aus bma 09/00
von Dagmar Strömpl
Eigentlich sollte mein erster Motorradurlaub nichts besonderes werden: ein bisschen die Seele baumeln lassen, ohne feste Pläne immer der Nase nach, einfach so dahintreiben, die Natur genießen, bloß keine Pflichtbesuche und nichts Anstrengendes oder Aufregendes. Das Ganze sollte in Südschweden stattfinden, vielleicht mit einem Abstecher nach Norwegen – so zehn Tage Festland und acht Tage nach Gotland eine Freundin besuchen, dann in drei bis vier Tagen langsam nach Hause gondeln. Doch irgendwie kam es doch etwas anders als gedacht:
Bereits am zweiten Tag konnte ich feststellen, dass es in Schweden mehr Autos gibt, als gemeinhin behauptet wird. Dank Ferienende reichte es bei Göteborg für zwei Kilometer Stau auf der Gegenfahrbahn. Am Abend des dritten Tages vermeldete ich dann nach Hause, dass die Elche in Schweden wohl ausgestorben seien; noch nicht einmal eines dieser berühmten Elch-Warnschilder hatte ich bis dahin gesehen. Erst am sechsten Tag bekam ich eins zu sehen. Allerdings hatte ich bis dato bereits drei lebende Elche zu Gesicht bekommen. Erst eine Elchkuh mit vorjährigem Jungen(!) und am Nachmittag des nächsten Tages – fast genau 24 Stunden später – eine zweite Elchkuh. Sie standen in Värmland neben einer Schotterstraße im vollen Sonnenlicht, das dem dunkelbraunen Fell der imposanten Tiere einen wunderschönen goldenen Glanz verlieh.
Rentiere sind übrigens sehr viel kleiner, zierlicher und agiler als Elche. Hiervon konnte ich mich mit eigenen Augen erstmals an der Stadtgrenze von Dorotea überzeugen, was im Süden Lapplands(!) liegt – nur noch etwa acht bummelige Fahrstunden von Jokkmokk (nördlich des Polarkreises) entfernt. Bei regnerischem Wetter bis unter 10°C und zum Teil Eisregen auf einer fast schnurgeraden, von Touristen übervölkerten Straße durch endlose Wälder und Sumpflandschaften bot dieser Tag so ziemlich genau das Gegenteil der erträumten sonnigen, kurvigen Schotterstraßen. Ach ja, von Touristen übervölkerte Straße heißt in Lappland: alle drei bis vier Minuten ein Auto, davon etwa jedes dritte mit schwedischem Kennzeichen, die anderen waren Deutsche, gelegentlich auch Polen, Dänen und Schweizer.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, ging es genauso schnurstracks durch ebenso mieses Wetter zurück Richtung Süden. Trotz des schlechten Wetters fuhren auch viele Schweden ihre Maschinen spazieren, oder vielmehr ihre rollenden Wohnzimmer – nach der zwanzigsten Gold Wing hörte ich auf zu zählen.
Eine kurze Pause an einer Dorftankstelle, 18 km vor Nynäshamn, wurde überraschend zum zweiten Höhepunkt der Reise. Der Himmel war strahlend blau, das Thermometer zeigte gut 20°C im Schatten und bis zur Abfahrt der Fähre in Nynäshamn waren noch fast drei Stunden Zeit. Also schob ich das Motorrad nach dem Tanken beiseite und gönnte mir noch ein Eis. Gerade als ich den Kiosk verließ, fuhren zwei hochbeinige Motorräder und ein Pickup vor.
Das erste, was mir auffiel, war das fehlende Kennzeichen der blaugelben Crossmaschine – dann kann die Crossbahn ja nicht weit weg sein, dachte ich. Die zweite Maschine war eine Enduro, schwarz, leicht angestaubt und angekratzt und mittlerweile fast schon eine alte Bekannte: eine Highland V950 Outback. Nicht gerade das, was ich mir für die Crossbahn kaufen würde, aber durchaus eine Maschine, die ich mir als Tourenbike für entlegenere Gebiete vorstellen könnte (wenn ich’s mir leisten könnte). Was hier wirklich abging, bemerkte ich allerdings erst, als sich zum Fahrer des Pickup ein Fotograf gesellte: Testfahrer bei der Arbeit!
Interessiert verfolgte ich aus unaufdringlicher Distanz, wie der Fotograf ein paar Meter weiter Aufstellung nahm, während der Fahrer des Pickup Testfahrer und Maschinen hin und her dirigierte. Dabei bekam ich die Husaberg erstmals richtig zu Gesicht. Sah irgendwie anders aus als ich sie in Erinnerung hatte; und viel sauberer als die Highland – so neu-sauber, als sei sie erst vor fünf Minuten frisch vom Band gerollt. So langsam begriff ich, dass das, was da (am 24. August 1999) so harmlos an der Zapfsäule stand, Husabergs großes 2000er Cross-Modell war, die FC 600 Thor.
Nach einigen Minuten kam der Team-Chef zu mir herüber: „Mind, if we take some photos?” Hätte ich nicht mitbekommen, dass er kurz zuvor meine heißgeliebte NX 250 gegenüber den Testfahrern als netten Kontrast zu der Husaberg bezeichnet hatte, wäre ich wohl geschmeichelt gewesen. Trotzdem stimmte ich natürlich zu.
Er winkt seine Fahrer heran und brachte sie in Aufstellung. „… und jetzt tut mal so, als ob ihr redet!” Verwirrt schaute ich von einem zum anderen. Wie, um alles in der Welt, tut man so, als ob man redet? Höflich-desinteressiert stellte der Husaberg-Fahrer schließlich die Standardfrage: „Woher kommst du?” Genauso standardmäßig antwortete ich zunächst: „Aus Hamburg; na ja, da aus der Nähe jedenfalls” um nach einem kritischen Blick auf Motorrad und Fahrer zögernd hinzuzufügen: „Kennst du Kaltenkirchen?” Die Reaktion der Schweden reichte von einem „Of course, I know Kaltenkirchen! Been there 15 times!” seitens des Husaberg-Fahrers (begleitet von einem Blick, der meine Frage für das goldene Fettnäpfchen qualifizierte) bis zu einem trockenen „Da hab ich mir zwei Rippen gebrochen” seitens des Teamchefs. Prompt folgte eine Gegenfrage: „Kennst du … Wie heißt er noch, der Typ mit dem Bart?” (Auf diesem Wege herzliche Grüße an Hans Harbeck!). Die Schweden tauten jetzt sichtlich auf. Nur Fredriks (seines Zeichens Editor bei Nordeuropas führender Motorradzeitschrift, wie ich später erfuhr) gelegentliche Regieanweisungen erinnerten noch daran, dass dies für die Fahrer Arbeit war.
Der Rest der Reise verlief dann (fast) wieder programmgemäß. Nur aus dem binnen drei bis vier Tagen langsam nach Hause Gondeln wurde eine 23-Stunden-Non-Stop-Fahrt; erst als mir gegen 5.00 Uhr morgens kurz vor Lensahn auf der A1 die Augen zufielen, fuhr ich ab und hielt ein kleines Nickerchen auf der Maschine.
Zwei Monate später hielt ich dann auch endlich die versprochenen Bilder und die aktuelle Ausgabe der „Bike” in den Händen.
Alles nichts Besonderes, oder?
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