aus bma 11/01

von Klaus Herder

Fahrzeughersteller, die in ihrem Lieferprogramm ein Modell führen, das von irgendwelchen Schlaubergern irgendwann einmal mit dem schreckliche Zusatz „Kult” versehen wurde, haben es in Sachen Modellpflege nicht ganz leicht. Egal, was auch verändert wird – immer kommen ein paar Torfnasen aus ihren Löchern und jammern: „Das alte Modell war aber viel schöner und besser und sowieso viel geiler.” Abgesehen davon, dass solche Jammerer das vermeintlich schützenswerte Objekt ihrer Begierde mangels Masse meist ohnehin nie selbst fahren werden oder bestenfalls aus siebter Hand erwerben können, müssten wir uns heute immer noch mit eigentlich schrecklichen Alteisen wie dem VW Käfer, Suzukis Wasserbüffel oder Shovelhead-Harleys herumquälen, wenn es nach den Kult-Jammerern gehen würde.
Um die gerade mal zehn Jahre alten Triumph-Dreizylinder aus Hinckley wird mittlerweile ein ähnliches Kult-Gewese getrieben. Nun haben die schlauen Briten den Triple ja nun wirklich nicht erfunden. Vielleicht waren Yamaha mit der XS 750 und BMW mit der K 75 einfach nur zu früh dran, um Kult zu werden. Egal – wer Triumph-Dreizylinder fährt, ist nun mal automatisch ein besserer Mensch, weil er nicht japanischen Vierzylinder-Einheitsbrei oder italienischen Zweizylinder-Zirkus bewegt.

 

Wer Speed Triple fährt, ist am kultigsten, die Daytona-Fahrer kommen in der Kult-Wertung gleich dahinter. So weit, so Kult. Doch ausgerechnet dem Aushängeschild britischer Dreizylinder-Sportlichkeit ging’s in diesem Jahr modellpflegemäßig gewaltig an die Verkleidung und auch an die Innereien. Nicht, dass die Daytona neuerdings von vier Zylindern befeuert wird – so weit hielten sich die Triumph-Techniker zurück, das TT 600-Debakel steckte wohl noch zu sehr in den Knochen. Doch bis auf die Zahl und Anordnung der Brennräume blieb eigentlich nichts so, wie es war. Zu viel Masse und zu wenig Leistung hatten den 1996 als Daytona T 595 präsentierten und 1999 in Daytona 955i umbenannten Sportler langsam aber sicher ins Hintertreffen gebracht. Natürlich war Triumphs Top-Sportler bislang unglaublich individuell, bildschön und vielleicht sogar etwas kultig. Geräte wie die Honda Fireblade oder Suzuki GSX-R 1000 gingen dagegen nur als langweilige Allerwelts-Sportler durch – igitt. Doch die Schlitzi-Feilen waren stärker, hatten bessere Fahrwerke und ließen sich dynamischer bewegen. Eigenschaften, die bei Sportlern nicht ganz unwichtig sind. Triumph musste also etwas tun. Kult hin oder her.
Triumph tat etwas. Und zwar das, was jeder gute Tuner tut, wenn er auf Leistungssuche geht: den Zylinderkopf überarbeiten, für höhere Drehzahlen sorgen und die Verdichtung erhöhen. Heraus kamen 147 PS bei 10.600 U/min. Die alte Daytona leistete maximal 128 PS bei 9900 U/min. Im einzelnen gingen die Techniker wie folgt vor: Die sechs Einlassventile legten im Durchmesser um je einen Millimeter zu, ihre Auslasskollegen müssen dafür mit je einem Millimeter weniger auskommen. Schlankere Ventilschäfte und leichtere Shims, die nun unter den Tassenstößeln liegen, sorgen für geringere bewegte Massen. Die Ventile stehen zueinander in einem engeren Winkel, die Ein- und Auslasskanäle wurden zudem kräftig überarbeitet. Beides zusammen schafft direktere und damit schnellere Wege für die ein- und ausströmenden Gase. Damit vor lauter Tempo überhaupt genug Frischgase hinterherkommen können, gibt’s auch noch eine größere Airbox und neue Einspritzdüsen. Überarbeitete Schmiedekolben mit leichteren Pleuelstangen und schmalere Kurbelwellen-Gleitlager erlaubten es, das Drehzahllimit von 10.500 auf 11.000 U/min anzuheben. Die Verdichtung stieg von 11,2:1 auf 12,0:1. Die Zündspulen sitzen nun direkt auf den Zündkerzen.
