aus Kradblatt 3/23 von Silencer, www.silencer137.com

Unscheinbarer Reisepartner

Sie sieht etwas verschroben aus,  glänzt aber durch Zuverlässigkeit und reisetaugliche Fahreigenschaften: Die Suzuki DL 650 „V-Strom“. Ein Erfahrungsbericht darüber, was sie kann – und was man ihr besser nicht zumuten sollte.

Im vollen Reise-Ornat: die Barocca - aka Suzuki DL 650 V-Strom
Im vollen Reise-Ornat: die Barocca – aka Suzuki DL 650 V-Strom

Was hat sich Suzuki nur bei diesem Design gedacht, fragt man sich unweigerlich, wenn man vor einer 650er Suzuki V-Strom der Baujahre 2004–2011 steht. Die weit hochgezogenen Doppelscheinwerfer wirken geradezu comichaft groß, die ausgestellten Lufteinlässe wie Schlechte-Laune-Mundwinkel.

Zusammen mit der breiten Frontverkleidung könnte die V-Strom eine bullige Erscheinung sein, würde nicht als Nächstes der schmale Unterbau ins Auge des Betrachters fallen: Das 19-Zoll-Vorderrad wirkt mit seiner 110er Breite wie ein Fahrradreifen, dahinter sitzt ein 90 Grad V-Motor, der eher niedlich als kraftvoll aussieht. Im Gesamteindruck wirkt die DL 650 damit wie ein Bodybuilder, der das Beintraining vernachlässigt hat. 

Das Aussehen ist nicht mal polarisierend im Sinne von „Man hasst es oder man liebt es“ – die meisten werfen einen Blick darauf und zucken mit den Schultern. Aber es ist eigenständig, und vor allem: Es fällt auf. 

Mir ist die V-Strom aufgefallen, als ich auf Touren im Ausland unterwegs war. In Südeuropa kommt einem an jeder Ecke eine DL 650 entgegen. Als bei mir dann die Anschaffung eines Motorrads für Reisen anstand, setzte ich mich beim Suzukihändler probeweise auf eine gebrauchte V-Strom des Baujahrs 2011 und wusste sofort: DAS ist mein Motorrad! Hier passte einfach alles und obwohl sie schon 35.000 Kilometer auf der Uhr hatte, kaufte ich die Maschine.

Das ist nun fünf Jahre her, und gemeinsam haben meine V-Strom, Spitzname „Barocca“, und ich rund 60.000 Kilometer in ganz Europa zurückgelegt. Dabei hat mich die Maschine immer wieder überrascht, und zwar im Positiven. 

Suzuki DL 650 V-Strom in Griechenland
Unterwegs in Griechenland

Viel Licht, wenig Schatten. Fangen wir erst einmal mit den nicht so tollen Dingen an. Das Fahrwerk ist ab Werk recht weich, die beiden Scheibenbremsen einen Tick zu schwammig und der 650er Motor ist vieles, aber sicher kein Drehmomentwunder. Das wird besonders diejenigen enttäuscht haben, die auf Suzukis Werbung für die V-Strom als „Sports Adventure Bike“ oder „Enduro Tourer“ reingefallen sind. Das ist schlicht Marketinggewäsch, die V-Strom ist weder auf der Rennstrecke noch im Gelände zu Hause, dafür sind die 69 PS zu wenig und das stattliche Gewicht von fast 220 Kilogramm (mit vollem Tank) zu viel. Die gute Nachricht: Die V-Strom meistert alles zwischen diesen beiden Extremen grandios. Ihre Heimat ist die Straße, und dabei ist es egal, ob die aus feinstem Asphalt, Bröckelteer oder Schotter besteht. Die V-Strom ist gemacht um Kilometer abzureißen, und das tut sie auf Fernreisen genauso gut wie im täglichen Einsatz auf dem Weg zur Arbeit. 

