amtliches Sportgerät heute braucht: Einen üppig dimensionierten Alu-Brückenrahmen anstelle des Stahlrohrrahmens, eine voll einstellbare Upside-down-Gabel mit den radial montierten Vierkolben-Festsätteln der Speed Triple, 17-Zöller vorn und hinten mit feinen Michelin Pilot Road „S” im gängigen 120er- und 180er-Sportler-Format, nochmals verkürzte Federwege (immer noch völlig ausreichende 150 mm vorn und hinten) und als Krönung den feinsten Dreierpack, den Triumph momentan im Angebot hat. Für Vortrieb sorgt der auch in der Speed Triple und der Sprint ST Dienst schiebende Reihendreizylinder mit 1050 cm3. Während der von einer Einspritzanlage versorgte und natürlich mit G-Kat bestückte Drilling in den Schwestermodellen 132 bzw. 126 PS leistet, lässt er es in der Tiger mit 115 PS genug sein. Ein längerer sechster Gang als Autobahn-Overdrive, ein modifiziertes Ansaugsystem sowie ein anderer Auspuff für mehr Drehmoment bei geringerer Drehzahl und ein mit mehr Speicherkapazität und geändertem Mapping versehener Zentralrechner – das ist es auch schon, was den Tiger-Triple von den Motoren der Schwestern unterscheidet.
Die Tiger ist immer noch ein sehr imposantes Motorrad, doch ihr bei Marabese-Design in Italien geschnitztes Äußeres wirkt um Welten flotter und leichter als die Pummelchen-Verpackung der alten Tiger. Die Neue sieht nicht nur viel leichter aus, sie ist es auch. Während sich japanische Supersportler-Entwickler einen Ast freuen, wenn sie ihr neuestes Meisterwerk zwei Kilo leichter hinbekommen, sorgten die Triumph-Techniker für ein Diät-Wunder: Satte 17 Kilogramm ist die Neue auf dem Papier leichter. In der Praxis sogar noch mehr. Während die letzte 955er vollgetankt echte 251 Kilo auf die Waage brachte, sind es bei der 1050 nur noch 229. Fairerweise sei verraten, dass früher 24 Liter in den (schwereren!) Nylon-Tank passten, nun sind es immer noch völlig ausreichende 20 Liter, die von Stahlblech umgeben sind – womit wir wieder bei besagten 17 Kilo Netto-Einsparung wären.
Triumph Tiger (Mod. 2007)Bereits die erste Sitzprobe zaubert das ganz breite Wohlfühl-Grinsen ins Gesicht. Und das liegt nicht nur an der niedrigeren Sitzhöhe (835 mm; als Zubehör gibt es eine um 20 mm niedrigere/25 mm höhere Bank) und der in Tanknähe cleverer geformten Sitzbank. Es liegt auch am goldrichtig montierten, breiten Lenker mit seinem sehr großen Lenkeinschlag, den einstellbaren Handhebeln und dem sehr übersichtlichen, deutlich luftiger und frischer wirkenden Cockpit. Das Grinsen hält auch an, wenn der rechte Daumen aufs Knöpfchen drückt: Leichter kann ein Motorrad nicht anspringen. Und sehr viel angenehmer kann es aus einem serienmäßigen Auspuff auch nicht grummeln. Spätestens jetzt dürfte klar sein, warum Dreizylinder-Fans nie auf vier Zylinder wechseln würden (Hatte ich übrigens erwähnt, dass ich in meiner gar nicht mal so kleinen Doppelgarage ab und an auch eine K 75 hin und her schiebe?).
Für die Mundwinkel wird’s nun ganz schwer, denn sie sind schon ziemlich weit oben, wollen aber noch höher. Ab 2000 U/min ist nämlich die ganz große Dreizylinder-Show angesagt, der Triple spielt die Hauptrolle in „Das Drehmoment-Wunder aus Hinckley”. Von einer Drehmoment-Kurve zu sprechen, wäre gelogen. Was hier geboten wird, ist ein mächtig hohes Drehmoment-Plateau. Nahezu immer und überall, zumindest bis rund 8000 U/min, stemmt diese herrliche Wuchtbrumme um die 100 Nm in Richtung Kurbelwelle. Damit fährt die Triumph der versammelten Zweizylinder-Konkurrenz – ob sie nun GS, Varadero, V-Strom oder Adventure heißen mag – immer und überall gnadenlos um die Ohren. Beschleunigung, Durchzug – egal, die Tiger besorgt es den anderen nach Strich und Faden. Dabei ist es völlig egal, ob der Fahrer im anfangs etwas knorpelig zu schaltenden und beherzte Fußarbeit einfordernden Sechsganggetriebe rührt oder nicht. Druck gibt es einfach immer. Die Gasannahme ist so direkt, direkter schafft es auch ein goldrichtig abgestimmter Vergasermotor nicht. Untermalt wird die Show vom wunderbar knurrigen Porsche-Sound und von dezenten Vibrationen, die auf angenehme Art deutlich machen, dass das Tiger-Herz kräftig schlägt. Der 1050er-Motor läuft rauher als der 955er, wirkt aggressiver und ruppiger. Dieser Charakter erinnert fast ein wenig an die erste Tiger – die war ebenfalls ein Gerät für Telefonbuch-Zerreißer. Oder zumindest für Maschinenbau-Gourmets, die einen Verbrennungsmotor, aber keine Turbine wünschen.
