aus bma 01/05

Text: www.Winni-Scheibe.de
Fotos: Scheibe, Archiv

Mit dem Werbeslogan „Sportskanone für Scharfschützen” schlug die erste Viertakt-Suzuki Mitte 1977 buchstäblich wie eine Bombe ein. Was die Marketingagentur allerdings nicht ahnen konnte, am 7. April 1977 wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback von seinem Mörder auf einer Suzuki GS 750 erschossen. Für die Anzeige kassierte Suzuki mächtig Medienschelte, das quicklebendige Vierzylinder-Bike wurde trotzdem auf Anhieb Klassenbeste.
Winni Scheide damals mit GS 750Die Delegation bestand aus drei hochrangigen Suzuki Managern: Hidaka-san, Masuda-san und Ikegami-san (san= japanisch, Herr). Ihr Gemütszustand war momentan gespalten. Der Angstschweiß stand ihnen sichtlich auf der Stirn geschrieben, andererseits konnten sie ihre Begeisterung kaum verbergen. Noch nie in ihrem Leben waren sie so schnell gefahren. In knapp 30 Minuten hatte Fritz Röth die Herrschaften im silbergrauen BMW 528 mit Vollgas über die Autobahn von Heppenheim zum Frankfurter Rhein/Main Airport chauffiert. Der Besuch bei der deutschen Suzuki-Vertretung in Hammelbach Anfang 1976 hatte neben den üblichen Geschäftsbesprechungen nämlich einen wichtigen Grund. Nach Meinung der Firmenleitung in Hamamatsu/Japan sollte Fritz Röth den Importeurssitz möglichst rasch nach Frankfurt oder Düsseldorf verlegen. Hammelbach sei nach Auffassung der Suzuki-Bosse zu sehr abgelegen, die Wegführung in das romantisch gelegene Odenwaldörtchen zu kompliziert und obendrein schlecht ausgeschildert. Eine Weltfirma wie Suzuki gehört in eine Metropole, oder wenigstens in die Nähe eines großen Flugplatzes, so lautete jedenfalls die Order.
Nach der rekordverdächtigen Spritztour hatte Fritz Röth die Top-Manager jedoch überzeugt. Sein Vorschlag den Suzuki-Firmensitz demnächst nach Heppenheim an der Bergstraße zu verlegen wurde akzeptiert. Eine weitere Forderung der Japaner war die Verpflichtung des Aral-Renndienstleiters Ernst Degner als Technischer Leiter. Ex-DDR-Bürger Degner, der als MZ-Werksfahrer und 125er Vizeweltmeister 1961 in den Westen geflüchtet war, hatte damals in der japanischen Suzuki Versuchs- und Rennabteilung Unterschlupf gefunden, wurde Werkspilot und 1962 erster 50-ccm-Weltmeister! Solche Heldentaten werden im Inselreich natürlich nicht vergessen, mit Ernst Degner wollte man den Posten mit einem kompetenten und ihnen gut bekannten Fachmann besetzen.

 

Mit dem Umzug nach Heppenheim gründete Fritz Röth Mitte 1976 die „Suzuki Motor Deutschland GmbH”. Rund 25 alte und neue Mitarbeiter kümmerten sich um Vertrieb und Service des aus agilen Zweitakt-Maschinen von 50 bis 750 ccm mit Ein-, Zwei- und Dreizylinder-Motoren bestehenden Modellprogrammes.
Seit Beginn der Moped- und Motorradproduktion 1952 war Suzuki als Zweitaktspezialist berühmt geworden. Mit der „CCI”-Frischölschmierung, sowie dem zweiten „SRIS”-Schmierkreislauf und dem „ECTS”-Auspuffsystem hatte man dieses Arbeitsprinzip besonders bei den GT 380-, GT 550- und GT 750-Dreizylindermaschinen ständig weiter entwickelt. Die Qualität aller Suzukis war hervorragend, die Zweitakttriebwerke waren robust, zuverlässig und langlebig.
