aus bma 05/98

von Klaus Herder

Eigentlich ist designen ganz einfach. Zumindest bei Suzuki. Die pfiffigen Japaner schufen einfach einen verkleinerten Zucker-Abguß der seit 1988 angebotenen GSX 600 F und ließen ihre Formgestalter so lange daran herumlutschen, bis das Ding richtig schön rund war. Das war im Herbst 1997 der Fall, und insgeheim hofften die Verantwortlichen, der Rundling würde als neues Modell durchgehen.
Brillen-Scheinwerfer und Pavianhintern-Rücklicht sind tatsächlich völlig frisch, doch unterm Plastik blieb alles beim alten. Fast alles: der luft-/ölgekühlte und extrem kurzhubige Reihenvierzylinder stammt in seiner Basis immer noch von der legendären GSX-R 750 ab. Am GSX-Vierventiler wurde kein Handschlag gemacht, trotzdem sank die Leistung von 86 auf nunmehr 80 PS. Die neue Vier-in-eins-Auspuffanlage und kleinere Vergaser (32 statt 33 Millimeter Durchlaß) sind schuld daran. Verschärfte Geräuschbestimmungen und der Wunsch nach etwas besserem Durchzug waren die Gründe für die geringen Modifikationen. Doch aus dem Dreher ist kein Zieher geworden. Die Nennleistung wird bei 10.500 U/min erreicht. Das bescheidene maximale Drehmoment von 55 Newtonmetern steht gerade mal 500 Umdrehungen früher an. Sollte die GSX 600 F womöglich ein Sportler sein? Eher nicht, denn satte 229 Kilogramm Lebendgewicht gelten in Sportlerkreisen mittlerweile als übergewichtig. Ist das Pummelchen also ein Sporttourer oder womöglich ein Tourensportler? Da kommen wir der Sache schon näher.

 

