aus bma 06/04

von Marcus Lacroix

Thriumph Thruxton 900IST DIE GEIL – Eigentlich sagt die Überschrift schon alles über die neue Triumph Thruxton 900. Vor allem, wenn man sie genau mit der Betonung liest, mit der Kalle (alias Ralf Richter) im Kultfilm „Bang Boom Bang” von seinem Mercedes schwärmt: „Ist der geil…”. Wer den Film nicht kennt sollte ihn sich unbedingt mal reinziehen! Jedenfalls fiel ich mit diesem Satz in Gedanken vor der Thruxton auf die Knie, als ich sie das erste mal bei Lohrig und Kölle in Syke-Schnepke im Verkaufsraum stehen sah. Dass ein Hersteller heutzutage noch so ein schönes, gegen den Mainstream rollendes Bike produziert, obwohl die zu erwartenden Stückzahlen sicher nicht die Zulassungs-Top-Ten sprengen werden, imponiert doch sehr. Udo Kölle grinste sichtbar in sich hinein und sagte nur: „Na Marcus, wann willst Du sie testen?” Klar, dass ich mich nicht lange bitten ließ.
Die ersten Kilometer auf dem Retro-Klassiker waren dann – milde ausgedrückt – doch ein wenig gewöhnungsbedürftig. Unglaublich, wie man sich in den letzten Jahren an moderne Motorräder gewöhnt hat. Sitzpositionen, die den Fahrer sportlich kompakt in die Maschine integrieren, die Oberschenkel immer mit Tankkontakt, digitale Instrumentenkonsolen mit mehreren Kilometerzählern und Kontrollleuchten für jeden Furz, verwindungssteife Alurahmen mit ebensolchen Schwingen im XXL-Format, Motorleistungen, die längst jenseits von Gut und Böse sind und für atemberaubende Beschleunigung und Endgeschwindigkeit sorgen, Bremsanlagen, die einen geworfenen Anker bei weitem übertreffen und Breitreifen, die gripmäßig über fast jeden Zweifel erhaben sind. All das hat die Thruxton nicht!

 

