aus Kradblatt 10/19, von Christoph Hamkens, Biogas Pirates Oü, Estland
Die Nummer 23 – SWM 440 Gran Turismo
Vor Weihnachten 2018 gab es in den verschiedenen Portalen einen italienischen Eintopf zum „Hammerpreis“. Als wir da hätten, einen Shineray-Motorblock mit Gilardoni-Zylinder, chinesische Chromteile und einen bekannten Koch Namens Ampelio Machi. Das Ergebnis landete als SWM Classic-Bikes auf dem europäischen Markt und auf Grund eines mir unerklärlichen Marketings dann auch für unter 3.000 Euro auf den deutschen Speisekarten im Internet. Bei diesem Lockangebot brannten dann bei mir alle Geruchssinne durch. Ergebnis – eine SWM Gran Turismo 440 in der Garage, die Fahrgestellnummer xyz36, Jahrgang 2016.
Nun entsteht die Frage, handelt es sich um das Angebot eines Schnellimbisses mit Industriekäse auf Fertigpizza, oder doch um eine ehrenwerte Pizzeria oder Trattoria? Die Frage ist berechtigt, denn immerhin steht die Küche ja quasi auf heiligem Grund in Biandronno bei Varese in Italien, dort wo schon viele Highlights für Gourmets kreiert worden sind.
Bei Ankunft habe ich die 150 SWM-Kilogramm erst mal in die Halle geschoben. Draußen stürmten Schneeflocken bei minus 10 °C um die Werkstatt, also nicht gerade eine Einladung zur Probefahrt. Was dabei direkt auffiel ist das gute Handling beim Schieben. Der hintere Haltebügel für den Sozius leistet hier prima Hilfe. Der Seitenständer ist eine Waffe (und wird in demontierter Form bestimmt von der Polizei im Zweifelsfall als Totschläger konfisziert), sehr massiv gebaut und darauf stützte sich die Gran Turismo bis zum Frühjahr hin unangetastet ab. Beim Ausklappen sollte man allerdings bei warmem Motor vorsichtig sein, sonst parkt man den linken Schuhabsatz auf dem Auspuff. Einen Hauptständer gibt es nicht. Die sehr stabilen blechernen Seitendeckel kann man im Notfall als Kochtopf verwenden. Dahinter verbergen sich links die Batterie mit den Sicherungen und rechts ein Ölreservoir mit Füllstandsanzeige.
Bei den Recherchen in virtuellen Kochbüchern kamen immer wiederkehrende Kritikpunkte. Ich habe dann vom deutschen Importeur Zupin eine „To-do-Liste“ bekommen. Um hier kurz das Programm abzufrühstücken, es braucht:
- Eine neue Batterie, die mitgelieferte Ausführung (Baujahre 2015-17) ist Kernschrott.
- Die neueste Motorsoftware sollte auf das Steuergerät aufgespielt werden.
- Der originale Kettenschleifer ist aus einem gummiartigen Material, hier bietet SWM mittlerweile eine deutlich bessere Variante aus Kunststoff an.
- Die Schutzgummiaufnahmen für die Seitendeckel müssen mit Kleber fixiert werden.
- Darüber hinaus benötigten wirklich alle Gummiteile eine Grundpflege. Erschreckend wie trocken fabrikneue Gummis sein können, gefühlt Saale Unstrut Riesling Nordhang. Aufgrund einer Warnung im SWM Forum habe ich auch gleich die Schwingenachse gezogen und alles neu durchgefettet.
Bei der Erstdurchsicht habe ich dann die große Lücke zwischen hinterem Schutzblech und vorderer Abdeckung mit einer EDPM-Gummifolie geschlossen. Dies bietet sich zum Dessert an, denn durch das Loch erreicht man die obere Befestigung des Kettenschleifers.
April 2019 – Zeit für die Probefahrt. Der Motor sprang auf Anhieb willig an und bollert dezent und angenehm vor sich hin. Die relativ hohe Leerlaufdrehzahl von 2000 U/min kommentiere ich auf Grund der wenigen Kilometer noch nicht negativ. Ungewöhnlich ist die fehlende Option, das Motorrad im Stand warmlaufen zu lassen. Seitenständer ausgeklappt = die Benzinpumpe wird automatisch abgeschaltet.
Die beim Kauf mitgelieferten Spiegel habe ich montiert aber deren Durchmesser ist leider ein schlechter Witz. Hier besteht noch Umrüstungsbedarf.