Das Kühl- und Schmiersystem musste sich ebenfalls kräftige Veränderungen gefallen lassen: Die Triumph-Techniker optimierten die Kreisläufe, sorgten dafür, dass kühlendes Motoröl unter die Kolbenböden gespritzt wird und erhöhten die Kapazität des Ölkühlers. Die bislang in der zweiten Reihe arbeitende Lichtmaschine wanderte direkt auf das eine Ende der Kurbelwelle, was ein paar Zahnräder spart und für weniger Geräusche sorgt. Und weil sie nach dem ganzen Motoren-Überarbeiten noch etwas Zeit hatten, strickten die Ingenieure auch gleich noch ein neues Sechsganggetriebe, das sich leichter schalten lassen soll. Das gewaltige Herumdoktern an der Antriebsmimik brachte neben den bereits erwähnten 19 PS Mehrleistung eine Gewichtsersparnis von 2,5 Kilogramm. Ach ja, genau zwei Dinge blieben unverändert: Die 955i hat immer noch 955 ccm Hubraum, und das maximale Drehmoment beträgt wie bisher 100 Nm, allerdings bei 8400 U/min und nicht mehr bei 7500 Touren.
Probieren wir doch mal gleich aus, was die Modellpflege – der Begriff Neukonstruktion wäre vielleicht treffender gewesen – gebracht hat. Doch bevor sich der Pilot am unverändert guten Startverhalten erfreuen kann, darf er sich erstmal wundern. Nämlich über eine deutlich andere Sitzposition. 20 Millimeter mehr Sitzhöhe und etwas stärker angewinkelte Lenkerstummel machen die neue Daytona spürbar bequemer. Der Tank legte beim Volumen zu (21 statt 18 Liter), ist aber zum Fahrer hin schlanker geformt und ermöglicht einen sauberen Knieschluss. Waren bislang sehr lange Arme und ein noch viel längerer Oberkörper gefragt, ist die Unterbringung des Piloten nunmehr deutlich kompakter und auch für normalwüchsige Menschen angenehm.
Der rechte Daumen drückt, der Anlasser zuckt – und schon läuft der Dreier. Tja, und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erinnern wir uns wieder daran, was schon immer den besonderen Reiz einer Dreizylinder-Triumph ausmachte: der Sound. Kehlig grummelnd tönt der Triple aus der neu verlegten Auspuffanlage. Stundenlanges Am-Gas-Spielen würde jetzt auch mächtig Spaß machen, doch es geht ja schließlich um einen Fahrbericht. Kupplung ziehen (nicht sehr schwer), Gang einlegen (nicht übermäßig hakig) – und ab. Die Gasannahme ist perfekt – solange Gas ansteht. Die Übung Gas raus, Gas rein – gern auch als Lastwechsel beschrieben – klappt nicht ganz so perfekt wie bei der alten Daytona, zumindest bei Drehzahlen unterhalb von 4000 U/min. Dafür hat der Motor in Sachen Laufkultur klar gewonnen. Es ist glücklicherweise immer noch deutlich zu spüren, dass da nicht zwei oder vier Pötte bedient werden, der Dreizylinder läuft aber mechanisch ruhiger und giert geradezu nach Drehzahlen. Vom Niveau guter japanischer Getriebe ist die Triumph-Schaltbox noch etwas entfernt. Wer jedoch konzentriert und entschieden die Gänge wechselt, wird keine Probleme haben. Besser als beim Vorgängermodell klappt’s auf alle Fälle. Unten herum hatte die alte Daytona gefühlsmäßig etwas mehr Biss, oberhalb der 5000er-Marke ist die neue 955i aber auch keine Schlappwurst. Wo allerdings die 19 Mehr-PS stecken, wird nicht sofort klar. Auf der Triumph zieht’s einem die Arme schon mächtig lang, doch das große Aha-Erlebnis bleibt motormäßig aus, weil alles ohne irgendwelche Höhen und Tiefen vonstatten geht. Beschleunigung und Durchzug sind erst oberhalb von 120 km/h spürbar besser als bei der alten Daytona, die Höchstgeschwindigkeit liegt mit 266 km/h rund 10 km/h über dem bisherigen Spitzenwert.