Triumph Tiger (Mod. 2007)Okay, der Motor schiebt mächtig, klingt geil und treibt die Tiger auf bis zu 220 km/h. Die Verkleidungsscheibe ist breiter als bei der alten Tiger und schützt den Fahrer deutlich besser vor den anstürmenden Luftmassen. Auf diesem Arbeitsplatz lässt es sich sehr, sehr lange aushalten. Aber kommen jetzt die warmen Worte, die dem Leser schonend beibringen wollen, dass das Fahrwerk bestenfalls Durchschnitt ist? Nein, die kommen nicht. Die Tiger rennt nämlich bis zur Höchstgeschwindigkeit wunderbar stabil geradeaus, ist in Kurvenkombinationen trotzdem erfreulich handlich und absolut zielgenau unterwegs. Ab Werk trägt sie Federelemente, die den Spagat zwischen „ausreichend komfortabel” und „sportlich straff” nahezu perfekt beherrschen. Besonders die von Showa stammende Upside-down-Gabel ist ein Gedicht, ein supersensibles Bügeleisen, das jede noch so kleine Fahrbahnverwerfung vom Fahrer fern hält. Wer mit zwei Personen unterwegs ist und eine Mutti im klassischen BMW-XXL-Format zu transportieren hat, wünscht sich womöglich eine etwas härte Feder an der Hinterhand. Aber auch nur dann, wenn es sehr zügig über sehr miese Straßen geht. Ansonsten gibt es an Gabel und Federbein nichts zu meckern. Oder doch, eine Kleinigkeit: Die Feder am Federbein kann nur per 8er-Schlüssel verstellt werden, ein Handrad wäre die elegantere Lösung gewesen.
Mit der neuen Tiger werden auch altgediente Tiger-Piloten immer flotter unterwegs sein als mit den Vorgängerinnen, sie macht es einem einfach unglaublich leicht. Dazu passen bestens die famosen Zweifinger-Stopper am Vorderrad. Fein dosierbar und wenn es drauf ankommt auch brachial zupackend, ist man mit ihnen auf der sicheren Seite. Besonders dann, wenn man für 1000 Euro Aufpreis das erstmals für eine Tiger lieferbare ABS geordert hat. Eine solchermaßen bestückte Tiger kostet 11240 Euro (plus 250 Euro Fracht), die ABS-lose Tiger kommt auf 10240 Euro plus. Eine vergleichbare BMW R 1200 GS kostet mindestens 2000 Euro mehr. Der Bayern-Boxer ist für Schotterpisten (die Tiger-Fahrer nicht die Bohne interessieren dürften…) etwas besser geeignet und hat das noch etwas feiner regelnde ABS. Ansonsten ist ihr die Triumph in allen Bereichen mindestens ebenbürtig, in Sachen Motor sogar deutlich überlegen. Bei der Verarbeitung leistet sich die in Schwarz, Blau, Gelb und Weiß lieferbare Tiger keine Schwäche, ihr Scheinwerfer macht die Nacht zum Tag, und mit einem Verbrauch von knapp über fünf bis rund sieben Litern Super liegt sie nur minimal über BMW-Niveau. Für Menschen, die genau ein Motorrad für (fast) alles suchen gibt es also keinen Grund, nicht beim nächsten Triumph-Händler zumindest eine Probefahrt zu machen. Was danach passieren kann, ist völlig offen. Womöglich werden dem Gebrauchtmarkt demnächst verstärkt gepflegte Garagen-Schätzchen zugeführt. Und vielleicht müssen im nächsten Winter ein paar Motorradfahrer-Frauen kein Eis mehr kratzen. Ich warte auf die nächste Gelegenheit, bei der ich mal wieder ein Teil/Werkzeug suchen gehe. Mal schauen, was ich danach anstelle…