Nächste Frage, wohin mit den Fahrzeugpapieren, Bordwerkzeug oder auch nur einem Lappen? Es gibt weder ein Ablagefach, Stauraum oder eine Möglichkeit hinten Gepäck oder ein Topcase zu befestigen. Mal sehen, was mir dazu noch einfällt. Aber ein abschließbarer Helmhalter ist mit an Bord.
Und wie schmeckt dem Eintopf die Straße? Erstaunlich gut! Die 22 kW sind ab so 2700 U/min nutzbar, darunter hackt es an der Kette. Ab knapp unter 4000 Touren kommt Druck, der Motor hängt wirklich exzellent am Gas, die Reaktion kommt ansatzlos und füllig, ich bin positiv überrascht. Die Übersetzung ist landstraßengerecht – 80 km/h sind so 4000 Touren im fünften Gang, bei 100 km/h finden 5200 Kurbelwellenumdrehungen im Gehäuse statt. Irgendwo bei 7000 Touren verflacht die schöne Leistungskurve wieder.
Die Response vom Gasgriff kommt wirklich direkt. Aber beim Gaswegnehmen fällt der Motor sofort in sich zusammen. Das Ganze wäre sicherlich mit Ride-by-Wire sensibler zu regeln, aber kann man sowas für unter 3.000 Euro erwarten? Mehr Fleisch an der Kurbelwelle würde vielleicht helfen, ich hatte mir mehr Schiffsdiesel-Feeling vom Motor erhofft. Aber wo soll das herkommen bei 90 mm Bohrung und 70 mm Hub? Mein Gefühl sagt mir, dass dieser Eintopf sportlich bewegt werden will, es ist definitiv kein Cruiser.
Den Stahlrahmen bringt nichts aus der Fassung. Bei Bodenwellen auf einer sehr schlechten Landstraßenkurve kam bei über 80 km/h keine Unruhe ins Fahrwerk. Gut, ich habe das nicht bei V-max auf der Autobahn probiert, aber ich glaube auch dort dürfte das Michelin bereifte Fahrwerk ohne Fehl und Tadel sein. Die Gabel könnte vielleicht einen Tick weicher abgestimmt sein, aber hinten ist mit der maximalen Vorspannung bei 100 kg Zuladung die Einstellung perfekt.
Ach so, Bremsen kann man auch heutzutage noch ohne ABS. Vorne ist die Bremsleistung tadellos, hinten werde ich den Pedalweg noch ein wenig verkürzen. Die aktuellen SWM-Modelle sind natürlich wie vom Gesetzgeber vorgeschrieben mit ABS ausgestattet. Sicher mit ein Grund für den Schnäppchenpreis meiner Maschine.
Die Sitzposition ist gut, der Lenker könnte eine Tick höher stehen. Ich denke, dass ich hier später versuchsweise Riser montieren werde. Aber man sitzt auch so in aufrechter und entspannter Position.
Der Tank ist vom Design her sicher gewöhnungsbedürftig. SWM hat deshalb wohl ein neues Design (ab Jahrgang 2018) entwickelt. Aber ich finde die alte, ungewöhnliche Tankform passend. Der Knieschluss gelingt perfekt, ohne Anspannung und inneren Zwang, das gefällt mir richtig gut. Die alte Tankform dürfte allerdings beim Scrambler Modell „Silver Vase“ ein Stehen in den Rasten unmöglich machen, also ist damit alles jenseits vom Feldweg „off limits“.
Zur Optik, das kommentiere ich mal wie folgt: es glänzt und blinkt, an Chrom und Edelstahl wurde nicht gespart. Selbst die komplette Auspuffanlage ist aus Edelstahl. Aber die Chromschicht ist sehr dünn, an einer Stelle kamen bereits leichte Rostspuren durch. Die SWM wurde nämlich im Winter mit dem offenen Hänger geholt, ein paar Salzkörner der Straße dürften hier leckere Blechnahrung gefunden haben.
Und wer soll sich nun diesen italienisch-chinesischen Eintopf bestellen? Ich antworte mal anders: wenn ich meine Holde auf ein Motorrad setzen sollte, oder meine Tochter, oder jemanden der völlig technikfremd ist, dann ist die SWM eine gute Empfehlung auf der kleinen italienischen Speisekarte für den schnellen Hunger. Ohne jeglichen elektronischen Firlefanz, fünf gut sichtbare farbige LED-Lämpchen für die wichtigsten Informationen, dazu ein Drehzahlmesser und ein Tacho mit weißem Zifferblatt im jeweils eigenen Chrombecher, und fertig. Was braucht man mehr? Nichts!