Ein Aha-Erlebnis gibt es trotzdem. Und zwar in Sachen Handlichkeit. Wie leicht und locker die neue Daytona um Eck schwenkt, fällt bereits im Stadtverkehr auf. Das alte Modell war nun auch nicht gerade ein unhandlicher Brocken, doch die Neue ist um Klassen besser. Dabei blieb der aus Leichtmetallrohren mit ovalem Querschnitt geschweißte Brückenrahmen praktisch unverändert, doch ein steilerer Lenkkopfwinkel, ein verringerter Nachlauf und ein kürzer Radstand machen den Unterschied. Ein leichteres Vorderrad und eine schmalere Hinterradfelge mit schmalerer Bereifung (180/55 ZR 17 anstelle 190/50 ZR 17) unterstützen die ultrahandliche Auslegung. Kurven millimetergenau anpeilen, sauber umlegen, auf einer Linie und ohne Korrektur durchziehen und dann wieder genauso leicht aufrichten – mit der neuen Daytona ist das ein echter Genuss. Egal ob schnelle, langgezogene Kurven oder die wilde Jagd durch enge Kurvenkombinationen – die vollgetankt 220 Kilogramm schwere (und damit insgesamt zehn Kilogramm leichtere) 955i ist ein Ausbund an Handlichkeit. Die konventionelle Showa-Telegabel und das überarbeitete Federbein lassen sich komplett einstellen, arbeiten unabhängig von allen Klicks aber eher komfortorientiert. Das mag nun wieder alle Renntraining-Junkies auf den Plan rufen, um sich über die vermeintlich zu softe Abstimmung zu mokieren. Für den Rennstreckenbetrieb sind die Federelemente tatsächlich nicht gemacht, doch die Triumph-Verantwortlichen vermuteten wohl zu Recht, dass die Mehrzahl der Daytona-Fahrer nicht täglich auf dem Nürburgring oder in Oschersleben unterwegs ist. Für sehr, sehr zügigen Landstraßenbetrieb ist das Fahrwerk jedenfalls bereits im Serienzustand hervorragend geeignet. Die zugegebenermaßen bildhübsche Einarmschwinge der alten Daytona blieb bei der Modellpflege auf der Strecke. 3,3 Kilogramm Gewichtsersparnis und erhöhte Steifigkeit sprechen aber zumindest aus technischer Sicht für die Zweiarm-Lösung.
Die Vorderradbremse ließ Triumph aus gutem Grund unangetastet. Wie bisher beißen Nissin-Vierkolbensättel in 320-Millimeter-Scheiben. Und das perfekt dosierbar und mit brachialer Wirkung. Hinten tut’s fortan ein Einkolben- statt eines Zweikolbensattels. Wirkung und Dosierbarkeit sollen dadurch gewonnen haben, was sich in der Praxis nur schwer bestätigen lässt. Die vorderen Stopper erledigen ihren Job nun mal so gut, dass der hintere Partner praktisch nie wirklich gebraucht wird.
Verkleidung und Cockpit sind komplett neu. Wo früher zwei einzelne Ovalaugen Licht spendeten, tut heute ein unter einer Polycarbonatscheibe steckender Doppelscheinwerfer Dienst. Der mag vielleicht langweiliger aussehen, leuchtet die Fahrbahn dafür aber wesentlich heller aus. Die in Blau oder Silber lieferbare Verkleidung ist 1,2 Kilogramm leichter und schlanker geworden. Das Cockpit musste sich ebenfalls eine Diät gefallen lassen. Zwei Kilogramm sind runter, ein digitale Multifunktionsanzeige anstelle der Analoginstrumente ist dafür drin. Ein zweiter Tageskilometerzähler und eine Zeituhr versüßen den technischen Fortschritt etwas. Und zumindest der Drehzahlmesser hat noch eine richtige Skala mit einem echten Zeiger.
Die neue Triumph Daytona 955i kostet inklusive Nebenkosten 24.460 Mark und damit genau 1000 Mark mehr als das alte Modell. Die neue Daytona ist stärker und handlicher und bietet einen besseren Arbeitsplatz. Sie hat zudem einen geregelten Drei-Wege-Katalysator und ein Sekundärluft-System. Wer Charakter an Einarmschwinge und Ovalaugen-Gesicht festmacht, hat mit der neuen Daytona vermutlich Probleme – „Ist jetzt alles so japanisch!”. Wer der Meinung ist, dass das Herz für den Charakter eines Motorrads entscheidender ist, kann beruhigt sein. Der Dreizylinder tönt und lebt kernig wie eh und je und macht den großen Unterschied zu fernöstlichen oder südeuropäischen Produkten aus. Ob die Daytona auch weiterhin Kult ist oder nicht, kann da doch völlig egal sein. Sie macht mächtig Spaß. Das sollte eigentlich reichen.