aus bma 12/10 – Reisebericht

von Frank Sachau

Motorradreise Thüringen - HaßbergeGestern noch kreisten wir, den über uns schwe­benden Segelflugzeugen gleich, über die sanft gerundeten Kuppen der Rhön, unter der Motorradkluft war’s angenehm warm. Heute ist’s verdammt früh und frisch. In den von uns durchfahrenen Dörfern warten schlaftrunkene Jugendliche auf den morgendlichen Schulbus. Weite Bögen führen uns durchs Grabfeld zwischen Rhön und Haßberge, das warme Licht der aufgehenden Sonne wirft lange Schatten. Das Bordthermometer hat bereits einige Grad mehr aufzuweisen, als wir Bad Königshofen an der Fränkischen Saale erreichen, unser Einstieg in die Straße der Fachwerkromantik.

Der Weg nach Hofheim kommt kurzweilig daher: Wir durchschneiden typisch fränkische Landschaften aus Fluren und Wäldern, Tälern und Hügeln. Nur wenige, aber dafür malerische Ortsdurchfahrten bremsen unseren Vorwärtsdrang. Nachdem wir Hofheims zweites Stadttor passiert haben, beschleunigen wir in Richtung Eichelsdorf. Am dortigen Ortsende weist ein Hinweisschild in den dunklen Mischwald: Drei Kilometer geht’s dann auf schmalster Straße bergan. In fast 500 Meter Höhe stoppen wir unsere Maschinen am vorgeschichtlichen Ringwall der uralten Befestigungsanlage Schwedenschanze. Die plötzlich über uns hereinbrechende Stille wird nur vom Knistern der abkühlenden Motoren und dem Klopfen eines Spechtes unterbrochen. Ein paar Schritte durch den Wald, dann 113 Stufen in die Höhe, schon stehen wir auf dem im Jahre 1930 eröffneten Aussichtsturm. Zwei Plattformen bieten ein sehenswertes Rundum-Panorama über den Naturpark Haßberge, der sich auf einem Gebiet von rund 60 mal 30 Kilometern ausdehnt. Der Main trennt das Mittelgebirge im Süden vom Steigerwald und der Fränkischen Schweiz. Im Nordwesten erhebt sich die Rhön, im Osten sind bei klarer Sicht die Gleichberge im Thüringer Schiefergebirge am Horizont erkennbar. In der Woche ist hier oben nichts los, die am Fuß des Turms gelegene Dr. Krahmer-Hütte ist nur an Wochenenden bewirtschaftet.

Motorradreise ThüringenWären die Haßberge eine Auster, wäre das nahe Königsberg in Bayern eine makellose Perle. In der unter Denkmalschutz stehenden, historischen Altstadt gilt jedes Fachwerkhaus als Unikat mit eigener Geschichte. Europas bedeutendster Mathematiker und Astronom, der Regiomontanus, wurde im 15. Jahrhundert hier geboren. Sein richtiger Name war eigentlich Johannes Müller. Die Statue auf dem Marktbrunnen zeigt den berühmten Sohn der Stadt, dessen Rechenkünste Maßstäbe setzten und Kolumbus befähigten, auf seinen Reisen sicher zu navigieren. An einer von der Sonne verwöhnten Hauswand entdecken wir erste Weinreben. Mit jedem Kilometer, den wir näher an den Main kommen, werden es mehr. Die Region ist bekannt für seinen Rebensaft in der bauchigen Flasche, dem so genannten Bocksbeutel, der seit mindestens 250 Jahren als typisches Behältnis für den trockenen, aber süffigen Wein dient. Zeil am Mains beste Lagen bringen den prämierten Ziegelangerer Ölschnabel hervor und ein vollmundiges Werbeplakat verspricht „Frankenwein ist ein Vorgeschmack aufs Paradies“, doch der Beweis muss bis zum Abend warten. Der idyllische Ortskern mit seinem romantischen Marktplatz und den betagten, fein herausgeputzten Fachwerkhäusern ist einen Halt wert. Doch nicht immer herrschte hier heile Welt: Ein von uns entdeckter Pranger und die Hexenprozesse während des Dreißigjährigen Krieges werfen dunkle Schatten.

Motorradreise Thüringen KlassikerstrasseOn the road again begleiten wir den Main stromaufwärts. In Stettfeld verlassen wir die Straße der Fachwerkromantik aus gutem Grund und gelangen ganz gelassen über Lauter nach Baunach. Die südöstliche Runde durch Hallstadt quert zwar mehrmals den Main, quält sich dabei aber auch durch langweilige Industriegebiete. Ab Baunach schwindet die Straßenbreite merklich, wir schwingen an Streuobstwiesen vorbei an der Ilz entlang nordwärts, bis das Kommando „Hart Backbord“ kommt und wir steil bergan nach Rentweinsdorf abbiegen. Wieder setzen wir unseren dicken Kopf durch, entfleuchen der Straße der Fachwerkromantik und springen über die B 279 in den Hasswald hinein. Die hügelige Etappe entpuppt sich als fahrerischer Leckerbissen mit spannenden Kurven und wenig Verkehr. Statt in Ebern wieder auf die die ursprüngliche Route zurückzukehren, suchen wir auch auf der anderen Seite der Bundesstraße unser Motorradglück. Und Bingo! Auch auf der einsamen Route Untermerzbach – Pfarrweisach wird Händen und Füssen keine ruhige Minute gegönnt.

