aus bma 12/01

von Klaus Herder

Als Motorradfahrer der Altersklasse Ü40 hat man es wirklich nicht leicht. Ständig muss man sich rechtfertigen. Zum Beispiel gegenüber seiner Lebensabschnittsgefährtin: „Schatz, Dein Motorrad steht in der Garage eigentlich nur noch im Weg. Du fährst doch sowieso kaum mehr. Verkauf sie doch, dann hat die Hanna-Marie viel mehr Platz für ihr Fahrrad und ich kann bequemer aussteigen.” Okay, mehr als 3000 Kilometer pro Jahr kommen mittlerweile wirklich nicht mehr zusammen, aber deswegen verkaufen? Niemals. Dafür ist man schließlich immer noch ein harter Biker, auch wenn die meisten Biker-Kumpel von früher zwischenzeitlich lieber Audi A4 fahren, ihr Reihenendhaus abbezahlen und von einem Hymermobil träumen.
Doch warum fährt man eigentlich nur noch so wenig? Unter anderem deshalb, weil die gute alte GSX-R 1100 zwischenzeitlich etwas unbequem geworden ist. Flachliegend und immer am Begrenzer durch die Gegend zu prügeln macht einfach nicht mehr so richtig Spaß. Nichts gegen ordentlich Druck – aber sich deswegen jedes Wochenende fast totfahren? Die Zeiten sind vorbei, man ist wahrscheinlich etwas ruhiger geworden. Womit man sich schon wieder rechtfertigen muss. Diesmal sich selbst gegenüber, denn eigentlich ist man doch immer noch ein harter Biker. Aber angenommen, man trennt sich doch von seiner Suzi. Was kommt danach? Natürlich wieder ein Motorrad. Eins, das besser zum Alter passt, mit dem man tatsächlich wieder mehr fährt. Eins, das ordentlich Hubraum und mächtig Druck hat. Auf dem man bequem sitzt. Und mit dem man auch mal gemütlich bummeln kann. Ein Chopper also. Oder vielleicht doch lieber ein Cruiser? Gott bewahre! Wie soll man das den Kumpels erklären? Eine Intruder ist imagemäßig schlimmer als A4 und Hymermobil zusammen. Gibt’s denn nichts, was Ü40-Biker bequem, druckvoll und ohne Gesichtsverlust Motorrad fahren lässt?

 

