aus bma 4/01

von Klaus Herder

Der deutsche Motorradfahrer wird jedes Jahr älter. Das ist nicht wirklich überraschend, und das hat er unter anderem mit Fußballspielern, Zerspanungstechnikern und Verwaltungsfachangestellten gemein. Es geht hier aber um den deutschen Durchschnitts-Motorradfahrer, dessen Alter mittlerweile bei rund 35 Jahren liegen dürfte. Durchschnitts-Handybenutzer und Durchschnitts-Drogenabhängige werden dagegen von Jahr zu Jahr jünger. So ist das nun mal mit Statistiken. Und ebendiese besagen, dass der immer älter werdende Durchschnitts-Motorradfahrer von Jahr zu Jahr immer weniger Kilometer zusammenfährt. Im Schnitt unter 6000.
Es ist also gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass diese Zeilen von vielen 38-jährigen 3000-Kilometer-Fahrern gelesen werden. Möglicherweise aber auch von 32-jährigen 9000-Kilometer-Fahrern. Wie auch immer, jedenfalls von Menschen, die sich dank einer gewissen Motorradfahrer-Lebenserfahrung nicht jeden Tag beweisen müssen, was für knallharte Biker sie sind. Menschen, die aus der ärgsten Sturm-und-Drang-Periode raus sind und die kapiert haben, dass sich ihre sauer verdiente Kohle auch in andere schöne Dinge als ausgerechnet in ein Motorrad stecken lässt. In Reihenhaus-Hypotheken, Audi-Leasingverträge oder Unterhaltszahlungen zum Beispiel. Menschen, die trotz alledem immer noch gern Motorrad fahren. Und für ebendiese Menschen bietet der bma echte Lebenshilfe und Kaufberatung.

 