Die Triumph kommt mit einem klassischen Zweischleifen-Rahmen aus Stahlrohr daher. Die Unterzüge lassen sich zur leichten Motordemontage abschrauben, aber das macht heutzutage eh niemand mehr selbst. Wozu auch, moderne Motoren gehen ja sowieso nicht mehr kaputt. Denn auch wenn der Zweizylinder optisch auf alt macht, er ist es keineswegs – Triumph hat nur geschickt alte Stilelemente eingebunden. In den Modellen Bonneville, America und Speedmaster wird das Aggregat schon länger eingesetzt. Für die Thruxton hat man es von 790 auf 865 ccm aufgebohrt und entlockt ihm in Verbindung mit einer erhöhten Verdichtung 70 Pferdestärken bei 7250 U/min. Zwei obenliegende Nockenwellen steuern den Gaswechsel und dank moderner Zündanlage, U-Kat und Sekundärluftsystem wird die Euro-2-Norm erreicht.
Thriumph Thruxton 900 Die Thruxton rollt natürlich standesgemäß auf Drahtspeichenrädern, die mit heutzutage für eine 900er geradzu lächerlich schmal anmutenden Asphalttrennscheiben im Format 100/90 R18 und 130/80 R17 bereift sind. Metzeler ME 33 Laser liest der verblüffte Betrachter auf der vorderen Reifenflanke – da werden in manchem Altbiker doch Erinnerungen an die 80er-Jahre wach und auch der ME Z2 hinten hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Die 41er Telegabel passt gut dazu und die Kastenschwinge mit den beiden Federbeinen wirkt fast modern. Vorne wie hinten kann die Federvorspannung Einsatzzweck und Fahrergewicht angeglichen werden. Eine Bremsscheibe vorne, eine hinten, ein paar Stummel unter die Gabelbrücke geklemmt und ein paar hübsch lackierte Anbauteile montiert – das war’s prinzipiell schon. Und das soll nun sooo geil sein?
Zugegeben, mein erster Gedanke beim Gasaufziehen nach Verlassen der Ortschaft war: „Oh nein, was für eine Schlappwurst!” Die Sitzposition wollte nicht passen denn die Knie fanden den Tank nicht, die Stummel wirkten arg tief, in den ersten schnellen Kurven ging ein seltsames Rühren durchs Fahrwerk und das Wissen um das Reifenantiquariat ließ Zweifel an der Schräglagentauglichkeit aufkommen. Nach nur 15 Kilometern stellte ich die Thruxton am Straßenrand ab und setzte mich daneben. Der Umstieg von meinem topaktuellen 120 PS-Brenner auf die Thruxton war wohl doch etwas zu hart.
Also noch mal von vorne – irgendwie hat der Tag wohl falsch begonnen. Der Kopf war nicht frei und das ist immer ein schlechter Anfang. Entledigen wir uns der geistigen Altlasten, stellen uns auf klassischen Fahrspaß ein und bereiten auch die Maschine darauf vor.
Der Versuch, die Federbeine mit dem Hakenschlüssel aus dem Bordwerkzeug vorzuspannen, schlug zwar fehl, denn es gibt kein Bordwerkzeug. Dafür fand ich unter dem rechten Seitendeckel einen 5er-Inbus, mit dem es auch klappte. Die Gabelfedern wurden mit dem 10er-Schlüssel vorgespannt, der von der letzten Einstellfahrt noch in der Jackentasche schlummerte. Jetzt noch den Zündschlüssel, der links vorne an der Lampenhalterung zu finden ist, von dem im Fahrwind klappernden Lenkschlossschlüssel samt Anhänger getrennt und es ging erneut los.
CockpitEine standesgemäße Sitzposition auf der angenehm gepolsterten Sitzbank ist doch recht schnell gefunden. Rutscht man ganz nach vorne, hat man bei 176 cm Körpergröße einen guten Knieschluss zum Zylinderkopf, rutscht man für längere Autobahnetappen nach hinten, touchiert man leicht x-beinig auch schon mal den Tank. Ansonsten fährt man halt ohne ständigen Knieschluss. Passen dürfte die Thruxton für fast jede Körpergröße, da die Bank vorne schmaler geschnitten ist und man so gut den Erdboden erreicht. Mit dem schon erwähnten serienmäßigen 5er-Inbus kann die Heckabdeckung demontiert werden. Ans Sonnenlicht kommt ein gar nicht mal so unbequemer Soziusplatz. Die Fußrasten für Fahrer und Sozius sind genau richtig platziert, die Lenker-Stummel könnten für Kurzarmige eventuell ein klein wenig höher und nach hinten gekröpft sein – den Zubehörmarkt freut’s.
Landstraßensurfen mit 100-120 km/h ist angesagt. Behält man dabei den wunderschönen analogen Tacho und seinen Nachbarn, den Drehzahlmesser, im Auge, stellt man schnell fest, dass die Thruxton doch keine Schlappwurst ist. Der Motor produziert seine Kraft allerdings ohne nennenswerte Vibrationen oder Leistungsspitzen. Während mancher Hardcore-Klassikfreak ihn deshalb vielleicht charakterlos nennt, ist er in Wahrheit einfach nur hochgradig alltagstauglich. Der Motor zieht ab 2000 U/min so gleichmäßig durch, dass man sich wieder völlig aufs Fahren konzentrieren kann. Bei 6500 U/min entwickelt er neben Vibrationen einen Anflug von hitzigerem Temperament, dem bei 7500 U/min aber schon der rote Bereich entgegensteht. Flach gemacht reicht das auf der Autobahn für höchst ungemütliche 190 km/h. Der Wohlfühlbereich ohne Tankrucksack hört bereits bei 130 km/h auf und eigentlich ist es gar nicht so schlimm, mal keine zwei als erste Ziffer auf der Uhr zu haben – wie früher halt. Wem die 70 PS wirklich nicht reichen, der dürfte bei Tuningbetrieben auf offene Ohren stoßen. Bei vorwiegend recht flotter Überlandfahrt lutschten die beiden Vergaser 5,8 Liter Super bleifrei je 100 km aus dem 16 Liter Tank. Bei der Füllung, die außerdem den 15km-Vollgastest mit überstehen musste, waren es 6,4 Liter je 100 km. Nach oben und unten besteht also Spielraum. Leichtes Motorruckeln kündigt das Erreichen der Reserve an, die über einen echten Benzinhahn (on, off, res) aktiviert wird. Der Hahn passt genauso ins Gesamtkonzept wie der am Vergaser montierte Choke.
Motor Motorradfahrer, die sich ein Leben ohne Doppelscheibenbremse gar nicht mehr vorstellen können, dürfen sich beruhigt zurücklehnen. Die Einzelscheibe im Vorderrad der Thruxton kann man also sowas von gelungen bezeichnen, dass sich manche Doppelscheibe verstecken kann. Jederzeit mit zwei Fingern sauber dosierbar erfreut sie den Fahrer mit einer einwandfreien Leistung. Wer kräftig reinlangt, bringt das Vorderrad zum Pfeifen. Die Hinterradbremse agiert so, wie man es von ihr erwartet: unterstützend, nie bissig.
Auch die Reifen konnten im Trockenen wider Erwarten überzeugen. Der obligatorische Test im Autobahnkreuz offenbarte keine Probleme – Haftung bis zum Ende des Angststreifens, ohne dass Fahrzeugteile aufsetzten oder irgend etwas ins Rutschen kommt. Es muss also gar keine 120/190er Paarung sein – wer hätte das gedacht?! Regenerfahrungen konnten wir wetterbedingt allerdings nicht sammeln. Cent-Fuchser werden sich bei den Reifen auch über die Preise freuen. Nicht nur das die Gummis für hohe Laufleistungen bekannt sind, ein kompletter Satz kostet auch weniger, als manch anderer Biker nur für die Hinterradpelle ausgeben muss.
8500 Euro kostet die Thruxton 900, die es in schwarz und rot gibt. Wer etwas mehr Geld ausgeben möchte, greift ins gewohnt gut ausgestattete Triumph-Zubehörregal oder gönnt seiner Thruxton die schicken Classic-Stoßdämpfer von Wilbers, die bei sportlicher Fahrweise und im Zweipersonenbetrieb zusätzliche Reserven bieten.
Aber was ist es denn nun wirklich – außer der Optik, das die Triumph Thruxton 900 so geil macht? Ganz einfach: sie bringt einen dahin zu-rück, wo man mal angefangen hat. Motorradfahren pur, ohne Stress, ohne das Gefühl einen Quasi-Rennstrecken-Hightech-Boliden bei Standgas über die Landstraßen zu scheuchen. Konzentration auf das Wesentliche – Fahrspaß, ohne ständig Angst vor dem Führerscheinentzug zu haben, weil man doch nur mal etwas vom Potenzial seines Brenners nippen wollte. Wer mit sich und seinem Bike irgendwie unzufrieden ist, sollte mal Thruxton fahren. Eventuell kommt ihr dann zu der gleichen Einsicht wie ich: die Triumph Thruxton 900 ist geil, weil weniger mehr sein kann – probiert es aus, macht aber vorher Euren Kopf frei!