aus bma 1/00

von Jan Hübner

„Nein, kann ich nicht” hörte ich mich nur sagen. Und damit war der Knoten geplatzt. Ich hatte gerade einen Kunden recht unsanft vor den Kopf gestoßen. Die Stille, die uns nun umgab, wurde nur durch den prasselnden Regen an der Scheibe und das leise Hämmern meiner Kopfschmerzen unterbrochen. Ein derart pampiges Verhalten brachte meine schlechte Laune geradewegs heraus. Ok, so konnte es nicht weitergehen, das war mir jetzt klar. Der Winter hatte zwar gerade erst begonnen, aber die Vorstellung, dass ich fünf Monate ohne mein geliebtes Bike auskommen sollte, war einfach deprimierend. Nur die Aussicht auf ein baldiges Wochenende ließ mich bis zum Feierabend durchhalten.
Der Heimweg führte mich an der Tanke vorbei. Als ich die Zapfpistole in meinen Golf steckte, drehte ich mich bedingt durch ein wohliges Geräusch herum. Tatsächlich war da jemand bei Temperaturen knapp über Null Grad mit dem Moped unterwegs. Es war zwar nur eine alte BMW (sorry Jungs, nicht böse sein), aber immerhin. Der Fahrer war nicht zum Moped-Junkie verkommen wie ich. Er führte sich die Droge zur Befriedigung seiner Moped-Sucht konstant zu. Ein kurzes Nachdenken über mein Suchtverhalten wurde durch das Ausschalten seiner Heizgriffe im Keime erstickt.
Nein, das war wie ein Nikotinpflaster unter den Fußsohlen bei einem ordentlichen Schmachter oder wie ein Holsten Alkoholfrei – kurz, es bringt mir nichts. Ich wollte nicht in der Thermokombi, vollverkleidet und mit Heizgriffen durch die Gegend fahren.
Und eigentlich tut so eine Winterpause ganz gut; das ist genau wie mit dem Sex: gewisse kleine Pausen bringen neuen Schwung in die Sache. Aber mussten es denn fünf Monate sein? Ich bezahlte und gönnte mir zum Feierabend noch eine Moped-Zeitung. Ja, ich geb’s zu, die leicht bekleidete Dame auf der Titelseite hat mein Kaufverhalten ein wenig beeinflusst. Am nächsten Tag sah die Welt dann schon ein wenig besser aus. Es war Wochenende und ich ging in den Schuppen zu meinem Moped. Von einem Laken abgedeckt stand sie da, meine Bandit, aber allein war sie nicht. Das Moped meiner Freundin erlitt das gleiche Schicksal, es war auch in den Winterschlaf versetzt.
Im Radio gab gerade Lenny Krevitz sein „I wanna fly to the sky” zum Besten. Und ich schnappte mir meine Moped-Zeitschrift. Da blieb mir fast das Bier im Hals stecken. Teufel! Was war denn das?! Jetzt glaubte ich wieder an die Liebe auf den ersten Blick. Die Leute von Mizu hatten ein absolut geiles Bike konzipiert. Eine Bandit im Fly-Design. Zwei schlitzige Augen schielten mich fies an, und die Spiegel sahen aus wie die Fühler einer Fliege. Da war auf einmal klar, was der Winter mir bringen sollte. Ich hatte wieder eine Aufgabe. Ein Licht am Ende eines langen und dunklen Tunnels! Wie ein kleiner Junge heckte ich akribisch genau aus, wie ich meine Bandit umbauen würde.

 

