aus bma 09/00

von Klaus Herder

Statistiken können ziemlich ernüchternd wirken. So zum Beispiel die Motorrad-Bestandsliste des Kraftfahrt-Bundesamtes. Wer nämlich den Motorradfahrer an sich bislang als mehrheitlich lustorientiert, vergnügungssüchtig und leistungsfixiert einschätzte, wird durch eben diese Liste auf den harten Boden der vermeintlich wenig aufregenden Tatsachen zurück gebracht. In den Top Ten sind nicht etwa Geräte vom Schlage einer Yamaha R1, Honda Doppel-X oder Ducati 916 zu finden, sondern durchweg solide Hausmannskost à la Yamaha XV 535 und XJ 600 oder BMW F 650. Eine feste Größe in der Vernunft-Hitparade ist auch die seit 1995 angebotene 600er Suzuki Bandit. Zählt man die 2000er Verkaufszahlen zum 1999er Bestand hinzu, dürften auf Deutschlands Straßen mittlerweile knapp 30.000 kleine Banditen unterwegs sein.
Fünf modellpflegefreie Jahre sind nun aber auch für einen sehr erfolgreichen Kleinkriminellen eine recht lange Zeit. Zudem gehen in der 600er Allrounder-Klasse mittlerweile auch potente Konkurrenten wie Yamaha Fazer und Honda Hornet auf Raubzug um die Käufergunst. Suzuki musste also etwas tun, was die große Gemeinde treuer Bandit-Treiber nicht verschrecken, potenzielle Neukunden aber trotzdem interessieren würde. Heraus kam der 2000er Jahrgang der 600er Bandit. Um es kurz zu machen: Fast alles blieb anders. Nur nicht der Motor. Der blieb gleich.

 

