aus bma 06/01

Text: Jörg Wissmann
Fotos: Daniel Riesen/Werk

Suzuki präsentierte die neue GSX-R 1000 in Amerika, auf der herrlich selektiven, mit unzähligen Buckeln, Tälern, blinden Ecken und schnellen Wechselkurven verschiedenster Radien ausstaffierten Rennstrecke von Road Atlanta im Bundesstaat Georgia. Es war ein eindrücklicher Test. Noch nie – abgesehen von der Präsentation der Suzuki GSX-R 1300 Hayabusa vielleicht – hat man so viele bleiche Gesichter gesehen.
Die Testpiloten der namhaftesten Motorrad-Magazine der Welt waren beeindruckt ob der mörderischen Power, die Suzuki mit diesem kleinen Bike auf die Motorradwelt loslässt. Ken Wotton, Chefredakteur des australischen Motorrad-Magazins Australian Motorcycle-News, freute sich vor allem, dass die neue, 160 PS starke und – so man den Werksangaben trauen darf – vollgetankt etwa 198 kg leichte Suzuki so schonend mit dem Vorderreifen umgeht und gab seinen Lesern als Tipp: „Wenn du ernsthaft vorhast, dir diese Boden-Boden-Rakete anzuschaffen, solltest du in die nächstbeste Polizeistation gehen, deinen Führerschein zusammen mit einem nicht unerheblichen Geldbetrag abliefern und den diensthabenden Beamten bitten, dich über Nacht in die nächste Zelle zu sperren. Damit ersparst du dir viel Ärger und greifst nur auf das vor, was irgendwann unweigerlich auf dich zukommen wird.”
Wotton bezeichnet die GSX-R als „echte Waffe”, die auf dem anspruchsvollen Testkurs von Road Atlanta selbst bei 230 km/h nach einer Fahrbahnkuppe noch das Vorderrad fast senkrecht gen Himmel streckt. Sein amerikanischer Kollege Mitch Boehm, Testpilot beim fĂĽhrenden US-Monatsmagazin Motorcyclist, äuĂźerte sich nach den ersten Testrunden ähnlich respektvoll: „Diese Kiste hat soooo wahnsinnig viel Midrange-Power! Selbst wenn du extrem frĂĽh schaltest – sie will einfach immer aufs Hinterrad. Wahnsinn!“

 

Boehm am Ende des Tests: „Ich habe keine einzige Runde geschafft, ohne mindestens einmal mehrere Meter weit auf dem Hinterrad gefahren zu sein. Selbst bei sehr zurückhaltender Fahrweise lupfte das Biest immer wieder kurz die Front. Nicht sehr hoch, aber spürbar. Nur unterhalb von 8000 U/min ist sie für Normalsterbliche sicher fahrbar. Darüber wird sie aber doch eine eher ernste Angelegenheit.” Kevin Ash, begnadeter Knieschleifer beim britischen Wochen-Magazin Motorcycle News: „Es ist unglaublich. Ich kann mir nicht vorstellen, so ein Motorrad in der Garage zu haben. Ich würde wohl innerhalb weniger Monate meinen Führerschein verlieren. Das ist das verrückteste Motorrad mit Straßenzulassung, das ich jemals gefahren habe. Entweder dreht sie durch, oder sie haut dir die Instrumente vors Gebiss. Dabei sieht sie so nett und friedlich aus.”

