aus Kradblatt 10/23 von Günter George

Eine Motorradreise im „Land, wo der Pfeffer wächst“

Begegnung im Indira Ghandi Wildlife Sanctuary
Begegnung im Indira Ghandi Wildlife Sanctuary

Unter uns Palmen, überall Palmen, und Strände, leuchtend weiße Sandstrände, hier und da unterbrochen von schroff abfallenden Felsenriffen. Wie in Zeitlupe gleiten wir an der Küste entlang, sinken tiefer und tiefer, unaufhaltsam dem sicheren Boden entgegen. Dann ein leichter Ruck; wir sind gelandet. Vor etwa 12 Stunden bin ich in Hamburg losgeflogen und jetzt an meinem Traumziel angelangt, in Indien, genauer in Kerala auf dem Flughafen von Trivandrum. Die Briten haben Keralas Hauptstadt so benannt, weil sie den richtigen Namen wohl nicht aussprechen oder sich nicht merken konnten. Zugegeben, Thiruvananthapuram ist in der Tat ein Zungenbrecher.

Die Enfields sind authentisch und machen Spaß
Die Enfields sind authentisch und machen Spaß

Kaum haben die Räder unseres Fliegers Bodenkontakt, da habe ich mein erstes „indisches Erlebnis“. Alle springen auf, schieben und stoßen, öffnen die Gepäckfächer und wühlen hektisch nach ihren Taschen. Die Mahnungen der Stewardess und des Kapitäns, „sitzen zu bleiben, bis wir die endgültige Parkposition erreicht haben“, verpuffen im Eifer, beim Aussteigen die Polposition zu ergattern. Ich bin verwirrt. Heißt es nicht immer, Inder seien so gelassen und uns hektischen Westlern in Sachen Geduld und Ruhe weit überlegen?

Als ich nach draußen trete, schlägt mir feucht schwüle Saunaluft entgegen.  Es ist drei Uhr morgens und so warm, wie bei uns in der sommerlichen Mittagssonne. Und es ist voll. Auf jeden ankommenden Reisenden kommt eine Sippschaft von 10 bis 15 Personen, die ihn am Flughafen begrüßen und abholen wollen. Ich erkämpfe mir einen Weg durch die Masse und entdecke erleichtert das Wheel of India-Schild, mit dem sich mein Abholer bemerkbar macht.

Mit mir sind noch drei weitere Wheel of India-Kunden angekommen. Obwohl sie auch ihre Helme unter dem Arm tragen, sind sie mir vorher nicht aufgefallen. Ich war wohl zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, was mich in Indien erwarten würde.

ÖPNV der etwas ungewohnten Art
„ÖPNV“ der etwas ungewohnten Art

Nach einer etwa einstündigen Fahrt erreichen wir unser Hotel in Varkala. Die Check-in-Prozedur bringen wir erfreulich schnell und unkompliziert hinter uns, und dann falle ich erschöpft ins Bett.

Nach dem Frühstück wollen wir zuerst erkunden, wo wir hier gelandet sind. Es sind nur ein paar Schritte bis zum Strand. Hier bietet sich uns ein seltsames Schauspiel. Über den ganzen Strand verteilt haben Brahmanen-Priester Position bezogen, und um sie herum hocken kleine Gruppen Gläubiger, die unter Anleitung der Priester eigenartige Rituale vollziehen. Ich bin noch etwas scheu, meine Kamera zu zücken, aber niemand scheint sich daran zu stören. Später wird mir klar, dass sich Inder liebend gern fotografieren lassen, ja regelrecht dazu einladen.

Wir klettern hoch zum Kliff, das etwa 30 Meter über dem Strand thront. Hier findet das touristische Leben statt. Ein Restaurant neben dem anderen. Dazwischen Souvenirshops, hauptsächlich aus Kaschmir und Nepal, und Ayurveda-Zentren und Schneider. Ich erinnere mich an die Empfehlung der Reisebeschreibung, betrete eine der Schneidereien und lassen mir ein Hemd aus buntem indischem Stoff anpassen. Heute Nachmittag könne ich es abholen, verspricht der Schneider.

