aus bma 09/05

von Jens Riedel / Berthold Reinken

Suzuki DL 650 V-Strom Sie hat eine erfolgreiche Mutter und zwei beliebte Schwestern, doch sie selbst hält sich eher versteckt. Die Rede ist von der Familie Suzuki, von der großen V-Strom und den beiden SV-650-Maschinen. Zu ihnen hat sich Anfang letzten Jahres als Nachzügler die DL 650 gesellt. Trotz ihrer hervorragenden Erbanlagen bleibt die kleine V-Strom bislang in unseren Breiten eine relativ seltene Erscheinung. Oder spielt da die optische Verwechslungsgefahr mit der 1000er der Wahrnehmung einen Streich? An der Maschine selbst jedenfalls kann es nicht liegen. Die V-Strom 650 überzeugte uns fast auf ganzer Linie.
Über 15 Jahre lang mußte Hondas Dauerläufer Transalp als zuverlässiger Tourer mit Enduroeinschlag in der Mittelklasse keine Konkurrenz fürchten. Eine Zeit lang hatte Suzuki sogar hartnäckig dementiert, der DL 1000 eine kleinere Version zur Seite zu stellen. Doch der Druck des deutschen Importeurs soll schließlich den Ausschlag gegeben haben.

 

Man muß schon genau hingucken, um im Vorbeihuschen die 650er von der 1000er zu unterscheiden. Die kleinere V-Strom hat zwar ein End-rohr weniger und verzichtet auf den Motorspoiler, aber ansonsten hat sie sehr viel mit der 1000er gemeinsam. Das fängt bei der Reifengröße und dem Gabeldurchmesser an und hört bei den Bremsscheiben und dem Lenker nicht auf. Mit 1540 Millimetern ist ihr Radstand sogar einen Hauch länger, auch wenn sie insgesamt um eben jenen Hauch wieder kürzer baut.
Das 90-Grad-V-2-Triebwerk ist aus der SV hinlänglich bekannt, wurde hier aber für den Einsatz im „Sport-Enduro-Tourer” (O-Ton Suzuki) auf eine etwas andere Leistungscharakteristik ausgelegt. Das Triebwerk mußte gegenüber den SV-Schwestern fünf PS abgeben, läuft dafür aber vor allem im unteren Drehzahlbereich ein wenig weicher. Die Jagd nach der Top-Speed ist ohnehin nicht die Sache der Suzuki. Sie ist vor allem für langes, entspanntes Reisen ausgelegt.
Die Benzineinspritzung nimmt die Arbeit mit einem automatischen Choke auf. Feinfühlig reagiert der Gasgriff auf die Befehle der rechten Hand und setzt sie sofort um. Dabei besticht der Motor vor allem durch seine gleichmäßige Leistungsentfaltung. Die 67 Pferde traben ganz genüßlich eins nach dem anderen an, ohne zu einer Herde wildgewordener Mustangs zu werden. Der brachiale Bumms der 1000er liegt der kleineren Ausgabe völlig fern. In der Ruhe liegt bei der DL 650 die Kraft. Die Drehmomentkurve verläuft erstaunlich gradlinig. Bereits ab 2500 Umdrehungen liegen stets über 50 Newtonmeter an und geben erst jenseits der 9000er-Marke klein bei. Ab 4000 U/min kann der Fahrer da getrost immer den nächsten Gang einlegen. Die Spitze ist bei 6400 U/min mit 60 Nm erreicht.
Suzuki DL 650 V-Strom Damit reicht die „Schwachstrom” natürlich der Großen an keiner Stelle das Wasser, doch mit 4,1 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 muß sie sich keineswegs verstecken und hat auf der Landstraße nichts zu fürchten. Selbst im sechsten Gang ist man stets Herr der Lage. Sollte es doch einmal etwas enger werden, dann reicht in der Regel einmaliges Runterschalten.
Der Motor faucht nicht und das Fahrwerk vibriert nicht. Die Suzuki läuft einfach nur ruhig und zieht kontinuierlich an. Das geschieht so unauffällig und souverän, daß der Tacho in der Regel 20 oder 30 km/h mehr anzeigt als subjektiv empfunden werden, denn auch akustisch hält sich die 650er V-Strom vornehm zurück. Da macht die Radar-Falle schnell ihrem Namen alle Ehre.
Die Kupplung gefällt durch annehmbare Kräfte und gute Dosierbarkeit. Das Getriebe rastet stets satt und sauber ein.
Auch das Fahrwerk bereitet die reinste Freude. Trotz des relativ hohen Schwerpunktes läßt sich die Maschine spielerisch von einem Eck ins andere werfen. Dabei ist sie nicht nur im engen Winkelwerk äußerst stabil. Auch in schnellen, langgezogenen Kurven wackelt nix. Die bestens bekannten Bridgestone Trail Wing-Reifen erweisen sich dabei auch im Falle der 650er als gutes Schuhwerk, das bei engeren Radien auch schön sportliche Schräglagen erlaubt.