>> Erschreckende Daten
Die Daten, welche die Testpiloten nach der ersten Kontaktaufnahme angeben, sind in der Tat unglaublich, verrückt, irreal. Dank 110 Nm Drehmoment bei 8400 U/min und reichlich Drehzahlreserven – der Motor dreht bis 12.200 U/min – erreicht die 1000er-Suzuki Top-Speed-Werte von rund 290 km/h. Die Beschleunigungswerte hat bisher noch keiner gemessen – warum wohl?
Dafür haben die Kollegen vom Reitwagen, Österreichs wildestem Motorrad-Magazin, schon im Dezember eine der ersten verfügbaren GSX-R 1000 auf den Prüfstand gehievt. Sie bestätigten danach euphorisch die Richtigkeit der Werksangaben zu Leistung und Drehmoment! Bemerkenswert ist, dass die 1000er trotz eines Drittels mehr Hubraum, in ihren Abmessungen der 750er entspricht. Ein Motorrad, so kompakt wie sportliche 600er vor etwa fünf Jahren. Nur: die Dinger leisteten knapp 100 PS, wogen aber mehr als 200 Kilogramm. Möglich werden die geringen Ausmaße der GSX-R 1000 durch den überaus kompakten, intelligent konstruierten Motor. Das Sahnestück moderner Motorenbaukunst à la Nippon begeisterte denn auch die Technikfreaks unter den Testern. Andreas Amoser vom österreichischen Motorrad Magazin: „Technisch lässt sich dieses Feuerwerk am besten mit zwei Worten charakterisieren: konsequente Detailar- beit. Der 988ccm-Vierzylinder baut bei gleicher Breite nur 14 mm höher und 6 mm länger als das 750er-Triebwerk. Die Zylinderköpfe sind identisch mit jenen der 750er, geänderte Kolbenprofile und Nockenwellen, verstärkter Kurbeltrieb sowie verringerte Reibungsverluste schaffen die Basis für das hocheffiziente Gasmanagement in Ein- und Auslasstrakt. Zum ersten Mal im Serienmotorradbau kommt eine wirklich leistungsfähige Kennfeldzündung zum Einsatz. Kleine Tuningtricks wie Schlitze in den Ansaugtrichtern und optimierte Drosselklappenquerschnitte ergänzen sich mit einem voluminösen Luftfilterkasten und dem leicht überarbeiteten Ram-Air-System. Alpha und Omega der Motorleistung, die Schwingungen der Gassäulen in Ansaugkanälen und Auspuff werden von der Black Box mittels Auspuffklappe und zweiter Drosselklappe im jeweils optimalen Bereich gehalten. Die zweite, e-motorgesteuerte Drosselklappe, zeichnet für das beispiellose Ansprechverhalten des Motors verantwortlich und wacht wie ein guter Geist über allzu nervöse Gashände.”
Daniel Riesen, Sportskanone beim Schweizer Magazin TÖFF erkennt Vorteile der 1000er gegenüber der handlicheren 750er vor allem beim Ansprechverhalten des Vierzylinders. „Der 1000er-Motor ist derzeit State-of-the-Art bei Motorrad-Einspritzmotoren. Die Leistung setzt überaus fein ein, kein Vergaser-Motor kann das besser. Auch die sehr gute Einspritzung der 750er steht punkto Ansprechverhalten und Lastwechselreak- tionen gegenüber dem 1000er-Triebwerk klar zurück.”

>> Feinste Zutaten
Optisches Glanzstück des Motorrades ist zweifellos die mit Titannitrit beschichtete Kayaba-Gabel. Gold glänzende Standrohre in rot eloxierten Aufnahmen und als Zugabe die mächtigen Sechskolbenzangen der Hayabusa geben der GSX-R 1000 einen würdigen Parkplatz neben allen Ducatis und Cagivas dieser Welt. Und: die Federelemente sind gegenüber der 750er nicht nur wesentlich leistungsfähiger sondern auch leichter. Vier Kilogramm wiegt die Tausender mehr als die 750er. Ein guter Tausch gegen die Flutwelle technischer Innovationen.
Äußerlich kaum von der 750er zu unterscheiden finden sich im Detail doch zahlreiche Unterschiede. So sind die Vierkantprofile der Schwinge, im Aussehen jener der 750er sehr ähnlich, im Inneren durch ein zusätzliches Profil verstärkt. Die mächtige Upside-down-Gabel ist deutlich verwindungssteifer als die konventionelle Gabel der Siebeneinhalber. Der Rahmen, aus 2,5 mm starken (750er: 2 mm) Profil-Alublechen aufgebaut und mit vier statt drei Befestigungspunkten für den Motor versehen, um mehr Stabilität im Zylinderkopfbereich zu erhalten, ist ebenso eine komplette Eigenkonstruktion, auch wenn er in den Grundabmessungen dem Bauteil der 750er entspricht.
Weiterer Unterschied: Die Reifen. Bei der 750er vertraut Suzuki auf einen 180er hinten, der 1000er wurde ein von Bridgestone speziell entwickelter 190er BT010 mit 0-Grad-Karkasse verpasst. Dieser ist fĂĽr noch besseren Geradeauslauf und noch mehr Kurvenstabilität gut, bringt aber im Vergleich zum schmaleren Pneu der 750er ein minimal schwereres Handling in schnellen Wechselkurven und – in Verbindung mit dem serienmäßigen Lenkungsdämpfer – ein etwas trägeres Handling bei langsamer Fahrt.

