aus bma 02/02

von Bernd Vehlow

Die GS 450 E gehört zu den wenigen klassischen Motorrädern, die erst im Betrieb durch Fahr- und in diesem Fall durch Spar-Werte glänzen. Tausendfach bewährte Motortechnik, einfach, robust, aber nicht weniger kraftvoll…” So wurde die Suzuki GS 450 E dem Kunden im Werbeprospekt von 1988 angepriesen. Warum die Marketingstrategen die Suzuki GS 450 E in jenem Jahr im deutschen Markt platzierten, ist dennoch schleierhaft, geht das Grundkonzept der Konstruktion doch auf die schon 1977 erschienene GS 400 zurück und war sie doch ein Jahr später auch schon wieder aus dem Programm verschwunden.
Getreu dem Baukastenprinzip glich das Äußere wie Fahrwerk, Tank, Sitzbank, Räder, Reifen und Bremsen bis ins Detail der zur gleichen Zeit angebotenen GSX 400 E. Der Motor wurde aus der GS 450 L genommen, dem Baby-Chopper im damaligen Suzuki-Programm. Der Zweizylindermotor (Bohrung x Hub: 71 x 56,6 mm = 448 ccm) besitzt zwei Ventile pro Zylinder, die über zwei obenliegende Nockenwellen und Tassenstößel betätigt werden. Betrachtet man die im gleichen Jahr angebotenen High-Tech Produkte von Suzuki wie zum Beispiel der Zweitaktrenner RG 500 Gamma, so muss die GS 450 E schon bei ihrem Erscheinen als Oldie bezeichnet werden.

 

