aus bma 09/02

von Günter Pfeifer

Dem heutigen Zeitgeist entsprechend leben wir in einer „Spaßgesellschaft” und „Fun”, wie es neudeutsch heißt, begegnet uns nahezu ständig. Da düst man mit Jet-Skis durch Wasser, man tritt die Urlaubsreise mit einem Trike an oder erkundet Offroad Regionen mit einem Quad. Auch bei den Motorradgespannen ist dieser Trend durchaus spürbar und es gibt heute die vielfältigsten Varianten. Dies ist auch gut so, denn der Käufer kann genau sein Fahrzeug zu dem Zweck kaufen, zu dem er es benutzen will. Leider hat die Entwicklung unter dem Zwang immer schneller, komfortabler, größer, schöner und technisch perfekter sein zu wollen, dazu geführt, dass Motorradgespanne für „Otto Normalverbraucher” nicht mehr zu bezahlen sind. Und wer sich für Jawa oder Ural nicht begeistern kann, der darf sich an der Schaufensterscheibe des Gespannhändlers vor einer Goldwing, 1200 LT oder Harley die Nase platt drücken.
Die Gründe für den Wunsch nach einem dritten Rad, können dabei recht unterschiedlich sein. Einmal vielleicht wie o.g. „Fun” oder als Argumentationsgrundlage gegenüber Frau oder Schwiegermutter bei Familiennachwuchs, Bedarf an Transportraum für die geplante Weltreise oder auch nur als Stützrad während der Wintermonate. Denn Insider wissen, es gibt im Winter bei Eis und Schnee kaum ein besseres Fahrzeug als ein Motorradgespann.
Erich Kaletta, Chef der Gespannbaufirma Roadrunner in 24398 Brodersby, An der Obstwiese 1, hat uns ein interessantes Gespann für einen Fahrbericht zur Verfügung gestellt. Er und sein Team haben als Zugfahrzeug eine Suzuki XF 650 Freewind gewählt. Die Freewind hat einen kraftvollen Einzylinder-Viertakt-Motor mit Luft-/Ölkühlung der aus 644 ccm Hubraum eine Leistung von 35 kW/46 PS bei 7000 U/min entwickelt. Sein maximales Drehmoment von 52 Nm erreicht er bei einer Drehzahl von 5500 U/min. Die Freewind findet man bei Suzuki unter der Rubrik „Dual Purpose”, also für doppelte Zwecke geeignet und ihr äußeres Erscheinungsbild lässt unschwer erkennen, neben welchem Mitbewerber aus der weiß/blauen Serie sie stehen möchte.

 

Der Seitenwagen von Hedingham in der Enduro C-Ausführung passt hervorragend zur Freewind und deutet schon optisch darauf hin, dass sich das Gespann auch neben der befestigten Straße wohlfühlen wird. Der als gepolsterter Sitz vorhandene Kofferkasten ist mit zwei Überwürfen verschließbar und kann jede Menge Gepäck oder andere Utensilien aufnehmen. Große stoßgeschützte Haltegriffe sorgen für mehrere Festhaltemöglichkeiten im rundherum offenen Seitenwagen. Das Gespann ist für drei Personen zugelassen. Wer jedoch Kinder mitnehmen möchte, der sollte sich beim Kaletta-Team über Kindersitz- und Gurteinbauten informieren.
Die Freewind hat einen Zentralrohrrahmen, der im unteren Teil in eine Doppelschleife übergeht. Daher wurde ein Kastenhilfsrahmen nötig, der eine Lastverteilung über beide Holme übernimmt. Dies ist nicht nur für das Betriebsfestigkeitsgutachten sinnvoll, sondern gibt dem Gespann insgesamt eine bessere Stabilität. Die Original-Vorderradgabel wurde beibehalten und mit vorgespannten progressiven Wirthfedern ausgerüstet. Auch im Hinterradbereich blieb das Federbein erhalten, es wurde lediglich um ca. 3 cm vorgespannt. Die Originalräder tun weiter ihren Dienst mit folgender Bereifung; vorn 100/90-19 und hinten 130/80 R 17. Beim Seitenwagenrad wurde ins PKW-Regal gegriffen und mit 135 x 13 eine gute Wahl getroffen. Gebremst wird vorn über Handbremse, und die Fußbremse betätigt Hinter- und Seitenwagenrad. Dabei ist besonders erwähnenswert, dass die Verbindung der Bremsleitung über einen Bajonettverschluss geschieht. Durch dieses Teil wird beim An- bzw. Abbau des Seitenwagens eine zusätzliche Bremsenentlüftung vermieden.
