aus bma 8/13
von Klaus Herder
Vom ursprünglich 140 PS starken und üppige 200 Nm stemmenden Urmodell gab es zwischenzeitlich verschiedene Spielarten: von 2006 bis 2009 die mit Trittbrettern behangene und insgesamt etwas plüschigere Rocket III Classic. Und seit 2008 die mit „nur” 106 PS, neuem Fahrwerk, schmalerer Bereifung sowie Koffern und Windschutzscheibe ganz auf Kilometerfresser ausgerichtete Rocket III Touring. Das Urmodell erlebte 2009 sein letztes Baujahr und wurde 2010 von der Rocket III Roadster abgelöst, der mit Sicherheit fahraktivsten Vertreterin der Raketen-Baureihe.
Doch die neu gewonnene Drei-Gänge-Freiheit ist nicht der einzige Grund, um sich der Wuchtbrumme drei Jahre nach ihrer Präsentation etwas intensiver zu widmen. Die Triumph-Pressemitteilung spricht schließlich von einer „grundlegend überarbeiteten Rocket III Roadster“. Und tatsächlich: Bei „Schlüsselmerkmalen“ (O-Ton Triumph) gab es einen Wechsel von Chrom zu Schwarz. Kühlerabdeckungen, Luftfilterdeckel, Scheinwerfergehäuse und sogar die ABS-Sensorringe präsentieren sich fortan dunkel statt glänzend – Wahnsinn!
Doch bevor wir uns an dieser Stelle in Lästerei über hochgejazzte Kosmetik-Gimmicks ergehen, beamen wir uns zurück ins Jahr 2010 und schildern dem geneigten Leser, was bereits damals die Rocket III Roadster von ihren Raketen-Schwestern unterschied. Die Segnungen des 2013er-Modells lassen wir dabei locker einfließen.
Dank größerem Schalldämpfervolumen und geändertem Kennfeld wurde die Roadster zur bislang stärksten Rocket III. In Zahlen: 148 PS bei 5750/min und maximal 221 Nm bei 3250/min. Richtig gelesen: 3250 Umdrehungen! Was in der Praxis bedeutet, dass sich das Roadster-Leben immer irgendwo zwischen 2000 und 3000 Touren abspielt. Ein Bereich, der auf dem Drehzahlmesser mancher Rennsemmeln noch überhaupt nicht zu erkennen ist. Und ein Bereich, der dem Nutzer eine ungemeine Souveränität und Lässigkeit verleiht, was nicht mit Trägheit verwechselt werden sollte. Im Gegenteil: Der Fahrer sitzt auf der Roadster deutlich aktiver als auf allen anderen Rocket-Modellen. Den Unterschied machen die um 123 mm nach hinten verlegten Fußrasten und die um 10 mm höhere Sitzposition. Das ist nicht nur aktiver, sondern auch deutlich bequemer und verleiht der Fuhre ganz nebenbei spürbar mehr Schräglagenfreiheit. Mit der Rocket III Roadster lässt sich überraschend flott ums Eck biegen, ohne dass man ungewollt spanabhebend tätig wird.
Doch bevor der bestens untergebrachte Roadster-Treiber den vollgetankt 367 Kilogramm wiegenden Dreireiher fliegen lässt, bleibt noch etwas Zeit zur stillen Einkehr und Freude ob der weiteren Modellpflegemaßnahmen, die bereits anno 2010 aus der Rocket III die Rocket III Roadster machten. Als da wären das serienmäßige und überaus bissfeste ABS und die neue, für etwas mehr Komfort sorgende Hinterradfederung.
Schluss mit stiller Freude, jetzt wird gefahren: Die Kupplung war bei der Rocket III immer schon erstaunlich leicht zu bedienen; die Arbeit am Schalthebel geht dank Modifikationen im Getriebe nun auch sehr leicht und ohne „Klonk“ vom Fuß. Der Wegfall der Drei-Gänge-Leistungsreduzierung macht aus der Beschleunigungs-Sau kurzfristig eine Beschleunigungs-Wildsau, was in absoluten Zahlen allerdings kaum zu fassen ist. Ob man aus dem Stand nach 3,6 oder 3,5 Sekunden Tempo 100 erreicht, dürfte für einen unverkleideten Dampfer mit Hirschgeweihlenker eher zweitrangig sein. Zugegeben: Der zusätzliche Punch in den unteren Gängen ist durchaus spürbar, aber es bleibt ein sehr kurzzeitiger Lustgewinn, denn der Raketenmann macht im Normalfall auch auf der neuen Rocket III Roadster das, was er auf einer Rocket III immer schon gemacht hat: möglichst frühzeitig in den fünften Gang schalten und dort bis zum Feierabend verweilen.
