aus bma 12/10 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Suzuki GSX 1250 FA Modell 2010Aus der Not eine Tugend machen – so lautete vermutlich das Motto, das am Anfang der Entwicklung des Motorrads stand, um das es hier gehen soll. Die Not: Suzuki hatte bis 2010 als einziger Volumenhersteller keinen echten Big Bike-Tourer im Programm. BMW K 1300 GT, Honda Pan European, Kawasaki 1400 GTR, Yamaha FJR 1300 – alle direkten Wettbewerber plus Triumph und Harley-Davidson konnten mit Fernwehsesseln dienen, nur Suzuki nicht. Natürlich sind solche in oberen Preisregionen angesiedelten Kilometerfresser beim Neugeschäft keine Stückzahl-Überflieger, doch sie sind Fahr- statt Stehzeuge und bescheren dem freundlichen Vertragshändler damit brauchbare Umsätze, denn wer viel fährt, braucht meist auch viele Inspektionen und Reifen. Und natürlich viel Zubehör und viel Fahrerausstattung. Ergo: Wer keinen Tourer im Angebot hat, verschenkt bares Geld.

Ebensolches muss man für eine komplette Neuentwicklung aber erst einmal in die Hand nehmen, eine in Anbetracht des sinkenden Gesamtmarktes und eines gut bestückten Wettbewerb-Umfelds (siehe oben) nicht ganz leichte Entscheidung. Doch ein Suzuki (Sport-)Tourer tat trotzdem Not – womit wir bei der Tugend wären. Warum nicht einfach ein bereits existierendes, möglichst bewährtes und erfolgreiches Modell passend machen und damit das Angebot recht risikoarm erweitern? Gedacht, getan und zur Bandit 1250 gegriffen, dem derzeit erfolgreichsten Modell der Suzuki-Palette. Motormäßig über jeden Zweifel erhaben, fahrwerkstechnisch im Hinblick auf Soziusbetrieb und Gepäcktransport ordentlich aufgestellt und so kalkuliert, dass für eine Programmerweiterung noch ausreichend (Verkaufspreis-)Luft nach oben bleiben würde – das sollte passen. Außerdem griffen schon bislang neun von zehn Bandit 1250-Käufern zur halbverkleideten S-Version, genügend Kundenpotenzial wäre also auch vorhanden.

Suzuki GSX 1250 FA Modell 2010Und so geschah es denn auch: Der famose 1250er-Reihenvierzylinder und das komplette Chassis, also der Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen nebst Aluschwinge, konventioneller Telegabel und Zentralfederbein, die Räder und auch der (zwei Zentimeter höher montierte) Stahlrohrlenker und der zweigeteilte Sitz – alles stammt von der großen Bandit und musste nur aus dem Teileregal gegriffen werden. Den wesentlichen Unterschied macht die Vollverkleidung, die für Suzuki-Kenner aber auch keine Novität sein dürfte. Ein sehr, sehr ähnliches Teil dient seit 2008 der GSX 650 F, ebenfalls eine vollverschalte Bandit, als Verpackung. Für den 1250er-Einsatz musste das Leibchen aber noch ein wenig angepasst werden und baut nun etwas breiter und trägt einen Scheinwerfer im Stil der älteren GSX-R 1000. Im Vergleich zur halbverschalten Bandit S kommt die vollverkleidete GSX mit breiterer Brust daher, hat dafür aber eine schlankere und etwas höhere Verkleidungsscheibe. Die Abstammung ist augenfällig, aber warum führt die Neue dann nicht den gleichen Familiennamen, zum Beispiel Bandit 1250 F? Weil Suzukis Sporttourer immer schon das GSX plus F hinterm Hubraum als Modellbezeichnung nutzen. An dieser Tradition sollte nicht gerüttelt werden, Bandit-Verwandtschaft hin oder her.

