aus bma 08/02

von Jens Riedel

Erst lehren die Banditen den Diversions das Fürchten und rufen die Fazers auf den Plan, um die Attacke abzuwehren; dann wildern kleine SVs im Reich der Monsters, und nun setzen die Konstrukteure aus Hamamatsu endlich auch Deutschland beliebtestem Motorrad eine schlagkräftige Antwort entgegen. DL 1000 V-Strom heißt die neue Speerspitze, die 1150 GS und Co. das Fürchten lehren soll. Irgendwie lag die V-Strom ja längst in der Luft, schließlich hatten die Cagiva-Mannen mit der Navigator schon vorgemacht, wie man den Motor der recht glücklosen TL 1000 S bestens mit einer Reiseenduro paart. Warum sich also die Butter vom Brot nehmen lassen?
Da steht sie nun also bei Motor-Service Hohls in Bergen, wo man uns die Testmaschine zur Verfügung stellte: Auf den ersten Blick wirkt die DL 1000 – so die offizielle Werksbezeichnung – in natura zierlicher als von Fotos her vermutet. Sie kommt weit weniger ausladend als GS, Tiger oder Varadero daher. Die Silhouette ist trotz Doppelscheinwerfer schmal geraten. Die schlanke Linie setzt sich nach hinten fort, wo sich die beiden Endschalldämpfer eng an den Rahmen schmiegen. Schnell verfliegt der Gedanke, es hier mit einer Enduro zu tun zu haben. 160 Millimeter Federweg vorn und noch einmal drei Millimeter mehr hinten sprechen ebenso dagegen wie das merklich sportlich-straff ausgelegte Fahrwerk. Die V-Strom scheint mehr auf die TDM zu zielen. Ein Indiz dafür ist auch das niedrige Gewicht. Voll getankt wuppt die Suzi gerade einmal 233 Kilogramm auf die Waage und damit bis zu gut 60 Pfund weniger als Caponord und Co. allein schon an Leergewicht (!) mitbringen. Auch der Bug-Spoiler statt einer Alu-Platte unter dem tief hängenden und nur halb geschützten Ölkühler deutet klar Richtung Straßenasphalt statt Schotterpiste.

 

