aus bma 08/03

von Klaus Herder

Suzuki SV 650Es gibt Begriffe und Formulierungen rund ums Motorrad, die ich einfach hasse. Das unsägliche „Benzin reden” belegt den Spitzenplatz in meiner ganz privaten Hass-Hitparade. Wenn diese Worte fallen, sehe ich die zugewachsenen Klapphelmträger direkt vor mir, wie sie einen mit den ewiggleichen Geschichten („Als wir 1969 bei minus 15 Grad zum Elefantentreffen unterwegs waren…”) zuschwallen. „Benzin reden” wird dicht gefolgt vom berüchtigten „Funbike” – gibt es etwa Motorräder, die keinen Spaß machen sollen? Bereits auf dem dritten Platz landet das legendäre „Brot-und-Butter-Motorrad”. Ich mag nämlich frisches Brot mit Butter, und für mich hat das durchaus etwas mit Genuss zu tun. Wer aber so dämlich verklausuliert vom „Brot-und-Butter-Motorrad” redet oder schreibt, meint eigentlich etwas ganz Anderes: eine unglaublich langweilige Maschine. Also zum Beispiel eine Suzuki GS 500. Aus fünfter Hand für 600 Euro mag das Teil als Studenten-Schleuder ja noch seine Berechtigung haben, aber ich frage mich immer, wer eine solche Schlaftablette für 4200 Euro neu kauft? Das können doch nicht nur alles Fahrschulen sein.

 

