aus bma 7/99

von Frank Dzierzon

Es war eine nicht ganz leichte Entscheidung – nach fünf Jahren – die Fahrgemeinschaft mit der Triumph Tiger der allerersten Generation zu beenden. Doch schließlich siegte die Neugierde nach dem Neuen und Besseren. Damals brauchte ich auch keine Probefahrt,Triumph Tiger 900 um mich von der Tiger begeistern zu lassen, also orderte ich die neue Tiger ’99 gleich, nachdem mich der Händler über die Möglichkeit des Frühbezugs informiert hatte. Ich war der fünfte auf der Besteller-Liste und wußte wahrlich nicht, was mich erwartete. Im März war es dann so weit, mit unbändiger Erwartung fieberte ich der Maschinenübergabe entgegen, hatte ich doch meine Alte (Tiger) zwischen Weihnachten und Neujahr verkauft.
Da stand sie nun, knallgelb-metallic. Abgenommen hatte sie 20 Kilogramm (das Leergewicht betrug nunmehr 215 Kilo), die Silhouette war schlanker, versehen mit einer 3in1-Auspuffanlage aus Edelstahl und irgendwie unverwechselbar eigenständig im Design. Also nichts wie her mit den Schlüsseln, die mir erst nach der Montage des Original-Triumph-Schlüsselanhängers übergeben wurden, und los ging es: anlassen, Gang rein, rollen lassen, Kurve und… fast auf den Pinsel gelegt. Mußte die erste Generation der Tiger noch nachhaltig zur Kurvenfahrt überredet werden, was mir nach fünf Jahren in Fleisch und Blut übergegangen war, so reicht bei der Tiger ’99 allein der Gedanke an die Biegung und schon fällt sie locker flockig in dieselbe. Durch die Abmagerungskur und die Verbesserungen am Fahrwerk fährt sich die Tiger ’99 fast wie ein Mountainbike. Selbst der 150er Heckschlappen macht hier keine Mühe, verleiht er dem Fahrwerk eher noch etwas mehr Ruhe.
An allen Ecken und Kanten wird deutlich, daß eigentlich nur der Name des Krads mit dem Vorgänger vergleichbare Ähnlichkeiten aufweist. Die Verkleidung besitzt nun endlich windschützende Eigenschaften, obgleich durch die Verwirbelungen ein mordsmäßiger Radau am Helm entsteht. Lässig lassen sich auf der Autobahn Geschwindigkeiten jenseits der 160 km/h erfahren, wenn Ohrenstöpsel ihren Dienst tun. Die neue Tiger liegt wie ein Brett. Kein lästiges Windgezerre ist mehr an den Schultern spürbar.

 