Flora und Fauna hautnah
Flora und Fauna hautnah

So vergeht wie im Flug der erste Tag in Indien. Beim gemeinsamen Abendessen stellt sich heraus, dass indisches Essen sehr schmackhaft gewürzt, aber auf Wunsch durchaus nicht so scharf ist, wie ich es befürchtet hatte.

Der nächste Tag verläuft ähnlich, nur dass wir diesmal unsere Bikes zu Gesicht bekommen und zu einer kleinen Testfahrt aufbrechen. Die Motorräder, klassische Royal Enfields, sind in einem ausgezeichneten Zustand, alle mit Linksschaltung. Ich erfahre später, dass rechts geschaltete Bikes schon lange der Vergangenheit angehören. 

Priester im Meenakshi Tempel
Priester im Meenakshi Tempel

Wir fahren zunächst über kleine Nebenstraßen, fast völlig ohne Verkehr, um uns ganz auf das Handling der Maschinen konzentrieren zu können. Doch dann geht‘s auf den Highway, und hier tobt der Bär. Es scheint keinerlei Ordnung zu geben. Jeder fährt da, wo Platz ist. Rücksichtnahme scheint nicht zum Wortschatz indischer Verkehrsteilnehmer zu gehören. Später erkennen wir, dass es durchaus eine Ordnung gibt. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren und das führt zu einer klar gegliederten Hierarchie. Ganz oben haben Busse und LKW die unangefochtene Herrschaft über das Geschehen auf der Straße, dann folgen normale PKW. Schließlich Motorräder, Fahrräder und ganz unten, völlig rechtelos, Fußgänger. Gewürzt wird dieses Verkehrsallerlei mit Hunden, Ziegen, Hühnern und nicht zu vergessen, heiligen Kühen, die alle ihren Platz auf der Straße beanspruchen.

Da wir uns also ziemlich weit unten auf der Verkehrshierarchieleiter befinden, gibt es für uns nur eine Verhaltensregel, defensiv fahren, und damit sind wir tatsächlich sehr gut gefahren und konnten das wilde Treiben schon bald richtig genießen.

Die erste längere Fahrt führt uns nach Kanyakumari, den südlichsten Festlandspunkt Indiens und ein wichtiger Pilgerort für Hindus. Hier treffen sich drei Meere, das Arabische Meer, der Indische Ozean und der Golf von Bengalen. Solche Orte spielen für Hindus immer gleich eine besondere Rolle und werden für heilig erklärt. Wir finden hier einen über tausend Jahre alten Tempel zu Ehren der Göttin Kanya Kumari, der für uns eine Besonderheit mit sich bringt. Hier ist es auch für nicht Hindus erlaubt, an der Abend-Puja teilzunehmen, ein tief beeindruckendes Erlebnis. Spätestens jetzt bin ich In Indien angekommen. Wie im Rausch folge ich der Prozession durch die Hallen des Tempels. Der Duft von Räucherstäbchen und Öllämpchen, der ohrenbetäubende Lärm der Trommeln und Blasinstrumente, der einlullende, monotone SingSang der Brahmanen, all das hebt uns aus der Wirklichkeit in die Höhen hinduistischer Mystik. Wie benommen verlassen wir den Tempel, nicht ohne zuvor ein Öllicht für die Göttin entzündet zu haben. Doch damit nicht genug gibt es zum Abendessen eine südindische Spezialität, ein Thali, verschiedene Gemüse und Chutneys mit einem Berg Reis und Pappadam, alles auf einem großen Bananenblatt serviert.

Der Meenakshi Tempel in Madurai
Der Meenakshi Tempel in Madurai

Da wir nach Madurai ca. 250 Kilometer zurückzulegen haben, eine Strecke, die gefühlt 750 km in Deutschland entspricht, brechen wir früh auf. Wir brauchen tatsächlich den ganzen Tag – zum einen wegen des regen Verkehrs, zum anderen aber auch wegen der vielen Foto- und Tee-Stopps. Letztere sind ein Ereignis für sich. Kaum halten wir vor einem Chai-Walla an, sind wir umringt von Schaulustigen. 10, 20, 50 und mehr Menschen versammeln sich um die Fremdlinge, zunächst mit Abstand, dann aber immer näher kommend. Betatschen die Bikes, würden am liebsten auch uns abtasten, beschränken sich dann aber auf immer gleiche Fragen: „Where do you come from?“, „What is your name?“, „Do you like India?“, etc. etc. Nur wenige sind an einer Antwort interessiert, sondern gehen gleich zum nächsten, um ihn mit den gleichen Fragen zu überschütten.