>> Leichte Trägheit
Markus Lehner, Tester bei Moto Sport Schweiz: „Man ist kein GSX-R-1000-Fahrer, eher ein GSX-R-1000-Bändiger. Jeder Millimeter Gaskabel, der aufgerollt wird, sollte sorgfältig geplant werden. Lenkpräzision, Stabilität und neutrales Kurvenfahrt-Verhalten sind wie bei der 750er tadellos. Auch die Sitzposition ist ähnlich wie bei der 750er: Sehr sportlich aber auch für großgewachsene Menschen einigermaßen bequem. Bei schnellen Schräglagenwechseln und beim Hineinbremsen in Kurven drängt sich aber das Gefühl auf, dass da nicht nur vier, sondern mindestens 10 bis 15 Kilogramm mehr zu bewegen sind.” Suzuki begründet das etwas trägere Handling übrigens mit der noch mehr nach vorn orientierten Gewichtsbalance des Motorrades.
Auch Amoser hat das trägere Handling bemerkt: „Bewegt man die GSX-R-1000 ein wenig engagierter, will man der 750er-Chassisgeometrie nicht mehr so recht Glauben schenken. Im unteren Geschwindigkeitsbereich überrascht die Suzuki mit einer Handlichkeit, die mehr an 600er denn an Literbikes erinnert. Gutes Kontrollgefühl ergänzt sich mit tadelloser Stabilität in allen Fahrzuständen. Klarer- weise nicht, wenn das Vorderrad im Ausgang von engeren Ecken wie ein flüchtendes Känguruh in den Himmel springt. Aber diese Art Stabilität ist dann doch eher im mentalen Bereich des Fahrers beheimatet. Im Gegensatz zu manch anderem Sportbike zeigt die Suzuki auch bei moderaten Schräglagen keine Aufstell- oder Einlenkneigung. So man mit der hohen Sitzposition und der stark vorgebeugten Oberkörperhaltung leben kann, offeriert die Tausender im Straßen- verkehr beachtlichen Dämpfungskomfort gepaart mit absolut problemlosem Lenkverhalten. Mit zunehmender Geschwindigkeit gewinnt das Fahrwerk ausgeprägte Geradeausstabilität. Zum Glück lädt der schlechte Windschutz hinter der niedrigen Verkleidungsscheibe nicht zu längeren Vollgasetappen ein. Sonst müsste Suzuki nächste Saison den Werbeslogan von VW-America „Fahrer gesucht!” um die Worte „mit gültiger Fahrerlaubnis” ergänzen.”

>> Potente Bremsanlage
Damit zu viel Vortrieb umgehend abgebaut werden kann, spendierten die Suzuki-Techniker der 1000er Tokico-Sechskolbenzangen, während für die 750er Vierkolbenzangen als ausreichend erachtet wurden. „Die neuen Tokico-Bremsen beißen”, so der Schweizer Daniel Riesen, Sportbike-Tester beim Monatsmagazin TÖFF „so vehement zu, dass dir die Fliegen hinten am Helm kleben. Allerdings ist der Druckaufbau leicht verzögert und nach mehreren vehementen Bremsmanövern auf der Rennpiste tritt Fading auf, was an den konventionellen Bremsleitungen liegen mag. Stahlflexleitungen wären hier, auch angesichts des nicht gerade niedrigen Preises, die bessere Wahl.”
Riesen fand auch heraus, wann die GSX-R 1000 am schonendsten mit den Kraftreserven des Piloten umgeht: „Auf einem geraden, trockenen und griffigen Stück Asphalt kann bis etwa 6000 U/min im Ersten, bis gut 7000 U/min im Zweiten und bis über 8000 U/min im Dritten relativ gefahrlos am Gaskabel gezogen werden. Über diesen Drehzahlwerten verwandelt sich Vortrieb in Auftrieb am Vorderrad. Häng dich dabei ruhig voll über den Tank – es wird dir nicht viel helfen!”. Koen Alders, Redakteur beim holländischen MOTO 73 ist sich nicht ganz sicher, ob die GSX-R 1000 für alle Normalbiker der erstrebenswerte Traum ist. „Wie immer, wenn ein besonders leistungsstarkes Motorrad auf den Markt kommt, glauben einige, die Gewalt sei mittlerweile unbeherrschbar geworden. Auch ich konnte mich damals, als die Yamaha R1 präsentiert wurde, kaum durchringen, wirklich ernsthaft Vollgas zu geben und auch heute kribbelt es in meinem Bauch, wenn ich das 1000er-Biest von Yamaha voll fordern soll. Dabei bin ich wirklich nicht unerfahren im Umgang mit potenten Sportmotorrädern.
Wenn ich daran denke, dass jeder – wirklich jeder! – Biker so eine Granate fahren darf … ich denke lieber nicht zu lange darüber nach. Nun kommt Suzuki mit der GSX-R 1000. Noch leichter, noch mehr Power. Ich hatte zugegeben fast ein ganz klitzekleines bisschen Angst! Aber jetzt, nachdem ich diese Rakete gefahren habe, bin ich baff erstaunt. Sie ist viel harmonischer, viel spielerischer, viel leichter, viel sicherer zu bewegen, als die R1. Und bequemer ist sie auch. Und schneller ohnehin. Keine Frage. Dennoch sollte jeder, der so ein Motorrad im Verkehr bewegen will, wissen, dass er sich darauf immer, wirklich in jeder Situation, unter Kontrolle haben muss. Sonst gibt es ein fürchterliches Desaster.”