Denn mal ehrlich: Wofür soll ein 2,3-Liter-Motor mit Schiffsdiesel-Charakteristik gut sein, wenn nicht für die ultimative Durchzugsnummer, für die man vier von fünf Getriebestufen nicht wirklich benötigt? Eben. Und so wird praktisch jeder Roadster-Fahrer dazu verführt, spätestens bei 2500 Touren zu schalten. Wenn bereits kurz über Leerlaufdrehzahl ein dreistelliger Nm-Wert zur Verfügung steht, bedarf es keines längeren Aufenthaltes in den Niederungen der Schaltbox. Möglichst zügig den fünften und letzten Gang reinhauen, fertig ist die Laube. Und zwar mindestens für den Rest des Tages oder zumindest bis zum nächsten Tanken.
Auf 100 Kilometern zieht der Big Block rund sechs Liter aus dem 24-Liter-Tank, was der Sache angemessen sein dürfte. Hubraummäßig ähnlich bestückte Limousinen der oberen Mittelklasse verbrauchen auch nicht weniger, machen dafür zwar weniger Spaß, sind aber immerhin etwas schneller. Wie denn das? Weil Triumph die Sache mit dem „Leistungsbegrenzung – alles muss raus!“ doch nicht ganz 100-prozentig durchgezogen hat. Im vierten und fünften Gang und bei höheren Drehzahlen greift nämlich nach wie vor der Speedcutter mäßigend ein und sorgt dafür, dass 193 km/h das Ende der Rocket III-Fahnenstange darstellen. Im fünften Gang stehen dann 4600/min, im vierten sind es 5300/min. Ein Skandal? Nicht wirklich, denn mit einem zweirädrigen Halbtonner unverkleidet, aufrecht sitzend und hinterm 95 cm breiten Lenker hängend mit über 160 km/h über die Autobahn zu bügeln, macht nicht wirklich Spaß. Also was schert es die britische Eiche, wenn sich in Sachen Endgeschwindigkeit ein schnöder 600er-Sportler an ihr reibt? Eben. Unabhängig davon rennt die Rocket III – wenn es denn unbedingt sein muss – auch noch mit Tachoanzeige 200 (was den besagten 193 km/h entsprechen dürfte) absolut stabil geradeaus. Beruhigend, wenn man dem aufmüpfigen Nachwuchs dann doch mal zeigen muss, wo der Roadster-Hammer hängt.
Das eigentliche Rocket III-Revier ist aber unter Dicke-Hosen-Aspekten betrachtet natürlich der Boulevard und im Hinblick auf fahrdynamischen Lustgewinn die sich in weiten Bögen durch die Natur schlängelnde Landstraße. Die darf auch gern mal etwas zerfurchter sein, denn das Fahrwerk federt und dämpft wirklich recht ordentlich. Die 43er-Upside-down-Gabel hat dabei noch deutlich mehr Reserven zu bieten als die in der Federbasis verstellbaren Stereo-Federbeine. Tiefe Längsrillen mag die Dicke dann aber doch nicht so gern, was nicht weiter verwundern sollte, denn ein 150er-Vorderradreifen und eine 240er-Hinterradwalze fordern nun mal irgendwo ihren Tribut. In Sachen Handling stören die fetten Gummis erfreulicherweise nicht weiter, die Rocket III Roadster schwingt überraschend locker durchs Winkelwerk, vorausgesetzt, ihr Fahrer packt entschlossen zu und macht ihr unmissverständlich klar, wohin die Reise gehen soll.
Der Koloss macht auch dann noch Spaß, wenn er mal nicht rollt: Die grundsolide Verarbeitung, die dank Kardan und 10.000er-Serviceintervalle ausgeprägte Wartungsarmut und auch viele nette Ausstattungsdetails (u.a. Ganganzeige, gekröpfte Reifenventile) machen die Rocket III Roadster zwar nicht günstig, aber im besten Sinne des Wortes preiswert. 17390 Euro (plus 395 Euro Nebenkosten) ruft der Triumph-Dealer für die in Mattschwarz (mit weißen Zierstreifen) oder Metallicschwarz (mit roten Zierstreifen) lieferbare Maschine offiziell auf. Da aber Rocket III-Käufer zu einem eher exklusiven Kreis gehören und folglich beim Händler des Vertrauens nicht unbedingt Schlange stehen, könnte ein noch attraktiveres „Hausangebot“ (mattschwarzer Helm und Sonnenbrille inklusive?) beim ein oder anderen Händler drin sein. Eine Probefahrt sollte sich zumindest jeder gönnen, der in Sachen „Muss-man-mindestens-einmal-im-Leben-gefahren-haben-Moppeds“ mitreden möchte, denn die Triumph Rocket III Roadster gehört eindeutig dazu!
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