In Madurai gehen wir nach einem kurzen Dusch-Stopp zum Meenakshi-Tempel. Es ist dies eine der größten Tempelanlagen Indiens und eine der beeindruckendsten. Durch einen der vier großen äußeren Eingangstürme, sogenannte Gopurams, betreten wir den ersten Ring, der um den eigentlichen Tempelbereich führt. Hier bieten weiter Gopurams den Zugang zum Inneren. Ein Gewirr von Gängen führt zu den verschiedenen Tempel- und Gebetsnischen. Zahllose, im Wind flackernde Öllämpchen sind die einzige Lichtquelle, und die zitternden Schatten erzeugen eine gespenstische Atmosphäre, die durch die über Lautsprecher im gesamten Tempelareal übertragenen Gebete der Brahmanen-Priester noch gesteigert wird. Ich setze mich auf eine der Stufen, die zu einem kleinen Pool herunterführen, und lasse die Stimmung auf mich wirken.

Unzählige Details am Gopuram Tempel
Unzählige Details am Gopuram Tempel

Szenenwechsel. Wir verlassen Madurai und befinden uns wenig später in den Höhen der Western Ghatts. Die Western Ghatts, ebenso wie die nicht ganz so hohen Eastern Ghatts sind Gebirgszüge, die im Westen bzw. im Osten parallel zu den jeweiligen Küsten die Hochebene des Deccan gegen die Meere begrenzen. Hier ist Kurvenfahren vom Feinsten angesagt. Und es geht hoch hinauf. Über 2.200 Meter zeigt das Navi an, und trotzdem ist es angenehm warm. Doch wir bleiben nicht auf der Höhe, sondern kurven durch ebenso viele Schleifen wie bei der Auffahrt wieder ins Tal und zur Tempelstadt Palani. Da ich nun mal hier bin, will ich auch den Tempel besuchen.  Er liegt allerdings hoch über der Stadt auf einem Hügel, und zusammen mit hunderten Pilgern mache ich mich an den mühsamen Aufstieg. Welch ein Erlebnis. Die urigsten Gestalten umringen mich. Einige haben Gelübde abgelegt, um so das Wohlwollen der Götter zu erlangen. Z.B. eine ältere Frau, die den gesamten Weg von ihrer Heimat bis zum Tempel rollend zurückgelegt hat. 

Wir haben nun den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Heute werden wir einige Wildlife Sanctuaries durchqueren. Unser Guide relativiert unsere Hoffnung, wilde Elefanten oder andere Wildtiere zu Gesicht zu bekommen. Da es streng verboten ist, die einzige asphaltierte Straße, die durch die Wildparks führt, zu verlassen, und sich somit aller Verkehr auf diese einzige Straße konzentriert, werden sich die Tiere tunlichst hüten, sich hier aufzuhalten. Und so kam es dann auch. Trotzdem war es eine Freude, durch die weitgehend unberührte und sich selbst überlassene Natur zu cruisen.

Das, was nun folgt, ist einer der Gründe, warum ich mich für diese Tour entschieden habe. Der Süden Indiens und hier speziell Kerala ist sprichwörtlich das Land, in dem der Pfeffer wächst. Kardamom, Vanille, Chili und eben auch Pfeffer haben den Reichtum Keralas begründet und zunächst Abenteurer und Händler und später Feldherren und Soldaten aus aller Herren Länder angelockt.

Tee, so weit das Auge reicht
Tee, so weit das Auge reicht

Da, wo die Wildparks enden, beginnt die Welt des Tees und der Gewürze. Schmale Straßen ziehen sich in sanften Kurven durch Täler und über Hügel und rechts und links Tee, Tee, Tee. Ab und zu sieht man kleine Siedlungen mit einfachen Behausungen. Hier leben die Teepflückerinnen mit ihren Familien. Man sieht sie wie bunte Blumen inmitten des Grüns der Teepflanzen ihrer Arbeit nachgehen. In großen, über der Schulter getragenen Säcken, sammeln sie die Blätter. Immer, wenn ein Sack voll ist, wird er zur Sammelstelle an der Straße gebracht, von wo sie später von einem LKW abgeholt werden. Die Bezahlung ist bescheiden, aber ausreichend, um eine Familie über Wasser zu halten.