Leider war es wieder einmal ein Tag, an dem man den Herstellern von regendichter Kleidung beweisen kann, dass sie nicht immer die Wahrheit über ihr Produkt sagen. Mit nur kurzen Unterbrechungen goss es in Strömen und für mehrere Regionen in Schleswig-Holstein galt eine Unwetterwarnung. Aber ein echter Nordfriese denkt über das Wetter nicht mehr nach, weil man es ja doch nicht ändern kann, und auch das Freewind-Gespann ließ sich von den Wassermassen nicht beeindrucken. Man betätigt den Choke-Zughebel, drückt aufs Knöpfchen und schon brabbelt der Einzylinder los, verschluckt sich während der Kaltlaufphase einige Male, wie es sich für einen Einzylinder gehört und läuft dann immer runder.
Und dann kommt Freude auf. Der bullige Motor gibt einen tollen Sound von sich und treibt das Gespann zügig voran. Schon auf den ersten Kilometern kommt ein Gefühl der Sicherheit auf. Die Kupplung ist leichtgängig und die fünf Gänge im Getriebe lassen sich gut und schnell schalten. Dabei ist der fünfte Gang eher als eine Art Overdrive anzusehen. Wenn überholt werden soll, muss zurückgeschaltet werden und die Drehzahl sollte zum zügigen Beschleunigen zwischen 4000 und 5000 U/min gehalten werden. Der Einzylindermotor verheimlicht seine drehenden Massen nicht und der Fahrer merkt deutlich, was dort unter seinem Sitz vor sich geht. Dabei sind störende Vibrationen an Lenker oder Fußrasten nicht zu spüren. Dies ist recht erstaunlich, denn bei so mancher mehrzylindrigen Zwiebacksäge sind derart fiese kurzwellige Schwingungen vorhanden, dass dem Fahrer Hände oder Füße einschlafen.
Durch die reizvolle Landschaft der Region Schwansen fahre ich nach Kappeln. Während der Zwangspause vor der Drehbrücke über die Schlei kann ich die neue Klappbrücke, die kurz vor der Fertigstellung steht, bewundern. Noch ist es eine riesige Baustelle, aber man erkennt schon die neue Trassenführung und die bereits eingebauten Brückenteile. Die B 199, auch Nordstraße genannt, verbindet Kappeln mit Flensburg und führt bis nach Niebüll. Hier zeigt das Freewindgespann, dass es nicht nur fürs Gelände, sondern auch für die Straße taugt. Kraftvoll zieht es voran. Dabei ist der Geradeauslauf perfekt und das Gespann folgt willig und spurtreu den Lenkeingaben des Fahrers. Und obwohl eine Telegabel das Vorderrad führt, hält sich der benötigte Kraft-aufwand zum Lenken in vertretbaren Grenzen. Es macht einen Riesenspaß mit dem Gespann um die Kurven zu räubern. Die Bremsen haben das Fahrzeug gut im Griff und sind jederzeit in der Lage die kinetische Energie aufzunehmen. Über den exakten Druckpunkt ist eine genaue Dosierung möglich. Lediglich beim schnellen Einsatz der Fußbremse ist Vorsicht geboten, denn der physikalisch erklärbare Rechtsruck beim Einsetzen der Bremskraft am Seitenwagenrad ist deutlich spürbar. Man hat sich jedoch schnell daran gewöhnt und bei der verkehrsreichen Durchfahrt durch Flensburg mit vielen Ampelstopps bleibt das Gespann sauber in der Spur.
Auch schlechtere Wegstrecken mit Schlaglöchern und Kopfsteinpflaster werden ohne größere Probleme überrollt. Allerdings fährt man nicht mit einer Sänfte und das Fahrwerk sagt dem Fahrer schon recht deutlich, wie die Straße unter den Rädern beschaffen ist.
Der recht leichte Seitenwagen und eine Spurweite von 1160 mm lassen das Seitenwagenrad, in schnell gefahrenen Rechtskurven den Bodenkontakt verlieren, was für den ungeübten Fahrer zwar erschreckend, aber völlig ungefährlich ist. Gas weg und schon ist das Rad wieder unten. Wer will, kann es aber auch oben behalten und fährt dann, wenn auch etwas schräg, mit dem Fahrverhalten einer Solomaschine weiter. Alles auf Grund physikalischer Gesetzmäßigkeiten. Doch bitte nicht im fließenden Verkehr, auch wenn es spektakulär aussieht. Wenn der Seitenwagen mit einem Passagier belastet ist, hebt das Rad naturgemäß auch erst viel später vom Boden ab. Linkskurven stellen kein Problem dar, denn bevor das Gespann auf die Nase geht oder sich überschlägt, fängt es an zu driften.
