aus bma 04/97

von Klaus Herder

Die neue Suzuki heißt mit Nachnamen Freewind. Das heißt übersetzt in etwa „freier Wind”. Ist mit „freier Wind” vielleicht ein unkontrollierter Luftzug gemeint, ein Furz zum Beispiel? Verwerfen wir den Gedanken von der Einzylinder-Blähung lieber wieder ganz schnell, denn an der XF 650 ist nichts zufällig und ungewollt.
Der Vierventil-Eintopf ist eine sehr gezielte und bis ins Detail geschickt gemachte Kampfansage an BMW. Die Bayern räumen seit 1993 mit ihrer Funduro F 650 kräftig ab. In der gleichen Marktlücke wildert Aprilia mit der Pegaso 650. Das konnten die Suzuki-Kaufleute nicht länger mit ansehen und stellten die Windmaschine an. Neben einer leckeren Verpackung – die XF ist wahlweise in den Zweifarb-Kombinationen orange/grün oder schwarz/silber lieferbar – ist ein möglichst niedriger Preis immer noch das beste Verkaufsargument. Auch und gerade bei Suzuki. Gesagt, verkauft: gerade mal 10.290,- Mark kostet die Suzi, für die italienische Bayerin F 650 dürfen über zwei Mille mehr auf den Tresen gelegt werden, und selbst das italienische Aprilia-Original kostet noch knapp einen großen Braunen mehr.
Um ein solches Discount-Angebot auf die Räder zu stellen, bedurfte es beim teuersten Bauteil eines geschickten Griffs ins Teileregal. Die Suzuki-Techniker fanden dort den Motor der Enduro DR 650 SE. Rumpf und Getriebe gefielen den Damen und Herren im weißen Kittel und sie übernahmen die Teile nahezu unverändert. Der Zylinderkopf mußte sich allerdings einer kräftigen Frischzellenkur unterziehen. Größere Ventile, eine geänderte Nockenwelle und vor allem ein Doppelvergaser anstelle der Single-Gasfabrik der DR sorgen dafür, daß die Freewind mit einer zusätzlichen Gebläsestufe daherkommt. In Zahlen ausgedrückt: 48 PS bei 7000/min statt 43 PS bei 6400/min. Die Gemischaufbereitung ist übrigens nicht der einzige Doppler am luft-/ölgekühlten Suzuki-Single: Der Funken springt ebenfalls im Zweierpack über – die Suzuki ist mit einer Doppelzündung versehen.

 