Cruisen zwischen Tee-Plantagen
Cruisen zwischen Tee-Plantagen

Wir halten immer wieder an, zum Fotografieren, um mit den Pflückerinnen zu scherzen und um genauer unter Augenschein zu nehmen, wie z.B. Kardamom oder Pfeffer wachsen. Wir haben sogar die Gelegenheit, eine Teefabrik zu besuchen, und zu lernen, wie Pfeffer getrocknet wird und was es mit weißem, schwarzem und buntem Pfeffer wirklich auf sich hat.

Nach zwei Tagen Tee-Landschaft erreichen wir Kumili/Thekkadi, eine Grenzstadt zwischen Tamil Nadu und Kerala. Wir nutzen die Möglichkeit, etwas mehr über die Natur Indiens zu erfahren. Eine dreistündige geführte Wanderung durch das Periyar Wildlife Sanctuary macht uns um einiges klüger, und wir entdecken Pflanzen, die für unser Auge so seltsam aussehen, als kämen sie von einem anderen Stern. Auf die Fahrt mit dem Boot über den Periyar Lake verzichten wir. Da sich diese nur früh morgens lohnt, hätte das Aufstehen um 5:30 Uhr bedeutet, und das war uns eindeutig zu früh.

Und dann befinden wir uns schon auf der vorletzten Fahrt mit unseren Bikes. Sie haben treu ihre Arbeit verrichtet. Es gab keine Zwischenfälle. Der Mechaniker, der uns begleitete, hatte, außer allmorgendlichem Abstauben, nichts zu tun. Gut so. Am frühen Nachmittag erreichen wir das Paradis, das Monroe Island, eine kleine Halbinsel in der Nähe von Kollam. Wir befinden uns nun inmitten der Blackwaters von Kerala, einem teils natürlichen, teils künstlich angelegten, viele hundert Kilometer umfassenden Kanalsystem. Von hier aus starten wir am nächsten Morgen zu einer mehrstündigen Cruise mit einem Motorboot durch diese Traumlandschaft.

Im Anschluss geht es zurück nach Varkala. Schade. Schon vorbei. Da hätte ich wohl doch besser die um eine Woche längere Coast-to-Coast-Tour buchen sollen, die mich bis an die Ostküste geführt hätte. Die zwei Tage „Seele baumeln lassen“ in Varkala, die nun folgten, war ein schöner Abschluss dieser Reise. Und mein Fazit? Indien ist bestimmt nicht jedermanns Sache, aber mir hat es gefallen, und Indien wird mich bestimmt wieder sehen.

Reiseroute in openstreetmap.de
Reiseroute in openstreetmap.de

REISE-INFOS 

Der Veranstalter der Reise, die Wheel of India GmbH, bietet die Süd-Indien-Reise in zwei Varianten an:

Tropisch-exotisches-Süd-Indien: 13 Übernachtungen, acht Fahrtage, ca. 1.150 km

Coast-to-Coast: 21 Übernachtungen, 14 Fahrtage, ca. 1.950 km

Beide Touren werden mit Schwierigkeitsgrad Mittel angegeben. Ich fand die Tour einfach zu fahren. Man braucht für Indien ein Visum, erhältlich als e-Visum unter: https://indianvisaonline.gov.in/evisa/tvoa.html

Ebenfalls ist ein internationaler Führerschein erforderlich. Impfungen sind nicht vorgeschrieben. Ich empfehle auf jeden Fall Tetanus und Hepatitis A & B. Malaria Prophylaxe und Tollwut sollte man sich gut überlegen und vorher seinen Arzt fragen, da die Nebenwirkung unangenehm sein können.

Helm ist ein Muss, ansonsten möglichst leichte Motorradkleidung. Es ist warm.

Euro, Schweizer Franken und Dollar kann man überall wechseln. In Städten kann man mit Bank- und Kreditkarten auch Geld am Automaten abheben.

Alle weiteren Infos gibt es unter www.wheelofindia.de.