Suzuki SV 650Für rund 2000 Euronen mehr (Oma-Sponsoring, Dispo-Ausreizen – irgendwie geht’s schon) gibt es vom gleichen Hersteller und beim gleichen Händler doch die SV 650. Der muntere Twin belegt seit seiner Premiere 1999 regelmäßig Spitzenplätze in der Verkaufshitparade. Doch Suzuki ruhte sich nicht auf den Lorbeeren aus und gönnte der SV für 2003 eine geballte Modellpflege mit den Eckpunkten neue Form, neuer Rahmen und neue Gemischaufbereitung. Die neue SV ist kantiger geworden. Bei der halbverschalten SV 650 S sorgt die aggressiver gezeichnete Verkleidung für diesen Eindruck, bei der hier gezeigten SV 650 ist es der neue Rahmen, der die SV erwachsener aussehen lässt. Wo im Vorjahr noch ein Gitterrohrrahmen aus runden Aluprofilen zum Einsatz kam, bildet nun ein Brückenrahmen aus Alugussteilen das Rückgrat. Die neue Konstruktion soll laut Suzuki drei Kilogramm leichter und natürlich noch viel stabiler sein. Der mittragende Motor ist immer noch ein 90-Grad-V-Twin, doch anstelle zweier Gleichdruckvergaser sorgt nun eine Saugrohreinspritzung für die korrekte Gemischbildung. U-Kat und Sekundärluftsystem sind nun ebenfalls an Bord, womit die aktuelle Euro-2-Abgasnorm locker erfüllt wird.
Der flüssigkeitsgekühlte Zweizylinder blieb auch nicht unangetastet. Neue Pleuel und geänderte Nockenwellen, ein modifizierter Steuerkettenspanner und ein überarbeiteter Ölkreislauf kamen bei der Modellpflege heraus. Erstmals trägt die SV einen serienmäßigen Ölkühler. Leistungs- und drehmomentmäßig tat sich aber nicht übermäßig viel. Von 71 PS und maximal 62 Nm erstarkte die SV auf 72 PS und 64 Nm. Das Tankvolumen wuchs von 16 auf 17 Liter. Das merkt der Fahrer nicht auf Anhieb, sein straffer gepolsterter Sitzplatz und das völlig neue Cockpit fallen ihm aber sofort auf. Das etwas nach taiwanesischer Wetterstation oder rumänischer Küchenuhr aussehende Multifunktions-Instrumentenkästchen ist vielleicht nicht jedermanns Sache, doch übersichtlich ist es allemal. Im oberen Teil informiert ein analoger Drehzahlmesser, im unteren Bereich werden Geschwindigkeit, Kilometerleistung, Uhrzeit und noch ein paar weitere Infos digital vermittelt. Ebenfalls neu: die serienmäßige Warnblinkanlage. Kleine wie große Fahrer sind auf der SV 650 in 810 Millimeter Sitzhöhe gleichermaßen gut untergebracht. Die sehr versammelte und im Unterschied zur SV 650 S eher aufrechte Sitzposition passt bis zwei Meter Körperlänge eigentlich allen. Die Beurteilung des spartanischen Soziusbrötchens fällt ebenfalls einhellig aus: für alle Formate ungeeignet.
SV 650 CockpitDank Einspritzung und Motormanagement ist ein Chokehebel entbehrlich. Der Twin springt kalt wie warm sofort an und läuft auf Anhieb rund – besser geht’s nicht. Die alte SV war – von ab und an auftauchenden und recht derben Lastwechselreaktionen einmal abgesehen – ja eigentlich schon ein ziemlich umgänglicher Charakter, doch die neue SV legt noch eine Schippe nach. Die Gasannahme ist göttlich, der aus der Edelstahl-Zwei-in-eins-Anlage kernig pröttelnde Twin schiebt ab 2000 Touren mächtig voran. Das etwas knochig zu schaltende, aber exakt und auf kurzen Wegen rastende Sechsganggetriebe ist goldrichtig übersetzt. Beherztes Angasen sorgt dafür, dass die 100-km/h-Marke aus dem Stand bereits nach 3,6 Sekunden erreicht wird – für eine 72 PS starke 650er ist das mächtig gut. Noch beeindruckender und in der Praxis auch viel wichtiger ist das gewaltige Durchzugsvermögen der vollgetankt 195 Kilogramm schweren SV. Die 64 Nm maximales Drehmoment fühlen sich nach mindestens 80 oder 90 an – gelobt sei die urige V-Zweizylinder-Charakteristik.
So um die 6500 U/min geschehen zwei Sachen: zum einen stellt sich der zweite Wind ein, und die SV legt mit einer gehörigen Portion Extra-Schub noch flotter los; zum zweiten kommen Vibrationen deutlich spürbar durch. Das ist nicht weiter dramatisch, beschreibt aber den Zeitpunkt, an dem Zwei- und Vierzylinderfans die SV recht unterschiedlich beurteilen werden. Für potenzielle FZR-600-Käufer dürfte nun Schluss mit der SV-Probefahrt sein, die Twin-Fans drehen weiter bis knapp unter 11.000 U/min. Dann setzt der Drehzahlbegrenzer dem Treiben ein jähes Ende, und die Digitalanzeige vermeldet echte 200 km/h.
SV 650 RücklichtZum quirligen Motor passt der ganze SV-Rest hervorragend. Als da wären unendliche Schräglagenfreiheit, eine ausgeprägte Handlichkeit sowie beste Zielgenauigkeit. Mit der wunderbar berechenbaren SV 650 kommen Frischlinge auf Anhieb klar und sind flott unterwegs. Fortgeschrittene und Altheizer haben mit ihr ebenfalls viel Spaß. Die neuen bzw. überarbeiteten Federelemente sind zwar ausschließlich in der Federvorspannung verstellbar, doch das reicht im Alltagsbetrieb allemal. Auf den Soziusbetrieb werden sie meisten SV-Treiber ohnehin verzichten (siehe oben), und für normal- bis mittelschwergewichtige Fahrer taugt die leicht straffe Grundabstimmung ganz gut. Die leicht unterdämpfte Gabel taucht beim scharfen Bremsen nicht mehr ganz so weit ein wie das noch beim Vorgängermodell der Fall war. Militante Ganz-Spätbremser sollten sich trotzdem um härtere Gabelfedern und dickeres Gabelöl kümmern.
Die neue Reifen-Erstausrüstung (Dunlop D 220 L anstelle von Metzeler ME Z4) darf auch gern als Zweitbereifung gewählt werden. Fernab der Rennstrecke kommen die klebrigen Gummis im Format 120/60 ZR 17 vorn und 160/60 ZR 17 hinten eigentlich nie an ihre Grenzen. Warum Suzuki fürs Vorderrad aber keinen gängigeren und mit mehr Eigendämpfung gesegneten 70er-Querschnitt wählte, bleibt wohl eins der letzten Rätsel der Menschheit. Die Doppelscheiben-Bremsanlage mit Tokico-Doppelkolbensätteln im Vorderrad benötigt am verstellbaren Hebel eine zupackende Hand, überzeugt dann aber mit einem klaren Druckpunkt und astreinen Verzögerungswerten. Die hintere Einzelscheibe agiert eher unscheinbar, die Gefahr des ungewollten Überbremsens besteht bei ihr nicht.
Die neue SV 650 kann eigentlich alles besser als das auch schon sehr gute Vorjahresmodell. Sie kostet unverändert 6330 Euro (das S-Modell 6640). Das ist ein überaus fairer Tarif für eine gut verarbeitete und ordentlich ausgestattete Maschine, die das mit Abstand spaßigste Funbike unter den Brot-und-Butter-Motorrädern ist. Vom gesparten Geld lässt sich übrigens gut ein Montageständer kaufen, der dann den fehlenden Hauptständer verschmerzen lässt. Und wo wir gerade beim Sparen sind, lässt sich an dieser Stelle prima Benzin reden: um die fünf Liter Normal auf der Landstraße, ein knapper Liter mehr auf der Autobahn.