>> Der tasmanische Teufel
Amoser, selbst Treiber einer Yoshimura-getunten Hayabusa, ist von der sicheren Art, mit der GSX-R 1000 schnell zu sein, ebenfalls überzeugt: „Suzuki macht möglich, was bei einem Serienmotorrad bislang für unmöglich gehalten wurde. Die neue Tausender fährt in die Stammtischrunde ein wie der Blitz in die am Gotschnagrat weidende Kuhherde. Aber alle zukünftigen GSX-R-1000-Chauffeure werden sich auf öffentlichen Strassen in größter Zurück- haltung üben müssen – die Fahrleistungen der Suzuki eröffnen eine neue Dimension einspuriger Fortbewegung. Sobald der Fahrer das Vorderrad in Gewahrsam genommen hat und der Gasgriff den Anschlag innig umarmen darf, fegt die Suzuki durch die Landschaft wie der Tasmanische Teufel auf der Jagd nach Duffy Duck. Gewiss, bis etwa 150 km/h fühlt sich jeder hubraumstarke Sportsattel recht eindrucksvoll an, erst danach trennt sich die Spreu vom Weizen und die GSX-R von der Konkurrenz. Doch es ist nicht schiere Beschleunigung, die den Freund des Fluchtpunktes in Ekstase versetzt, es ist vielmehr die Art und Weise, wie der Einspritz-Vierventiler zur Sache kommt. Seidenweiche Gas-annahme umschmeichelt den Fahrer schon bei niedrigsten Drehzahlen. Es ist nicht dieses trügerische Zupacken, dass nach einigen Momenten in ereignisloser Langeweile versiegt. Der Suzuki-Triebling, so vom Gasgriff geweckt, steht auf und geht ohne Umwege zu Werke. Keine weichen Stellen im Drehzahlband, kein Zögern – mit jeder Umdrehung steigert sich die Motorleistung kontinuierlich, zornig ab 4000 U/min, unerbittlich von 7500 U/min bis in den Begrenzer. In den höheren Gängen, wo man gerade in der Literklasse teigiges Ausdrehen gewöhnt ist, knallt der Motor knochenhart und ohne sich vom Luftwiderstand merklich beeindrucken zu lassen in den Begrenzer. So wie dieses Motorrad den fünften Gang abschließt und bei Tacho 260 brachial weiter am Asphalt zerrt, wird man sich in den Reihen der einst stolzen Hayabusa- und Kawa ZX-12R-Eigner aufmachen, um einen erloschenen Vulkan zu finden. Kein Konkurrenzprodukt wird an der Suzuki vorbeifahren. Es wird sich niemand auch nur im Windschatten halten können!”
Auch GP-Legende Kevin Schwantz, 1993 auf Suzuki 500-ccm-Weltmeister, gab in den USA ein Statement zur neuen GSX-R 1000 ab: „Ich habe alle GSX-R-Modelle seit 1985 getestet, war immer in deren Weiterentwicklung involviert”, erklärte der Texaner. „Es ist unglaublich, dass Suzuki es immer noch schafft, diesen Klassiker mit jedem neuen Modell noch besser zu machen. Von der neuen 1000er war ich wirklich mächtig beeindruckt. Sie ist vor allem schnell – wirklich sehr, sehr schnell!” Schwantz soll sich übrigens direkt nach der Präsentation der GSX-R 1000 eine der Testmaschinen unter den Nagel gerissen haben, mit den Worten: „Ich will ganz sicher sein, dass ich auch wirklich eine bekomme!”.

>> Fazit
Es scheint, angesichts so vieler positiver Reaktionen auf die neue GSX-R 1000, als sei Suzuki wirklich ein fabelhafter Wurf gelungen – wie schon mit der 750er. Sicher ist aber auch: Nur in erfahrener Hand ist die GSX-R 1000 auch ein spaßiges Motorrad. Haben viele Hobby-Racer schon Mühe, die 150 PS einer nicht gerade einfach zu bändigenden Yamaha R1 immer sicher zu bewegen (von „ausnützen” können höchstens wirklich begabte Rennprofis reden) sollten jene, die eine GSX-R 1000 kaufen wollen, wissen, dass man dieses Gerät mit Hirn fahren muss. Immer, überall und vor allem auch dann, wenn hinter einem ein anderer Sportmotorrad-Pilot lauert, der zwar vielleicht weniger PS unter dem Allerwertesten, dafür aber klar bessere Fahrkenntnisse und kälteres Blut hat – und das, liebe Freunde – gibt es öfter, als wir alle zusammen am Stammtisch jemals zugeben würden.

 

 

 

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