Nun ist pure PS-Schinderei ja nicht unbedingt alles. Die Abstimmung ist mindestens genauso wichtig. Doch keine Sorge, Suzuki hat verstanden: ob Kalt- oder Heißstart, ob niedertouriges Bummeln oder hochdrehender Kurvenspaß – die Freewind ist ein Paradebeispiel für eine nahezu perfekte Abstimmung. Sie kommt immer und überall beim ersten Druck auf’s Anlasserknöpfchen, sie nimmt sofort und ohne Verschlucken Gas an, und sie macht zwischen 2500 und 8000/min alles ohne Leistungseinbruch mit. Ihr Antritt aus niedrigen Drehzahlen ist kräftig, und auch obenheraus gibt sie sich munter und drehfreudig. Dabei nervt sie zu keinem Zeitpunkt mit ungebührlichen Vibrationen. Einer zahnradgetriebenen Ausgleichswelle sei Dank. Das leicht und exakt zu schaltende Fünfganggetriebe und die butterweiche Kupplung sorgen für eine weitere Erhöhung des Wohlfühlfaktors.
Wohlfühlen dürfen sich übrigens auch kürzere Menschen. Von Haus aus beträgt die Sitzhöhe 83 Zentimeter. Das liegt zwar über dem üblichen Chopper-Niveau, ist für eine enduroähnliche Maschine aber eher niedrig. Wer es noch flacher mag, kann die Sitzhöhe beim freundlichen Suzuki-Händler um weitere drei Zentimeter reduzieren lassen. Dafür müssen das Zentralfederbein umgesteckt und die Gabel umgebaut werden. Ein kürzerer Seitenständer gehört ebenfalls zum Tieferlegungs-Kit. Vielleicht hätte man den Kurzen von vornherein montieren sollen, denn die Original-Stütze ist etwas zu lang. Das Zwergen-Tuning soll inklusive Lohn und Material rund 300 Mark kosten. Wer noch circa 150 Mark mehr hinlegt, bekommt einen Hauptständer montiert. Wir erinnern uns: Die Suzuki mußte günstig werden, aber immerhin sind die Hauptständer-Halterungen bereits serienmäßig vorhanden.
An anderer Stelle konnten sich die Kaufleute mit dem Rotstift offensichtlich nicht so richtig durchsetzen: Die Edelstahl-Auspuffanlage, der massive Gepäckträger aus Alu-Guß, die üppig dimensionierte Leichtmetall-Schwinge und die schwarzlackierten Alu-Felgen wirken ganz und gar nicht billig. Selbst beim leidigen Thema Verarbeitungsqualität scheint diesmal nicht der Rotstift regiert zu haben. Die Lackierung ist sauber gemacht, nur bei den etwas hingebratenen Schweißnähten fühlt man sich an alte Suzuki-Zeiten erinnert. Macht nichts, die Kunststoff-Verschalung und die für den Soziusbetrieb etwas zu kurze Sitzbank verdecken gnädig die kleinen Schönheitsfehler. Apropos Sitzbank: Der Solist ist auf der Freewind hervorragend untergebracht. Die Geometrie zwischen Lenker, Sitzfläche und Fußrasten stimmt auch für lange Menschen, und die weiten Einbuchtungen am 18 Liter-Tank ermöglichen einen sauberen Knieschluß. Im Stadtverkehr stört die kleine Cockpitverschalung nicht weiter, ab Autobahn-Richtgeschwindigkeit ist aber durchaus so etwas wie Windschutz zu spüren, der bis zur Höchstgeschwindigkeit von rund 160 km/h anhält. Die Spiegel-Ausleger hätten etwas länger ausfallen dürfen, und gegen gezahnte Fußrasten würden sich Piloten mit Gelände-Ambitionen auch nicht wehren. Der serienmäßige Alu-Motorschutz dürfte den Freunden des losen Untergrunds allerdings wichtiger sein. Mit losem Untergrund sind übrigens Feldwege gemeint. Größere Gelände-Aktivitäten vereiteln die relativ geringe Bodenfreiheit, die nicht übermäßig grob profilierten, dafür auf Asphalt hervorragend haftenden Pirelli MT 80 Reifen und die eher komfort-orientierten Federelemente.
Enge Landstraßen sind dafür das ideale Revier, in dem die Freewind mal so richtig blasen kann. Das ungemein handliche und dabei spurstabile Fahrwerk paßt perfekt zum agilen Motor, und die vordere 300 mm-Einscheibenbremse mit Doppelkolbensattel ist ein Musterbeispiel für einen hervorragend zu dosierenden und vehement zupackenden Stopper. Die Gabel taucht bei kräftigen Bremsmanövern sehr tief ein und geht bei brutalen Aktionen schon mal auf Block. Das ist aber nicht weiter tragisch, mit der Zeit gewöhnt man sich an den Tauchsport. Etwas gewöhnen muß man sich auch an das Mäusekino, das da sitzt, wo andere Motorräder konventionelle Rundinstrumente haben. Das elektronische Display zeigt die Drehzahl als Kurve aus Balken-Elementen und die Geschwindigkeit in normaler Digitalanzeige an – beides ziemlich genau und sehr gut ablesbar.
Neben dem günstigeren Kaufpreis hat die Suzuki ihren Wettbewerbern noch ein paar Dinge voraus: Sie ist mit 188 Kilogramm vollgetankt rund zehn Kilo leichter als Aprilia und BMW und braucht nur Normal- statt Superbenzin – und davon noch etwas weniger, mehr als fünf Liter auf 100 Kilometern sind es nur selten.
Es spricht also nichts dagegen, sich im Rahmen einer Probefahrt mal selbst den/die Freewind um die Nase wehen zu lassen.