Dass sich die V-Strom universell eignet, liegt vor allem an zwei Dingen: Sie ist ab Werk recht spartanisch ausgestattet, Käufer können aber auf einen riesigen Zubehörmarkt zurückgreifen. Damit lässt sich die Suzuki günstig anschaffen und individuell nach den eigenen Bedürfnissen ausrüsten. Zweitens, und das ist noch viel wichtiger: Die Maschine ist überaus zuverlässig. 

Vereinzelt hört man von Problemen mit losen Magneten in der Lichtmaschine oder von defekten Steckverbindungen in der Elektrik, aber das scheinen Einzelfälle zu sein und betrifft meist Maschinen der frühen Baujahre, zwischen 2004 und 2008. 

Frisch: TRW-Bremsscheiben
Frisch: TRW-Bremsscheiben

Die V-Strom lässt ihre Besitzer:innen selten im Stich. Der wassergekühlte Viertakt-Zweizylinder wird von Suzuki u. a. auch in der SV verbaut und seit 2002 kontinuierlich weiterentwickelt, was deutlich zu merken ist. Bei meiner 2011er sind Kinderkrankheiten wie Zündungsprobleme nach Regenfahrten lange passé, der V-Twin gilt als unverwüstlich. Zwar fühlt sich der Lauf immer etwas rappelig an, besonders beim Beschleunigen, aber das hat Suzuki bei späteren Modellen mit besseren Schwingungsdämpfern adressiert. 

Die Wartungsintervalle sind mit 6.000 Kilometern verhältnismäßig kurz, was für Langstreckentouren ein Ärgernis ist – bei meinen Fahrleistungen muss meine V-Strom in manchen Jahren gleich drei Mal in die Inspektion. Zum Glück sind die Intervalle für die Einstellung des Ventilspiels mit 24.000 Kilometern etwas großzügiger. Mangels Zeit und Könnens lasse ich grundsätzlich alle Wartungsarbeiten in einer freien Werkstatt machen, aber außer den üblichen Verschleißteilen gab es für die bislang wenig zu tun. Die V-Strom ist günstig im Unterhalt, ein paar Euro mehr mussten lediglich investiert werden, als nach 80.000 Kilometern eine Dichtung am Ölkühler zu lecken begann und die Staubkappen der Gabel langsam porös wurden, und als nach 95.000 Kilometern die Bremsscheiben erneuert werden mussten. Jetzt bremst die Barocca mit Scheiben und Belägen von TRW, die bei gleicher Qualität nur ungefähr halb so viel Kosten wie die Originale und, zumindest im vergangenen Herbst, auch sofort verfügbar waren, während Suzuki Lieferzeiten von einer Woche und mehr prognostizierte.

Die V-Strom hat mich bislang nie im Stich gelassen. Weder bei Hitze jenseits der 40 Grad in Süditalien noch bei frostigen Minusgraden in den Alpen, weder nach tagelangen Fahrten im Regen in Kroatien, noch in Sand und Staub in Griechenland oder den sturmumtosten Highlands von Schottland. 

Suzuki DL 650 V-Strom in der Toskana
Die Barocca in der Toskana

Reisemaschine. Die Aufzählung deutet es an: Ich nutze meine DL 650 als Reisemaschine. Dafür ist sie perfekt geeignet. Ein voluminöses Heckbürzel und Fächer unter der Sitzbank bieten viel Platz, etwas für Werkzeug und Reifenflickzeug. Der sparsame Motor schluckt sowohl E5 als auch E10 und sorgt in Kombination mit den schmalen Reifen für einen Durchschnittsverbrauch von 4,2 Liter. Jenseits Tempo 130 fängt die Kiste richtig an zu schlucken und klettert auch über fünf Liter, auf Landstraßen nimmt sie dagegen deutlich unter vier Liter. Da der Tank rund 22 Liter fasst, kommt die V-Strom auf eine maximale Reichweite von über 500 Kilometern. 