Zeit zum Innehalten bietet dann die aus dem 13. Jahrhundert stammende Wehrkirche in Junkersdorf. Das Gotteshaus ist bis unter den Kirchturm mit wildem Wein bewachsen, aus dem das Gesumme Tausender Bienen dringt. Ein älterer Dorfbewohner bringt uns im besten Dialekt die Geschichte des Gemäuers nahe, aber als Schriftdeutschsprechende verstehen wir nur Bahnhof, nicken dafür aber freundlich. Oberhalb des Ortes, 458 Meter über dem Meeresspiegel, thront eine der größten Burgruinen Frankens, die Ruine Altenstein. In weiten Schwüngen tanzen wir aus dem Weisachtal hinauf. Imposante Mauerreste, dunkle Gewölbe und mächtige Turmstümpfe bilden ein beeindruckendes Ambiente für staunende Blicke übers Land. Unsere Tour neigt sich dem Ende entgegen, von nun an wird nicht mehr aus der Reihe getanzt. Später durchqueren wir das Grabfeld, woher der Name stammt, konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden, in Richtung Mellrichstadt und sind uns einig: Motorradwandern in den Haßbergen ist Fahren wie Gott in Franken.

Motorradreise ThüringenAls wir am Abend die Route für den nächsten Tag besprechen, herrscht schon wieder traute Einigkeit: Wir alle hatten im Deutschunterricht die Ohren immer auf Durchzug geschaltet, wenn es um so furztrockene Themen wie deutsche Dichter und Denker ging. Die Klassikerstraße in Thüringen ist schuld daran, dass die Beschäftigung mit berühmten einheimischen Literaten durchaus Spaß machen kann, sofern man wie wir im Besitz von Motorrad und Führerschein ist. Wir steigen gleich ganz groß ein und besuchen Goethe und Schiller in Weimar, wo die beiden Vers-Fürsten sich gemeinsam ein Denkmal teilen.

Nicht weit entfernt glänzt das Reiterstandbild Herzog Carl Augusts in der Sonne. Der Arme stand unter der Fuchtel seiner Mutter, der Herzogin Anna Amalia, der Gründerin der berühmten Bibliothek, lockte aber mit liberalen Thesen Geistesgrößen aus Kunst und Wissenschaft nach Weimar, das sich als Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach unaufhörlich zu einem kulturellen Zentrum in Deutschland entwickelte. Die B 7 trägt uns anfangs durch weite Landstriche, bis sie im Dunstkreis Jenas durch dichte Laubwälder kurvt. Die Stadt an der Saale profitierte Ende des 18. Jahrhunderts von der aufstrebenden Nachbarin, bis viele Jahre später die Wissenschaftler Zeiss, Schott und Abbe mit Jenaer Glas und den Zeisswerken weltweit für den richtigen Durchblick sorgten. In Jena ist schon die B 88 in Richtung Rudolstadt ausgeschildert und die Saale wird uns bis in den Thüringer Wald begleiten.

Bei Kahla erhebt sich die Leuchtenburg aus den Wäldern. Sie zählt zu den schönsten Burgen Thüringens und gewährt Ausblicke bis zum Harz. 1788 traf Goethe im zwanzig Kilometer entfernten Rudolstadt erstmals auf den Kollegen Schiller, der hier seine spätere Ehefrau Charlotte von Lengefeld kennen lernte. Ganz nebenbei: Schillers „Glocke“ ist verantwortlich für zigtausende Schüler, die an diesen Zeilen verzweifelten. Auf dem Weg ins benachbarte Bad Blankenburg kommen wir durch Volkstedt, einen von Schiller gern besuchten Ort. Der Dichter kletterte häufig auf den Buntsandsteinfelsen über der Saale und genoss die Aussicht. Ebenfalls hoch hinaus zog es den multitalentierten Goethe, der als Dichter, Forscher und Politiker Karriere machte. Durch die großartige Kulisse des Thüringer Waldes inspiriert, schrieb er Wandrers Nachtlied „Über allen Gipfeln ist Ruh …“ an die Wand einer Schutzhütte am 861 Meter hohen Kickelhahn.