Womit wir bei der Suzuki GSX 750 F wären. Dieser Sporttourer ist nämlich das perfekte Motorrad für den deutschen Durchschnitts-Motorradfahrer. Von 1989 bis 1997 und dann wieder seit 1999 dümpelt der vollverschalte Sporttourer in den Suzuki-Preislisten unter der Rubrik Tourensportler. Egal ob kantige Erst- ausgabe oder gründlich rundgelutschte Zweitauflage – als Motor kam und kommt der feuchte Jugendtraum aller heutigen Mittdreißiger zum Einsatz: der legendäre luft-/ölgekühlte Reihenvierzylinder der ersten GSX-R 750 von 1985. Die erste GSX-R war nach heutigen Maßstäben ein – vorsichtig formuliert – lausiger Schweineeimer, doch das lag mehr am Wackel-Fahrwerk und weniger am 100 PS starken Ultra-Kurzhuber. 1988 wurde die GSX-R kräftig renoviert, ein Jahr später rollte ihre gemäßigte Schwester in die Läden. Und blieb dort oft länger als erwartet stehen. Die GSX 750 F konnte fast alles besser als die GSX-R, doch mit Stahlrohr- statt Alurahmen und Langweiler- statt Tiefflieger-Verkleidung hatte die F gegen die R keine Chance. Die GSX-R 750 bekam Wasserkühlung, immer mehr Leistung und ein immer besseres Fahrwerk, die GSX 750 F blieb wie sie war: luft-/ölgekühlt und unscheinbar. Und günstig. Verdammt günstig sogar, denn während für den aktuellen Supersportler GSX-R 750 satte 21.620 Mark gelegt werden müssen, gibt’s eine nagelneue GSX 750 F für sensationelle 13.920 Mark. Für die aktuelle Knieschleifer-Fraktion stellt sich heutzutage nicht mehr die Frage, welche 750er-Suzi es denn sein muss. GSX-R und GSX sind mittlerweile Lichtjahre voneinander entfernt, für schmerzfreie Heizer kann es nur die GSX-R geben. Für den 35-jährigen Durchschnitts-Motorradfahrer lautet der Kauftipp dagegen ganz klar GSX 750 F, denn für 7700 Mark weniger bekommt er ein für seine Ansprüche besser geeignetes Motorrad.Zuerst einmal bekommt er einen bequemen Arbeitsplatz geboten. Knapp 80 Zentimeter Sitzhöhe passen auch Kurz- und Mittelbeinern, die stark ausgeformte Sitzkuhle ist auch für Breitarschträger geeignet. Sehr viel mehr als 1,85 Meter Körperlänge sollte der GSX-Pilot dann aber auch nicht messen, denn die Fahrerfußrasten sind relativ hoch montiert, die Beine müssen stark angewinkelt werden. Der Lenker liegt tourenmäßig hoch und verlangt nur eine leichte Verbeugung, um bequem zu sitzen. Chokehebel am Lenker, Bremshebel vierfach einstellbar, Kupplung extrem leichtgängig, vollständiges Cockpit (u.a. Zeit- und Benzinuhr) gut im Blick – es kann losgehen. Der Vierzylindermotor springt spontan an, genehmigt sich aber eine Warmlaufphase, in der ein sehr, sehr feines Choke-Händchen gefragt ist – halt wie in alten Zeiten. Temperatur da, Choke zurück, ab dafür. Und zwar ruckfrei bereits ab 2000 U/min. Der Sound ist unspektakulär, aber doch angenehm. Man hört schon, dass da 750 und nicht etwa nur 600 oder gar 500 Kubik bedient werden. Der einsame Schalldämpfer ist übrigens aus Edelstahl. Die vier Krümmer sind es nicht. Na ja, irgendwie muss der Preis ja zustande kommen.
92 von ursprünglich 100 PS sind übrig geblieben – schärfere Umweltauflagen, besseres Ansprechverhalten – Sie wissen schon. Bei vier Ventilen pro Zylinder, zwei kettengetriebenen Nockenwellen und vier konventionellen Gleichdruckvergasern ist es geblieben. Abgasreinigung? Fehlanzei- ge. Gerührt wird in einem Sechsganggetriebe. Kurze Wege, exakte Rastung – passt schon. Muss auch, denn die Fuhre zieht zwar schön gleichmäßig durch, lässt sich theoretisch auch recht schaltfaul bewegen, doch wofür hat man schließlich eine 750er mit gut abgehangenem Sportlerherz? Eben, da spielt die Musik erst so richtig ab 6000, 7000 Touren, ein Durchzugwunder ist der kernig arbeitende Motor nicht. Also schön an der Kordel ziehen, den Reihenvierer jubeln lassen – und schon fühlt sich Vati in die wilden 80er-Jahre zurückversetzt. Zumindest teilweise: In unter vier Sekunden auf Tempo 100, 225 km/h Spitze – damit war man damals der Chef. Nur damals ging einem bei solchen Geschwindigkeiten der Arsch auf Grundeis, serienmäßige Fahrwerke hatten in erster Linie die Aufgabe, den Motor nicht über den Asphalt schleifen zu lassen. In zweiter Linie sorgten sie mit ihrer Instabilität dafür, dass die Fahrer sehr schnell Markennamen wie Koni, Wirth oder Metzeler kennen lernten.
Heute ist das anders, eine serienmäßige GSX 750 F läuft auch bei Topspeed wunderbar geradeaus, lässt sich auch in fiese Kurvenkombinationen zielsicher einlenken und bleibt jederzeit gut berechenbar. Die Reifenformate fallen mit 120/70 ZR 17 vorn und 150/70 ZR 17 hinten recht moderat aus, entsprechend gutmütig schwingt die Fuhre ums Eck. Die sehr komfortabel, fast schon etwas weich abgestimmte Telegabel lässt sich in der Zugstufendämpfung (Ausfedern) verstellen, beim Zentralfederbein lassen sich Zug- und Druckstufe (Einfedern) variieren. Mit 20 Litern Normalbenzin an Bord wiegt die GSX 750 F 235 Kilogramm. Im Fahrbetrieb sind die kaum zu spüren, beim Rangieren schon etwas mehr. Und besonders beim Aufbocken, denn der Hauptständer ist zwar serienmäßig, dafür aber ziemlich unglücklich übersetzt.
Andere Ausstattungsdetails sind da schon praxisgerechter gelöst. Die Verkleidung zum Beispiel. Bis 160 km/h ist der Windschutz ordentlich, darüber wird’s für Einsfünfundachtzig-Menschen etwas zugig und laut, aber das ist schon okay. Die Kiste ist schließlich keine Gold Wing, und der Spoilerscheiben-Zubehörindustrie sollte man auch mal etwas gönnen können. Die Anbieter von Zubehör-Bremsteilen bekommen allerhöchstens ein paar Mark für Stahlflex- Leitungen. Die Serien-Stopper funktionieren bis auf den etwas schwammigen Druckpunkt nämlich tadellos und überfordern auch den ungeübten Wenigfahrer nicht. Soziusbetrieb ist mit der GSX 750 F eine etwas zweischneidige Angelegenheit. Die Bank ist zwar ausreichend lang und breit, der Haltebügel ist stabil, die Rasten sind ausreichend tief montiert, nur leider befindet sich der Soziusplatz etwas weit weg vom Fahrer und liegt zudem noch relativ hoch. Der Mitfahrer sitzt damit etwas einsam und hat wenig Kontakt zum Piloten. Für innige Zweierbeziehungen ist das etwas störend, für abgekühlte Beziehungskisten aber viel- leicht gar nicht so schlecht. Unter der Sitzbank ist jedenfalls noch ordentlich Stauraum vorhanden.
Unter der ausladenden Plastikschale steckt ein konventioneller Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen. Wer nicht unbedingt strippen muss, sollte die Schale lieber dran lassen, denn die Kombination aus Vierkantprofilen und Tiefziehteilen ist kein übermäßiger Augenschmaus. Kabel und Schläuche sind lässig drapiert. Das alles funktioniert – nicht mehr und nicht weniger.
„Einfach so funktionieren” – das ist auch die eigentliche Stärke der Suzuki GSX 750 F. Sie ist kein Motorrad, um das man heimlich in der Garage herumläuft und zärtlich den Tank streichelt. Oder eins, an dem man stunden- und tagelang lustvoll herumschraubt. Sie ist eine Maschine, die einsatzbereit ist, wenn man sie braucht, bei der es auch nicht weiter stört, wenn sie ein paar Wochen mit Insektenleichten auf der Verkleidung und Kettenfett am Hinterrad einfach nur so herumsteht. Die GSX 750 F kann viel Spaß machen – dem Motoren-Oldie sei Dank. Sie überfordert niemanden, sie sieht gefällig aus – und sie ist unverschämt preiswert. Also genau richtig für alte Säcke (der Autor dieser Zeilen ist auch einer), die kapiert haben, dass es noch ein Leben neben dem Motorrad gibt.