Anders als bei den drei Mitbewerbern Honda, Yamaha und Kawasaki, die hauptsächlich oder vereinzelt Viertakter im Programm hatten, setzte Suzuki neben der Zweitaktbaureihe auf das Wankel-Konzept. In kein anderes Modell investierte das Werk so hohe Entwicklungsarbeit und -kosten. Die RE5 „Rotary” sollte ein Prestigeprojekt werden. Stolz verwiesen die Techniker aus Hamamatsu auf über 20 eigene Patente. Auf dem ganzen Motorradmarkt gab es bei der Präsentation 1974 keine vergleichbare Maschine. Leider hatte Suzuki die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Wankel wollte nämlich niemand haben, sie wurde zum Ladenhüter, zum Flop. In Deutschland ließen sich lediglich nur 65 RE5 verkaufen.
Von alledem wußte man natürlich in Heppenheim. Aber anders als heute gab es vor 25 Jahren noch einen gewaltigen Zweitaktmarkt und hier hatte Suzuki die Nase vorne. Was allerdings niemand ahnen konnte, daß schon kurz nach dem Umzug eine brandneue 750er Vierzylinder-Viertakt-Maschine in der Heppenheimer Testwerkstatt stehen würde. Verändertes Umwelt- und Marktbewußtsein, besonders im Absatzland Nummer eins, den USA, forderten ein neues Modellkonzept. Der erste Schritt dahin war diese leistungsstarke, umwelt- und wartungsfreundliche 750er. Nach gut drei Jahren Entwicklungszeit wurde der erste Prototyp 1975 auf der hauseigenen Ryuyo-Versuchsstrecke getestet. Dann verging noch einmal ein Jahr, bis die neue Suzuki für geheime Testfahrten nach Deutschland kam.
Suzuki GS 750Unter Ausschluß der Öffentlichkeit wurde die GS 750 von Ernst Degner sowie deutschen und japanischen Technikern im Odenwald und auf der Autobahn quer durch Deutschland einem letzten Abschlußtest unterzogen. Die Angst, nach der RE5 Wankel wieder einen Flop zu landen, war im japanischen Stammhaus riesig groß. Eine weitere Pleite konnte und durfte man sich nicht leisten. Schließlich betrat man mit dem Viertakter absolutes Neuland. Es war nicht nur technisch eine gewaltige Herausforderung, auch an die Erwartungen der markentreuen Zweitakt-Kundschaft mußte man denken. Gleichzeitig wollte man aber auch einen neuen Käuferkreis ansprechen, für den Hubraum, Leistung und Geschwindigkeit an erster Stelle standen. Längst wußte man nämlich, würde das zukünftige Flaggschiff bei deutscher Fahrweise und auf deutscher Autobahn seine Reifeprüfung bestehen, würde die GS 750 nicht nur bei uns, sondern weltweit ein Erfolg werden.
In der 750er Klasse war damals die 67 PS starke Honda CB 750 F1 das Maß der Dinge und hinter der brauchte sich die neue Suzuki bestimmt nicht zu verstecken. Das luftgekühlte Vierzylinder-Viertaktaggregat war eine Augenweide, japanischer Maschinenbau in feinster Ausführung. Zwar stand in den Papieren die Leistung nur mit 63 PS bei 8800/min, doch der quicklebendige Kurzhuber mit zwei obenliegenden Nockenwellen drehte locker bis 10000 U/min und brachte so den 246 kg schweren Tourensportler auf gut 200 Stundenkilometer. Für dieses Kunststück hatten die Suzuki-Techniker dem drehfreudigen Motor einige technische Leckerbissen spendiert. Damit die Ventil-Steuerzeiten stets konstant blieben, arbeitete der Kettenspanner automatisch, die direkte Betätigung von Ein- und Auslaßventilen übernahmen Tassenstößel. Um das Ventilspiel zu korrigieren, konnten die Tassenstößel mit einem Hebelchen herabgedrückt werden, und ein Austausch der Einstellplättchen (shims) war im Handumdrehen und ohne Ausbau der Nockenwellen möglich. Für diese Wartungsarbeit gab es Spezialwerkzeug und ein Kästchen mit verschiedenen Einstellplättchen.