Der B 199 folgend fahre ich weiter in Richtung Niebüll. Während der Ferienzeit ist der Straßenverkehr wegen der vielen „Touris” sehr dicht. Doch das Gespann schwimmt im laufenden Verkehr gut mit und wenn mal ein LKW überholt werden soll, ist das kein Problem. Die Sitzposition ist fast tourenmäßig, der Lenker breit genug für den Gespannbetrieb und auch auf längeren Strecken ist entspanntes Fahren möglich. Die Hebel, Schalter und Bedienelemente sitzen da, wo man sie vermutet und entsprechen dem heutigen Qualitätsstandard. Die Instrumentierung arbeitet mit digitalen Anzeigen und ist zunächst gewöhnungsbedürftig, doch wenn man sich erst einmal an die wechselnden Anzeigen gewöhnt hat, kommt man gut damit zurecht.
Die Tankanzeige signalisiert kurz vor Niebüll, dass ich bei meinen Freund Andreas beim ESSO-Service einen Tankstopp einlegen muss. Rechnerisch liegt der Verbrauch des Gespannes bei 7,1 Liter auf 100 Kilometer. Da bei mir mittlerweile die Verbindungsstelle zwischen Halskrause und Helmhinterseite starken Wassereinbruch meldet, lasse ich mich auch noch zu einem guten Kaffee einladen und schaue den Urlaubern bei der Autozugverladung nach Sylt zu. Und die Pause war gut so. Denn kurze Zeit später entdecke ich mehrere Quadratmeter blauen Himmel und setze meine Fahrt in Richtung Husum über die B 5 ohne Regen fort.
Die Straße ist frei und die Freewind darf eine schnellere Gangart anschlagen. Bis zu 125 km/h sind leicht möglich und das langt zum schnellen Vorwärtskommen. In Niebüll hatte sich ein mutiger Passagier in den Beiwagen gesetzt und fühlt sich dort offensichtlich ganz wohl. Nördlich von Husum verlassen wir die B 5 und begeben uns auf Feldwege, um auch mal ein Offroadgefühl zu erleben. Die Beiwagenkonstruktion erlaubt dem Passagier durch aktive Gewichtsverlagerung am Fahrbetrieb teilzunehmen. Das macht ihm offensichtlich Spaß, doch an seinen turnerischen Qualitäten wird er noch arbeiten müssen.
Im Fahrbetrieb hat sich das Freewindgespann als echter Allrounder herausgestellt. Es ist für den Offroadspaß am Strand von Sankt Peter Ording genauso geeignet wie für die tägliche Fahrt zur Arbeit. Dank der Zuladung von 295 kg ist eine ausgedehnte Urlaubsreise ebenso denkbar wie der Einkauf im Supermarkt am Wochenende. Und wer vom Baumarkt mal eben einige Waschbetonplatten oder einen Sack Zement braucht, alles kein Problem. Das Gespann ist ausgesprochen stabil und von hoher Festigkeit. Und wer lieber mal Solo fährt, der hat kein Problem, denn der Seitenwagen ist wahlweise verwendbar. Er ist schnell an- bzw. abgebaut und darf in jeder Variante gefahren werden. Die Freewind ist auch als Solomaschine ein tolles Motorrad und der Motor lässt Geschwindigkeiten bis 160 km/h zu.
Die wichtigste Frage wie immer zum Schluss: Was kostet der Spaß? Wer über eine Freewind verfügt, dem baut das Roadrunner-Team für ca. 5850 Euro ein komplettes Fundurogespann, wie hier beschrieben, um. Da jedoch alle Wünsche des Kunden in den Gespannbau einfließen, sollte man ein vorheriges detailiertes Gespräch mit Erich Kaletta führen, da selbstverständlich auch viele andere Umbauvarianten möglich sind. Auch der Anbau eines anderen Seitenwagens für andere Zwecke ist ohne Schwierigkeiten möglich. Besonders ein preisgünstiger Seitenwagen mit dem Namen Smooth aus der Roadrunner-Produktion, mit großer Einstiegsklappe, soll noch erwähnt werden.
Weitere Fragen zu den „Low Budget-Gespannen” von Roadrunner beantwortet Erich Kaletta unter Telefon 04644/973225.