Die Sitzprobe läßt solche Vermutungen zu. Normalwüchsige Biker männlichen Geschlechts – der 1,80 Meter-Mann also – sitzen äußerst bequem, nämlich leicht vornübergebeugt, mit den Händen an einem passend gekröpften und nicht zu hohen Lenker. Längere Menschen haben möglicherweise leichte Schwierigkeiten, ihr Fahrgestell oberhalb der recht hoch angebrachten Fahrerfußrasten zu verstauen. Kurze Zeitgenossen bekommen zwar die Beine bequem unter und haben auch in Sachen Sitzhöhe keine Probleme, müssen sich aber über dem langen 20-Liter-Tank gewaltig strecken, um an den Lenker zu kommen.
Die Startprozedur gelingt völlig problemlos. Der Chokehebel sitzt lenkerfest und läßt sich fein dosieren. Der Sound ist dezent brummelnd und klingt durchaus erwachsen. Ab 3.000 U/min ist so etwas wie Vortrieb zu spüren. Hat der Vierzylinder erst mal seine Betriebstemperatur erreicht, sollte der Fahrer eine gehörige Portion Eigendynamik entwickeln, um flott voran zu kommen. Kurz gesagt: es darf fleißig gedreht und geschaltet werden. Das Sechsganggetriebe kommt den Fahrerbedürfnissen aber leider nicht optimal entgegen. Die Schaltbox gibt sich zu oft störrisch und hakelig. Doch Übung und Gewöhnung machen fast alles wieder wett – BMW-Fahrer können das bestätigen.
Pendelt die Drehzahlmessernadel oberhalb von 7.000 U/min, kann man es mit der GSX durchaus fliegen lassen. Unter fünf Sekunden für den Sprint von Null auf Hundert und knapp 210 km/h Höchstgeschwindigkeit sind befriedigende Werte. Nicht ganz so gut sieht es leider beim Durchzug aus. Wer bei Autobahnrichtgeschwindigkeit das Gas aufmacht, wird im lang übersetzten sechsten Gang kaum über 160 km/h kommen. Aber es gibt ja schließlich einen Schalthebel. Die zwangsläufig etwas nervöse Fahrweise rächt sich allerdings beim Kraftstoff-Verbrauch. Knapp über sechs Liter bleifreies Benzin macht die GSX weg – das ist etwas zu viel. So sehr die GSX den linken Fuß und die rechte Hand beschäftigt, so sehr schont sie die restlichen Körperregionen. Der Windschutz ist nämlich ausgezeichnet. Die Verkleidungsscheibe steht zwar recht flach und der Helm damit im Wind, doch keinerlei Verwirbelungen beuteln das Fahrerhaupt. Dem Langstreckenkomfort abträglich sind dagegen aber leider die fiesen, hochfrequenten Vibrationen, die auf Dauer für eingeschlafene Hände sorgen. Häufiges Wechseln der Geschwindigkeit hilft da ein wenig. Im Gegensatz zum Vorgängermodell ist der GSX-Soziusplatz einigermaßen bequem ausgefallen. Etwas hoch zwar, dafür aber lang und breit genug, um einer Zweierbeziehung nicht dauerhaft zu schaden.
Neben den Modifikationen an Vergasern und Auspuff mußte sich auch das Fahrwerk leichte Modellpflegemaßnahmen gefallen lassen. Der Radstand wuchs um 40 Millimeter, und der Lenkkopfwinkel fällt um 0,6 Grad flacher aus. An Stelle der Reifen im Format 110/80-17 und 140/80-17 kommen nun Gummis der Größe 120/70-17 und 150/70-17 zum Einsatz. Alles zusammen beseitigte die Geradeauslaufschwäche der Vorgängerin und macht die neue GSX auf unebener Fahrbahn deutlich gutmütiger. Das Handling blieb erfreulicherweise unverändert leichtfüßig – das relativ hohe Gewicht ist selbst auf sehr engen Kursen nicht zu spüren. Die Suzuki fährt sich zielgenau und ist jederzeit gut berechenbar, sie verzeiht selbst grobe Fahrfehler und ist damit also auch für Fahranfänger gut geeignet – eine 34 PS Version der GSX 600 F ist lieferbar.
In Richtung Anfängertauglichkeit ging aber leider auch die Bremsabstimmung. Die Doppelscheibe im Vorderrad verlangt nach brutal hohen Handkräften, damit auch ja nichts blockiert. Dies wiederum geht unglücklicherweise zu Lasten der Dosierbarkeit, die Wirkung ist allenfalls Mittelmaß. Das gilt im übrigen auch für die hintere Einzelscheibe. Mittelprächtig geht’s auch bei der Abstimmung der Federelemente zu. Zwar darf der Fahrer mit der Zugstufendämpfung von Telegabel und Zentralfederbein und hinten zusätzlich mit der Federvorspannung experimentieren, doch eine sportlich-komfortable Auslegung ist kaum hinzubekommen. Vorder- und Hinterrad poltern hart über Unebenheiten aller Art, so etwas wie Federungskomfort kommt allenfalls im Soziusbetrieb auf. So mißlungen die Federelemente auch sind, so versöhnlich gelang der GSX-Rest. Die Verarbeitung ist tadellos, dem leidigen Thema Auspuff-Rost begegnete Suzuki mit einer Edelstahlauspuffanlage. Zur Seitenstütze gesellt sich ein Hauptständer, die Handhebel sind einstellbar, die Spiegel gewähren perfekte Rücksicht und der Benzinhahn läßt sich auch mit dicken Winterhandschuhen bequem bedienen.
Die Suzuki GSX 600 F kostet 11.990 Mark. Das ist für eine vollverschalte 600er sehr günstig, im Vergleich zur hauseigenen Konkurrenz GSF 600 S Bandit aber kein Sonderangebot. Die halbverschalte und technisch eng verwandte Schwester kann alles mindestens genauso gut, kostet aber 600 Mark weniger und ist als Brot-und-Butter Alltagsmotorrad die bessere Wahl. Wer allerdings auf sympathische Pummelchen steht, macht auch mit der GSX 600 F keinen schlechten Kauf.