Sie war ein schönes Moped. Ein wenig war sie wie mein Golf, sie hatte von allem etwas. Man konnte gut touren – das war ok wenn ich mit meiner Freundin unterwegs war. Auch hatte sie Erbanlagen aus der GSX-R-Serie – das war von Vorteil, wenn ich mit den Jungs unterwegs war. Nur sah sie etwas – na wie soll ich sagen – normal aus. Das störte ganz besonders auf den Treffen. Nun, die Entscheidung war getroffen.
Wäre da nur nicht der stattliche Preis gewesen. Doch dieses Problem sollte sich schneller als erwartet lösen. Eine kräftige Kurssteigerung meines bescheidenen Aktienpaketes sorgte für die finanzielle Grundlage. Mit neuen Barmitteln ausgestattet ging es an die Bestellung. Leider hatten vor mir auch andere die Idee. So bekam ich am Telefon zu hören, dass ich gerade in eine Warteschleife eingetreten sei. In ein paar Wochen könne ich mit den Teilen rechnen!
Weihnachten stand vor der Tür, und meine Freundin hatte eine lange Wunschliste; mein Etat für die Bandit drohte zu schrumpfen. Doch bis auf eine Playstation, die uns auch im kalten Winter das imaginäre Gefühl von Wheelies erfahren ließ, blieb das Finanzbudget unangetastet. Nun wurden unsere wöchentlichen Ausfahrten elektronisch abgehalten – Road rash 3D avancierte zu unserem Leib- und Magenspiel.
In Neumünster auf dem Motorrad-Weihnachtsmarkt sah ich dann meine Bandit zum ersten Mal in natura im Fly-Design. Ich wusste sofort, dass meine Entscheidung richtig war. Mein Interesse an diesem streetfighter-ähnlichen Gebilde wurde von meinen Kumpels doch mit Merkwürden zur Kenntnis genommen. Aber ich wollte mein kleines Geheimnis nicht schon jetzt preisgeben. Noch schnell ein paar Fotos für die Nachttischschublade geschossen und dann weiter.
An dem Tag, als der Postbote mir ein großes Paket brachte, regnete es mal wieder. Die Teile waren endlich da. Es war Januar und bis Ostern hatte ich noch gut Zeit. Eigentlich wollte ich die Sachen schnell selber anschrauben, aber der Umbau erwies sich komplizierter als gedacht. Gabelbrücke runter, Bremsen ab… Wenn es ums Heizen geht, habe ich immer ’ne große Klappe, aber meine Schraubertalente reduzieren sich auf’s Kettespannen und Luftdruckprüfen.
Halb so schlimm, es war ja schließlich Winter. Und zu dieser Jahreszeit hatte das Wort „Winterpreis” eine vielversprechende Bedeutung. Die ansonsten recht ätzende Werbung vom Media Markt hat in einem Punkt recht: Wer nicht vergleicht ist blöd!
So einfach, wie es auf den Fotos vielleicht aussehen mag, war der Umbau leider nicht. Es ging schon beim Lackieren der Verkleidung los. Ich brauchte nur einen Mückenpiss von Lack. Aber was war denn die „ kleinste handelbare Einheit”? Und wieso gibt es in ganz Deutschland nur einen Hersteller, der für Suzuki Lacke verkauft? Hatte er die Preise etwa ausgewürfelt? Naja, nützt nichts. Mit dem bestellten Pott Farbe hätte ich ein ganzes Auto spritzen können.
Nun waren die Lacker gefragt. Die meisten waren aber nur Lackaffen. Ich wollte nicht deren Laden mieten, sondern nur ein winziges Teil lackiert haben. Die Preise lagen zwischen 100 und 400 DM. Ein Fockbeker Lacker bekam dann bei 85 DM den Zuschlag. Und er hat die Arbeit sehr gut hinbekommen, ich war zufrieden.
Jetzt musste nur noch ein günstiger Schrauber her. Auch hier das gleiche Spiel. Mein Spruch: „Winterzeit ist Umbauzeit” kannten nur die wenigsten. Dubiose Kostenvoranschläge, abgerechnet zu Werkstattpreisen, liessen mein Vorhaben in schwindelerregende Preisregionen steigen. Ich er- innerte mich an Händler, bei denen ich auch schon früher recht ordentlich behandelt worden war. Siehe da, bei der Moped-Halle in Hohn kamen wir ins Geschäft. Es wurde ein Festpreis vereinbart. So konnte ich ruhigen Gewissens den Umbau in Fachhände geben.
Sicherlich ist es schön, seine Gedanken und Vorstellungen durch eigene Hände entstehen zu lassen. In so einem Fall aber ließ ich es durch, sagen wir mal, kompetentere Hände entstehen. Gleich bei den ersten Arbeitsschritten konnte ich den Unterschied zwischen Garagenschrauber und Fachmann deutlich erkennen. Kleinere auftretende Probleme konnten mit der Firma Mizu direkt am Telefon gelöst werden. (Danke, Andi!)
Nach zwei Wochen war es vollbracht. In meiner Hand hielt ich einen Karton mit den Ausschlachtteilen. Als ich die Bandit das erste Mal zu sehen bekam, war ich verliebt wie an dem Tag, als ich im Herbst die Mopedzeitschrift aufschlug und meinen Entschluss fasste. Ich erinnere mich, dass es auch an diesem Tag, als sie vom „Onkel Doc” zurückkam, wieder regnete. Ich schob sie in den Schuppen zurück neben das Moped meiner Freundin und – ja, ich weiß, ich bin ein bisschen verrückt – holte die Kutte aus dem Schrank. Es sollte ein ganz besonders feierlicher Moment werden. Die Anlage gab wieder Lenny Krevitz her. Nun hatte ich sie, meine „Fly to the sky”. Das erste Probesitzen war die totale Entspannung, keine Spur mehr von Kopfschmerzen oder schlechter Laune. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und konnte ihn spüren, den süßen Duft der Freiheit, der nur auf einem Moped an einem warmen Sommerabend möglich ist, wenn man in den Sonnenuntergang fährt. Draußen prasselte der Regen, aber hier drinnen bei mir war es Sommer mit einem Duft nach frischem Heu und einem warmen Lüftchen… So stelle ich mir Cybersex in so einem ollen Gumminoppenanzug vor. Aber wer braucht denn schon so’n Mist, wenn man sowas wie ich hat?
Wieder zurück in der winterlichen Realität wurden noch schnell die Vergaser wieder abgelassen und die Batterie ausgebaut. Denn bis wir uns alle Ostern in Husum wiedersahen, war es noch zwei Monate hin. Zwei lange Monate, in denen es viel regnete und der Entzug nach der geliebten Droge immer stärker wurde.
Also Freunde, vielleicht sehen wir uns ja mal auf einem Treffen oder auch an einem milden Sommerabend bei einem Ausritt auf dem Moped. Wenn Ihr eine Bandit im Fly-Design seht, dann könnte ich es sein…