Als Rahmen kommt immer noch eine klassische Doppelschleife aus Stahlrohr zum Einsatz. Der charakteristische Knick hinter der Vergaserbatterie verschwand aber, ab sofort verlaufen die beiden Oberzüge deutlich direkter in Richtung Schwingenlager. Der Radstand legte minimal zu, Lenkkopfwinkel und Nachlauf nahmen dafür geringfügig ab. Tank, Seitendeckel, Heckbürzel und Rücklicht bekamen etwas modernere Formen, das Spritfass fasst nun 20 statt 19 Liter. Die Sitzbank bekam eine ausgeprägtere Kontur und einen rutsch- festeren Bezug spendiert, die Sitzhöhe wurde um zehn Millimeter reduziert. Die Vorderradfelge wurde verbreitert und ist nun mit dem Format 120/60 ZR 17 bereift (zuvor 110/70 ZR 17), das Hinterradgummi trägt nun die Bezeichnung 160/60 ZR 17 statt 150/70 ZR 17.
Bei der nackten Basis-Bandit sind die Retuschen erst auf den zweiten Blick zu sehen. Das an dieser Stelle vorgestellte halbverschalte Schwestermodell ist dagegen sofort als aktueller Jahrgang zu erkennen. Die Verkleidung macht’s: Die rahmenfeste Halbschale der neuen S sieht mit ihrem Doppelscheinwerfer deutlich dynamischer aus als das immer etwas an eine Zubehörlösung erinnernde Teil des Vorgängermodells. Neben dem formalen Fortschritt bietet das neue Kleid auch ganz praktische Vorteile: Die Spiegel sind nun an der Schale und nicht mehr am Lenker montiert und gewähren exzellente Rücksicht, der Windschutz fällt spürbar besser aus, und die Lichtausbeute der DE-Scheinwerfer ist phänomenal. Die übersichtlichen Instrumente sind jetzt fest in der Verkleidung installiert. Zwei Tages-Kilometerzähler und eine LCD-Uhr machen das Informationsangebot komplett.
Der Feinripp tragende Vierventil-Vierzylinder blieb praktisch unangetastet. Der luft-/ölgekühlte Reihen- motor stammt in seinem Grundaufbau aus den 80er Jahren und leistet unverändert 78 PS bei 10.500 U/min. Dieser betagte Motor eignet sich aber nicht nur als Vortrieb für die Bandit, sondern muss wegen des erhöhten Wartungsaufwandes auch als Begründung für die üppigen Inspektionskosten in Höhe von 456,41 DM herhalten. Immerhin verbaut Suzuki eine stärkere Lichtmaschine (550 statt 320 Watt), und neue Vergaser sollen dank Drosselklappensensor für ein besseres Ansprechen bei niedrigen und mittleren Drehzahlen sorgen. Die Auspuffanlage aus Edelstahl ist zwar katalysatorfrei, doch immerhin hält ein Sekundärluftsystem den Schadstoffausstoß halbwegs in Grenzen.
Der Kaltstart verläuft nicht immer völlig problemlos. Die Suzi lässt sich ab und an etwas bitten, und der lenkerfest montierte Chokehebel verlangt nach äußerst sensibler Be- dienung, damit der Motor nach dem Start nicht sofort in ungesund hohe Drehzahlregionen jubelt. Die kurze Warmlaufphase lässt sich dafür nutzen, den verstellbaren Handbremshebel auf die persönliche Prankengröße abzustimmen. Die Sitzposition passt für Menschen zwischen 1,60 und 1,95 Meter gleichermaßen gut. Zudem gibt’s einen perfekt gekröpften Lenker, Fussrasten genau dort, wo sie der leicht sportlich angehauchte Tourer haben möchte und einen Tank, der entspannten Knieschluss erlaubt und keine Weichteile gefährdet. Der Sozius ist übrigens ähnlich angenehm untergebracht – seine Fußrasten sind weit genug entfernt montiert, und die ausreichend lange und straff genug gepolsterte Bank erlaubt auch längere Nonstop-Touren.
Kupplung und Sechsganggetriebe setzten flotten Schaltaktionen keinen übermäßigen Widerstand entgegen – alles flutscht. Das muss es auch, denn der Vierzylinder verlangt nach hohen Drehzahlen, damit es zügig voran geht. Die üppigen 230 Kilogramm fahrfertiges Lebendgewicht kann die Bandit S nicht verleugnen, unter 4000 U/min geht nicht viel. Die Gasannahme ist aber tadellos, und wenn 7500 oder mehr Touren anstehen, schiebt die Fuhre dann doch recht flott voran. Rund vier Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h sind für eine moderne 600er zwar nicht berauschend, aber immer noch deutlich schneller als alles andere, was auf öffentlichen Straßen mit mehr als zwei Rädern unterwegs ist. Mit dem maximalen Drehmoment von 54 Nm bei 9500 U/min lassen sich keine Bäume ausreißen, in Sachen Durchzug landet die Bandit damit im unteren Mittelfeld der 600er-Klasse. Ihre Drehfreude ist dafür ungebrochen, bis zu 12.000 U/min geht es schön gleichmäßig und ohne jeden Durchhänger aufwärts. Hektische Naturen vermissen garantiert den Kick eines Sportmotors, alle anderen macht die unspektakuläre Leistungsabgabe eher gelassen.
Die Bandit vermittelt sofort ein gutes Gefühl der Vertrautheit. Ihr Pilot muss sich nichts beweisen, der Dauergeschwindigkeiten über 160 km/h erlaubende Windschutz bringt für hohe Reiseschnitte viel mehr als eine ausgeprägtere, womöglich konditionsmordende Sportlichkeit. Wer die Kordel schön auf Zug hält, ist trotzdem mit bis zu 210 km/h Spitze unterwegs. Wer es bei Landstraßentempo belässt, fackelt auf 100 Kilometern rund fünf Liter Normalbenzin ab. Vollgasjagden kosten um die drei Liter Aufschlag, im Schnitt liegt der Verbrauch bei etwa 6,5 Litern. Das ist nicht gerade wenig – das hohe Gewicht und die ebenso hohen Drehzahlen fordern Tribut. Zum Trost verträgt das neue Bandit-Fahrwerk etwas mehr Zuladung. Satte 210 Kilogramm dürfen es sein, das reicht dicke für eine ausgewachsene Zweier-Reisegruppe mit üppigem Urlaubsgepäck.
Fernreisende werden auch den Fahrkomfort zu schätzen wissen. Das neue, jetzt auch in der Zugstufendämpfung verstellbare Zentralfederbein ist zwar straffer abgestimmt als das beim Vorgängermodell verbaute Teil, bietet aber immer noch allerfeinste Bügelqualitäten. Bei der Neuabstimmung der Telegabel hätte es sogar noch etwas mehr Sportlichkeit sein dürfen. Das ohne Verstellmöglichkeit auskommende Teil geriet zwar minimal straffer, bei heftigen Bremsmanövern oder in schneller Folge auftretenden Fahrbahnverwerfungen stößt die unterdämpfte und zu soft abgestimmte Gabel dann aber doch rasch an ihre Grenzen, taucht extrem tief ein und geht ab und an auf Block. Schrauber bekommen das mit Zubehör-Gabelfedern und anderem Gabelöl sicher in den Griff und freuen sich derweil über die serienmäßigen Standrohrschützer aus Kunst- stoff.
Das Fahrverhalten der Bandit ist von der Gabelschwäche abgesehen tadellos: Guter Geradeauslauf und eine ausgeprägte, aber nicht nervöse Handlichkeit sorgen dafür, dass die 600er jederzeit gut berechenbar unterwegs ist und ihrem Fahrer sehr viel Fahrspaß vermittelt. Das beim Bremsen in Schräglage gegenüber dem Vorgängermodell spürbarere Aufstellmoment ist völlig harmlos, die Handlichkeit dafür noch etwas besser. Die mit etwas größeren Kolben bestückte Vorderradbremse ist zwar keine sportliche Offenbarung, dafür aber auch von Anfängern gut zu dosieren und kaum zu überbremsen – guter Standard eben. Der hintere Solostopper kommt über das Urteil „bescheidenes Mittelmaß” nicht hinaus, für eine touristische Gangart reicht die Wirkung aber allemal. Die in Rot, Blau oder Schwarz lieferbare 600er Bandit kostet als S-Version 11.990 Mark. Dafür gibt’s eine gute Verarbeitung, eine komplette Ausstattung (u.a. serienmäßiger Hauptständer), zwei Jahre Garantie und das beruhigende Gefühl, sehr viel Motorrad für fast konkurrenzlos wenig Geld zu bekommen.
Die neue Bandit ist mindestens so vernünftig wie ihre Vorgängerin. Die Knieschleifer-Fraktion wird zu anderen 600ern greifen, für die die Zulassungsstatistik bestimmende Mehrheit ist die Bandit aber immer noch ein guter und bei aller Vernunft durchaus Spaß machender Allrounder.