Gibt es. Es ist der zur Zeit hubraumstärkste Serien-Vierzylinder der Welt: die Suzuki GSX 1400. Bereits die erste Kontaktaufnahme ist eine Wohltat für Menschen, für die der Begriff „Rückenschmerzen” kein Fremdwort mehr ist. Wunderbar aufrecht nimmt man Platz, der breite und halbhoch montierte Lenker liegt gut zur Hand, die Fahrerfußrasten sitzen genau dort, wo Menschen mit überstandener Meniskus-Operation sie sich wünschen: nicht zu weit vorn, aber vor allem nicht zu weit hinten. Zündung an, Druck aufs Knöpfchen – Motor läuft. Die Choke-Fummelei entfällt, um die Kaltstarthilfe kümmert sich die Steuerelektronik der Einspritzanlage. Die verstellbaren Brems- und Kupplungshebel werden noch kurz der Prankengröße angepasst, nun kann’s losgehen. Die hydraulisch betätigte Kupplung lässt sich wunderbar leicht betätigen, das butterweich zu schaltenden Getriebe wehrt sich auch nicht übermäßig – 260 Kilogramm Kampfgewicht plus Fahrer setzten sich mit einem sehr dezenten Auspuffgrummeln in Bewegung. Die Gasannahme ist perfekt, obwohl die üppigen 5,7 Liter Motoröl noch nicht ganz auf Betriebstemperatur sein dürften. So rollt man denn mit 50 km/h im sechsten Gang und ohne irgendein Ruckeln durch die Stadt und nimmt zur Kenntnis, dass der Drehzahlmesser dabei gerade mal 1500 Touren meldet. Ein paar Kilometer weiter, Ortsausgang und immer noch in der letzten Fahrstufe: Gaaas! Eine Winzigkeit später zeigt der Tacho 100 km/h, der Drehzahlmesser knapp 3000 U/min und man fragt sich, warum dieses Motorrad ein Sechsganggetriebe hat. Zwei Fahrstufen hätten es vollauf getan. Eine zum Anfahren, eine für den Rest. Es ist einfach unglaublich, wie lässig dieser Bulle aus dem tiefsten Drehzahlkeller voranstürmt und sich noch nicht mal ansatzweise verschluckt.
Ein Blick auf die technischen Daten erklärt das Phänomen: Das maximale Drehmoment beträgt sensationelle 126 Nm bei gerade mal 5000 U/min. Bereits ab 2500 Touren werden ständig über 110 Nm auf die Kurbelwelle gewuchtet. Die GSX 1400 stemmt knapp oberhalb der Leerlaufdrehzahl Drehmomentwerte, die die meisten anderen Big Bikes noch nicht mal als Höchstwert erreichen. Die bei 6800 U/min anliegende Spitzenleistung von 106 PS ist dabei eigentlich völlig nebensächlich. Der luft-/ölgekühlte Vierventilmotor bietet immer und überall Druck im Überfluss. Zwischen 1500 und 6500 U/min geht’s ohne irgendeinen Leistungseinbruch gewaltig vorwärts. Der letzte Gang ist zwar ellenlang übersetzt und als Overdrive ausgelegt (bei 200 km/h dreht der Vierzylinder noch nicht mal 6000 U/min), taugt aber trotzdem als Dauer-Fahrstufe, die auch bei engen Ortsdurchfahrten immer drin bleiben kann. Sollte dann doch irgendein Gebückter den GSX-Fahrer provozieren, genügen ein einmaliges Zurückschalten und ein winziges Zucken mit der rechten Hand, um die Verhältnisse wieder gerade zu rücken.
In der Praxis wird das allerdings selten vorkommen, denn das Fahren mit der GSX 1400 macht unglaublich gelassen. Gelassen, nicht schläfrig, wie auf einem Chopper oder Cruiser. Die GSX 1400 ist etwas für aktive Genießer. Theoretisch rennt die große Nackte 230 km/h. In der Praxis interessiert das niemanden, denn das GSX-Revier ist die Landstraße. Und die darf gern sehr kurvig sein, denn für ihre Hubraum- und Gewichtsklasse tobt die Suzuki überraschend handlich durchs Winkelwerk. Auf dem Vorderrad ist ein klassenüblicher 120/70 ZR 17 montiert, die hintere Pelle hat die Übergröße 190/50 ZR 17. Das macht das Umlegen in ganz engen Kurvenkombinationen etwas kraftraubend, aber nicht wirklich lästig. Geradeauslauf, Zielgenauigkeit – alles bestens. Und das auch auf zweit- oder drittklassigem Belag, denn die Federelemente der GSX 1400 sind hervorragend abgestimmt und bieten eine gelungene Kombination aus Komfort und Sportlichkeit. In den klassischen Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr wird erst gar kein ungewünschtes Eigenleben eingeleitet. Die fette 46-Millimeter-Telegabel und die beiden hinteren Federbeine lassen sich komplett einstellen. Bei den Federbeinen geht das sogar ohne Werkzeug, praktische Stellrädchen machen das Abstimmen zum Kinderspiel.
Die Bremsanlage der GSX 1400 stammt weitgehend aus dem Supersportler GSX-R 1000. So beißen also Sechskolbenzangen in die beiden vorderen 320-Millimeter-Scheiben. Ganz so giftig wie bei der GSX-R packen die Stopper allerdings nicht zu, geänderte Beläge mindern die Gefahr des Überbremsens. Wer das in einer Alu-Kastenschwinge steckende Hinterrad in die Luft bekommen möchte, muss schon sehr kräftig zulangen. Unterm Strich sind Dosierbarkeit und Wirkung für den tourensportlichen Einsatz goldrichtig gelungen.
Bäriger Motor, stabiles Fahrwerk, packende Bremsen – gibt’s nichts zu meckern? Keine Sorge, Suzuki hat auch an die Nörgler gedacht: Die GSX 1400 ist nicht gerade sparsam. Unter 6,5 Liter Benzinverbrauch sind praktisch nicht machbar. Bei standesgemäßer Fortbewegung fackelt der Vierzylinder auch locker über acht Liter Normalbenzin auf 100 Kilometern ab. Einziger, aber schwacher Trost: Der Tank fasst immerhin 22 Liter. Einen Katalysator halten die Suzuki-Verantwortlichen für entbehrlich, das Sekundärluftsystem ist angesichts dieser Ignoranz nur ein schwacher Trost. Der Freiflächenscheinwerfer sieht sehr modern und wichtig aus, bietet dafür aber nur eine sehr mäßige Lichtausbeute. Der Hauptständer ist serienmäßig. Das ist schön. Der Griff zum Aufbocken ist eher ungünstig angebracht und erschwert das Liften. Das ist weniger schön. Die Sitzbank ist zwar schön breit und auch lang genug für den entspannten Soziusbetrieb, doch ausgerechnet im Bereich des Fahrerhinterns ist die Polsterung auf Dauer etwas weich. Der Hintermann sitzt dafür tadellos. Die Soziusrasten liegen verhältnismäßig tief, und der stabile Haltegriff gibt Beifahrern mit Bindungsängsten ein beruhigendes Gefühl.
Unter der Bank befindet sich ein geräumiges Staufach, und an gleicher Stelle ist die Batterie gut zugänglich untergebracht. Ein Schnellverschluss an der Spritleitung erleichtert das Abnehmen des Tanks für Service-Arbeiten. Sechs Gepäckhaken sind serienmäßig. Eine digitale Tankanzeige und eine Zeituhr sind es ebenfalls. Die Verarbeitungsqualität liegt deutlich über dem Suzuki-Standard.
Die Suzuki GSX 1400 kostet inklusive Nebenkosten 18.900 Mark. Das ist rein zufällig genauso viel, wie für Yamahas XJR 1300 in der SP-Ausführung verlangt wird. Eine Kawasaki ZRX 1200 kostet rund 1000 Mark weniger, die Honda X-Eleven kostet um die 1000 Mark mehr. Mehr Hubraum und vor allem mehr Drehmoment als die GSX 1400 bietet keine. Und mehr Bequemlichkeit auch nicht.
Mit der GSX 1400 schlagen Ü40-Biker drei Fliegen mit einer Klappe: Die Partnerin mault nicht mehr, weil die Maschine garantiert mehr außerhalb als innerhalb der Garage anzutreffen sein wird. Man fährt wieder mehr, weil die Lederkombi im Bauchbereich nicht mehr zwickt und einen die Bandscheiben auch in Ruhe lassen. Und die Kumpels sind natürlich auch schwer beeindruckt, wenn man sie mal beim A4-Waschen besucht.