aus bma 09/04

von Klaus Herder

Suzuki GS 500 F Kommt Ihnen der Titel irgendwie bekannt vor? Na klar, mit etwas humanistischer Grundbildung fällt Ihnen natürlich sofort die gleichnamige Tragikomödie von Friedrich Dürrenmatt ein. Die Geschichte der Multimillionärin Claire Zachanassian, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt, welche sie als mittellose junge Frau vor vielen Jahren nach einem Skandal verlassen hat. Nun macht die reiche alte Dame der mittlerweile verarmten Gemeinde ein unmoralisches Angebot und sorgt damit für mächtig viel Wirbel.
Die alte Dame in der neuesten Suzuki-Komödie heißt GS 500 F. Geboren wurde sie auf der IFMA 1988 unter ihrem Mädchennnamen GS 500 E. Ihre Zweizylinder-Gene stammten von der bereits 1976 präsentierten GS 400, Suzukis erstem Viertakter. Vom unverkleideten Halbliter-Twin verkaufte Suzuki bislang allein in Deutschland rund 50.000 Stück, über 40.000 davon sind immer noch auf Achse. Mit anfangs 27 und ab 1994 mit 34 PS wurde die GS 500 E zum Liebling der Fahrschulen, Anfänger und Frauen. Mit ungedrosselt 46, später 45 PS hatten auch Fortgeschrittene auf der ultrahandlichen 500er viel Spaß.
Doch die Zeiten für billige und teilweise auch billig gemachte Einsteiger-Motorräder sind härter geworden. Die mit großem Abstand Erstplazierte in der aktuellen Zulassungs-Hitparade heißt jetzt Honda CBF 600 S. Und die hat einen potenten Vierzylindermotor, eine schicke Schale und auf Wunsch sogar ABS. Merke: Die (Wieder-)Einsteiger werden auch immer anspruchsvoller und stehen nicht unbedingt auf Discount-Lösungen. Suzukis Mittelklasse-Vertreterinnen in den Top Ten heißen mittlerweile GSF 600 Bandit und SV 650. Die jahrelang für Podestplätze gute GS 500 E taucht erst unter „ferner liefen” auf. Doch so ganz wollte sich Suzuki vom Ex-Bestseller dann doch nicht verabschieden. Eine Entscheidung, die nicht allzu schwer gefallen sein dürfte, wird der luftgekühlte Zweiventiler doch seit geraumer Zeit kostengünstig in Spanien montiert. 2001 gab’s die letzte und umfangreichste Überarbeitung der GS 500 E. Ein größerer Tank (20 Liter), straffere Federelemente, eine neue Sitzbank plus modernisierter Heckverkleidung, neue Instrumente und eine größere Vorderrad-Scheibenbremse gehörten vor drei Jahren zum Modellpflege-Programm.

 

