Triumph Thunderbird 1600Briten sind einfach anders. Warum also sollten ausgerechnet britische Motorräder dem Mainstream entsprechen? Auch die 1600er Triumph Thunderbird ist ein ziemlich ungewöhnlicher, aber äußerst sympathischer Vogel.

aus bma 11/09

von Klaus Herder

Triumph Thunderbird 1600Sie mögen Minzsoße und halten frittierten, in Zeitungspapier eingewickelten Fisch für die Krönung der kulinarischen Schöpfung. Sie fahren auf der falschen Straßenseite und laufen selbst bei Minusgraden in kurzer Hose und T-Shirt durch die Gegend. Ihr Verhältnis zum Alkohol ist – vorsichtig formuliert – recht entspannt, und sie huldigen einer kleinen Seniorin, die merkwürdige Hüte trägt. Kurz gesagt: Briten sind einfach anders. Warum also sollten ausgerechnet britische Motorräder dem Mainstream entsprechen? Eben. Versucht haben sie es ja, aber alles, was zu gewöhnlich war, geriet zum Flop. Zum Beispiel Vierzylinder-Sportler in der 600er-Klasse.

Die 1990 wiederbelebte Marke Triumph steht heutzutage für eher unkonventionelle Motorlösungen. Konkret: für Reihenmotoren mit maximal drei Zylindern. Ein V-Twin aus Hinckley? Undenkbar, denn den gibt’s schon überall anders. Triumph baut mittlerweile rund 50.000 Motorräder pro Jahr. Damit ist man schon lange kein Kleinserienhersteller mehr, doch von (imagemäßig) vergleichbaren Marken ist man noch ein ganzes Stück weit entfernt. Zum Vergleich: BMW schafft die doppelte Stückzahl, und Harley-Davidson bringt es in guten Jahren auf rund 300.000 Stück. Nun muss Wachstum ja kein Selbstzweck sein, um aber zum Beispiel beim Materialeinkauf und bei der Auslastung von Maschinen und Personal auch weiterhin gute Karten zu haben, blieb Triumph eigentlich gar nichts anderes übrig, als sich in einem insgesamt rückläufigen Markt nach bislang unbesetzten Marktlücken umzuschauen.

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Triumph Thunderbird 1600Und die Briten wurden fündig, denn in der zur Zeit nicht gerade euphorischen Branche gibt es sie noch: die Verkaufs-Oasen, die Horte des guten Geschäfts, von Krisen weitgehend unbeeindruckte Segmente. Konkret: die Cruiser über 1,4 Liter Hubraum. In dieser Kategorie werden weltweit pro Jahr rund 250.000 Motorräder verkauft. Hauptsächlich natürlich in Nordamerika und zu über 90 Prozent von Harley-Davidson. Eine Kategorie, die gerade deshalb so attraktiv ist, weil neben den reinen Motorrad-Deals auch noch ein üppiges Zubehörgeschäft lockt. In dieser Klasse hatte Triumph bislang nur die Rocket III zu bieten, die mit 2,3 Litern Hubraum dann aber selbst den Amis eine Nummer zu groß und vor allem zu teuer war und damit über den Exoten-Status nie hinaus kam. Unterhalb des dicken Dreiers hatte Triumph nur die 865er-Twins im Programm – die den Amis dann wiederum eine Nummer zu klein waren. Es musste also ein Eisen her, das zwischen 1,4 und 1,7 Litern Hubraum vorzuweisen hatte. Harleys aktuelles Big-Twin-Programm tritt mit 1584 cm3 und maximal 82 PS an. Da würden 1597 cm3 und 85 PS doch zufällig ganz gut passen.

