aus bma 10/10 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Triumph Tiger 1050 (Mod. 2010)Von 1993 bis einschließlich 2006, also knapp 14 Jahre und dreieinhalb Modellgenerationen lang segelte die Triumph Tiger unter falscher Flagge. Die dreizylindrige Großkatze sollte im Rudel der Reise-Enduros mitjagen, doch für losen Untergrund war die anfangs mit vergasergefütterten 885 cm³, ab 2001 mit eingespritzten 955 cm³ antretende Britin nie gemacht. Zu mächtig, zu schwer – eine Enduro war die Tiger nie wirklich. Das war vermutlich auch den Triumph-Verantwortlichen schon relativ frühzeitig bewusst, doch sie steckten jahrelang in einem (selbstgewählten) Dilemma. Die Tiger war als Konkurrenz zur BMW GS konzipiert worden. Doch im Unterschied zur Tiger nahm man der eigentlich genauso überdimensionierten BMW den Geländegänger immer halbwegs ab. Wenn irgendein Fernreisender quer durch Afrika oder Südamerika tobte, dann fast immer auf einer GS. Die Triumph durfte derweil den netten Kumpel für die Alpentour geben.

Fürs Modelljahr 2005 ruderten die Triumph-Macher endlich etwas zurück: Sie kappten die Federwege ein wenig, sorgten für eine straffere Dämpfung und montierten Guss- statt Drahtspeichenräder. Obendrauf gab’s Koffer, Hauptständer und Heizgriffe. Von der Pseudo-Enduro-Verpackung wollte man sich beim Reisehobel aber noch nicht ganz trennen.

Triumph-Tiger-2010_rechtsDieser radikale Schritt folgte dann aber endlich 2007 mit der komplett neuen Tiger 1050, um die es in dieser Geschichte gehen soll. Die 1050er wirkt sportlicher, kompakter und schnittiger als je zuvor. Von der Vorgängerin übernahmen die Entwickler praktisch kein einziges Teil, es blieben eigentlich nur der Name und das geniale Motorenkonzept. Erstmalig in der Tiger-Historie kommt nun ein Alugussrahmen zum Einsatz. Dazu gesellen sich vielfach einstellbare Federelemente. Die neue Upside-down-Gabel und das Zentralfederbein kommen mit je 150 mm Federweg aus, bei der Vorgängerin waren es noch 170 bzw. 200 mm. Vierkolben-Radial-Bremszangen im Supersportler-Stil passen bestens zu den 17-Zöllern, die konsequenterweise im beliebtesten Sportlerformat (120/70 ZR 17, 180/55 ZR 17) besohlt sind.

Die Tiger 1050 wirkt beim Erstkontakt überraschend kompakt, was nicht allein an der verringerten Sitzhöhe liegt. Die wurde auch nur von 840 auf 835 mm reduziert, doch der sehr bequeme Fahrerplatz hat nun eine deutlich schmalere Kontur. Der Schwerpunkt liegt zudem tiefer, und dass die Fuhre nun mit vollgetankt 229 kg satte 16 kg weniger als ihre Vorgängerin wiegt, hat auch einen gehörigen Anteil an der neuen, nicht nur gefühlten Leichtigkeit. Einstellbare Handhebel, großer Lenkeinschlag, ordentliche Spiegel, ein übersichtliches Multifunktions-Display – der Tiger-Arbeitsplatz ist ein angenehmer, mit dem auch Neulinge sofort klarkommen dürften. Etwas ungewohnt ist vielleicht nur der relativ breite Knieschluss, der einem in Erinnerung ruft, dass dort unten ein ziemlich ausgewachsener Reihenmotor quer eingebaut ist.

Triumph Tiger 1050 (Mod. 2010)Der besagte Dreizylinder war immer schon DER Grund dafür, warum der ein oder andere Motorradreisende dann doch lieber zur Tiger und nicht zur GS gegriffen hatte. Der herrlich fauchende, knurrende, röhrende und unter Last mächtig nach Porsche klingende Triple ist einfach einmalig. 6,4 mm mehr Bohrung und viel Detailarbeit bescherten dem im Prinzip aus der Sprint ST stammenden Dreierpack besagte 1050 statt 955 cm³ Hubraum und spürbar mehr Druck. In Zahlen: Bei der Leistung legte der Charakterdarsteller von 106 auf 115 PS bei 9400/min zu. 100 Nm (statt 95 Nm) maximales Drehmoment, die bei 6250/min gestemmt werden, sind bestenfalls Klassen-Durchschnitt. Auf dem Papier! In der Praxis liegen die 100 Nm fast immer und überall an. Mit fettestem Anfahrdrehmoment, herrlich geschmeidiger Kraftentfaltung bereits ab 1200/min (!) und bester Drehfreude sackt der Triumph-Dreizylinder die Konkurrenz gnadenlos ein. Kein direkter Wettbewerber beschleunigt besser und zieht herzhafter durch. Dieser Motor ist einfach ein Gedicht! Zwischen 3500 und 7500 Touren macht der Triple ganz besonders dicke Backen, und der Tiger-Bändiger hat spätestens zu diesem Zeitpunkt das ganz breite Dauergrinsen im Gesicht. Dass sich der Motor auf 100 Kilometern nur selten mehr als 5,5 Liter aus dem 20-Liter-Tank gönnt, macht die Sache richtig rund. Aus dem Schiebebetrieb her­aus erlaubt sich der Kraftprotz allerdings eine etwas härtere Gasannahme, aber wie sagt es die Triumph-Pressemappe so schön: „Verwechslungen mit anonym jaulenden Vierzylindern sind vollkommen ausgeschlossen.“ Das gilt eben nicht nur für den aufreizenden Sound.