Im horizontal geteilten Motorgehäuse lief die Kurbelwelle in Rollenlagern, die Pleuel in Nadellagern. Zum damaligen japanischen Standard gehörte das Fünfganggetriebe, elektrischer Anlasser und zur Sicherheit aber auch noch ein Kickstarter. Den Hinterradantrieb übernahm eine neuentwickelte O-Ring-Kette. Um das „Blauwerden” der Auspuffkrümmer zu verhindern, waren die Rohre doppelwandig, die Entsorgung der Abgase übernahm eine eng am Rahmen anliegende „4-in-2”-Anlage.
Das Chassis war als verwindungssteifer Doppelrohrrahmen mit Telegabel, Schwinge und zwei Federbeinen ausgelegt. Anstelle von gebräuchlichen Kunststoffbuchsen übernahmen Nadellager die Führung der Stahlschwinge, ein Novum, das man bei anderen Maschinen vielfach vergeblich suchen konnte. Vorn und hinten verrichtete je eine 300-mm- Scheibenbremsanlage ihre Arbeit, auf die Speichenräder waren vorne ein 3.25 H 19 und hinten ein 4.00 H 18 Bridgestone Pneu montiert. Im Fahrverhalten zeigte die Neuschöpfung mehr „italienische als japanische” Qualitäten und Eigenschaften, Handling, Lenkgenauigkeit und Geradeauslauf waren hervorragend.
Im Gesamtbild entsprach die GS 750 der Vorstellung eines Touren-sportmotorrads, ohne Schnörkel und Extravaganzen mit Technik zum Durchgucken. Fahrer und Sozius hatten bequem auf einer komfortablen Sitzbank Platz. Über Betriebs- und Fahrzustände informierten gut ablesbarer Tacho und Drehzahlmesser, dazwischen gab es ein Display, das digital den jeweils eingelegten Gang anzeigte, sowie Leuchten für Fernlicht, Öldruck, Blinker und Leerlauf.
Das Vierzylinder-Bike war fast perfekt. Lediglich zwei Dinge paßten Technikchef Ernst Degner nicht. Die Federbeine empfand er als zu hart und mit nur einer Scheibenbremse am Vorderrad konnte und wollte er sich nicht anfreunden. Hinsichtlich der Fahrwerksabstimmung ließ er seine guten Kontakte zu Koni spielen. Für die knapp fünf Zentner schwere Maschine stellte Koni Versuchsfederbeine bereit, die den Fahrkomfort deutlich verbesserten und sofort für weitere Studienzwecke nach Japan geschickt wurden.
Suzuki GS 750Mit der Bremsanlage ließ sich in Heppenheim dagegen nichts anderes ausprobieren. Trotzdem ließ Degner den roten Draht nach Japan glühen. Doch das Montageband lief bereits, und Änderungen waren nun nicht mehr möglich. Degner blieb jedoch energisch und konnte das Werk überzeugen. Unbürokratisch und kostenlos wurden alle schon gefertigten GS 750 B („B”= Baujahr 1977) nachträglich bei den Vertragshändlern auf Doppelscheibenbremsanlage mit 275 mm Durchmesser umgerüstet.
Ab Modelljahr 1977 gab es die GS 750 DB („D”= Doppelscheibenbremse, „B” = Baujahr 1977) serienmäßig mit zwei Scheibenbremsen am Vorderrad.
In einer Vielzahl von Tests mußte das aktuelle Topmodell seine Qualitäten unter Beweis stellen. Ob Einzel-, Vergleichs- oder Langstreckentest, die GS 750 hatte die Nase immer vorn. Bemerkenswert ist, daß das Motorrad keinerlei Kinderkrankheiten zeigte. Die erste Viertakt-Suzuki wurde auf Anhieb Klassenbeste.
Inzwischen waren Tuner und Rennfahrer auf die agilen Flitzer aufmerksam geworden. Der japanische Tunerpapst Pops Yoshimura zum Beispiel bereitete eine GS 750 mit Spezialteilen für das berühmte Superbike-Rennen von Daytona Beach/USA vor. Im März 1978 gewann Steve Mc Laughlin mit dieser Yoshimura-Suzuki das 200-Meilen-Rennen in Daytona.