Praktisch: Scheibenwinkel-Verstellung
Praktisch: Scheibenwinkel-Verstellung

Überraschend: Ich kann mehr als das Doppelte dieser Reichweite an einem Tag runterreißen, ohne mit Rücken- oder sonstigen Schmerzen aus dem Sattel zu kippen. Das liegt maßgeblich an der stattlichen Größe der Maschine. Mit 2,29 Metern Länge ist die 650er V-Strom größer als eine aktuelle GS 1250 Adventure. Die schiere Größe ermöglicht eine entspannte und aufrechte Sitzhaltung mit einem großen Kniewinkel. In so einer entspannten Haltung lassen sich bequem auch lange Strecken zurücklegen. 

Trotz dieser stattlichen Größe ist die V-Strom sehr handlich zu bewegen, und das hat mich wirklich überrascht. Auf kurvenreichen Bergstraßen tanzt sie leichtfüßig durch die Serpentinen, schnelle Lastwechsel sind ohne Verzögerung möglich und selbst sanfte Lenkimpulse werden ohne Kraftaufwand mit fantastischen Schräglagen belohnt. Nicht umsonst war die Maschine mehrfache Gewinnerin der Alpen Masters.

Für schnelle Überholmanöver wünscht man sich zwar manchmal etwas mehr Drehmoment, aber weil die V-Strom so beweglich ist, reichen für das Abfeiern von Kurvenfesten die 650 Kubikzentimeter Hubraum völlig aus. 

Schmal: SW MoTech Kofferträger
Schmal: SW MoTech Kofferträger

Bitte nicht nachmachen! Die agilen Fahreigenschaften gehen zum großen Teil verloren, wenn man die DL650 tieferlegt. Ich bin 1,70 Meter groß und dachte, dass die große V-Strom mit ihren 82 Zentimetern Sitzhöhe zu hoch für mich sei, um sie sicher manövrieren und rangieren zu können. Eine Tieferlegung um 3 Zentimeter erfolgte einfach über den Austausch der Umlenkhebel und war schnell gemacht, aber damit fingen die Probleme an. Nicht nur, dass der Hauptständer durch die veränderte Geometrie unbrauchbar wurde und die Maschine beim Fahren über kleinste Hindernisse aufsetzte, auch die Kurvenfreiheit wurde stark eingeschränkt, weil entweder Auspuff oder Seitenständer Funken auf dem Asphalt schlugen. Entnervt baute ich nach zwei Jahren die Tieferlegung wieder aus und arrangiere mich seither damit, dass ich nur noch mit den Fußballen auf den Boden komme und beim Rangieren vorsichtiger sein muss. Das funktioniert gut, und als Belohnung habe ich deutlich mehr Freude am Fahren jener Kurven, in denen die V-Strom so zu Hause ist.

Schutz: Sturzbügel von GIVI
Schutz: Sturzbügel von GIVI

Sinnvolles Zubehör. Die V-Strom wird durch Zubehör erst richtig schön, und davon gibt es reichlich. Zu den absolut sinnvollen Ergänzungen gehören neben einem Hauptständer auch hochgezogene Sturzbügel, wie es sie von Givi oder SW-Motech gibt, und die bei Umfallern Verkleidung und Tank schützen – etwas, das der Original Suzuki-Schutz nicht hinbekommt. 

Absolutes Must-have ist die Verlängerung des vorderen Schutzblechs. Ölfilter und -kühler sowie der Wasserkühler sind im Auslieferungszustand nämlich völlig ungeschützt, eine Verlängerung hält zumindest einen guten Teil Dreck und Steine von diesen empfindlichen Teilen ab. Wer öfter auf Schotter unterwegs ist, wird schnell in einen zusätzlichen Kühlerschutz investieren. Meine Barocca trägt außerdem einen Motorschutz mit Skidplate aus Alu, gefertigt von der tschechischen Manufaktur Marselus.

Stabil: Alu-Motorschutz
Stabil: Alu-Motorschutz

Ebenfalls sinnvoll sind ein besseres Fahrwerk und Stahlflex-Bremsleitungen. Andere V-Strom-Fahrer berichten davon, dass Wilbers-Federn Wunder für das Fahrgefühl wirken und Stahlflex der Bremsanlage ihre Schwammigkeit zwar nicht ganz austreiben können, den Druckpunkt aber leicht verbessern. Beide Investitionen habe ich bislang gescheut, weil die Kosten nicht ganz ohne sind und ich mit Serien-Fahrwerk und -Bremse leben kann. Lediglich die Gabel der Barocca hat nach 80.000 Kilometern eine Revision und festeres Öl bekommen, was ein spürbar strafferes Dämpfungsverhalten zu Folge hatte.