Über die grundsätzliche Motor-Konstruktion gab es bei den Briten keine zwei Meinungen. Die Triumph-Pressemappe bringt es erfrischend deutlich auf den Punkt: „Dabei bringt er das Triumph-typische Paralleltwin-Motorenkonzept erstmalig ins großvolumige Cruisersegment und lässt das abgedroschene Vau-Zwo-Thema links liegen.” Oha, „abgedroschenes Vau-Zwo-Thema” – die Hardcore-Harley-Jünger wird’s nicht wirklich kratzen, denn ihnen bleibt das Totschlag-Argument „Wasserkocher”. Jawohl, der komplett neu konstruierte Triumph-Motor kann sich zwar mit dem Superlativ „weltgrößter Paralleltwin“ schmücken, doch neben zwei obenliegenden Nockenwellen, Vierventiltechnik, Doppelzündung und zwei Ausgleichswellen bekam der Thunderbird-Doppelpack auch eine Flüssigkeitskühlung verpasst. Die ist aber zugegebenermaßen perfekt versteckt, von Pumpen oder Schläuchen ist praktisch nichts zu sehen, und der Kühler fällt auch nicht übermäßig unangenehm auf.

Triumph Thunderbird 1600So überzeugt die Triumph-Macher von ihrem Motorkonzept auch sind, so vorsichtig gingen sie das Thema „Sound-Engineering” an. Man mag in Hinckley über V-Twins lästern, doch als es um die Lebensäußerungen des Reihenzweiers ging, griff man doch auf Bewährtes zurück. Wo nämlich beim echten Gleichläufer eine Kurbelwelle mit 360 Grad Hubzapfenversatz rotiert, sind’s beim Thunderbird-Bauteil 270 Grad. Und dieser Trick hat zur Folge, dass sich die eher konservativ eingeschätzte Cruiser-Kundschaft zwar an ein neues Äußeres gewöhnen muss, beim Sound aber vertraute Töne – nämlich den Klang eines V-Twins – geboten bekommt. Soweit zum Thema „abgedroschenes Vau-Zwo-Thema…”.

Wie auch immer, den Sound haben die Briten sehr gut hinbekommen. Mechanische Laufgeräusche fehlen fast völlig, der ellenlangen Edelstahl-Auspuffanlage entweicht ein angenehm bassiges Stampfen und Blubbern. Die ersten Thunderbird-Meter sind eine echte Herausforderung: 339 Kilo Kampfgewicht, langer Radstand, flacher Lenkkopfwinkel und die sehr, sehr erwachsenen Abmessungen so ziemlich aller Bauteile machen das Rangieren und auch das innerstädtische 90-Grad-Abbiegen zu einer Aufgabe, die dem Thunderbird-Neuling eine gehörige Portion Respekt abnötigt. Alles an diesem Motorrad hat XXL-Format: Tank, Lenker, Griffe, Armaturen. Aber alles ist so geschickt arrangiert, dass auch Normalwüchsige prima damit zurechtkommen. 700 Millimeter Sitzhöhe sind zwar cruisertypisch niedrig, kilometerweit vorverlegte Fußrasten und einen himmelhohen Apehanger-Lenker gibt’s hier aber nicht zu bewältigen, was insgesamt für eine herrlich normale, weil aufrechte, entspannte und auch auf Dauer bequeme Sitzposition sorgt.