5319 DM mussten seinerzeit über den Ladentisch geschoben werden, wollte man die GS 450 E sein Eigen nennen. Die S-Version, mit einer lenkerfesten Cockpitverkleidung ausgestattet, kostete 200 DM mehr. Zwei Leistungsvarianten wurden angeboten. Eine versicherungsgünstige Version (27 PS bei 7600 U/min, 31,2 Nm bei 3000 U/min) sowie die offene Version ( 42 PS bei 8800 U/min, 36,5 Nm bei 7000 U/min). Schon 1989 verschwand das Modell wieder vom deutschen Markt und wurde durch den Bestseller GS 500 E abgelöst.
„Gelegenheitskauf: Suzuki GS 450 E, 27 PS, wenig km, günstig abzugeben, VHB”, lautete die Kleinanzeige, die ich irgendwann im August 1989 erspähte. Eine Woche später wechselte dann ein einjähriges Motorrad mit 5300 Kilometern auf der Uhr für 2700 DM den Besitzer.
So wenig Aufmerksamkeit die Suzuki GS 450 E heute erntet, um so mehr Blicke fielen auf sie während einer Ostertour durch die damalige DDR im Jahre 1990. Bei jedem Stopp mussten den herbeieilenden Jugendlichen zahlreiche Fragen beantwortet werden. Und Heikos GPZ 750 Turbo wurde von den russischen Offiziersanwärtern in Potsdam wie eine Heiligenskulptur angebetet.
Die Bereifung der GS war hingegen auch in der DDR durchaus bekannt. Ist sie doch im so genannten Trennscheibenformat eher klassisch geraten. Eine MZ ETZ 250 hat kaum schmalere Gummis vorzuweisen. Vorn ist ein Reifen der Dimension 3.00 S 18 und hinten ein 3.75 S 18 (wahlweise 4.00 S 18, nur Metzeler) in die Fahrzeugpapiere eingetragen. Neben der Erstbereifung von Bridgestone ließ ich immer wieder Metzeler in den Profilen „Rille 12” vorn und „ME 77” hinten montieren. Trotzdem wünscht man sich in puncto Bereifung oft zeitgemäßere Pneus.
Als Endantrieb wurde der Suzuki werksseitig nur eine Einfach-Rollenkette in der recht üppigen Größe 5/8 x 3/8 verpasst. Die Ausrüstung mit einer üblichen O-Ring-Kette ist nicht etwa dem Rotstift zum Opfer gefallen, sondern aufgrund der größeren Breite einer O-Ring-Kette muss diese sich ihre Freigänigkeit erst durch Anschleifen des Motorgehäuses verschaffen (das ist mir erst nach 40.000 Kilometern bei der Montage des zweiten O-Ring-Kettenkits aufgefallen).
Mit Tankrucksack und einem montierten Krauser K1-System wird die Suzi zum kleinen Tourer. Der 16 Liter-Tank ermöglicht Reichweiten von 250 bis 300 Kilometern. So wurden im Laufe der Jahre drei Mal die italienischen Dolomiten, zwei Mal die Toskana und einmal die Insel Elba angesteuert. Diese Sommerurlaube wurden jedes Mal mit einem Abstecher zum Gardasee kombiniert. Bei Beladung mit Tankrucksack, Koffern und Gepäckrollen – immerhin sind 190 kg Zuladung erlaubt – stößt das Fahrwerk jedoch an seine Grenzen. Pendeln um die Längsachse sowie heftiges Lenkerschlagen gehören dann zum Alltag. Außerdem ist die Bremsanlage – eine Scheibe vorn und eine Trommel hinten – hoffnungslos überfordert.
Sehr nützlich erwies sich der Austausch des Original-Ölpeilstabs durch einen Öltemperaturmeßstab der Firma RR. Denn fährt man mit Dauertempo 150 km/h auf der italienischen Autostrada durch den hochsommerlichen Apennin gen Süden, so wird einem wenigstens bewusst, dass die Öltemperatur doch bis außerhalb des Meßbereichs, der bei 140° C endet, steigt. Außerdem ist man bei Außentemperaturen von 5° C im herbstlichen Ammerland angehalten, dem Motor mindestens 10 Kilometer Warmfahrzeit zu gönnen.
Nach einem Frankreichurlaub durch die Normandie und die Bretagne bei einem Kilometerstand von ca. 34.000 waren dann die Gabelsimmerringe undicht. Die neuen halten bis heute. Im Frühjahr 1996 war es dann soweit. Anlässlich einer für den Sommer erneut geplanten Dolomitentour wurde die GS von 27 PS auf 42 PS entdrosselt. Mit 42 PS und vollbepackter Maschine lassen sich die Kasseler Berge eben doch leichter bewältigen. Die Arbeit war außerordentlich einfach: Es musste nur jeweils ein Kunststoffanschlag aus den Vergaserdeckeln entfernt werden. Der bürokratische Aufwand war jedoch enorm, weigerten sich die kittelbekleideten Offiziellen, die von mir selbst vorgenommene Entdrosselung in die Fahrzeugpapiere einzutragen. Die Bescheinigung eines Händlers war angeblich notwendig.
1997 erfüllte ich mir einen schon lange vorhandenen Traum. Ende Mai fuhr ich mit Franky zur Tourist Trophy auf die Isle of Man. Und weil es so schön war, folgten 1998 und 2000 weiterere Inselbesuche. Den „Mad Sunday” meidet man mit der 450er aber besser. Zu groß ist die Gefahr, aufgrund der mangelnden Höchstgeschwindigkeit von einem Anhänger der Knieschleiferfraktion von hinten aufgespießt zu werden, denn an diesem „verrückten Sonntag” zwischen Trainings- und Rennwoche wird für ein paar Stunden das Stück des Rennkurses von Ramsey bis Brandish Corner als Einbahnstraße ausgewiesen und jedermann kann sich als Rennfahrer betätigen.
Ich konnte sämtliche Urlaube aufgrund der soliden Technik meines Motorrades stressfrei erleben. Kein nennenswerter Defekt, der das Weiterkommen verhindert hätte. Obwohl manchmal schon ein mulmiges Gefühl aufkam, wenn man zum Beispiel im nördlichsten Schottland bei einem Kilometerstand von ca. 90.000 über Meilen hinweg an keinem einzigen Haus vorbeigefahren ist und die nächste Ortschaft mit Suzuki-Dealer mehr als 100 Meilen entfernt war. Und viel dichter war das Händlernetz im Jahr darauf in Norwegen auch nicht.
Nachdem Kilometer um Kilometer ohne nennenswerten Defekt zurückgelegt wurde, kam es eines Tages aber dann doch noch wie es kommen musste: 19. August 1999, Kilometerstand 94.705, Delmenhorst, Cramerstraße. Eine rote Ampel zwingt mich zum Anhalten. Andere Autofahrer stoppen hinter mir und ehe die Ampel wieder auf grün schaltet, werde ich durch einen kräftigen Stoß von hinten nach vorn katapultiert. Völlig unerwartet liege ich sofort auf der Nase. Meine Suzi hatte im rechten Heckbereich die Bekanntschaft mit einer Stoßstange gemacht und war danach auf die linke Seite umgekippt. Ich selber rettete mich durch eine Rolle vorwärts aus der Affäre. Prellungen und Verstauchungen waren zunächst vergessen. Mit Tränen in den Augen hob ich meine geliebte Suzi auf, sammelte das vom Motor abgeplatzte Emblem von der Straße auf und schob sie auf den Bürgersteig.
Der entstandene Schaden an meiner Maschine überstieg in der Summe erheblich den Wiederbeschaffungswert (d.h., wirtschaftlicher Totalschaden). Für mich war jedoch eines sofort klar: Auch wenn meine Suzi einige Beschädigungen erlitten hatte, einem Wiederaufbau zumindest in einen fahrbereiten Zustand mit kleinen optischen Mängeln stand aus meiner Sicht nichts im Wege.
Zwei Jahre später, 13.Oktober 2001: Es ist sicherlich einer der letzten sonnigen Samstagnachmittage in diesem Jahr. Heute ist es soweit! Wenn ich die große Runde fahre (Wardenburg-Großenkneten-Visbek-Wildeshausen-Ganderkesee), müsste es eigentlich passieren. Und zwischen Visbek und Wildeshausen ist es dann tatsächlich soweit: Der Kilometerzähler, schön altmodisch analog, zeigt die magische Zahl von 99.999,9. Also erstmal stoppen und zur Dokumentation ein Foto machen. Jetzt weitere 100 Meter fahren und… der Tacho springt auf Null zurück (bzw. vor).
100.000 Kilometer. Bei dieser Zahl schießen einem schon ein paar Gedanken durch den Kopf. Wieviel tausend Umdrehungen hat wohl der Motor während dieser Laufzeit gedreht? Wieviel tausend Mal haben die Ventile geöffnet, um gleich daraufhin wieder zu schließen? Wie sieht’s wohl im Inneren des Motors aus? War er doch noch nie offen – erste Kupplung, erste Kolben und erste Steuerkette. Was für Erlebnisse verbinde ich mit diesem Motorrad? Südtirol, Elba, Gardasee, DDR, Dänemark, Norwegen, Schottland, Bretagne, Assen, Isle of Man, Regenfahrten, Sandpisten, Gluthitze, Schneegestöber…
Wie lange macht es die Suzi wohl noch? Go, Suzi, go!