aus bma 11/02

von Klaus Herder

Triumph Speed FourDas Sorgenkind im Triumph-Programm heißt TT 600. Der 2000 präsentierte Supersportler entwickelte sich zur echten Standuhr. Der Grund dafür ist schnell ausgemacht: Der kleine Vierzylinder verwirrte seine Fahrer bislang mit einer – vorsichtig formuliert – „sehr spitzen Leistungscharakteristik”. Weniger diplomatisch heißt das: Der extreme Kurzhuber ist besonders im mittleren und damit am häufigsten benötigten Drehzahlbereich eine ziemlich müde Gurke, die keine Wurst vom Teller zieht. In der sehr gut besetzten und heiß umkämpften 600er-Supersportler-Klasse bedeutet ein solches Verhalten natürlich das Todesurteil. Diverse Überarbeitungen der Auspuffanlage und der Kennfeldsteuerung der Saugrohreinspritzung brachten wenig bis gar nichts. Bestnoten für das von Anfang an gelungene Fahrwerk und die hervorragende Bremsanlage halfen da auch nur wenig – die TT 600 blieb stehen.
Das gab natürlich besonders den Triumph-Kaufleuten zu denken. Doch die fanden einen ziemlich cleveren Weg, um mit dem 600er-Gerät doch noch ein paar Mark einzuspielen. Wie so etwas gehen kann, hatte ihnen schon vor knapp zwei Jahren der italienische Triumph-Importeur mit seiner gestrippten TT 600 namens „Baby Speed” vorgemacht. Sie rupften also die Vollverkleidung herunter, montierten ein paar Teile der Speed Triple dran – fertig war das 600er-Naked Bike Speed Four. Halt, halt – so lief das glücklicherweise doch nicht ab. Eine zweite Motor-Pleite wollten und konnten sich die Briten nicht erlauben. Richtig ist allerdings, dass Triumph bei der Konstruktion einer unverkleideten 600er ganz bewusst nicht den Naked-Weg der japanischen Hersteller gehen wollte, der da heißt: Man nehme die letzte oder vorletzte Motorengeneration eines ehemaligen Supersportlers, setze den Motor in ein günstiges Stahlrohr-Fahrwerk und montiere nicht allzu teure Allerwelts-Federelemente. Mal abgesehen davon, dass bei Triumph gar kein älterer 600er-Motor im Regal lag, hätte eine solche Konstruktion unter all den Hornets, Bandits und Fazern wohl auch kaum eine große Chance gehabt.

 

