aus bma 11/11 – Fahrbericht
von Klaus Herder
In Sachen Motorradästhetik habe ich meine ganz eigene Theorie, die da stark verkürzt lautet: „Je mehr Kilometer, desto weniger fürs Auge.“ Die beste Beweis für diese These war bislang die Suzuki V-Strom 650. Ich vermute, dass bereits bei der Entwicklung dieses Modells davon ausgegangen wurde, dass zukünftige Besitzer viel mehr Zeit auf dem Motorrad und weniger vor dem Motorrad verbringen würden. Also legte man sehr viel Wert auf so praktische Dinge wie bequeme Sitzposition, gelungene Motorcharakteristik, hohe Zuverlässigkeit sowie geringen Verbrauch und große Reichweite. Das kostet natürlich Zeit und Geld, also war es nur folgerichtig, dass man sich – sozusagen als Kompensation – den Designer sparte. Ist ja auch nichts Schlimmes, das Schätzchen verkaufte sich auch ohne schicke Schale ganz hervorragend.
Mittlerweile keimt in mir allerdings der Verdacht, dass es vielleicht doch eine richtige Suzuki-Designabteilung gibt, die neulich sogar mit der V-Strom zu tun hatte. Vielleicht war das B-King-Debakel der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und dafür sorgte, dass der gute Geschmack nach Hamamatsu zurückkehrte. Bester Beweis dafür: Die neue Suzuki V-Strom, Modelljahr 2012, die nach einem kräftigen Lifting und jeder Menge Modellpflege besser denn je daherkommt.
Was nicht ganz einfach war; denn die ab Ende 2003 verkaufte Vorgängerin legte die Latte mächtig hoch und setzte in der vermeintlich langweiligen Mittelklasse den Maßstab für einen bezahlbaren Alleskönner, bei dem Alltagstauglichkeit und Fahrspaß eine kaum für möglich gehaltene Allianz eingegangen waren. Einzig echter Kritikpunkt war das etwas uninspirierte Äußere. Und es ist bezeichnend, wenn man an einer Sache herumnörgeln musste, die eigentlich ausschließlich dem Auge des Betrachters vorbehalten bleiben sollte. Wobei: Über das Nicht-Design der alten V-Strom gab es eigentlich keine zwei Meinungen. Ihren zahlreichen Fans und Besitzern war es schlicht und einfach egal, da sie es beim Fahren ja nicht sehen mussten. Alle anderen waren sich im direkten Vergleich mit der MZ-Formensprache der frühen 80er-Jahre darin einig, dass in der Ostzone nicht alles schlecht war.
Wie auch immer, nach fast acht Jahren großflächigen Kanten-Designs sowie dem Ehrentitel „Hässlichster Auspuff aller Zeiten“ (und das soll etwas heißen, schließlich gab es mit der MZ ETZ 250 sehr harte Konkurrenz) war es im Sommer 2011 soweit: Kanten weg, Rundungen her. Tank und Frontverkleidung gerieten deutlich zierlicher, die Verkleidungsscheibe wanderte 30 mm in Richtung Fahrer, die beiden Scheinwerfer sind schmaler und bieten trotzdem die hervorragende Lichtausbeute der Vorgängerin. Der ebenfalls komplett neu geformte Auspuff ist gefühlte zweieinhalb Meter kürzer als bisher (der Trick: das Ding wurde einfach weiter nach vorn gesetzt), folgt endlich einer bewusst gesetzten Designlinie und wird von einer schmucken, liebevoll polierten Endkappe gekrönt. Der Schalldämpfer ist zwar aus schnödem Stahlblech gefertigt, aber wir spielen hier ja auch nicht in der Ü-10000-Euro-Liga. Irgendwoher muss der Preis von 8390 Euro (300 Euro mehr als bisher) ja auch kommen. Jede Menge schwarze Kunststoffteile mit unterschiedlicher Oberflächenstruktur lassen den Anteil von lackierten Verkleidungsteilen schrumpfen – die ganze Fuhre wirkt viel leichter und luftiger als bisher. Das Heck ist nun ebenfalls deutlich schlanker gezeichnet, und nette Details wie die abgesteppte und mit Logo versehene Sitzbank verwöhnen das Auge.