Suzuki GS 500 FFür dieses Jahr hat sich Suzuki noch mehr vorgenommen und schickte die alte Dame neu geschminkt und frisch geliftet zurück ins Leben. Das E in der Typenbezeichnung der nackten GS entfiel ersatzlos, ganz neu ist das vollverschalte Schwestermodell GS 500 F. O-Ton Suzuki-Prospekt: „Mit der neuen GS 500 F/GS 500 erhält die 500er-Klasse einen neuen Maßstab für Sportlichkeit. (…) Mit jedem Zentimeter ihrer ultraschlanken Figur definiert sie die Halbliterklasse neu.” Oha, das klingt nach starkem Tobak, ist aber bei genauerem Hinsehen gar nicht so unrealistisch; denn Kawasaki hat die direkte Konkurrentin GPZ 500 S aus dem Programm genommen, und Yamaha ist in der 500er-Klasse gar nicht mehr vertreten. Bliebe also nur noch die Honda CBF 500. Die ist zwar viel moderner als Suzukis GS-Oldie, hat aber keine Verkleidung, dürfte nach Suzuki-Definition also nicht unter „sportlich” fallen. Die vollverschalte GS 500 F ist also der Maßstab in einer Klasse, die ausschließlich durch sie selbst gebildet wird. Ohne zuviel zu verraten: Das stimmt!
Momentaufnahme einer GS 500 F-Probefahrt: Autobahn, linke Spur, Tacho 180. Ich laufe auf einen mit gefühlten 170 km/h dahinrollenden Mittelklasse-BMW auf. Sein Fahrer blickt in den Rückspiegel, setzt sofort den rechten Blinker und zieht zügig rüber. Und dann passiert’s: nämlich nichts. Die kleine Suzi verhungert. Peinlich, peinlich – das Überholprestige der GS 500 F liegt rund 100 km/h über ihren tatsächlichen Möglichkeiten. Die schicke Schale mit ihrem schwer nach GSX-R 1000 und Hayabusa aussehenden Scheinwerfer ist eine astreine Mogelpackung. Das setzt einen auf der Autobahn ab und an unter leichten Erfolgsdruck, hat auf der Landstraße aber echte Vorteile. R1- und Fireblade-Treiber, die eine nackte GS 500 nicht mal mit dem Arsch angucken würden, machen urplötzlich den Gruß-August – sehr unterhaltsam.
Die ordentlich gemachte Kunststoff-Schale hat aber auch durchaus ganz handfeste Vorteile. Vorausgesetzt, der Fahrer mißt nicht deutlich über 1,80 Meter, bietet sie tadellosen Windschutz und sorgt dafür, daß die mit 45 PS nicht gerade übermotorisierte GS gut im Wind liegt und mit etwas Anlauf und angelegten Ohren echte 180 km/h rennt. Vielleicht wäre sogar noch etwas mehr drin gewesen, aber beim Lenker meinten es die Konstrukteure einfach zu gut. Das hoch montierte und ultrabreite Rohrteil erinnert an die vor 10, 15 Jahren sehr beliebten Superbike-Umbauten, wirkt an der von Haus aus und auch ohne Segelstange handlichen GS 500 F aber etwas deplaziert und versaut die ansonsten recht schmale Front-Silhouette.
Suzuki GS 500 F In Sachen Ergonomie hatten die Suzuki-Techniker auch an anderer Stelle kein übermäßig glückliches Händchen. Der nicht verstellbare Bremshebel steht für zartere und kleinere Hände viel zu weit ab. Erschwerend kommt hinzu, daß der eigentlich ordentlich verzögernde und gut dosierbare Solostopper nach ziemlich hohen Handkräften verlangt. Der Abstand zwischen der Sitzbank und den Fahrer-Fußrasten fällt dafür zu knapp aus. Menschen über 1,80 Meter müssen ihre unteren Extremitäten auf Dauer unbequem eng falten. Aber das magische Gardemaß als Schmerzgrenze hatten wir ja schon in Sachen Verkleidung. Wer kürzer ist, sitzt auf der nur 775 Millimeter hoch montierten Bank durchaus bequem. Bereits seit 2001 gibt es auf der GS 500 auch einen komfortablen Soziusplatz. Das lenkerfest montierte Cockpit ist eher mager bestückt, dafür aber klar gezeichnet und sehr übersichtlich.
Der rote Bereich auf dem Drehzahlmesser beginnt bei 11.000 U/min. Ein Wert, der eher theoretisch bleibt, denn spätestens ab 10.000 Touren legt der Twin nur noch zäh zu. Unter 3000 U/min geht eigentlich gar nichts, aber zwischen 5000 und 8000 U/min fackelt der Zweizylinder-Oldie durchaus ein kleines Feuerwerk ab und klingt dabei recht kernig. Um mitzukriegen, wann es soweit ist, muß der Fahrer aber gar nicht auf den Drehzahlmesser schauen oder genau hinhören. Just in diesem Bereich schickt der Kurzhuber (Bohrung x Hub: 74,0 x 56,6 mm) deutlich spürbare, auf Dauer etwas nervende Vibrationen in Lenker und Rasten. Das etwas knöcherne Sechsganggetriebe läßt sich nur mit Nachdruck schalten, mit etwas Gewöhnung ist das aber kein Problem, halt Stand der achtziger Jahre und für eher grobmotorisch handelnde Anfänger gar nicht so verkehrt. Der letzte Gang ist ellenlang übersetzt und taugt nur als Overdrive, ansonsten paßt die Stufung.
So modern die Verpackung der vollgetankt 199 Kilogramm schweren Suzuki auch wirkt, so sehr merkt man der GS 500 F das Alter ihrer Grundkonstruktion an. Doch das muß nicht immer von Nachteil sein, denn so praktische Dinge wie ein klassischer Benzinhahn, ein serienmäßiger Haupt- ständer und Gepäckhaken gehören bei ihr ganz selbstverständlich dazu. Dem thermisch seit jeher hochbelasteten Twin spendierte Suzuki bei der GS 500 F einen Ölkühler. Umwelttechnisch ist man dank ungeregeltem Kat und Sekundärluft-System auch auf der Höhe der Zeit.
Die neue Reifen-Erstausrüstung (Bridgestone BT 45) ist goldrichtig gewählt. Die Gummis im Trennscheiben-Format 110/70 H 17 und 130/70 H 17 machen auch fortgeschrittenen Schräglagen-Junkies Spaß und haben einen großen Anteil an der ausgeprägten Handlichkeit und guten Berechenbarkeit der GS 500 F.
Suzuki GS 500 F Cockpit Ein altes GS 500-Leiden hat aber auch die F geerbt: die viel zu weiche und nicht verstellbare Telegabel. Zwar wechselte Suzuki zwischenzeitlich den Zulieferer (Paioli), an der zu soften Abstimmung hat sich aber nichts geändert. Wer beherzt in die Eisen langt, geht schon sehr frühzeitig auf Tauchstation und hat nur noch wenig Reserven, wenn weitere Fahrbahnverwerfungen den Weg kreuzen. Aber was soll’s, man muß ja auch an die Zubehörindustrie denken. Das sehr umständlich in der Federbasis verstellbare Zentralfederbein macht seinen Job dafür ganz ordentlich und darf im Serienzustand bleiben.
Ab Werk gibt es die Suzuki GS 500 F nur mit 34 PS und Vmax 155 km/h. Das Entdrosseln auf 45 PS erfolgt über den Tausch der Gasschieber, Materialkosten knapp 100 Euro plus eine halbe Stunde Arbeitszeit. Als Grundpreis sind für die F-Version 4780 Euro (plus zirka 115 Euro Nebenkosten) fällig. Die weiterhin lieferbare Nackt-GS kostet nur 300 Euro weniger. Bei dieser geringen Differenz sollte die Kaufentscheidung klar sein: unbedingt das Schalentier!
Mit der GS 500 F bekommt man eine stark geschminkte und kräftig aufgehübschte alte Dame, die auf der Autobahn für Tragikomödien sorgen kann, mit der es sich auf der Landstraße und in der Stadt aber durchaus lustig leben läßt. Tugenden wie Sparsamkeit (4,5 Liter Durchschnittsverbauch), Wartungsfreundlichkeit und Berechenbarkeit sind für sie keine Fremdworte. Ihr äußerst fairer Kaufpreis ist zudem ein ziemlich unmoralisches Angebot und sorgt beim freundlichen Suzuki-Händler hoffentlich für ordentlich Wirbel.