Nackt im WindTriumph wählte einen anderen Weg und probierte etwas sehr Eigenständiges. Zuerst einmal beließ man es beim Brückenrahmen aus Aluprofilen, bei den hochwertigen und voll einstellbaren Kayaba-Federelementen an Vorder- und Hinterrad und der üppigen Besohlung im Format 120/70 ZR 17 vorn und 180/55 ZR 17 hinten. Die ultrakurzen Werte für Radstand und Nachlauf entsprechen ebenfalls denen der superhandlichen TT 600 (1395 mm/89 mm). Kurz gesagt: Das überall über den grünen Klee gelobte TT 600-Fahrwerk übernahm Triumph auch für die Speed Four. Beim Motor machten die Mannen aus Hinckley endlich Nägel mit Köpfen: neue Nockenwellen mit zahmeren Steuerzeiten, neue Kolben, neue Laufbuchsen, neuer Auspuff, ein neues Kennfeld der Zündbox, längere Ansaugtrichter – das macht 98 statt 108 PS, dafür aber mehr Druck und Drehmoment im Drehzahl-Mittelfeld. Nehmen wir es vorweg: Die Operation war ein voller Erfolg. Endlich ist Triumphs 600er-Vierzylinder ein echter Spaßmacher. Doch dazu gleich mehr.
Zuerst einmal ist die obligatorische Sitzprobe angesagt. Auf die Speed Four passen kurze, normalgewachsene und auch lange Fahrer gleichermaßen gut. Deren Hinterteile dürfen auch durchaus etwas üppiger ausfallen, denn die relativ breite Sitzbank in moderaten 790 mm Höhe hat eher Boxershort- als Stringtanga-Format. Die Lenkerstummel und Fußrasten sind die gleichen der TT 600 und auch genauso montiert. Das wirkt im ersten Moment alles recht supersportlich, ist aber doch wesentlich bequemer als befürchtet. Auf der Speed Four sitzt man so wie auf einer Honda CBR 600 F: sehr bequem und doch sportlich vorderradorientiert.
Das Anlassen klappt dank Startautomatik völlig problemlos und auf Anhieb, doch das anschließende Standgas ist viel zu hoch geregelt. Mit 3000 und mehr Touren jubelt der kalte Motor ungesund hoch, ohne dass der Fahrer eingreifen könnte. Der Kaltstart-Spuk ist aber schnell vorbei, und der Ultra-Kurzhuber (Bohrung x Hub 68 x 41,3 mm) hängt sauber am Gas. Das goldrichtig übersetzte Sechsganggetriebe ist von der eher kernigen Sorte. Mit Tanzschühchen ist da nicht viel zu machen, die Schaltbox verlangt nach konsequenter Stiefelarbeit.
Cockpit Die Überarbeitung des Motors hat aus dem Drehzahl-Sensibelchen natürlich keinen Power-Büffel gemacht, der relativ hubraumschwache Motor ist immer noch eine Drehorgel – eben ein typischer 600er-Motor. Doch wie kraftvoll der flüssigkeitsgekühlte Reihenvierer ab 4500 U/min durchzieht, ist nicht nur im Vergleich mit dem alten TT 600-Motor ziemlich beeindruckend. Triumph kleinster Motor braucht sich nun auch nicht mehr hinter Yamahas Fazer-Triebwerk zu verstecken. Der Speed Four-Motor dürfte mit dem bisherigen Referenz-Antrieb ziemlich gleichauf liegen. Ab 7000 U/min brennt beim Briten-Bike jedenfalls die Luft. Mit wunderbar heiser-kernigem Sound rennt die fahrfertig 207 Kilogramm wiegende Speed Four los. Nach 3,5 Sekunden ist aus dem Stand das Landstraßen-Limit erreicht. Wer sich hinter der durchaus eine Spur von Windschutz bietenden Mini-Verkleidung zusammenfaltet, überschreitet nach 15 Sekunden die 200er- Marke und wird erst bei knapp über 230 km/h vom Drehzahlbegrenzer zurück gepfiffen. Dann liegen so um die 14.500 Touren an. Der rote Bereich des Drehzahlmessers beginnt bei 14.000 Umdrehungen, in der Praxis ist man auch bei einer sehr sportlichen Fahrweise meist zwischen 7000 und 12000 U/min unterwegs. Die anderen Einspritzmotoren eigenen Lastwechselreaktionen gehen dem Speed Four-Vierzylinder fast völlig ab. Selbst auf hektisches Gewürge am Gashahn reagiert der Motor fast ganz ohne Rucken und Hacken. Seidenweich und turbinenartig läuft der Triumph-Motor zwar nicht, und leichte Vibrationen sind über den gesamten Drehzahlbereich spürbar, doch mit der aktuellen Abstimmung ist der 600er-Motor absolut konkurrenzfähig und besonders im Vergleich zur alten TT 600 nicht wieder zu erkennen. Die 5 bis 6,5 Liter Superbenzin, die sich die Einspritzanlage auf 100 Kilometern je nach Fahrweise aus dem 18-Liter-Tank zieht, sind in Anbetracht der gebotenen Fahrleistungen und im Vergleich mit der Konkurrenz durchaus korrekt.
Der Motor ist also endlich ein Freudenspender, das Fahrwerk war es auch bisher schon. Absolut spurstabil und superhandlich geht’s mit der Speed Four voran. Die Schräglagenfreiheit und der Grenzbereich der Bridgestone BT 010-Gummis gehen gegen Unendlich. Die Gabel und das Zentralfederbein lassen sich von soft bis sportlich straff über einen sehr weiten Bereich hervorragend einstellen. Die vorn mit Vierkolbensätteln und 310-Millimeter-Scheiben bestückte Bremsanlage gehört zum Besten, was der Markt derzeit zu bieten hat. Mit moderater Handkraft und fein dosierbar beißen die Stopper gnadenlos zu, wenn es darauf ankommt.
Farbpalette 2002Doch natürlich ist auch eine Speed Four nicht ganz perfekt: Die beiden Glupschaugen sehen zwar wichtig und schön böse aus, spenden aber nur recht mieses Licht. Einen Hauptständer gibt’s nicht, und die Spiegelausleger sind zu kurz. Zwischen dem Federbein und dem Hinterrad fehlt der Spritzschutz, und der Kupplungshebel lässt sich nicht verstellen. Dafür erfreut die in „Tangerine Orange”, „Jet Black” und „Roulette Green” lieferbare Maschine mit ein paar recht praktischen Details wie abgewinkelten Reifenventilen, Schnellverschlüssen zwischen Tank und Einspritzanlage und einer serienmäßigen Abdeckung des Soziusplatzes (Kühlerverkleidung und Bugspoiler sind Zubehör – und völlig überflüssig). Die Abdeckung kann übrigens ständig montiert bleiben, denn der Beifahrerplatz hat höchstens Alibicharakter.
Die Speed Four sollte eigentlich ab März 2002 bei den Händlern stehen. Der Brand im Triumph-Werk sorgte dann dafür, dass es der Spätsommer wurde. Das Warten hat sich aber gelohnt, denn mit 8900 Euro ist die Triumph zwar über 1600 Euro teurer als die Wettbewerber aus Fernost, bietet dafür aber eine ungemein eigenständige Form, sehr viel Exklusivität und vor allem das zur Zeit beste Fahrwerk aller nackten Serien-600er. Die Speed Four ist nicht einfach nur eine gefällige und ordentlich funktionierende Zusammenstellung preisgünstiger Bauteile, sie ist ein reinrassiger und aufwändig gemachter Supersportler im Streetfighter-Design. Die zweite Chance, die Triumph in der 600er-Klasse hatte, haben die Briten jedenfalls bestmöglich genutzt.