Suzuki GSX 1250 FA Modell 2010 ABSDer – zumindest von vorn – mächtig dynamischen und mit Ram-Air-Einlassattrappen bestückten Verkleidung zum Trotz findet der GSX-Fahrer dahinter einen sehr bequemen Arbeitsplatz vor. Das übersichtliche, vermutlich ebenfalls aus GSX-R-Beständen stammende Cockpit macht den Unterschied zum Rest der Bandit-Sippe. Ganganzeige, zwei Tageskilometerzähler und Restreichweitenanzeige sind äußerst sinnvolle Details; der programmierbare Schaltblitz gehört dagegen in die Kategorie „überflüssiger Schnickschnack“; denn wofür benötigt man ein solches Teil, wenn ein Büffel von Motor fette 108 Nm maximales Drehmoment bereits bei 3700 U/min stemmt? Eben. Drehzahl ist bei der GSX völlige Nebensache. Aber vermutlich gehörte besagter Schaltblitz zum Teileregal-Komplettpaket, und eine Demontage wäre teurer gekommen. Egal, verstellbare Handhebel und eine Warnblinkanlage hätte Suzuki nicht verbauen müssen, hat man aber. Feine Sache! Gleiches gilt für den serienmäßigen Hauptständer, reichlich Verzurrmöglichkeiten fürs Gepäck, die hydraulische Kupplungsbetätigung und natürlich das ebenfalls serienmäßige ABS.

Suzuki GSX 1250 FA Modell 2010 CockpitDer gummigelagerte Lenker ist das, was er auch bei allen Bandits ist: zu sehr nach hinten gekröpft, was auf Dauer erlahmte Handgelenke und dem Zubehörhandel ein einträgliches Geschäft beschert. Der Knieschluss am 19-Liter-Tank fällt dafür perfekt aus, und der höhenverstellbare Fahrersitz (805/825 mm) schmeichelt dem Allerwertesten. Die nicht verstellbare Scheibe ist clever hinterströmt und so dimensioniert, dass der Fahrtwind verwirbelungsfrei auf Helm und Schultern strömt und tieferliegende Körperteile weitgehend in Ruhe lässt. Insgesamt geht’s auf der GSX 1250 FA (das A steht fürs ABS) ziemlich entspannt zu, was – von den vielleicht etwas zu hoch montierten Soziusrasten abgesehen – auch für den Mitfahrer gilt. Dafür sorgt natürlich die durchdachte Ergonomie, aber auch zu einem großen Teil der unglaublich lässige Motor. Unaufgeregtes, sonores und dumpfes Vierzylinder-Grummeln entweicht der komplett aus Edelstahl gefertigten Vier-in-eins-Auspuffanlage. Bereits knapp über Leerlaufdrehzahl surft der Reihenvierer auf einer dreistelligen Nm-Drehmomentwoge. Zügig in den sechsten Gang geschaltet, danach ist der linke Fuß für sehr lange Zeit arbeitslos. Ohne den kleinsten Hänger schiebt der trotz Gummilagerung und Ausgleichswelle feine Vibrationen weitergebende Motor mit unglaublicher Macht und allerbesten Durchzugswerten durchs Drehzahlband und katapultiert die vollgetankt 258 Kilogramm schwere Fuhre plus Besatzung mächtig vorwärts.