Zur ehrlichen Straßen-Verpackung passen auch amtliche Straßen-Fahrleistungen: Von 0 bis 100 km/h vergehen nur 3,4 Sekunden, in gerade mal 12 Sekunden ist die 200-km/h-Marke erreicht. Dann bleiben immer noch echte 20 km/h Luft nach oben, der Tacho zeigt dann etwas optimistische 240 km/h. Motormäßig fühlt sich die Tiger 1050 auch in diesem Bereich noch richtig wohl, Fahrer ohne besonders ausgeprägte Nackenmuskulatur werden es auf Dauer aber lieber um und bei 180 km/h gut sein lassen. Der Grund dafür ist ein ziemlich banaler: Der Windschutz hinter dem niedrigen Schild ist eher mäßig, erschwerend kommen unangenehme Verwirbelungen am Fahrerrücken dazu. Kleinkram – Zubehörscheibe ran, und gut ist! Hohe Dauergeschwindigkeiten mag die Tiger durchaus, denn trotz des breiten Lenkers zieht die Triumph auch weit jenseits der Autobahn-Richtgeschwindigkeit wie festgedübelt ihre Bahn. Bodenwellen, Längsrillen, Brückenabsätze – was (Reise-) Enduros durchaus ins Pendeln bringen kann, ist für die Tiger überhaupt kein Thema.

Triumph Tiger 1050 (Mod. 2010)So munter sie geradeaus tobt, so locker lässt sie sich auch um Kurven schwenken. Kinderleichtes Handling, zielgenaues Einlenkverhalten, feinste Spurstabilität, großzügige Schräglagenfreiheit – das liegt schon auf Supersportler-Niveau. Nicht ganz auf dem Level der Highend-Flitzer spielen allerdings die Federelemente. Die über einen weiten Bereich verstellbare und durchaus feinfühlig ansprechende Upside-down-Gabel erledigt ihren Job dabei noch durchaus ordentlich und irritiert mit ihrer etwas unterdämpften Art nur verwöhnte Zug- und Druckstufen-Gourmets. Das hintere Federsystem kann allerdings auch Otto Normalheizer etwas nerven, denn bei wirklich scharfer Gangart bietet es mit seiner zu komfortablen Abstimmung nur wenig Reserven und viel zu wenig Druckstufendämpfung. Das ist allerdings Klagen auf hohem Niveau, denn gerade weil der Motor ein solches Sahnestück ist, fallen andere, vielleicht nur durchschnittlich funktionierende Bauteile umso negativer auf.

Triumph Tiger 1050 (Mod. 2010)Über die wahlweise mit ABS bestückten Bremsen dürfte es dagegen keine zwei Meinungen geben – die Stopper funktionieren tadellos, lassen sich fein genug dosieren und packen bei Bedarf herzhaft zu. Ohne ABS kostet die Tiger offiziell 11590 Euro, mit Blockierverhinderer sind es 600 Euro mehr. Wer weitere 500 Euro investiert, also mit einem Listenpreis von 12690 Euro rechnet, bekommt die Tiger als Tiger SE. Das Kürzel steht für „Sonderedition“, konkret für die Ausstattung mit ABS, Handprotektoren und einem in Fahrzeugfarbe gehaltenen Koffersystem. Im Vergleich mit den Gepäckabteilen der Konkurrenz sind die Triumph-Koffer recht klein und fummelig zu bedienen. Aber sie sehen durchaus schick aus. Was im übrigen auch für die Sitzbank gilt, deren Soziusplatz für eine dauerhafte Zweierbeziehung etwas zu kurz, zu hoch und zu sehr nach vorn abfallend ist. Sollte sich trotzdem ein mutiger Mitfahrer finden, wird sich der spätestens beim ersten Regenguss völlig durchnässt von der Tiger verabschieden wollen – der hintere Spritzschutz ist absolut mangelhaft. Das Licht ist nicht ganz so mies, aber richtig gut ist anders. Dass man zum Umschalten der vielen Funktionen des Cockpit-Displays weit nach vorn zu den Instrumenten greifen muss und nichts am Lenker erledigen kann, stört vermutlich nur deutsche Perfektionisten. Ölstandskontrolle per Peilstab müsste im Zeitalter des Schauglases auch nicht sein, aber das ist nun wirklich Kleinkram.

Die Triumph Tiger ist in einigen Details alles andere als perfekt. Geschenkt! Denn die zweifelsohne wichtigste Baugruppe eines jeden Motorrads ist bei ihr ein solches Meisterwerk, dass sich allein schon deshalb der Tiger-Kauf lohnt: Der Tiger-Motor ist einfach fantastisch, einmalig und absolut perfekt! Der Rollenwechsel hat der Tiger mächtig gut getan, denn endlich passt die Verpackung zum famosen Motor. Klare Sache: Noch nie war die Tiger so ehrlich und so gut wie heute.

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