Eigentlich hätte es Suzuki mit dem Aufhübschen bewenden lassen können; denn in Sachen Technik bestand kein zwingender Handlungsbedarf. Der 1999 erstmalig in der SV 650 zum Einsatz gekommene V-Twin machte auch in der V-Strom einen hervorragenden Job, wurde immer wieder aktualisiert und war zuletzt mit G-Kat und Doppelzündung noch immer auf der Höhe der Zeit. Doch wo man sowieso schon schwer am Modellpflegen war, ging es auch dem Kurzhuber ans Gehäuse. Und das fiel den Suzuki-Technikern gar nicht übermäßig schwer, hatte man doch seit 2009 und dem Wechsel von der SV zur Gladius sowieso schon einen mächtig umgekrempelten und auf Drehmoment getrimmten Motor im Programm. Bohrung (81 mm), Hub (62,6 mm) und Zylinderwinkel (90 Grad) blieben zwar unverändert, aber neue Kolben und Zylinder, mehr Schwungmasse, leichtere Ventile und Federn, überarbeitete Nockenwellen, neue Einspritzdüsen, eine verbesserte Kupplung und „Kleinkram“ wie eine gleitfähigere Zylinderbeschichtung, ein von Kühlflüssigkeit umspülter Ölfilter und der Einsatz von leistungsfähigeren Iridium-Zündkerzen sorgen dafür, dass das V-Strom-Herz munterer denn je pochen kann. In der Gladius leistet der Motor 72 PS, für die neue V-Strom blieben davon 69 PS übrig, was immerhin noch zwei mehr als bisher sind. Bei der Nenndrehzahl von 8800/min änderte sich nichts, das maximale Drehmoment beträgt unverändert 60 Nm bei 6400/min. Aber es ging ja auch nicht um mehr Druck obenrum, Ziel der Aktion war mehr Saft und Kraft im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Und diese Nummer – so viel sei an dieser Stelle schon verraten – hat 100-prozentig geklappt.
Der Arbeitsplatz bekam ebenfalls eine Frischzellenkur verpasst. Am auffälligsten: das neue Cockpit. Links ein analoger Drehzahlmesser, rechts eine erfreulich übersichtliche LCD-Anzeige fürs Tempo. Die Helligkeit dieser Anzeige lässt sich regeln, eine Ganganzeige verrät, welche der sechs Fahrstufen gerade eingelegt ist. Bei Temperaturen unter drei Grad leuchtet eine Frost-Warnlampe, die dann so lange anbleibt, bis die Temperatur wieder über fünf Grad gestiegen ist. Über einen an der linken Lenkerarmatur sitzenden Schalter lässt sich durchs Display zappen. Im Programm sind Uhrzeit, Außentemperatur, Kilometerstände und eine erfreulich genaue Verbrauchsanzeige. Weckt die alte V-Strom bei bösen Buben vermutlich nur wenig Begehrlichkeiten, so könnte die Neue durchaus das Ziel illegalen Treibens sein. Deshalb spendierte Suzuki der 2012er eine elektronische Wegfahrsperre. Ein in den Zündschlüssel integrierter Chip prüft den ID-Code. Wer ohne diese Kombination am Zündschloss manipuliert oder einen nicht autorisierten Nachschlüssel verwendet, wird von der Zündung und der Einspritzanlage mit Nichtbeachtung und totaler Arbeitsverweigerung bestraft. Die zusätzliche Anschaffung eines soliden Bügel- oder Kettenschlosses ist trotzdem ratsam, denn besagte Ausstattungsneuheit heißt aus gutem Grund Wegfahr- und nicht Wegschiebesperre. Und gegen das bewährte Böse-Buben-Werkzeug namens Mercedes Sprinter hilft auch die tollste ID-Code-Chip-Mimik herzlich wenig.
Ebenfalls neu: die Tank/Sitzbank-Kombination. Der Spritbunker fasst nun nur noch 20 statt zuvor 22 Liter, was bei einem Verbrauch von meist deutlich unter fünf Litern nicht wirklich dramatisch sein sollte und den Vorteil hat, dass der Knieschluss spürbar besser ausfällt. Die neue, weicher gepolsterte und besonders im vorderen Bereich schlanker geformte Sitzbank ermöglicht auch kürzeren Fahrern sicheren Bodenkontakt beim Ampelstopp und beschert im Gegenzug auch langen Menschen einen langstreckentauglichen Kniewinkel. Wer partout nicht mit den 835 Millimetern Sitzhöhe der Serienbank klarkommt, findet im Suzuki-Zubehörprogramm zwei Möbel, die 20 Millimeter höher bzw. niedriger ausfallen. Ein bequemer Soziusplatz mit neuen, besser als bisher zu greifenden Haltebügeln ist in jedem Fall dabei. Der breite, angenehm gekröpfte Lenker liegt perfekt zur Hand. Die näher zum Fahrer gerückte Scheibe hält den Winddruck turbulenzarm von Kopf und Oberkörper fern und lässt sich nach dem Lösen von vier Schrauben zwei Zentimeter nach oben und unten versetzen. Unterm Strich ist die Sitzposition auf der neuen V-Strom etwas aktiver als auf dem alten Modell. Man sitzt jetzt mehr auf als im Motorrad, was bestens zum ebenfalls etwas dynamischeren Motor passt.