Suzuki GSX 1250 FA Modell 2010 KofferAuf dem Papier leistet das herrliche Büffelherz maximal 98 PS bei 7500 U/min; in der Praxis galoppieren beim großen Bandit-Motor (und damit natürlich auch in der GSX) bekanntlich immer deutlich mehr Pferde. 108 Prüfstands-PS sind für den Vierzylinder eher Regel als Ausnahme. Weiter als bis zur Nenndrehzahl muss die Wuchtbrumme auch gar nicht ausgereizt werden. Erstens geht es bereits darunter äußerst heftig zu Sache. Zweitens wird es darüber eher zäh, und der rote Bereich ab 9500/min kann getrost eine unerforschte Region bleiben. Um die thermische Gesundheit muss sich niemand sorgen, denn ein größerer Kühler und ein zweiter Lüfter unterscheiden die GSX von der dem Fahrtwind doch deutlich mehr ausgesetzten Bandit S. Der Motor ist das absolute Sahnestück der GSX 1250 FA, alles andere verblasst dagegen. Was nicht heißen soll, dass es nicht anständig funktioniert, ganz im Gegenteil. Doch die großen Bandits haben noch nie zu den handlichsten Kurvenschwingern gehört und waren auch noch nie für besonders sensible Federelemente bekannt. Geboten wird solide Hausmannskost, die bei der GSX in Sachen Handlichkeit durchaus lecker schmeckt; denn die lockere Sitzposition, der breite Lenker und das wunderbare Ansprechverhalten des Motors sorgen in ihrer Kombination dafür, dass sich das Schalentier dann doch recht munter von einer Schräglage in die nächste dirigieren lässt.

Suzuki GSX 1250 FA Modell 2010Die Begriffe „messerscharfes Handling“ oder „spielerisches Fahrverhalten“ wären an dieser Stelle zwar ziemlich unpassend, aber schwerfällig ist die eher straff abgestimmte GSX deshalb noch lange nicht. Sie ist ein sehr großes, sehr erwachsenes Motorrad mit einem noch größeren Motor. Sie ist ein Büffel – und Büffel taugen nun mal nicht wirklich dafür, Männchen zu machen oder durch Feuerreifen zu springen. Einfangen lässt sich der Büffel dann aber doch sehr einfach, denn die Vierkolben-Festsättel an den 320-Millimeter-Scheiben im Vorderrad packen fein dosierbar und wenn es darauf ankommt auch sehr vehement zu. Das ABS greift erfreulicherweise erst relativ spät ein. Zum gutmütigen, jederzeit berechenbaren Charakter der Suzuki passen auch die Bridgestone BT 021-Gummis (120/70 ZR 17, 180/55 ZR 17 in Sonderkennung „AA“), die rechtzeitig ankündigen, wenn es ihnen zu viel wird. Und es passen auch Details, wie ein erfreulich enger Wendekreis, praxisgerechte Rückspiegel, ordentliches Licht und der moderate Verbrauch von ziemlich genau fünf Litern.

Mit 9590 Euro kostet die in Blau, Silber und Schwarz lieferbare GSX 1250 FA nur 200 Euro mehr als eine halbverkleidete Bandit S – ein echter Kampfpreis, der mindestens 1500 Euro unter dem vergleichbarer Wettbewerber liegt. Das Suzuki-Zubehörprogramm mag zwar keine BMW-Dimensionen haben, aber die beliebteste Tourer-Ausstattung ist durchaus lieferbar. Als da wären: 37-Liter-Topcase (rund 100 Euro), 33-Liter-Koffer von Givi (um 250 Euro/Paar), Koffer-Innentaschen, passende Träger, Tankrucksäcke mit 15 oder 22 Litern Inhalt, GPS-Halter und eine Vario-Scheibe mit verstellbarem Spoiler-Aufsatz. Als schwarzes „Editionsmodell“ GSX 1250 FA GT gab’s ab Mitte des Jahres das Komplettpaket inklusive Topcase, Koffer, Innentaschen, passendem Träger, Vario-Scheibe, Dekor­satz und Tankpad für 10290 Euro – ebenfalls ein echtes Schnäppchenangebot, das mit etwas Glück noch nagelneu oder aber zumindest als (noch günstigerer) Vorführer zu finden sein sollte.

Unterm Strich ist die vollverkleidete Bandit, die nicht so heißen darf, ein tolles Beispiel dafür, wie man als Fahrzeughersteller mit relativ geringem Aufwand ein Motorrad noch besser machen, ja sogar eine ganz neue Fahrzeugkategorie ins Programm nehmen und den Kostenvorteil an den Kunden weitergeben kann. Aus der Not eine Tugend machen – Suzuki zeigt, wie’s geht.