Der Einstieg in die Viertakt-Fraktion war Suzuki mit Bravour gelungen. Schon kurz nach der Markteinführung der GS 750 folgte 1977 die GS 400 mit Zweizylinder-Motor und die GS 550 mit Vierzylinder-Triebwerk. 1978 kam das Big-Bike GS 1000 und 1979 die erste Kardan-Suzuki GS 850 EN hinzu. Die beiden kleinen Schwestern sowie das Kardan-Bike und der große Bruder arbeiteten nach dem gleichen DOHC-Motorbauprinzip wie die GS 750. Viele Bauteile von Motor und Fahrwerk waren identisch und paßten bei allen GS-Modellen. Das bereits von den Zweitaktern bekannte „Baukasten-Modellprogramm” wurde von Suzuki in der neuen Viertakt-Generation konsequent fortgesetzt.
1978 erfuhr die GS 750 Modellpflege. Neben neuen Farben und Dekor gab es die 750er wahlweise mit Speichenrädern als GS 750 C (C= Baujahr 1978) oder mit Alu-Gußfelgen als GS 750 EC (E= Gußräder). Für die Easy Rider Fans erweiterte Suzuki 1979 das 750er Angebot mit dem Softchopper GS 750 LN (L= Chopper, N= Baujahr 1979). Mit geändertem Drehmomentverlauf, mehr „Dampf aus dem Keller”, kleinem Tank, Stufensitzbank und Hochlenker wollten die Suzuki-Manager für den neuen Softchopper-Markt in dieser Klasse ein Modell parat haben. Doch die verkauften Stückzahlen hielten sich in Grenzen.
Bis Ende 1979 blieb die GS 750 Modellreihe im Verkaufsprogramm, insgesamt ließ sie sich 3800 mal bei uns verkaufen. Die Nachfolge trat 1980 die GSX 750 Generation mit gleitgelagerter Kurbelwelle und Vierventil-Technik an. Das zweite Kapitel in der Suzuki Viertakt-Ära hatte begonnen.

Am Rande notiert: „Mit voller Pulle – immer an der Wand lang”
Anfang der 70er Jahre gab es immer wieder Stimmen, die dem damaligen „MOTORRAD” Cheftester Franz Josef Schermer eine „Honda-Brille” nachsagten. Nach dem Test der brandneuen Suzuki GS 750 wurden diese Leute jedoch Lügen gestraft. Die Begeisterung für die Viertaktmaschine brachte „FJS” auf eine geniale Idee: mit der Maschine müßte man unbedingt einen Weltrekord aufstellen. Der bestehende 24-Stunden-Weltrekord lag nämlich gerademal bei 175,8 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit und wurde 1961 mit einer BMW R 69 S erzielt. Als Durchführungsort für den Suzuki-Versuch sollte die Conti-Versuchsstrecke bei Hannover dienen.
Damals war ich in der Technischen Abteilung bei Suzuki Motor Deutschland in Heppenheim beschäftigt und betreute den Weltrekordversuch. Erste Versuchsfahrten mit einer vollverkleideten GS 750 wurden schnell ad acta gelegt. Sobald Seitenwind auftrat war sie auf dem Höchstgeschwindigkeitskurs unfahrbar. Für den zweiten Test schickten wir die GS lediglich mit einer Halbverkleidung, Lenkerstummel, 20-Liter-Alutank, Höckersitzbank, zurückverlegten Fußrasten und nur wenigen Detailänderungen in die Steilwand. An diesem Märzwochenende 1977 konnten wir eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 205 km/h (!) im Tagebuch notieren. Für eine 750er mit serienmäßigem 63-PS-Motor ein sensationelles Ergebnis, der Termin für die Rekordfahrt wurde festgesetzt. Doch genau zwei Wochen vor der geplanten Aktion stellte Kawasaki mit der Z 650 im Speedway von Daytona Beach drei Weltrekorde für die Klasse bis 750 ccm auf. Die neuen Werte waren:
6 Stunden ein Schnitt von 205,8 km/h
12 Stunden ein Schnitt von 190,6 km/h
24 Stunden ein Schnitt von 188,6 km/h
In einer Krisensitzung entschied die Suzuki Geschäftsleitung in Heppenheim mit den Redakteuren von MOTORRAD den Rekordversuch abzusagen und aus dem Vorhaben einen „1000-km-Vollgastest” zu machen. Ohne nennenswerte Probleme spulten sechs erfahrene Vollgaspiloten die Distanz mit einem Schnitt von 192,4 km/h ab.