Besagter 90-Grad-V-Twin war schon immer ein Musterknabe in Sachen Startverhalten, und daran hat sich gottlob nichts geändert. Der Vierventiler läuft sofort rund, nimmt sauber Gas an und schnurrt fast so vibrationsarm wie ein Elektromotor. Bereits nach ein paar Metern fällt auf, dass es aus niedrigen Drehzahlen und auch im unteren Mittelfeld deutlich munterer als bisher vorangeht. Alles wirkt lebendiger und energischer, die 650er fühlt sich nach mehr Hubraum an. Auf dem Papier mögen die etwas höhere Leistung und das über den gesamten Drehzahlbereich leicht angehobene Drehmoment wenig spektakulär aussehen, doch in der Praxis ist das genau das Quäntchen Mehr-Druck, das den Unterschied zwischen „sehr gut“ und „perfekt“ ausmacht. Zwischen 5000 und 6000/min lässt der Motor ein ganz leichtes Kribbeln in Richtung Lenker und Fußrasten durch, das beim flotten Weiterdrehen genauso schnell wieder verschwindet, wie es aufgetaucht ist. Bis 8000 Touren legt der Motor noch kräftig zu, darüber hinaus braucht eigentlich nicht gedreht werden. Frühes Schalten beeinträchtig die flotte Gangart so gut wie gar nicht und wird mit besagten Minimal-Verbräuchen belohnt. Wer trotzdem etwas kräftiger an der Kordel zieht, bekommt die Tachoanzeige 200 zu sehen (was echten 185 km/h entsprechen dürfte) und treibt die Drehzahlmessernadel etwas über die 9000er-Marke. Die Begrenzer-Drehzahl von 10500/min bleibt aber so oder so ein eher theoretischer Wert. Die V-Strom mag und verträgt zwar hohe Drehzahlen, aber sie benötigt sie nicht unbedingt, um für sehr viel Fahrspaß zu sorgen. Souveränen Durchzug liefert der Twin auch bei niedrigen und mittleren Drehzahlen – eine sehr sympathische Motor-Charakteristik.
Mit dem Rundum-Wohlfühl-Programm geht es auch fahrwerksmäßig weiter. Der Alu-Brückenrahmen samt Alu-Schwinge, die Federelemente und auch die Räder stammen nahezu unverändert vom Vorgängermodell. Die ausschließlich in der Vorspannung verstellbare Telegabel und das in Vorspannung und Zugstufendämpfung zu variierende Zentralfederbein bieten eine sehr solide, alltagstaugliche Grundabstimmung, mit der man nichts verkehrt machen kann. Die Gabel spricht feinfühlig an, knallt auch bei derben Fahrbahnverwerfungen oder heftigsten Bremsmanövern nicht durch. Das Federbein macht auch dann keine Zicken, wenn der Beifahrer kein Fliegengewicht ist. In puncto Handlichkeit, Zielgenauigkeit und Neutralität legt die Neue mit ihrem narrensicheren Fahrverhalten sogar noch eins drauf und benimmt sich tadellos. Kein Aufstellen beim Bremsen in Schräglage, keine Empfindlichkeit auf Längsrillen, kein Aufschaukeln beim zügigen Schräglagenwechsel – einfach nichts, die fahrfertig 214 kg wiegende (und damit drei Kilo leichtere) Neue wuselt völlig problemlos um und über alles, was der öffentliche Straßenverkehr zu bieten hat. Einen gehörigen Anteil am tollen Fahrverhalten dürften auch die neuen Reifen haben. Die Bridgestone Trail Wing (altes Modell: Bridgestone Battle Wing) passen perfekt zur V-Strom. Ein kleinen Anteil am Mindergewicht hat das mit 0,7 kg nur noch halb so schwere ABS. Die Neuentwicklung von Bosch regelt den Bremsdruck noch schneller und sensibler, was sich durch ein deutlich stabileres Bremsverhalten auszahlt. Auch für die Stopper gilt: praktisch narrensicher.