Triumph Thunderbird 1600Bei allem Respekt, die Thunderbird macht es ihrem Fahrer sehr leicht, innerhalb sehr kurzer Zeit vollstes Vertrauen zu fassen. Das fängt schon mit der tadellosen Schaltbarkeit des Sechsganggetriebes an und geht mit der perfekten Gasannahme weiter. Störende Lastwechselreaktionen? Kennt der Motor nicht. Durchhänger, Leistungslöcher? Fehlanzeige. Der über eine Keihin-Einspritzanlage befeuerte Twin benimmt sich mustergültig und läuft dank der beiden Ausgleichswellen super kultiviert und bis 5000/min auch ausgesprochen vibrationsarm. Die oft beschworene, in der Praxis aber auch bei vielen Cruisern nur selten vorhandene Kraft aus dem Drehzahlkeller gibt’s hier im Überfluss. Ab 1500/min geht alles, wirklich alles im letzten, eigentlich sogar als Overdrive gedachten Gang. Feierabend ist knapp oberhalb von 6000/min, der absolute Wohlfühl-Bereich liegt zwischen 2000 und 4000 Touren. Die clevere Motor-Elektronik registriert genau, ob nur zart am Gasgriff gelupft wird, oder ob der Quirl voll auf Anschlag steht. Entsprechend geht’s sanft und weich im Easy-Cruising-Programm oder auf die harte Tour im Volle-Lotte-Modus vorwärts. Dass knapp 1,6 Liter Hubraum und das bei sehr überschaubaren 2650/min anliegende maximale Drehmoment von 146 Nm für eine durchaus beeindruckende Schubkraft verantwortlich sind, ist die eine Sache. Eine ganz andere, aber mindestens genauso erfreuliche Angelegenheit ist die unglaubliche Lässigkeit, mit der das Thunderbird-Fahrwerk die Eruptionen des Twins wegsteckt. Da wackelt nichts, da pendelt nichts, da zieht die Fuhre locker und völlig unbeeindruckt ihre Bahn. Und es kommt noch besser: Die Länge läuft nicht nur tadellos geradeaus, das Trumm wuselt auch erstaunlich locker um Biegungen aller Art. Der Begriff „Handlichkeit“ ist an dieser Stelle durchaus angebracht, knapp fünf Zentner Cruiser-Masse hin oder her. Die Showa-Federelemente erledigen ihren Job erfreulich stressfrei, die Nissin-Vierkolbenstopper im Vorderrad verzögern vehement und ordentlich dosierbar, verlangen aber nach einer zupackenden Hand. Am 200er-Hinterrad tut eine Brembo ihren Dienst, und es liegt in der Natur der eher hecklastigen Cruiser-Sache, dass der Hinterrad-Stopper nicht nur Alibi-Funktion hat. Hier darf und hier sollte ordentlich zugetreten werden. Auf Wunsch und gegen 600 Euro Aufpreis sogar mit ABS-Unterstützung – was dann wiederum erfreulich Cruiser-untypisch ist.

Triumph Thunderbird 1600Die 13740 Euro (plus 250 Euro NK) teure Thunderbird vereint das Gute aus zwei Welten: Den coolen Auftritt und die Üppigkeit eines Cruisers mit dem Fahrverhalten eines gelungenen Naked Bikes. Diese Kombination lässt sich noch toppen: Für faire 679 Euro verbaut der Triumph-Dealer des Vertrauens ein 1700er-Big-Bore-Kit mit größeren Kolben, neuen Laufbuchsen, modifizierten Nockenwellen, geänderten Kupplungsfedern und einem neuen Kupplungsdeckel, der mit dem Schriftzug „104ci“ dem Kenner verrät, dass hier ganz legale 97 PS und maximale 156 Nm geboten werden. Über 90 weitere Zubehör-Schmankerl gibt’s für die Thunderbird, und damit kann die Britin zum barocken Full-Dresser oder auch in eine puristische Street Rod verwandelt werden.

Oder sie bleibt einfach so, wie sie ist, denn bereits der serienmäßige Donnervogel ist ordentlich ausgestattet und sehr gut verarbeitet. Erstmalig in der jüngeren Triumph-Geschichte übernimmt ein wartungsarmer Zahnriemen den Hinterradantrieb. Alle notwendigen Informationen liefert das auf dem Tank untergebrachte Kombi-Instrument. Neben dem großen Tacho ist ein kleiner Drehzahlmesser integriert. Über einen Knopf am rechten Lenkerende gesteuert zeigt das Display den Kraftstoffstand, zwei Tageskilometerzähler, die Restreichweite oder die Uhrzeit. Für mindestens 350 Nonstop-Kilometer reichen die 22 Liter im Tank immer, denn sehr viel mehr als gute fünf Liter auf 100 Kilometern fackelt der famose Twin so gut wie nie ab.

Mit einer Macke muss der Thunderbird-Treiber allerdings leben: Die Schräglagenfreiheit der Britin ist typbedingt sehr bescheiden. Zumindest anfangs, doch nach rund 500 Kilometern dürfte sich das Meiste zurechtgeschliffen haben. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass die Thunderbird ein ziemlich ungewöhnlicher, aber äußerst sympathischer Vogel ist. Der Besuch beim Triumph-Händler ist also durchaus angeraten. Dort kann der potenzielle Cruiser-Freund dann einem sehr britischen Hobby frönen: Birdwatching.

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