O.k., ich habe vergessen, den digitalen Tageskilometerzähler und die kleine italienische Fahne im Cockpit aufzuzählen. Ansonsten ist jeder Schalter da wo er hingehört, gut bedienbar und absolut intuitiv platziert.
Als Vergleich hätte ich gerne eine Yamaha SR400 oder eine Royal Enfield Probe gefahren, dann wäre die Beurteilung vielleicht objektiver ausgefallen. Mein Resümee: wer sich der SWM-Classic Baureihe annimmt, ein wenig mitdenkt und selber schraubt, der fand hier für wirklich wenig Geld ein schmackhaftes Menü aus der italienischen Küche. Und so wie ich gesehen habe, hat der eine oder andere SWM-Händler immer noch Eintopfgerichte zu Preisen, die Appetit machen könnten – wenn auch nicht mehr so unerklärlich günstig wie meines.
Kommentare
11 Kommentare zu “SWM Gran Turismo 440, Erfahrungsbericht”
Hab für kleines Geld zur „440 Silvervase“ne fast baugleiche SWM „Gran Milano “ dazugekauft (Caferacer) , bei der bei 2500 km das Lenkkopflager schon Schrott war. Werksseitig wurde wohl bei Montage manchmal mit Fett gespart. Reparatur war für Selbstschrauber Easy und ich würde sagen , mit der radialen Brembo und der Upsidedown Gabel ist „die Milano“ ein perfekter kuweho auf engen Landstraßen.
Damit ist Sie für mich von allen 3 Varianten (Gran Tourismo , Silvervase ,Gran Milano) die Beste
Die Silvervase hat jetzt nach 13000 km das erste mal Tüv und neuen Reifen gesehen und läuft problemlos.
Im SWM- Forum wurde von einigen Problemen mit den Radlagern der Scrambler Versionen (Silvervase/Sixdays) berichtet.
Also sollten potentielle Gebrauchtkäufer bei diesem ansonsten sehr ökonomischen und pflegeleichtem Bike auf Rad und Lenkkopflager achten !
Die Zeit der Sonderangebote ist jetzt vorbei !
So die 5000 Kilometermarke ist geknackt. Verbrauch liegt ,bei gar nicht mal so bummeliger Fahrweise jetzt wirklich bei 4,1 Liter. Das ABS hat mir mittlerweile einmal den Arsch gerettet, als mir Autofahrerrin die Vorfahrt genommen hat (bin also ganz froh über Euro4 Version) .Mit der Hornet oder der MT03 660 die ich auch noch besitze ist es fraglich ob die Situation so „entspannt“ über die Bühne gegangen wäre…..
Interessanter Bericht, einiger der wenigen welchen man zu den Classic Bikes von SWM findet. Auch ich habe die GT 440, EUR III mit viel Chrom und ohne Abs zum günstigen Kurs erstanden. Ich habe nun 2.800 km in der zweiten Saison runter, die geringen KM erklären sich dadurch, dass ich die GT nur als Schönwettermopped nutze. Meine Erfahrungen: bei Temperaturen unter 10° startet sie schlecht, darüber ohne Probleme. Sound ist legal und umwerfend, bin begeistert. Beschleunigung für 30 PS sehr gut, der letzte Gang kommt erst ab 90 km/h zum Einsatz da darunter zu wenig Elastizität. Maximal fahre ich damit 120 Spitze, reicht vollkommen. Verbrauch bisher immer unter 5 Liter. Bremsen und Fahrwerk jeder Situation gewachsen. Zur Qualität: die negativen Meinungen im Netz kann ich nicht bestätigen. Hervorragende Lack- & Chromqualität, nirgends Rost. Einzig Anlasserrelais bei 1.200 km defekt, welches auf Garantie getauscht wurde, inkl. neuer Batterie. Mit der SWM falle ich immer auf und werde oft auf die Maschine angesprochen – das gefällt der Bikerseele. Fazit: Zuverlässiger Exot mit dem Nötigesten zum kleinen Kurs.