Eine deutliche Sprache spricht auch der Klang, der den beiden Endrohren entweicht, wenn man den V-Twin mit elektronischer Warmlaufsteuerung ohne Choke zum Leben erweckt. Das ist mehr als kernig und erinnert schon fast an das Bratzen eines Einzylinders. Wo Sport drin steckt, kommt auch Sport raus. Unter 3000 U/min schüttelt sich das Triebwerk ein wenig und bis 4000 gibt sich die DL 1000 eher ruppig. Irgendwie wird man zu Anfang das Gefühl nicht los, der Bug-Spoiler würde vibrieren (was natürlich reine Einbildung ist).
Ist die Betriebstemperatur erreicht, spricht die Maschine spontan auf jeden kleinen Lupf am Gasgriff an. Ab 3500 U/min geht’s einfach nur noch vorwärts. Und zwar dermaßen angenehm unauffällig, dass man ständig aufpassen muss, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Kurz den 3. und 4. Gang eingelegt und schon ist man jenseits der 120 km/h, wobei ab 6500 Umdrehungen der Motor noch einmal doppelt lebendig wird. Das Faszinierende ist die konstante Leistungsentfaltung. Auch der zweite Schub ab etwa 6500 U/min setzt nicht brachial, sondern lässig ein. In der Ruhe liegt die Kraft. Die Fahrkultur ist einfach beeindruckend.
Trotzdem ist das 98-PS-Aggregat kein Langweiler. Es macht einfach Spaß, am rechten Griff zu drehen und souverän die Autokolonnen auf der Landstraße rechts liegen zu lassen. Ab 4000 liegen ständig über 90 Newtonmeter auf der Kurbelwelle, das maximale Drehmoment gibt Suzuki mit 101 Nm bei 6400 Umdrehungen an und stellt sich mit diesem Wert an die Spitze der Konkurrenz. Auch beim Durchzug von 50 auf 120 km/h sticht Suzukis neuer Trumpf alle Mitbewerber aus.
Dennoch ist es so gut wie unmöglich, die Nadel in den roten Bereich von 9500 U/min zu bringen. Irgendwo haben die Ingenieure den Daumen drauf gehalten. Der klassische Sprintwert für die Zeit bis Tempo 100 ist mit 3,7 Sekunden klassenübliches Niveau. Die Endgeschwindigkeit von angegeben 208 km/h liegt weit unter den Papierwerten der V-Strom. Theoretisch wären über 230 im fünften und 270 Spitze im sechsten Gang drin, doch die DL 1000 versteht sich mehr aufs Reisen statt aufs Rasen (wenn man von den mühelosen Überholsprints auf der Landstraße absieht). Ein klares Indiz dafür ist auch der als Overdrive ausgelegte sechste Gang. Er begnügt sich bei BAB-Richtgeschwindigkeit mit 4000 Umdrehungen und kommt auch bei 190 km/h nicht über 6500 U/min hinaus. Ohnehin gerät man erst jenseits der 150 Sachen ernsthaft in Versuchung die letzte Getriebestufe zu wählen. Im Prinzip reichen die Gänge Drei und Vier so gut wie für fast jede Alltagssituation völlig aus.
Die V-Strom fährt sich wie von selbst. Selbst ungeübte Fahrer kommen auf Anhieb mit ihr klar. Ein kurzer Druck gegen den Tank, ein leichter Lenkeinschlag und das Motorrad fährt punktgenau dorthin, wohin man es haben will. Selbst von Lastwechselreaktionen lässt sich die Fuhre nicht beeindrucken und bleibt stur auf der einmal gewählten Linie. Erst ab 180 km/h macht sich das Fahrwerk überhaupt einmal wenig bemerkbar und verlangt nach etwas Aufmerksamkeit. Nein, kein Pendeln, keine Unruhe, man merkt einfach nur, dass serienmäßig H-Reifen aufgezogen sind, die ja „nur” für eine Top-Speed von 210 ausgelegt sind.
Die Sitzposition kann man nur als perfekt bezeichnen. Der breite Lenker liegt gut in der Hand, die Knie finden sofort Halt, ohne dass es irgendwo drückt. Der Fahrer sitzt weder „in” noch thront er „auf” der Maschine, sondern er nimmt einfach nur tadellos Platz. Das merkt man vor allem dann, wenn man gleich danach wieder auf sein eigenes Motorrad umsteigt, das sich plötzlich ungewohnt komisch anfühlt. Der Blick des Piloten fällt bei der DL 1000 auf zwei gefällige mit silbernem Plastikrand umlegte Rundinstrumente, die direkt aus dem Mini One oder dem VW-Regal stammen könnten. Einfach nur ebenso so schnörkellos schlicht wie schön. Zwei Tagestrip-Zähler sind ebenso selbstverständlich an Bord wie digitale Uhr, digitale Temperatur- und Tankanzeige. Zwischen Tacho und Drehzahlmesser liegen acht Anzeigelämpchen. Die Kontrolle nach hinten geht ebenfalls in Ordnung. Die Rückspiegel funktionieren nach dem bekannten Prinzip: quadratisch, praktisch, gut. Apropos Kontrollleuchten. Wer zum ersten Mal den Overdrive einrasten lässt, kriegt einen Schreck, denn im Cockpit brennt’s plötzlich Grün. Ups, plötzlich im Leerlauf gelandet? Nein, über der Neutral-Leuchte liegt noch ein Lämpchen für die Schonganganzeige. Das hilft, denn wer mit der Suzi erst einmal in Fahrt ist, der hat schnell vergessen, in welcher Getriebestufe er gerade unterwegs, denn es spielt oft keine Rolle, ob man nun gerade im dritten, vierten oder fünften Gang dem V2 die Sporen gibt. Ausreichend Leistung gibt es überall. Keine Frage, die V-Strom ist ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, wobei sich gerade dort der kernige Sound besonders schön anhört.
Nicht ganz so harmonisch präsentieren sich die drei Stopper. Die beiden 310-Millimeter-Doppelkolbenzangen vorne verlangen nach einer nicht zu zaghaften Hand, arbeiten aber zu vollster Zufriedenheit. Auf dem Bremspedal hingegen verspürt man keinen Druckpunkt. Die hintere Verzögerung unterstützt absolut unauffällig und es besteht so gut wie keine Gefahr, das 17-Zoll-Hinterrad zum Blockieren zu bringen. Etwas schwerfällig gibt sich auch die Kupplung. Mühelosem Auskuppeln steht ein spürbar kräftiger Zug beim Loslassen des vierfach verstellbaren Hebels entgegen. Mit Warnblinker und Drei-Wege-Kat plus Sekundärluftsystem lässt die V-Strom bis auf eine Steckdose (wer’s denn braucht) und einen Hauptständer so gut wie keine Wünsche offen. Sogar eine Schlaufe für das Helmschloss liefert das Werk mit. Die Scheibe schützt recht ordentlich, der Sozius hat ebenfalls ausreichend Platz, stört sich aber etwas an dem nicht ganz ausreichenden Abstand von Fahrer- und Beifahrerfußrasten. Die Gepäckplatte ist üppig dimensioniert. Wenig Vertrauen erwecken hingegen die zackebartigen Haken für die Zurrgurte, die wie Haifischzähne nach unten hin spitz zulaufen. Da hat man ein wenig zu sehr der übrigen Formensprache der Suzuki Tribut gezollt. Ganz außer Acht gelassen hat man das Design hingegen bei den vorderen Blinkern, die lieblos da angebracht wurden, wo noch Platz war, und neben dem markanten Scheinwerfergesicht absolut verloren wirken.
Doch das sind nur Peanuts, denn welches Motorrad ist schon absolut perfekt? Suzuki hat mit der DL1000 V-Strom jedenfalls einen Meilenstein auf die Räder gestellt, der schon fast eine eigene Gattung darstellt, weder richtig Enduro noch richtig Sportler, aber auf alle Fälle ein Motorrad mit ungeahntem Spaßpotenzial, faszinierender Fahrdynamik und Tourerqualitäten ist. Mag das Äußere nicht unbedingt polarisieren, eine Probefahrt wird es mit Sicherheit. Doch Vorsicht: Es besteht absolute Suchtgefahr!
9990 Euro lautet die Antwort auf die berühmte Preisfrage. Nicht geklärt werden konnte jedoch, woher die Neue ihren Namen hat. Mancher liest im ersten Eifer des Gefechts vielleicht sogar V-Storm, was ja noch Sinn machen würde, aber die offizielle Bezeichnung lautet tatsächlich V-Strom. Auch das Englisch-Lexikon hilft nicht weiter (woran wohl auch niemand im Ernst gedacht hat). Doch Redaktionschef Berthold Reinken weiß Rat und hat eine verblüffende Erklärung parat: Wenn man das ganze rückwärts liest, kommt man auf „Mords-Vau”!