Mehrere Tausend Kilometer legten wir mit der „Schwachstrom” zudem im 2-Personen-Betrieb zurück. Dabei überzeugte sie auch noch mit zusätzlichen 40 kg Gepäck. Derartig beladen ließ zum Beispiel unsere Transalp 650 keine Fahrfreude mehr aufkommen. Die DL 650 machte unter diesen Bedingungen sogar noch in den Bergen eine „super Figur”. Und die Sozia fühlte sich auf der Hinterbank immer pudelwohl.
Die 67 PS treiben die 213 Kilo schwere Fuhre letztendlich bis auf reale 180 oder 185 km/h. Dabei sind Reisegeschwindigkeiten von 150 und 160 auf der BAB durchaus drin, denn die Suzuki besticht vor allem durch eine ungemein entspannte Sitzposition. Der 760 Millimeter breite Lenker streckt sich dem Fahrer förmlich entgegen und liegt absolut locker in der Hand, will meinen, auf den Handgelenken lastet kein spürbarer Druck. Die V-Strom lädt geradezu zu langen Autobahnetappen ein. Im Zusammenspiel mit dem 22 Liter Tank und einem moderaten Verbrauch von 4,5 bis 5 Litern sind 400 Kilometer am Stück locker möglich.
Eine üppig dimensionierte Gepäckbrücke ist der V-Strom für die lange Reise bereits mit in die Wiege gelegt worden. Ebenso wie verstellbare Federelemente, wobei vor allem das frei zugängliche Stellrad für das hintere Federbein gefällt. Da paßt nur die Scheibe nicht so recht ins Bild. Sie nervte auf unserer Ausfahrt mit hohem Lärmpegel auf den Lauschern. Zum Glück ist das gute Stück dreifach verstellbar, wenngleich dieses Prozedere angesichts von zehn Schrauben reichlich Geduld erfordert. Doch wer einmal die für ihn richtige Einstellung gefunden hat, muß ja auch nicht noch einmal ran. Eine deutliche Verbesserung brachte die Vario-Scheibe von MRA, die wir gegen die serienmäßige austauschten. Wünschenswert für noch mehr Komfort wäre ein kleines Ablagefach in der Verkleidung, denn der Stauraum unter der Sitzbank ist nur mäßiger Standard. Und einen Hauptständer hat sie leider auch nicht. Dafür kann man für 130 Euro einen solchen von JF-Motorsport kaufen, mit dem sich die DL kinderleicht aufbocken läßt.
Suzuki DL 650 V-Strom Das Cockpit ist keine überfrachtete Spielekonsole und informiert erfreulich übersichtlich und sachlich über alle wichtigen Daten. Analog arbeitende Rundinstrumente werden durch digital funktionierende Tripmaster, Zeituhr, Kraftstoff- und Temperaturanzeige ergänzt. Und die hervorragenden Scheinwerfer sorgen nachts für erstklassige Straßenausleuchtung.
Verbesserungswürdig ist eigentlich nur die Vorderbremse. Sie hat keinen vernünftigen Druckpunkt und zwingt die 43-Millimeter-Gabel gerne etwas in die Knie. Hinten klappt das ganze jedenfalls viel besser. Dort nimmt auch Nissin die 260-Millimeter-Scheibe in die Zange, während sich vorne eine Tokico-Anlage die beiden Scheiben mit 310 mm Durchmessern schnappt.
Erfreulich lange lebte der Hinterradreifen. Erst nach 9000 Kilometern mit vielen Touren auf Schleifpapierstraßen in Südfrankreich mußte er getauscht werden. Der Vordere wurde gleich mit gewechselt. Zwar hätte er noch länger gehalten, aber die inzwischen entstandenen Sägezähne machten das Fahrwerk doch eine Spur unruhiger.
Zur Enduro taugt die DL – wie schon ihre große Schwester – nur bedingt. 160 bzw. 163 Millimeter Federweg lassen im wahrsten Sinne des Wortes keine allzu großen Sprünge zu. Für einen kurzen Abstecher auf unbebautes Terrain läßt sich die V-Strom aber gut nutzen. Vorne wie hinten läßt sich die Federvorspannung verstellen.
Wer nicht unbedingt auf supersportlichen Charakter Wert legt, sondern vor allem einen lässigen Begleiter für den Alltag und die große Reise sucht, der kann sich die über 2000 Euro mehr für die DL 1000 getrost sparen und ist mit der kleineren Ausgabe der V-Strom für 7500 Euro bestens bedient und für die Abgaszukunft durch den geregelten Kat gut vorbereitet. Und vom gesparten Geld läßt sich eine Menge nützliches Zubehör kaufen.

Technische Details:

Motor: 2-Zylinder-90-Grad-V-Motor
Hubraum: 645 cm3
max. Leistung: 49 kW (67 PS)
bei Drehzahl: 8800/min
max. Drehmoment: 60 Nm
bei Drehzahl: 6400/min
Bremsen: Doppelscheibe vorn, Einzelscheibe hinten
Sitzhöhe: 820 mm
Tankinhalt: 22 Liter, Benzin normal