Die von Dir angesprochene fehlende Elastizität 5.Gang war der Grund ,warum ich Ritzel von 15 auf 16 geändert hab. Mit 16er Ritzel kann man den 4. Gang bei relativ zahmen Drehzahlen „Landstrassenkonform“ ausnutzen. Mit 15 er Ritzel war man so bei ca 80-90Km/h eigentlich immer im falschen Gang unterwegs (4.=Drehorgel / 5.= Hacken in der Kette). Auch Überlappen die Drehzahlbereiche der Schaltpunkte jetzt breiter. V-Max , Beschleunigung , Verbauch ändern sich nicht großartig geändert. Oberhalb 120km/h wirds in beiden Fällen zäh . Ist halt nix zum Rennen 😇…
10 Minuten Arbeit, 15 € Investition und schon hat man das Gefühl auf einem anderen Mopped zu sitzen ! 16er Ritzel und schon passen die Übersetzungen perfekt ! Druck (eher „Drückchen“) ist nicht groß verloren gegangen….
Jetzt Mehr als 1000 km gelaufen und schon mal 5Minuten mit „Volldampf“ über die Bahn (140 nach Tacho) und leichte „offroad“ Einlagen (Version Silver Vase) in Wald und Flur und schwupps stieg der Verbrauch auf 4,8 L an. Das konnten meine alte XL250R oder XT350 besser (gerade Gelände) . Aber die mussten sich auch nicht mit Euro4 rumquälen und hatten vernünftige Federwege. Dafür sahen Sie aber nicht so Chic aus. Bei Km 800 hatten sich alle Kreuzschlitzschrauben der Blinker losvibriert, aber Die werd ich eh tauschen. 120 Dauertempo auf Autobahn ist machbar. Youtube Kommentare sagen das die 440er SWM auch nach 15 bis 20000 km nicht auseinanderfallen. Wenn die Mühle 30000km aushält, waren die 3100€ gut angelegt. Sicher liegen die Fahrleistungen eher auf 125er Niveau aber Beschleunigung ist um Welten besser als 125er !
PS: Auch mit grossem Tank ist „stehend fahren“ im Gelände gut möglich (bin1,90m).
So , die ersten 500 Km sind gemacht. Nachdem der Motor am Anfang enorm rau lief, spielt sich die Sache jetzt langsam ein. Hier ist noch Einfahren wie vor 40 Jahren gefordert. Der Übergang vom 4. auf 5. Gang bei 80 Km/h liegt etwas ungünstig. Werd mal mit anderem Ritzel experimentieren. Auf Landstraße zwischen 70 -110 fühlt sich der Motor am Wohlsten .Bin aber erst auf 80% Leistung gegangen . Bei ca.400 km machte ein Klappern darauf aufmerksam , daß sich die mit 2 Schrauben befestigte kleine Trittplatte des Fussbremshebels gelöst hatte. Gummihalterungen der (echt billig wirkenden) Blinker reissen schnell ein – Hier werd Ich wohl nachrüsten.
Beim Drehen des Zündschloss kommt es manchmal vor, daß zwar Lampen kurz aufleuchten und Zeiger der Instrumente zucken , aber man hört die Benzinpumpe nicht und Maschine lässt sich nicht starten. Zündung erneut Aus/An dann läufts ! Zwei mal muss man den Startknopf dann mindestens drücken, damit der kalte Motor den Betrieb aufnimmt – nicht weiter tragisch.
Das verbuch ich mal unter „Eigenarten“ …
Ach ja Verbrauch so ca. 4,2 Liter. Kein Ölverbrauch. Insgesamt geht Maschine OK und die anderen 1 ,2 und 4 Zylinder in der Garage bleiben schon mal stehen, wenn´s etwas ruhiger zur Sache gehen soll. Frei nach dem alten Spuch: „its more fun, riding a slow motorcycle fast , than riding a fast bike slow „
Interessant ,das derAutor die Maschine nach 350km scheinbar schon wieder verkloppen will:
http://eng.auto24.lv/lietoti/swm/gran_turismo_440/2966253
jein, ich habe damals zwei Stück aus dem günstigen Pool der Nicht-Euro-Vier übernommen, die Fg.Nr. 34 und die 36.
Habe dann ein Bike davon weiterverkauft udn eins behalten. Denke es kommt noch eine Scrambler aus 2019 dazu.
Erklärung – ich bin in dem Sinne gewerblich, u.a. vermieten wir Motorräder.
Ab jetzt auch in Euro 4 zu immer noch erstaulich günstigen Preisen. Weniger Chrom Blingbling (verzichte ich gern drauf) ,dafür vernünftige Reifen , ABS , Stahlflex und (entgegen Euro3) läuft „auf Ständer“. Freue mich über mein neues „bring mich billig zur Arbeit“ Krad !
Optik, Sound und erster Verarbeitungseindruck deuten mehr auf “ Bella Italia “ als auf den befüchtete „Chinakracher“.