CockpitDas Cockpit läßt keine Wünsche offen, schon immer wollte ich weiße Instrumente haben. Die serienmäßige Benzinuhr funktioniert sogar so gut wie in meinen Auto. Der Blick des Fahrers sieht eine funktionelle, gut ausgestattete, hochwertig verarbeitete und aufgeräumte Informationsfläche vor sich. Nur die Digitalanzeige für den Kilometerstand ist gewöhnungsbedürftig, da sie entweder Tageskilometer oder Gesamtkilometer anzeigt.
Der Fahrersitz ist durch eine eigenwillige Rahmenkonstruktion zum Umstecken in der Höhe dreifach verstellbar. Doch leider stellte ich bei Stadtfahrten fest, daß sich diese Konstruktion durch die Belastung immer wieder aus den Bolzen schob und ich dann, wie der Affe auf dem Schleifstein, mit schief sitzendem Hintern durch die Lande fuhr. Als ich die Schwäche erkannte, griff ich kurzerhand zu einer M6-Schneidmutter und setzte den beiden vorderen Bolzen ein Gewinde auf. Die aufgedrehten Muttern verhindern nun, daß sich der Rahmen von den Bolzen schiebt. Das hätte Triumph auch selber herausfinden können, denn die Sitzhöhe wird in den meisten Fällen nur einmal eingestellt – nach dem Kauf, da stören zwei Muttern wohl kaum. Ganz vorzüglich sind die Möglichkeiten Gepäck zu verzurren. Man findet fast überall hinter den Fahrersitz Gelegenheiten, seine Spannbänder zu befestigen.
Triumph Tiger 900Nun zur eigentlichen Neuheit der Tiger, dem Motor. Vorbei sind die Zeiten des gefühlvollen Einstellens des Choke-Hebels, je nach geschätzter Außentemperatur. Man muß auch nicht mehr bei voller Fahrt nach dem Benzinhahn fingern, weil plötzlich der Motor stirbt. Endlich wurde auch hier der schon bewährte Einspritzer aus der alten Speed-Triple verbaut. Wieder mal modifiziert leistet er 83 PS, kennt keine Löcher im Drehmomentverlauf und schluckt satte ein bis zwei Liter weniger als der vergleichbare Sauger. Obendrein bekam die Tiger einen geregelten Dreiwege-Katalysator spendiert. Die Beschleunigung und der Durchzug sind schon beeindruckend für eine Riesen-Enduro. Jedoch stellen sich diese Aha-Erlebnisse erst nach der nervigen Einfahrzeit ein. Locker läßt sich die Tiger bis 180 km/h hoch beschleunigen, ohne daß man den Eindruck hat, sie zu quälen. Ab dieser Geschwindigkeit allerdings kommt nichts mehr, die im Brief angegebenen 200 km/h erreicht man, wenn überhaupt, nur mit Rückenwind und fieser Rotdreherei. Aber was soll’s, zum Reisen reichen 160 allemal. Auch im Betrieb mit zwei Personen bietet der Motor immer noch genug Elastizität, so daß die Sozia schon mal zu Festhalten gemahnt werden muß, da sonst bei plötzlicher Beschleunigung die Verflüchtigung des Partners zu befürchten ist.
Das in einem gewichtsparenden Magnesiumdeckel eingebaute Ölstandschauglas war schon lange fällig, das ekelige Rumhantieren mit dem Ölstab entfällt. Die Einspritzanlage ist auch dafür verantwortlich, daß nun endlich die prähistorischen Bauteile wie der Benzinhahn und der Choke-Hebel ersatzlos gestrichen werden konnten. Die Tiger läßt sich starten wie jedes vierbeinige Fahrzeug auch: Kupplung, Zündung, los. Die Benzinuhr und eine zusätzliche Warnleuchte reichen völlig aus, denn bei meinem Auto habe ich auch noch nie einen Benzinhahn vermißt.
Triumph Tiger 900 Das Gesamtkunstwerk wird dann noch mit einer serienmäßigen Steckdose abgerundet. Nützliches Zubehör, wie Heizgriffe, die richtig heizen, Hauptständer und ein passendes Koffersystem, in Fahrzeugfarbe lackiert, gibt es gegen Aufpreis. Die zweijährige Garantie ist bereits Usus, neu ist hingegen die Triumph-Card, die es im ersten Jahr ermöglicht, auch im Pannenfall mobil zu bleiben. Ähnlich wie in der Autobranche gibt es eine gebührenfreie Telefonnummer des ADAC, die bei Pannen angerufen werden kann, so das Hilfe heraneilen kann. Wirklich praktisch, wer hat das schon zu bieten? Die Mitgliedschaft in der Triumph-Fahrervereinigung RAT soll auch für ein Jahr kostenfrei und automatisch beim Neukauf vollzogen sein. Ich jedoch habe bis jetzt nichts von dem Verein gehört…
Wie steht es um die Verzögerung, die beim Vorgänger wegen Schwächlichkeit schon recht früh eingeleitet werden mußte? Auch hier tat sich eine Menge: Die doppelte Scheibenbremse vorne wuchs auf beachtliche 310 mm Durchmesser, sie verzögert die Fuhre vehement und läßt auch im Gefahrensituationen keine Hektik aufkommen.
Alles in allem fühle ich mich auf der Tiger ’99 richtig wohl. Doch was sagt die Sozia? Selbst nach 500 Kilometern gab es weder Gemurre und Gemecker, die Sitzposition hinter dem Fahrer ist angenehm und komfortabel, es gibt kein umständliches Gefalte oder Gekauere.
Bleibt noch die Rückrufaktion zu erwähnen: Durch den Einsatz von teflonbeschichteten Schrauben an der Ölwanne, die sich genau so leicht herausdrehten, wie sie sich hereindrehen ließen, waren alle Tigerfahrer der ersten Serie gezwungen einen Boxenstopp in der Werkstatt einzulegen. Aber die Händler waren schneller als das Kraftfahrtbundesamt: Der offizielle Brief kam zwei Wochen nach der Behebung des Ausrutschers.
Da war doch noch was? Ach ja, das Tanken. Zwar verbraucht die Tiger nicht mehr allzuviel, jedoch muß sie hin und wieder an die Zapfsäule. Und dort ist allergrößte Vorsicht geboten: Wahrscheinlich ist das 25 Liter-Faß mit Schwallwänden zugestellt – damit die Benzinanzeige vernünftig funktioniert – daß nur ein Werkslehrgang helfen kann, das Benzin ohne lästige Spritzereien in das große Loch zu bekommen. Jedesmal, wenn man den Hahn ahnungslos in die Öffnung hält und munter drauflosplätschern will, fliegen einem lustige Benzintropfen um die Ohren. Zum Glück bekommt man dieses Schauspiel nur alle 350 Kilometer zu spüren. Der Verbrauch liegt je nach Gasgriffstellung zwischen 4 und 6,8 Litern auf 100 Kilometer.
Für 18.460 Mark trennt sich der Triumph-Vertragshändler von seinem Tiger. Nach über 3000 erfreulichen und umweltschonenden Kilometern habe ich meine Entscheidung nicht bereut. Die neue Tiger ist besser. Man muß sie nur mal erlebt haben. Mal sehen, was die nächsten 50.000 Kilometer bringen…