Womit nahezu alle Fahrer:innen einer V-Strom zu kämpfen haben, sind Luftverwirbelungen. Die entstehen an der Scheibe, die sich zwar standardmäßig in der Höhe, aber nicht im Winkel verstellen lässt. Schon ab 80 km/h fühlt sich das an, als ob einem jemand am Kopf herumreißt. 

Statt ein schrankwandgroßes Windschild zu installieren, wie man es an vielen V-Stroms sieht, habe ich eine Halterung der amerikanischen Firma MadStad importiert. Mit der lässt sich die Scheibe kippen, und eine Veränderung um wenige Grad lenkt den Luftstrom über die Schultern hinweg und sorgt für Ruhe am Helm.

Bequem: CLS-Kettenöler
Bequem: CLS-Kettenöler

Für lange Touren sind Handprotektoren und eine Griffheizung unbedingt empfehlenswert, ich fahre hier mit unzerstörbaren Barkbusters und kann die Heizung von CLS empfehlen. Kofferhalterungen gibt es von mehreren Herstellern, der Hauptunterschied besteht darin, wie breit die bauen. Die „Evo“-Kofferhalterung von SW-Motech liegt eng an und lässt sich bei Nichtgebrauch mit wenigen Handgriffen abnehmen. 

Weil ich ein bequemer Mensch bin, hat meine V-Strom noch einen elek­tronischen Kettenöler von CLS verbaut bekommen. Durch den braucht die DID-Kette praktisch keine zusätzliche Pflege, ich habe bislang während 60.000 km nur zwei Kettensätze durchgeraucht. 

Hinter Gittern: Kühlerschutz gegen Steinschlagschäden
Hinter Gittern: Kühlerschutz gegen Steinschlagschäden

Für Tourenfahrer:innen, die hauptsächlich auf Asphalt und Schotter unterwegs sind, ebenfalls empfehlenswert: Der Tourance Next von Metzeler als Bereifung. Die Tourenreifen kleben selbst bei Regen am Asphalt, zeigen sich in Kurven äußerst beweglich und erreichen fantastische, fünfstellige Laufleistungen. Bei meiner Fahrweise komme ich an 15.000 Kilometer heran, selbst auf dem gummifressenden Asphalt in den Vogesen. Mit den neuen Tourance Next 2 wird die Barocca 2023 dann die 100.000 Kilometer knacken – wir haben in diesem Jahr noch viel vor. 

Würde ich sie noch einmal kaufen? Nach fünf Jahren und 60.000 Kilometern die Frage: Würde ich noch einmal eine 650er V-Strom kaufen? Ohne zu zögern kann ich sagen: Sofort! 

Meine 2011er Barocca stellt die Summe von all dem dar, was ich in einem Reisemotorrad suche. Die perfekt auf meine Bedürfnisse abgestimmte Ausstattung, die entspannte Haltung beim Fahren, der Fahrspaß durch die leichte Beherrschbarkeit, dazu eine ausgezeichnete Zuverlässigkeit der wartungsarmen Technik – das alles sorgt dafür, dass meine Suzuki DL 650 V-Strom gerade die ideale Reisebegleiterin ist. Auch wenn ich mich immer noch frage, was Suzuki geritten hat, als die dieses Design verbrochen haben.

Silencer137

Besucht den Silencer auch online in seinem Blog. Dort gibt es interessante Reisegeschichten, Bilder und Gedanken: www.silencer137.com.


Nachtrag vom 13.6.2023

Mittlerweile hat der Silencer137 die 100.000 km mit seiner Suzuki V-Strom voll gemacht.
Natürlich auch wieder auf einer Reise.

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