Am Ende eines Tages mit der neuen V-Strom bleibt der Schreiberling etwas ratlos zurück; denn es gibt praktisch nichts mehr zu meckern. Konnte man sich bislang zumindest über das gewöhnungsbedürftige Äußere ereifern, fällt dieser ohnehin schon sehr relative Kritikpunkt seit Sommer 2011 weg. Es ist etwas frustrierend: Die Fuhre sieht wirklich manierlich aus. Der Motor funktioniert noch besser als bisher. Die Bremsen ebenfalls. Man sitzt noch besser drauf, das Fahrverhalten ist noch etwas problemloser, und der Preis ist immer noch fair. Außerdem bietet Suzuki ein üppig bestücktes Zubehörprogramm.
Gibt es denn gar nichts zu maulen? Oh doch: 6000er-Inspektionsintervalle sind heutzutage keine Glanzleistung; einen Hauptständer gibt’s nur im Zubehör und wenn er denn montiert ist, setzt sein Ausleger relativ früh auf. Außerdem ist der Kupplungshebel nicht verstellbar. Das sind ganze drei (!) knallharte Kritikpunkte. So bleibt glücklicherweise ja doch noch was für die nächste Modellpflege zu tun.
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Kommentare
3 Kommentare zu “Suzuki DL 650 V-Strom Modell 2012”
Der Motor könnte mir schon sehr gefallen. Was ich aber bei Reisemaschinen überhaupt nicht mag, sind diese sinnnlos hochgezogenen Auspufftöpfe, die den Anbau der Koffer stören bzw. dazu führen, dass der Koffer auf der Seiten einen unschönen Abstand zum Motorrad hat.
Außerdem mag ich solche endurohaften Sitzpositionen mit hohem und breitem Lenker nicht, aber das ist Geschmackssache.
Bericht V-Strom 2012
Hallo Herr Herder,
gut geschriebener Bericht, der Lust auf mehr macht.
Zu Ihren Kritikpunkten: Den Kupplungshebel kann ich verschmerzen, ebenso wie die 6000er Intervalle. Motorräder sollten eh 1 x im Jahr zur Wartung und ich schätze, dass 90% aller Moppedfahrer nicht mehr als diese KM-Leistung pro Jahr erreichen. Das der Hauptständer sehr früh aufsetzt wird mich wohl davon abhalten einen zu montieren. Da werde ich lieber beim Kettenspannen/-schmieren einen Motocross-Montageständer nehmen.
Vielen Dank für den Bericht und weiter so!
Beste Grüsse,
J. Möckel
Fahrbericht Suzuki DL 650 Modell 2012
Sehr geehrter Herr Herder,
nachdem ich bereits eine 2005-er und eine 2008-er Dl 650 ca. 15000 km gefahren und im Herbst 2011 die neue DL Probe gefahren bin, habe ich genau den gleichen Eindruck von der modellgepflegten Version bekommen und war ebenfalls etwas frustriert, da es nichts zu meckern gab und mir die Maschine zunächst etwas langweilig vorkam. Nach kurzer Überlegung wurde mir aber klar, dass die Neue genau meinen Vorstellungen entspricht.Besonders gilt dies für die wohl genaue Verbrauchsanzeige in Verbindung mit dem vergleichsweise geringen Benzinverbrauch.
Die Betrachtung diese Aspektes kommt mir ein bischen zu kurz in der Berichterstattung der Motorradmagazine, was wohl auch an dem zumindest in meinem Kreis der Motorradfahrer wenig ausgeprägtem Interesse daran liegen mag.
Mir gefällt die Suzi daher bezüglich Vielseitigkeit, Fahrspaß und Ökonomie derzeit am besten, so dass ich meine Alte in Zahlung gegeben habe und ab April mit der neuen unterwegs bin.
Abschließend will ich nicht vergessen anzumerken, dass mir Ihr Bericht sehr gut gefallen hat, da Sie im Unterschied zu anderen „Schreiberlingen“ eine Prise Humor mit einbringen,die auch an den Wahrnehmungen älterer Motorradfahrer der Motorradangebote der vergangenen Jahrzehnte anknüpft (MZ der 80-er Jahre…). Es würde mich freuen, wenn ich weiter solche Berichte von Ihnen lesen könnte!
In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Wünschen für eine schöne Motorradsaison 2012.
Matthias Heinold