Motorradreise ThüringenDie folgende Etappe an den Südrand des mit Kurven gespickten Mittelgebirges fordert Hände, Füße und Reifenflanken unnachgiebig zur Mitarbeit auf. Auf unserem Weg zum Hotel in Mellrichstadt passieren wir die Reste der ehemaligen innerdeutschen Grenze, die auch das Zeug zum Klassiker hat, denn sie ist wie die Dichter ein Teil der Geschichte unseres Landes. Am nächsten Morgen brechen wir in aller Herrgottsfrühe auf und setzen unsere Reise auf der Klassikerstraße in der ehemaligen Residenzstadt Meiningen fort. Südthüringens Theater- und Kulturstadt liegt an der Werra, die sich an die sanften Kuppen der Vorderen Rhön schmiegt. Mit Wasungen durchfahren wir einen der ältesten Karnevalsorte Deutschlands. Sogar ein Brunnen ist mit Narrenkappen geschmückt. Vor Breitungen verlassen wir die B 19 und schwingen auf der parallel verlaufenden Landstraße durch die Werraniederungen nordwärts.

Der Fluss liegt schon lange hinter uns, als wir in der Region Moorgrund in den nordöstlichsten Teil des Thüringer Waldes eindringen. Vor Eisenach legen wir unsere Maschinen von einer Kurve in die nächste, während die Waldstrecke rasch an Höhe gewinnt. Zum Schluss noch durch die enge Drachenschlucht geschlüpft, schon liegt Eisenach vor unseren Lenkern. Der im 16. Jahrhundert von Kaiser und Papst verfolgte Martin Luther fand in der hiesigen Wartburg Unterschlupf und übersetzte in nur zehn Wochen das Neue Testament in die deutsche Sprache. Der Reformator, die Burg und die Lutherstube sind seit dem weltbekannt. Der anschließende Weg nach Gotha führt uns auf wechselnden Belägen und Breiten durch weites Land. Am rechten Spiegel ist der Große Inselsberg erkennbar, die höchste Erhebung des Mittelgebirges Thüringer Wald. Nicht ganz so weit ragt das schneeweiße Schloss Friedenstein über Gotha hinaus. Das sehenswerte, frühbarocke Baudenkmal gilt als Kunstkammer Thüringens. Die Landeshauptstadt Erfurt liegt, wie einst Martin Luther schon treffend feststellte „am rechten Ort“, dem Kreuzungspunkt wichtiger mittelalterlicher Handelsstraßen.

Wir streben nach Süden und statten Arnstadt noch einen Besuch ab. Der geniale Musikus Johann Sebastian Bach hat hier gewohnt und gewirkt, alljährlich wird ihm zu Ehren ein Bach-Festival veranstaltet. Doch bevor es bei Illmenau wieder in die Berge geht, werfen wir an der Triglismühle die Anker aus, weil uns ein kunstvoll bemalter Giebel fasziniert. Er zeigt wahre Klassiker und solche, die es noch werden können: Mick Jagger, Johann Sebastian Bach, Robbie Williams, Martin Luther, E. Marlitt (regionale Schriftstellerin), Johann Wolfgang von Goethe, Helge Schneider und drei Esel.

Reiseinfos

Unterkunft: Hotel Sturm. Das zu den Motor Bike Hotels gehörende Haus ist ein äußerst komfortables Basislager für spannende Ausfahrten in alle vier Himmelsrichtungen. In der Saison vergeht kein Wochenende ohne eine besondere Biker-Attraktion. Matthias und das Team des Sturm geben alles, damit sich der Motorradreisende wohl fühlt. Doppelzimmer mit Frühstück ab 40 Euro pro Person. Christa & Matthias Schulze Dieckhoff, Ignaz-Reder-Straße 3, 97638 Mellrichstadt, Fon 09776 81800, www.hotel-sturm.com

Literatur und Karten: Motorrad Mitteldeutschland, Denzel-Verlag, Innsbruck. 76 ausgewählte Rundfahrten, 272 Seiten mit Kartenskizzen und zahlreichen Fotos. Handliches Format 12 x 18 cm. ISBN 3850477568, 19,90 Euro. Christian Leber und Steffen Rothmann „Zwischen Rhön und Fichtelgebirge“. Sieben spannende Motorradtouren. Viel Lokalkolorit und Insidertipps. Herausnehmbare Klappkarten, 92 Seiten, Tankrucksackformat. Motorbuch Verlag, ISBN 3613021358, 12 Euro. Motorrad Powerkarten „Mittel- und Westdeutschland“, Good Vibrations Verlag, 8 laminierte Blätter im Schuber, Maßstab 1 : 250.000, nahezu unkaputtbar, ISBN 393741821-0, 19,90 Euro. Informationen: Tourist-Information Haßberge www.hassberge-tourismus.de. Thüringer Tourismus GmbH, www.thueringen- tourismus.de, www.klassikerstrasse.de.